Erstickt in Vorurteilen
Make IT RealIch hatte das Buch angefordert, weil ich die Verknüpfung von MINT und Belletristik interessant finde. Leider erfüllt das Buch sämtliche Klischees, ist vorhersehbar und lässt spannende Konflikte links liegen. ...
Ich hatte das Buch angefordert, weil ich die Verknüpfung von MINT und Belletristik interessant finde. Leider erfüllt das Buch sämtliche Klischees, ist vorhersehbar und lässt spannende Konflikte links liegen. Man bekommt, was man erwartet. Oder weniger.
Rezi enthält Spoiler!
Worum geht es?
Informatikerin Fallon arbeitet in einem Männer-Betrieb und wird bei Beförderungen übergangen. Gleichzeitig versucht sie, ihre Identität als Autorin von Liebesromanen zu verheimlichen. Als ein Kollege zufällig auf einer Lesung auftaucht, greift Fallon zu einer Notlüge.
Wie hat mir das Buch gefallen?
Von der Informatik sieht man ein bisschen, für mich war's das richtige Maß. Die Autorin schafft es gut, die Arbeit der Entwickler an Beispielen zu erklären, und auch wenn ich nicht jedes Detail verstanden habe, war mir der Kontext klar. Trotzdem wirkt es für mich nicht "lebendig", nicht authentisch, sondern verkrampft. Ein Problem, das sich durch das ganze Buch zieht. Auch, dass der Begriff "Dev" nur kurz erklärt wird, war frustrierend. Ich habe mich das ganze Buch lange gefragt, was das bedeutet. "Dev" steht für "Developer", also jemand aus der Entwickungsabteilung.
"Spicy" wird es auch nicht, es gibt nur eine ausführliche Sexszene, die überwiegend aus Perspektive der Frau geschildert wird, bei der es aber darum geht, dass sie dem Mann Spaß bereitet. Dass Frauen einfach so Spaß haben, wird auch hier ausgeblendet.
Von Fallons Schreiberei sieht man fast gar nichts. Sie gibt eine Lesung, aber man liest weder Auszüge noch erfährt man, worüber sie genau schreibt. Alles wirkt sehr oberflächlich. Was ich schwierig finde, ist das Thema Pseudonym: Am Ende deckt Fallon das Pseudonym auf, weil sie sich nicht mehr verstecken will. Es ist ein Zeichen für ihre Befreiung. Hier wird das Vorurteil geschürt, dass sich Autor:innen nicht mutig genug sind. Es ist aber ein bewusster Schutz aus privatem Ich und Schreiberei. Weil sich Autor:innen angreifbar machen. Weil es einen Arbeitgeber nichts angeht, was man in seiner Freizeit tut. Oder weil man später aufhören will und nicht möchte, dass der eigene Name nur damit verknüpft ist.
Die Dramaturgie ist relativ klar: Frau gibt sich als ihre eigene Schwester aus, was dem Mann gar nicht auffällt, irgendwann kommt das raus, aber er verzeiht ihr. Sie ist aber so zerfressen von ihren Vorurteilen (!), dass sie ihn wegstößt. Sie wird geläutert, Happy End. Weitere Nebenhandlungsstränge sind, dass Fallon den Job wechseln will, aber ihre Ansprüche nicht aufgeben will. Und dass der Mann seine chronisch klammen Musiker-Eltern nicht mehr unterstützen will und seinen Job kündigen und ein Projekt starten will. Besonders die letzten beiden Stränge hätten Potential, werden aber nur wenig ausgeführt. Obwohl vor allem das Thema Eltern selten in Romanen vorkommt.
Auch die Nebenfiguren sind klischeehaft, vor allem die Männer: Es gibt den netten Typen, es gibt den grummligen Typen und es gibt den sexistischen Idioten. Bei Fallon gibt es eine Biologin (?) und eine Frau, die auf die Kinder ihres Bruders aufpasst, weil die Frau verstorben ist. Beide hatten trotz interessanter Ausgangslage nur wenig Raum. Ein wirkliches Kollektiv-Gefühl kam nicht auf.
Was mich am meisten gestört hat, waren Fallons Vorurteile gegenüber Männern in der IT. Sie geht davon aus, dass sie nicht geachtet wird und sich beweisen muss. Diesen Aspekt wiederum fand ich interessant. Sie gibt nicht auf und empfindet es als persönliches Versagen, wenn sie kündigen würde. Ich denke, damit können sich viele Leser:innen identifizieren. Auf mich wirkten die Vorurteile sehr klischeehaft dargestellt und das größte Ekel ist der Mensch, den sie abgewiesen hat. Auch wenn diese Zustände in manchen Branchen (leider) vorhanden sind, hätte man hier künstlerisch und handwerklich mehr machen können. Denn es hat mich emotional nicht gepackt. Mich hat nicht der Sexismus wütend gemacht, sondern die Figur, die das als Rechtfertigung nimmt, sich abzugrenzen. Andererseits ist genau das die Lektion, die die Figur lernen muss - dass sie geliebt wird. Trotzdem fand ich das langweilig.
Auch mit der Sprache hatte ich Probleme. Die Sätze sind teilweise sehr lang und manche Formulierungen waren komisch. Fallon fragt z.B. "wo bei Ada Lovelace wir hier gelandet waren." (S. 164) Die Idee ist gut, wirkt aber nicht fließend. Vor allem, weil Fallon manchmal mehr, manchmal weniger Bezug auf sie nimmt. Außerdem kommen kaum engliche Lehnwörter vor, aber dann Perlen wie "reveale" oder "gemockupten" - vor allem letztes ist nur aus dem Kontext zu entschlüsseln.
Was mir gefallen hat, waren Details, die nebenbei mitlaufen z.B. Fallons Wunsch, ihrem Vater zu gefallen und deswegen Metal Bands zu hören, obwohl sie das nicht mag. Obwohl ihr Vater sie scheinbar trotzdem liebt. Am Ende fragt der Protagonist, ob sich Fallon.exe aufgehängt hat - den Witz fand ich schön, weil er natürlich wirkte. Auch die Feststellung, dass ein Alpha-Male ein (vermeintlich) starkes Männchen ist, eine Alpha-Version aber die erste, fehlerbehaftete Version eines Programms (und einer Geschichte), fand ich witzig. Das macht den Roman sympatisch und es wäre besser gewesen, wenn es mehr davon gegeben hätte.
Fazit
Das Thema Feminismus und Geschlechter-Diskreminierung in MINT ist wichtig - aber als Aufhänger im Text wirkte es zu eindimensional, zu gewollt. Dazu die klischeehafte Liebesgeschichte, die Frauen letztlich nicht wertschätzt, sondern vorführt und das Thema damit etwas ad absurdum führt. Für mich ein Roman, der trotz guter Ausgangslage schnell aus dem Kopf verschwunden ist.