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Veröffentlicht am 20.06.2025

Die Suche

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
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Im Vordergrund scheint die Suche nach einem Bild zu stehen, von dem Senta einst nur notierte: Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid. Was es mit diesem Bild auf sich hat, das erfährt ...

Im Vordergrund scheint die Suche nach einem Bild zu stehen, von dem Senta einst nur notierte: Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid. Was es mit diesem Bild auf sich hat, das erfährt man im Laufe der Geschichte, wenn wir der jungen Berlinerin Hannah über die Schulter schauen. Auch Hannah sucht etwas und das ist nicht in erster Linie das Bild, sondern etwas, von dem sie gar nicht weiß, was es ist. Da ist eine Leere, eine Unruhe und gleichzeitig ein Auf-der-Stelle-treten in ihr. Hannahs hochbetagte Großmutter Evelyn lebt in einer Seniorenresidenz und ihre Enkelin besucht sie eher widerwillig. Das Verhältnis zu einander ist nicht besonders herzlich. Als Evelyn den Brief einer israelischen Anwaltskanzlei erhält, in dem sie als Alleinerbin eines verschollenen jüdischen Kunstvermögens bezeichnet wird, fällt Hannah aus allen Wolken.

Gemeinsam mit Hannah, die mental durch die Affäre mit ihrem verheirateten Doktorvater gebeutelt ist, und einem Historiker begeben wir uns nun auf die Reise in die Vergangenheit, zunächst in das Berlin der 1920er Jahre und zu Senta.

Mir hat der Roman sehr gut gefallen. Er liest sich ganz wunderbar, hat gut erdachte, lebendige Charaktere und ist auch noch spannend. Natürlich wird hier das Rad nicht neu erfunden und ein paar Klischees gibt es auch, aber die Geschichte vermag wirklich zu fesseln. Die Sprünge zwischen Vergangenheit und Gegenwart führen die losen Enden immer weiter zusammen und geben der Handlung gleichzeitig Tempo. Das Ende hätte ich mir gerne anders gewünscht, aber so ist das Leben.

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Veröffentlicht am 20.06.2025

Jim erzählt

James
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"Huckleberry Finn" (1885) gehört zu den Klassikern der US-amerikanischen Literatur. Dieser Roman verkaufte sich von allen Werken Mark Twains am besten, das Buch ist und bleibt jedoch nicht frei von Kritik. ...

"Huckleberry Finn" (1885) gehört zu den Klassikern der US-amerikanischen Literatur. Dieser Roman verkaufte sich von allen Werken Mark Twains am besten, das Buch ist und bleibt jedoch nicht frei von Kritik. Neben dem historischen Vorwurf, es wäre recht derb, steht der Roman in der zeitgenössischen Kritik vor allem unter dem Vorwurf des Rassismus.

Percival Everett hat dieses Element in seiner "Adaption" von Huckleberry Finn ins Zentrum gestellt, indem die Hauptperson nun der Sklave Jim ist. Aus seiner Sicht wird die Geschichte ähnlich, neu und doch ganz anders erzählt. Zunächst bleibt Everett recht eng an seiner Vorlage. Im zweiten Teil wird die Handlung erzählt, die wir als Huck-Leser nicht aus erster Hand kennen, denn Jim und Huck werden getrennt und Mark Twain bleibt natürlich bei seinem Ich-Erzähler Huck. Der letzte Teil schließlich entfernt sich komplett von der Vorlage und erzählt eine ganz andere Geschichte.

Bei Everett zeigt sich Jim nicht nur als völlig andere Person, sondern ich möchte fast sagen, überhaupt erst als Person. Bei Twain wird Jim häufig als leicht- und abergläubisch, nicht besonders helle, schreckhaft etc. dargestellt. Everett entwirft ein völlig anderes, überraschendes Bild, das uns als Leser*innen den Spiegel vorhält. An dieser Stelle gilt dem Übersetzer Nikolaus Stingl besondere Anerkennung, ohne zu viel verraten zu wollen. Ab dem zweiten Abschnitt verabschieden wir uns auch von dem Idyll, das wir mit Twains geschilderten Abenteuern auf dem Mississippi verbinden. Es wird ungeschönt und brutal über die Situation der versklavten Menschen geschrieben.

Ein Roman, der mich sehr überrascht hat und Huck Finn in einem neuen Licht erscheinen läßt. Ich empfehle, zumindest eine umfassende Zusammenfassung von Twains Werk vorab zu lesen, sofern der Inhalt nicht (mehr) bekannt sein sollte. Der Pulitzer-Preis ist verdient an diesen Roman gegangen.

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Veröffentlicht am 27.05.2025

Die Galionsfigur

Die Frauen von Cornwall
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Der Debütroman der berühmten Rebecca-Autorin Daphne du Maurier! Wegen das malerischen, wirklich wunderschönen Covers und des Titels hatte ich allerdings von Die Frauen von Cornwall etwas Anderes erwartet. ...

Der Debütroman der berühmten Rebecca-Autorin Daphne du Maurier! Wegen das malerischen, wirklich wunderschönen Covers und des Titels hatte ich allerdings von Die Frauen von Cornwall etwas Anderes erwartet.

Gelesen habe ich eine eher düstere Familiensaga über vier Generationen, wobei es durchaus nicht hauptsächlich um die Frauen der Familie Coombe geht. Janet Coombe und ihrem ungestümen Sohn Joseph gehören die ersten beiden Kapitel, die auch den größeren Teil dieses Romans ausmachen. Janets Enkel und dessen Tochter schließen dann den Reigen der Generationen. Die Coombs besitzen eine kleine Werft und ein Handelssegelschiff an der Südküste von Cornwall. Alle Familienmitglieder sind eng mit ihrer kleinen Heimatstadt Plyn verbunden und lieben das Meer und die Küste.

Im Alter von 24 Jahren veröffentlichte du Maurier diese Saga, in der eigentlich alle Zutaten vorhanden sind: Die erste Generation, die in Gestalt von Janet, einer wortwörtlichen Galionsfigur, alle weiteren Generationen beeinflusst; ein intriganter Verwandter, unglückliche Lieben, Leidenschaft, Tod, eine Prise Schauerroman (Gothic novel) und das alles vor einer grandiosen Kulisse.

Leider konnte mich dieses Debüt aber nicht überzeugen. Ich habe es durchaus gerne gelesen, aber immer im Bewusstsein, wer die Autorin ist. Es gibt einige Längen im Roman, Wiederholungen und ein Ungleichgewicht zwischen den Charakteren, die mir nicht immer ganz ausgereift erschienen. Ich konnte ihr Handeln und ihre charakterlichen Veränderungen häufig nicht nachvollziehen. Die intensiven Gefühle zwischen Janet und ihrem Sohn Joseph waren in den ersten zwei Kapiteln ein sehr zentrales Element, mit dem ich jedoch nicht so viel anfangen konnte. Das passte nicht so recht zum Rest des Romans.

Insgesamt ein Generationenroman, den man mit anderen Erwartungen gut lesen kann und der viel von der Schönheit Cornwalls einfängt. Aber ein Debüt, das noch nicht voll zeigt, was die Autorin später konnte. Es gibt zahlreiche Elemente, die z.B. in Rebecca wieder auftauchen und dort wesentlich stimmiger eingebracht werden.

Leider trägt auch der aktuelle Titel dazu bei, den Roman in eine bestimmte Ecke zu drängen, denn der Originaltitel The Loving Spirit, in früheren Ausgaben mit Der Geist von Plyn übersetzt, trifft den Kern des Buches wesentlich besser.

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Veröffentlicht am 27.05.2025

Über 6.000 Kilometer quer durch Asien

Verbotene Reise
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Die Schweizerin Ella Maillart (1903-1997) hat eine wahnsinnig interessante Biografie: Sie war Olympiateilnehmerin, Seglerin, Skifahrerin, Hockeyspielerin, Stuntfrau, Modell und Reisejournalistin und Fotografin. ...

Die Schweizerin Ella Maillart (1903-1997) hat eine wahnsinnig interessante Biografie: Sie war Olympiateilnehmerin, Seglerin, Skifahrerin, Hockeyspielerin, Stuntfrau, Modell und Reisejournalistin und Fotografin. Von ihrer siebenmonatigen Reise von Peking aus durch entlegene Gebiete in China bis nach Srinagar in Kashmir handelt diese Reisebeschreibung. Ihr Begleiter, obwohl beide lieber als Alleinreisende unterwegs waren, auf dieser über 6.000 km langen Tour war Peter Fleming, ein britischer Reisejournalist und der Bruder von Bond-Erfinder Ian Fleming. Das Team aus Eton-Schüler und Schulabbrecherin funktionierte offenbar prächtig. "Ich hatte dabei Peters glänzende Intelligenz schätzen gelernt, seine Fähigkeit, alles zu essen und überall zu schlafen [...] seine Abscheu gegen jegliche Entstellung der Tatsachen und die angeborene Sachlichkeit, mit der er sie darstellte [...] Ich wusste auch, dass Fleming weder unter meinem Falschsingen noch unter meiner primitiven Kochkunst leiden würde. [...] Und Peter klärte mich darüber auf, dass seine affektierte Stimme, sein nöliger Oxforder Akzent seinen letzten Reisegefährten fast wahnsinnig gemacht hätten." (S. 23)


In ihrem Reisebericht schildert sie, eher dokumentarisch, jede Etappe der Reise, die sich anhand einer kleinen Karte im Buch mitverfolgen läßt. Manchmal war es etwas ermüdend und tempoarm, aber immer interessant. Die politischen Verwicklungen waren sehr konfus und ich habe nicht alles nachrecherchiert. Interessante Personen und Ereignisse haben jedoch meine Neugierde geweckt und daher weiß ich jetzt z.B. über die sogenannte Citroën-Expediton(en) Bescheid. Wir erfahren, mit welchen Verkehrsmitteln (von Zug bis Esel war alles dabei) die beiden unterwegs waren, was gegessen und getrunken wurde und (manchmal wollte man es gar nicht wissen) wo es herkam bzw. wie es gemacht wurde. Maillart schildert die unterschiedlichen Landschaften und deren Bewohner*innen, ihre Lebensweise und die Probleme der Regionen und die bürokratischen Hürden, die die Reisenden immer wieder zur schieren Verzweiflung getrieben haben.

Ich habe mir so viele Post-its gesetzt, dass ich gar nicht alles erwähnen kann. Eine zweifellos sehr interessante Lektüre, die aber etwas Zeit braucht. Am Ende sind einige Bilder von dieser Reise abgedruckt, die Maillart gemacht hat.

Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist die Reise, die Maillart einige Jahre später mit ihrer Landsmännin Annemarie Schwarzenbach nach Afghanistan unternimmt. Ebenfalls eine Reisejournalistin und Fotografien mit einer spannenden Biografie.

In diesem Jahr hat der Exekutivrat der UNESCO der Aufnahme der Nachlässe der Schweizer Schriftstellerinnen Annemarie Schwarzenbach und Ella Maillart in das Register des Weltdokumentenerbes zugestimmt.

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Veröffentlicht am 19.05.2025

Roadtrip mit Mutter und Plastiktüte

Eurotrash
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"Eine Geschichte, in der absolut gar nichts passiert, außer daß sich eine alte Frau ab und zu mit ihrem Sohn streitet." (S. 195). Das könne doch nun wirklich niemanden interessieren, meint Frau Kracht, ...

"Eine Geschichte, in der absolut gar nichts passiert, außer daß sich eine alte Frau ab und zu mit ihrem Sohn streitet." (S. 195). Das könne doch nun wirklich niemanden interessieren, meint Frau Kracht, die Mutter des Ich-Erzählers Christian, der mit Daniel Kehlmann verwechselt wird und der seine exzentrische, leicht demente Mutter aus der Nervenanstalt Winterthur in Zürich in einer Kurzschlusshandlung in ein Taxi verfrachtet, um mit ihr eine völlig ungeplante Reise zu unternehmen. Bevor die Reise richtig beginnt, wird noch ein kleines Vermögen Bargeld abgehoben, das fortan in einer Plastiktüte mitgeschleppt wird. Zwischendurch ergeht sich der Ich-Erzähler immer wieder in Anfechtungen gegen seine Familie, deren NS-Vergangenheit, gegen die Schweiz und vielerlei andere und anderes. Dabei hätte er seine Überspanntheit bereits vor langer Zeit abgelegt, nämlich damals mit Erscheinen seines Romans "Faserland": "Ich hatte mich nämlich mit fünfundzwanzig entschlossen, einen Roman in der Ichform zu schreiben, erinnerte ich mich, bei dem ich mir selbst und dem Leser vorgaukeln würde, ich käme aus gutem Hause, wäre wohlstandsverwahrlost und hätte etwas von einem autistischen Snob." (S. 62) Das ist immer noch so, es wird vom Haus in Kampen auf Sylt (Fast-Nachbar: Axel Springer), der Villa in Cap Ferrat (Nachbar: Somerset Maugham), dem Appartement in Mayfair, dem Château am Genfer See und weiteren Immobilien gesprochen. Natürlich ist das alles völlig überzogen, ebenso wie die offen zur Schau getragene Affinität zu bzw. Abscheu vor bestimmten Luxus-Marken. Durchwoben wird dies zudem von Geschichten, die Christian seiner Mutter erzählt, die ebenfalls hoch skurril sind, die er aber noch zusätzlich mit einem noch skurrileren, erfundenen Ende versieht, z.B. die Geschichte der Gebrüder Schlumpf. (Irre!). Und was absolut unglaubwürdig klingt, aber so passiert ist: Mary Watson und ihr Baby sind 1881 auf der Flucht vor Ureinwohnern in einem aufgeschnittenen, eisernen Schiffswassertank, in dem Seegurken gekocht wurden, verdurstet. Diese Story bringt sogar die von Medikamenten und Alkohol benebelte Frau Kracht wieder zu Bewusstsein.

Zwischen diesen Geschichten wird der Stomabeutel gewechselt, das Geld verteidigt und man bleibt mit einer Gondel hängen, alles auf 208 Seiten. Also, davon, dass absolut gar nichts passieren würde in diesem Roman, kann man wirklich nicht sprechen.

Ein Buch, das auf der obersten Ebene ziemlich wirr und überzogen wirkt, das aber in der Schicht darunter Kritik übt, an Gesellschaft, Politik und Vergangenheit. Ich kann mir vorstellen, dass der "kunstvolle" Text nicht allen gefällt, mir hat er wirklich Spaß gemacht und ich habe ständig den Kopf geschüttelt, über Christian, seine Mutter und alles andere auch.

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