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Veröffentlicht am 06.09.2024

Das überfüllte Grab

Delikatessen
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Auch der vierte Fall für den sympathischen Polizeichef von Saint-Denis im Périgord, Bruno, trumpft mit den bewährten Zutaten auf: Ein heimeliges Setting in der pittoresken französischen Kleinstadt mit ...

Auch der vierte Fall für den sympathischen Polizeichef von Saint-Denis im Périgord, Bruno, trumpft mit den bewährten Zutaten auf: Ein heimeliges Setting in der pittoresken französischen Kleinstadt mit meistens liebenswerten Menschen, Natur, Tieren und natürlich gutem Essen und noch besserem Wein. Wenn da bloß nicht immer diese störenden Elemente wären, wie z.B. Mord, Totschlag, Anschläge, Terroristen, gewaltbereite Aktivisten und so manch besserwissende Vorgesetzte aus dem Ministerium.

Dieses Mal muss Bruno wieder gleichzeitig an mehreren Fronten kämpfen und es bleibt ihm kaum Ruhe, um seine leckeren Gerichte zu kochen. Neben einem unbekannten Toten, der bei archäologischen Ausgrabungen gefunden wird und noch gar nicht so lange tot ist, obliegt Bruno die Sicherung eines Treffens zwischen französischen und spanischen Politikern, das als mögliches Ziel der Untergrundorganisation ETA (Freiheit für das Baskenland) identifiziert wurde. Zu allem Überfluss machen gewaltbereite Tierschützer der heimischen Gänseleberpasteten-Lobby das Leben schwer und auch die neue Amtsrichterin Annette hat keinen guten Start in Saint-Denis.

Gekonnt läßt Walker seinen Polizeichef zwischen all diesen gefährlichen Klippen hindurchsegeln, souverän, weit- und nachsichtig und immer das Wohl seiner Stadt im Auge behaltend.

Die Romane lassen sich wunderbar leicht lesen und dabei lernt man nicht nur die französische Küche kennen, sondern erfährt ebenso in jedem Buch etwas über die französische Politik und Geschichte. Es ist jedesmal fast wie ein kleiner Frankreich-Urlaub, wenn man in die überschaubare Welt von Saint-Denis eintaucht. Ein Wermutstropfen bleibt in diesem Band zurück, denn von einem liebgewonnenen Charakter müssen wir uns verabschieden.

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Veröffentlicht am 30.08.2024

Das Haus auf den Klippen

Die Frauen von Maine
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In diesem Roman will Sullivan ziemlich viel und für mich ist das auch gelungen.

Erzählt wird vordergründig die Geschichte von Jane Flanagan, die an der Küste von Maine aufwächst und immer wieder von einem ...

In diesem Roman will Sullivan ziemlich viel und für mich ist das auch gelungen.

Erzählt wird vordergründig die Geschichte von Jane Flanagan, die an der Küste von Maine aufwächst und immer wieder von einem verlassenen Haus auf einer prägnanten Klippe angezogen wird. (Originaltitel daher auch: The cliffs) Als Erwachsene arbeitet Jane für die Schlesinger Bibliothek in Harvard (Library on the History of Women in America) und beschäftigt sich mit den Nachlässen von Frauen. Als sie das Haus ihrer verstorbenen Mutter in Maine ausräumt, kommt sie zufällig mit der aktuellen Besitzerin des Klippenhauses in Kontakt, die Jane bittet, Nachforschungen darüber anzustellen.

Im Roman kommen mehrere Frauen in längeren Kapiteln zu Wort, die im Klippenhaus gelebt haben und deren Wege sich dort kreuzen, auch wenn Jahrhunderte dazwischen liegen. So setzt sich nicht nur die Geschichte des Gebäudes zusammen, sondern noch so viel mehr. Es geht um das Bewahren von Geschichte - im Großen und im Kleinen -, Feminismus, Spiritualismus, schwierige Mutter-Tochter-Beziehungen, Alkoholismus, die Shaker-Bewegung, Native Americans und Epigenetik. Letzteres befasst sich mit sog. "Seelenwunden", Massentraumata durch Genozid, Versklavung, Kolonialisierung, die auf zellulärer Ebene an die nächste Generation weitergegeben werden.

Der Roman hat mich sehr gefesselt und lange wach gehalten, ich konnte ihn nicht aus der Hand legen. Er läßt einen über vieles nachdenken, z. B. über die Art der Geschichtsschreibung, die bis vor kurzem ja erst mit der Besiedelung Amerikas begann. Was war mit den Menschen, die zuvor dort lebten? Oder: Große Teile des weiblichen Schreibens wurden über die Jahrhunderte nicht bewahrt, sondern gingen verloren oder wurden bewusst vernichtet, von den Autorinnen selbst oder Angehörigen. (Ein bekanntes Beispiel ist Jane Austen.)

Insgesamt ein leicht zu lesender Roman, der eine große Palette an Themen zusammenbringt und wunderbar unterhält. Auch wenn manche Textstellen wie Einschübe wirken, ist es dennoch eine geschmeidige und stimmige Geschichte geworden. Ein toller Sommerroman mit Anspruch und zum Nachdenken.

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Veröffentlicht am 16.08.2024

Von Valencia nach München

Blutorangen
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Warum gibt es ein Foto, auf dem Maites Vater, der unnahbare Spanier Francisco, eine deutsche Wehrmachtsuniform trägt? Unverhofft wird die Erasmus-Studentin in München mit der Geschichte ihrer Familie in ...

Warum gibt es ein Foto, auf dem Maites Vater, der unnahbare Spanier Francisco, eine deutsche Wehrmachtsuniform trägt? Unverhofft wird die Erasmus-Studentin in München mit der Geschichte ihrer Familie in Valencia und der ihres Landes unter Franco konfrontiert. Über ihren neuen Freund Carlos, der ebenfalls spanische Wurzeln hat, lernt sie dessen Großvater Antonio kennen, der ihr von seiner Flucht aus Spanien erzählt. Aber erst nach fast 15 Jahren erfährt Maite die ganze Wahrheit.

Wusstet Ihr, dass es eine Kultur der Zitrusgrafik gab? In Salzgitter gibt es gar ein Museum, das sich den Orangenpapieren widmet. Die Orangen spielen im Debütroman von Verena Boos eine wichtige Rolle. Das Hauptanbaugebiet in Spanien liegt rund um Valencia und von dort gelangen die Früchte auf den Großmarkt in München. In beiden Orten spielt ein Großteil der Handlung. Nicht nur der Handel mit Orangen verbindet die beiden Länder in diesem Roman, sondern auch die Diktatoren Franco und Hitler. Das deutsche Flugzeuggeschwader "Legion Condor" unterstützt Franco 1937, dieser revanchiert sich 1941 im Krieg gegen die Sowjetunion mit der "Blauen Division". Dieses dunkle Kapitel der Geschichte wird beispielhaft anhand der Familien von Antonio und Francisco auf eindringliche Weise dargestellt.

Ich habe ein bisschen gebraucht, um in die Geschichte hineinzufinden. Einerseits liegt das am Schreibstil der Autorin, den ich als spröde, knapp, schnörkellos und ein wenig sperrig empfinde, andererseits am Aufbau der Handlung. Gemeinsam mit Maite decken wir langsam, Schicht für Schicht, die Geschichte hinter den beiden Männern auf. Wir bewegen uns zwischen drei Zeitblöcken (1939-42, 1990 und 2004) und vielen Namen und es dauert, bis man sich gedanklich sortiert hat.

Insgesamt kann ich das Buch sehr empfehlen, es ist eindringlich und aufrüttelnd geschrieben, voller interessanter und gut recherchierter Informationen. Die Figuren und ihre Gefühle sind lebendig geschildert, in all ihrer Unsicherheit, Angst und Trauer.

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Veröffentlicht am 16.08.2024

Stockholm und Tübingen

WintersSpuren
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Eben war für Henriette, genannt Henry, die Welt in Stockholm noch in Ordnung. Dann wird sie am Telefon Zeugin, wie ihre Mutter an der Haustür erschossen wird. Im Haus entdeckt sie Hinweise, dass ihr Vater, ...

Eben war für Henriette, genannt Henry, die Welt in Stockholm noch in Ordnung. Dann wird sie am Telefon Zeugin, wie ihre Mutter an der Haustür erschossen wird. Im Haus entdeckt sie Hinweise, dass ihr Vater, den sie seit 30 Jahren für tot hält, noch am Leben sein könnte. Die Spür führt sie nach Tübingen, wo die Familie einst lebte.

Das klingt wieder mal ganz interessant, war aber ehrlicherweise nicht so aufregend. Die Handlung ist ziemlich an den Haaren herbeigezogen und vieles ist vorhersehbar. (Wer bitte schön verwahrt einen Glastropfen als Glücksbringer über Tage in der hinteren Hosentasche?) Außerdem handelt die Protagonistin mal wieder so, dass man ständig sagen möchte, lass es doch bitte, bitte bleiben! Das finde ich immer ziemlich ärgerlich. Einzig die Kombination von Stockholm und Tübingen als Handlungsorte ist ungewöhnlich und für mich persönlich ganz witzig, weil ich öfter in Tübingen bin und z. B. auch jedes Mal an der Jugendherberge in der Gartenstraße vorbeikomme, in der Henry in Tübingen wohnt. Allerdings klingt es dann doch immer etwas putzig, wenn Henry, die eigentlich nur in Stockholm und für einige Zeit in Hamburg gelebt hat, von der Kehrwoche etc. spricht. Da schmilzt dann der Schwedenkrimi wieder zum Regionalkrimi zusammen und ist doch weder das eine noch das andere. Für zwischendurch ganz nett, dennoch für mich eher enttäuschend.

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Veröffentlicht am 16.08.2024

Olive, again!

Die langen Abende
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Olive Kitteridge, die notorisch schlecht gelaunte und um bissige Kommentare nie verlegene pensionierte Lehrerin, lebt immer noch in Crosby, Main. Aber die Dinge sind im Wandel. Die langen, nicht enden ...

Olive Kitteridge, die notorisch schlecht gelaunte und um bissige Kommentare nie verlegene pensionierte Lehrerin, lebt immer noch in Crosby, Main. Aber die Dinge sind im Wandel. Die langen, nicht enden wollenden Abende, die sie nun ohne ihren Mann Henry verbringen muss, machen ihr zu schaffen. Da tut sich in Form des etwas übergewichtigen ehemaligen Harvardprofessors Jack eine Lebensalternative für Olive auf.

Wie bereits in "Mit Blick aufs Meer" setzt sich hier erneut aus kleinen Geschichten eine ganze Stadt zusammen. Wir treffen auf alte Bekannte und neue Menschen, die sich in Crosby tummeln und manchmal auch wieder gehen. Das Gehen ist das große Thema dieses Buches. Olive ist bereits über 70, die Endlichkeit des Lebens ist ihr bewußt und die Autorin scheut sich nicht, Olive weiter altern zu lassen, bis sie über 80 ist und von zahlreichen Zipperlein geplagt wird. In vielen Abschnitten spielen das Älterwerden, Sterben und der Tod eine Rolle. Aber alles ist umhüllt von der weichen Seeluft in Main und natürlich gewürzt mit Olives spitzen, grundehrlichen Bemerkungen.

Es war schön, nochmal diesen Küstenort und seine Bewohner*innen besuchen zu können, aber ich denke, dass dieser Besuch auch ein Abschied war. Als eine Freundin von Olive sagt: "Ich habe so Angst, dass ich über die Brücke muss [...]" (S. 343), da habe ich mit den Tränen gekämpft. Wer das Buch gelesen hat, weiß, dass es sich um eine reale Brücke handelt und was auf der anderen Seite wartet.

Wer "Mit Blick aufs Meer" gerne gelesen hat, wird auch diese Fortsetzung lieben, die man aber auch ohne Vorkenntnisse lesen kann. Empfehlen würde ich aber beide Romane. Strout schreibt irgendwie ganz "leichtfüßig", mit einem Blick für liebenswürdige oder tragische Figuren. Goodbye, Olive!

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