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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 10.09.2021

Eine verquere Neuinterpretation mit Sogkraft.

Sweet Tooth: Die Rückkehr
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Meine Meinung

Die Mini-Serie »Sweet Tooth: Die Rückkehr« von Jeff Lemire ist eine Neuinterpretation der Original-Comic-Serie des Comicautors und Illustrators selbst und unter dem DC Black Label in einer ...

Meine Meinung

Die Mini-Serie »Sweet Tooth: Die Rückkehr« von Jeff Lemire ist eine Neuinterpretation der Original-Comic-Serie des Comicautors und Illustrators selbst und unter dem DC Black Label in einer Softcover-Ausgabe bei Panini erschienen.

Die Geschichte knüpft 300 Jahre nach den Ereignissen in »Sweet Tooth« an und kann aufgrund der in sich abgeschlossenen Erzählung auch von Neueinsteigern gelesen werden. Allerdings war ich froh, zumindest die Netflix-Serie gesehen zu haben, denn so konnte ich auf jeden Fall mehr aus dem Comic herausziehen und auch die Unterschiede erkennen.

Gus ist in dieser Neuerzählung etwas älter und lebt beschützt von Vater und drei Nannies unterirdisch in einem abgeschotteten Waldstück. Das Virus hat die Menschen von der Erdoberfläche in den Untergrund gedrängt und die Welt wird von Hybriden beherrscht. Der fanatische Wissenschaftler, der sich als Gus Vater ausgibt, beherrscht das unterirdische Reich mit repressiver Macht, die wirkt wie die Kraft einer religiösen Sekte.

Der jugendliche Gus wird von Visionen aus einem anderen Leben geplagt und so treibt ihn seine Neugier über die Grenzen seines Reichs. Schon bald entdeckt er, dass er nicht alleine ist und auch noch andere Menschen und Hybride in seiner Welt leben. Er ist nicht bereit, die Rolle die ›Vater‹ für ihn vorgesehen hat zu erfüllen und schließt sich mit einem Menschenmädchen und einem Elefant-Hybride zusammen, um ihren eigenen Weg zu beschreiten.

An sich hat es mir gefallen, wie Jeff Lemire seine eigene Geschichte auf den Kopf stellt und von einer anderen Seite beleuchtet. Erzählung und Bilder gehen Hand in Hand und erzeugen schnell einen mitreißenden Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Dennoch hat sich mir der Sinn dieses Spin-Offs nicht ganz erschlossen und ich glaube, dass ich bei der Original-Serie einen Ticken besser aufgehoben sein werde.

Fazit:

Eine verquere Neuinterpretation mit Sogkraft.

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© Bellas Wonderworld; Rezension vom 28.07.2021

Veröffentlicht am 12.08.2021

Hexenmystik mit Spannung und gefährlichem Sektenwahnsinn

Das Jahr der Hexen
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Beschreibung

Die Siedlung Bethel wird von einem Propheten geleitet, der die strengen Gesetze des Vaters wahrt. Nur ein gläubiges Leben wird anerkannt und vor allem die Frauen sind Gefangene, die sich ...

Beschreibung

Die Siedlung Bethel wird von einem Propheten geleitet, der die strengen Gesetze des Vaters wahrt. Nur ein gläubiges Leben wird anerkannt und vor allem die Frauen sind Gefangene, die sich aufopferungsvoll dem Willen des Glaubens unterwerfen müssen. Die sechzehnjährige Immanuelle ist aufgrund ihrer sündhaften Herkunft ein Schandfleck in der gottesfürchtigen Gemeinschaft, dennoch darf sie bei ihrer verbliebenen Familie leben und wurde nicht als Ausgestoßene in die Vororte verbannt.

Als Immanuelle im verbotenen dunklen Wald auf Hexen trifft, erhält sie als Geschenk das Tagebuch ihrer verstorbenen Mutter. Die Aufzeichnungen lassen Immanuelle an den Worten des Propheten zweifeln und als sich der erste Fluch der Hexen erfüllt, sieht sich Immanuelle in der Verantwortung etwas zu unternehmen…

Meine Meinung

Ein vielschichtiges Debüt über eine wahnhafte Sekte, Sexismus und Rassismus ist der jungen Autorin Alexis Henderson mit ihrem Roman »Das Jahr der Hexen« gelungen. Die Autorin hat ihre Geschichte nicht genau datiert, doch aufgrund der puritanischen Gesellschaftsform und den geschilderten Lebensumständen trägt sie sich wohl irgendwann zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert in einer kleinen Ortschaft namens Bethel zu.

Der Erzählstil ist mit seinen langen in sich verschachtelten Sätzen an die Zeit angepasst und lässt erst langsam ein Bild entstehen, dass einen dann aber immer tiefer in die bizarre Glaubensrichtung der Gemeinde und die unterdrückte Stellung der Frauen hineinzieht.

An oberster Stelle ihres Glaubens steht der allmächtige Vater, vertreten durch einen gottähnlichen Propheten, der sich in einem blutigen Ritual eine junge Frau, nach der Anderen zum Eheweib nimmt und mit seinen Predigten über Sünde und Sühne seine Schäfchen in einem machtvollen Gespinst von Angst und Schrecken gefangen hält. Die strengen Glaubenssätze repräsentieren ein intolerantes Gesellschaftskonstrukt, dass Menschen mit anderer Hautfarbe als Menschen zweiter Klasse vor die Stadttore verbannt und gegen den ketzerischen Glauben an die Mutter des Waldes und ihre Hexen mit brennenden Scheiterhaufen begegnet.

Alexis Henderson hat mit Immanuelle eine unglaublich starke Heldin zu Papier gebracht, die es aufgrund ihrer sündhaften Herkunft nicht leicht hat. Der unwürdige Vater, dessen Hautfarbe sie als seine Nachfahrin zeichnet und auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde und die bei ihrer Geburt verstorbene Mutter als Hexe verschrien. Immanuelle wird zwar aufgrund ihrer gläubigen Erziehung zwar in Bethel geduldet, aber mit Freundlichkeit begegnen ihr nur ihre Blutsverwandten und einzige Freundin Leah.

Spannend wird es als Immanuelle und Ezra, der künftige Erbe des Propheten, aufeinandertreffen und sich die verquere Dynamik der Geschichte zu entfalten beginnt. Während Immanuelle noch an den Glaubenssätzen des Vaters festhält, sieht Ezra den schändlichen Machtmissbrauch seines Vaters. Je mehr Immanuelle über die Vergangenheit ihrer Eltern herausfindet, desto mehr bröckelt ihr Weltbild und dann sind da auch noch die Flüche ihrer Mutter, die sie entfesselt hat und um jeden Preis aufgehalten werden müssen…

Aufgrund des Buchtitels hatte ich ein wenig mehr Raum für die Hexen und deren Werk erwartet, doch die Handlung trägt sich fast ausschließlich in Bethel zu und Dialoge mit Hexen bzw. Hexenkundigen kann man an einer Hand abzählen. Die Geschichte ist erfüllt vom herrschenden Patriarchat, welches unter dem Deckmantel der heiligen Religion missbraucht, opfert und unterdrückt. Somit ist die Atmosphäre durch eine bedrückende Stimmung geprägt und nur ab und zu blitzt die mystische Macht der Hexen auf.

Die Hauptcharaktere sind präzise ausgearbeitet, was es einem leicht macht in ihre Situation einzutauchen und dem spannenden Handlungsbogen zu folgen. Jedoch konnte ich nicht ganz nachvollziehen, warum die Autorin interessante Figuren kurz einführt und danach nie wieder erwähnt. Dadurch wirkt es manchmal nicht ganz durchdacht und sicherlich hätte man so noch mehr Nervenkitzel herausholen können. Auch zum Finale hin, sind leichte Schwächen bemerkbar, da die langsam aufgebaute Story sehr schnell zu Ende gebracht wird und dabei etwas von ihrem bedrohlichen Charme einbüßt.

Fazit

»Das Jahr der Hexen« ist trotz kleiner Abstriche ein absolut lesenswerter Debütroman, in dem Hexenmystik mit Spannung und gefährlichem Sektenwahnsinn vermischt und Themen der gegenwärtigen Zeit (Feminismus, Rassismus) zum Tragen kommen.

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© Bellas Wonderworld; Rezension vom 27.07.2021

Veröffentlicht am 12.08.2021

Ein durch und durch bewegender Roman

Das Damengambit
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Beschreibung

Ein Autounfall beraubt die achtjährige Beth Harmon ihrer Mutter und macht sie zur Vollwaise. Im Kinderheim versucht Beth der lauten und beängstigenden Realität zu entfliehen, was ihr durch ...

Beschreibung

Ein Autounfall beraubt die achtjährige Beth Harmon ihrer Mutter und macht sie zur Vollwaise. Im Kinderheim versucht Beth der lauten und beängstigenden Realität zu entfliehen, was ihr durch die grünen Beruhigungspillen, die den Kindern tagtäglich ausgegeben werden, leicht fällt. Eines Tages sieht sie den Hausmeister Mr. Shaibel vor einem Brett mit schwarzen und weißen Figuren sitzen und beginnt sich für das Spiel zu interessieren. Das junge Mädchen beweist ein außergewöhnliches Talent und spielt schon bald gegen die erfolgreichsten Männer auf dem Gebiet. Auf dem Weg vom Wunderkind zur Weltmeisterschaft droht die einsame Beth jedoch eine Schlucht aus Drogen und Alkohol zu verschlucken.

Meine Meinung

Die Romanvorlage von Walter Tevis zur erfolgreichen Netflix-Serie »Das Damengambit« wurde 1983 erstveröffentlicht (»The Queen’s Gambit«) und ist nun zum ersten Mal in einer deutschen Übersetzung im Diogenes Verlag erschienen. Die Lektüre des Romans hielt noch ein viel intensiveres Erlebnis für mich bereit, als es die grandiose Serie vermochte.

Walter Tevis schreibt in einem mitreißenden und ergreifenden Erzählstil über das bewegende Leben des Waisenmädchens Beth Harmon, sodass man kaum glauben kann, dass es sich nur um eine rein fiktive Geschichte handelt. Dem bedrückenden Gefühl alleine in der Welt zu sein, entflieht die Achtjährige mit den vom Heim ausgegebenen Beruhigungspillen und als sie durch den Hausmeister Mr. Shaibel ihre Liebe zum Schach entdeckt, kann sie an nichts anderes mehr denken, als an das Spiel mit Bauern, Springer, Läufer, Turm, Dame und König.

Beths herausragende Fähigkeiten als Schachspielerin beginnen sich zu entwickeln und schon bald spielt sie besser als Mr. Shaibel, doch ihr Talent wird in keinster Weise von der Heimleiterin gefördert, sondern vielmehr versucht im Keime zu ersticken als Beth nach einem Vorfall ein Schachverbot erhält. Als Beth mit dreizehn Jahren schließlich doch noch adoptiert wird, lockt sie das Preisgeld der Schach-Turniere mindestens ebenso sehr wie der Reiz des Spieles. Ihr Talent wird von ihrer Adoptivmutter nur zu gerne unterstützt, denn sie bekommt kaum Unterhalt von ihrem Mann und ist durch den Kauf diverser Suchtmittel immer knapp bei Kasse, sodass die Siegprämien im Schach gut gelegen kommen.

Die Entwicklungen und sozialen Hintergründe in Beths Leben sind so spannend miteinander verwoben, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte. Walter Tevis ist ein rundes Gesamtkunstwerk von Settig und Protagonisten gelungen, in dem nicht nur eine starke Frau in einer von Männern geprägten Welt in den Vordergrund rückt, sondern auch der Missbrauch von Alkohol und Beruhigungsmitteln und dann werden durch Beths farbige Freundin Jolene auch noch Rassismusproblematiken ins Spiel gebracht. Ich habe wirklich jede einzelne Seite über den selbstbestimmten Weg von Beth Harmon genossen!

An den ausführlichen Schilderungen von Spielzügen und nervenaufreibenden Turnieren werden Schachspieler bestimmt noch eine etwas eine größere Freude haben, als jemand, der sich mit dem Spiel nicht auskennt. Aber auch ohne diese Kenntnisse weiß Walter Tevis mit seinem imaginären Ausflug in die Schachwelt eine unheimliche Sogwirkung aufzubauen. Ich konnte mich dem Zauber von »Das Damengambit« nicht entziehen und kann den Roman (auch in Kombination mit dem Serien-Soundtrack) nur allerwärmstens empfehlen.

Fazit

Ein durch und durch bewegender Roman über ein weibliches Wunderkind in einer Männerdomäne, der sich liest, wie eine Erzählung, die so nur das Leben schreibt.

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© Bellas Wonderworld; Rezension vom 26.07.2021

Veröffentlicht am 12.08.2021

Fesselnde Vorgeschichte zu Barries Klassiker »Peter Pan«, die tief unter die Haut geht.

Die Chroniken von Peter Pan - Albtraum im Nimmerland
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Beschreibung

Jamie folgte als erster Junge den verheißungsvollen Versprechungen, eines Lebens voller Abenteuer und Spaß, Peter Pan auf seine Insel. Die Jahre brachte viele verlorene Jungen nach Nimmerland, ...

Beschreibung

Jamie folgte als erster Junge den verheißungsvollen Versprechungen, eines Lebens voller Abenteuer und Spaß, Peter Pan auf seine Insel. Die Jahre brachte viele verlorene Jungen nach Nimmerland, doch Peters Auffassung von Spaß ist gefährlich und brutal und so entstehen im Band der jahrzehntelangen Freundschaft zwischen Jamie und Peter langsam erste Risse. Aus Freundschaft erwächst ein tiefer Hass und Feinschaft für die Ewigkeit…

Meine Meinung

Der magische Roman von James M. Barrie über Peter Pan, den Jungen der niemals erwachsen wird, zählt wohl zu den bekanntesten Klassikern, und fast jedes Kind kennt die Geschichte über Nimmerland, Tinker Bell, die Meerjungfrauenlagune und die Piratenbucht. Doch welche Geheimnisse verbergen sich zwischen den Zeilen? Dieser Frage fühlt Christina Henry in ihrer düsteren Fantasyadaption »Die Chroniken von Peter Pan – Albtraum im Nimmerland« auf den Zahn.

Jamie wurde als erster Junge von Peter Pan auserwählt, mit auf seine Insel zu kommen, dort niemals Erwachsenwerden zu müssen und ein besseres Leben voller Spaß und Abenteuer zu verbringen. Doch Peters Vorstellung von Spaß hat scharfe Zähne und Krallen, die im Laufe der Zeit etliche Jungen das Leben gekostet hat. Die Reihen der ›Verlorenen Jungen‹ lichten sich im Kampf gegen die Piraten, durch Schlachten untereinander und den Bluthunger der monströsen Vieläugigen.

Durch Jamies Augen erblickt man die Schattenseiten Peter Pans, der als Puppenspieler die Fäden zieht und dabei kaum etwas anderes als Eifersucht empfindet, schon gar nicht Verantwortung gegenüber den verlorenen Jungen. Im Gegensatz dazu kümmert sich Jamie um die Bande und macht sich zunehmend Sorgen und stellt ihre bedingungslose Liebe zu Peter in Frage.

Mit Fingerspitzengefühl hat Christina Henry ihre ganz eigene Vorgeschichte zu den Anfängen Nimmerlands gewebt und diese perfekt in den Rahmen von Barries Roman über Peter Pan eingebettet. Dieses großartige Puzzlespiel hat eine große Faszination von der ersten bis zur letzten Seite auf mich ausgeübt. Bitte mache aber nicht denselben Fehler wie ich und lies den Klappentext, denn hier wird leider schon etwas zu viel verraten und es geht die Magie der Überraschung verloren, die Henry für ihre Leserinnen und Leser bereithält.

Der Roman lebt nicht nur von der Umkehrung der verheißungsvollen Vorstellung des Nimmerlands mit seinen Meerjungfrauen, Feen und Abenteuern in ein gefährliches Inselreich, von dem es kein Entkommen gibt, sondern vor allen Dingen von der Weiterentwicklung des Hauptprotagonisten Jamie, der, nachdem er schon einigen Jahrzehnten mit Peter auf der Insel verbracht hatte, die Dinge zu hinterfragen beginnt. Jamie macht sich Sorgen um die anderen Jungen, besonders um den Jüngsten unter ihnen, der nicht bereit ist für so viel Schrecken und Blut vergießen. Peter stört es jedenfalls kaum, denn stirbt ein verlorener Junge, wird dieser im Handumdrehen durch einen neuen ersetzt.

Die Differenzen der einstmals besten Freunde werden größer und der Graben zwischen ihnen erreicht eine Tiefe, die schließlich nicht mehr so einfach überbrückt werden kann.

So ist »Albraum im Nimmerland« ein tiefgründiges Werk über einen Peter Pan, der durch die realistische Ausarbeitung seiner bereits vorhandenen narzisstischen Charaktereigenschaften eine entzauberte, sogar gewaltsame und verschlagene Seite zeigt. Christina Henrys Adaption dieses Kinderklassikers ist ein absolutes Highlight, jedoch im Gegensatz zum Original nichts für schwache Gemüter, denn es gibt einige detailliert geschilderte Kämpfe, bei denen es äußerst brutal zugeht.

Fazit

Ein absolutes Highlight aus Christina Henrys dunklen Chroniken, denn in »Albtraum im Nimmerland« erzählt sie die fesselnde Vorgeschichte zu Barries Klassiker »Peter Pan«, die tief unter die Haut geht und alles auf den Kopf stellt.

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© Bellas Wonderworld; Rezension vom 25.07.2021

Veröffentlicht am 12.08.2021

Dramatisches Possenspiel mit Unterhaltungswert

Der französische Gast
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Beschreibung

Das Familienglück von Ellen und Avery North ist perfekt. Sie leben in der ländlichen Umgebung von London und haben zwei wunderbare Kinder, Anne besucht ein Mädcheninternat und Hugh leistet ...

Beschreibung

Das Familienglück von Ellen und Avery North ist perfekt. Sie leben in der ländlichen Umgebung von London und haben zwei wunderbare Kinder, Anne besucht ein Mädcheninternat und Hugh leistet seinen Wehrdienst ab. Die Besuche bei ihrer Schwiegermutter in London sind mehr Pflicht als Vergnügen und so wird die junge Französin Louise als Gesellschafterin eingestellt. Die elegante junge Frau erobert das Herz der alten Dame und beginnt auch den erfolgreichen Verleger Avery mit ihrem bestechenden Charme und einer ordentlichen Portion Unverschämtheit zu betören.

Meine Meinung

Ich liebe literarische Wiederentdeckungen und Dorothy Whipple zählt definitiv zu jenen, die man sich nicht entgehen lassen sollte, wenn man sich Gesellschaftsromanen mit Biss und scharfer Beobachtungsgabe nicht entziehen kann.

Die englische Schriftstellerin veröffentlichte erfolgreich Romane und Kinderbücher, bis sie in der Nachkriegszeit des Zweiten Weltkriegs in Vergessenheit geriet. »Der französische Gast« war ihr letzter Roman und ist nun die erste deutsche Veröffentlichung eines ihrer Werke überhaupt. In ihrer Geschichte über die gefährliche Bedrohung einer langjährigen und glücklichen Ehe zieht sie aus einer trivialen Situation einen unterhaltsamen und mitreißenden Roman, der mich von der ersten Seite an zu fesseln vermochte.

Mit feinsinnigem Gespür zaubert Dorothy Whipple ein Ensemble mitreißender Persönlichkeiten auf ihre Romanbühne, die im Zusammenspiel eine hervorragende Energie verströmen und sich durch geschickte Verquickung der Erzählfäden eine kribbelnde Grundspannung aufbaut. Zwar erzählt Whipple ihre Geschichte nicht aus der Ich-Perspektive ihrer Protagonisten, dennoch gelingt es ihr mit einer geschickten Betrachtungsweise den Leser mitten ins Geschehen zu ziehen. Schließlich lässt sich die Situation der verheirateten Hausfrau und Mutter nur allzu gut nachvollziehen, deren für die Zeit typisch Stolzen und starrsinnigen Mann sich in die Fänge einer reizenden jungen Dame wiederfindet.

Ellen North ist dabei eine bodenständige Frau in den 40ern, die sich nichts aus Fashion und Geld macht und in ihrer glücklichen Familienblase Erfüllung findet und vielleicht gerade aufgrund dieser sicheren Stellung viel zu naiv im Umgang mit ihrem französischen Gast ist. Ganz im Gegensatz zu Ellen hat Louise aufgrund ihrer niederen gesellschaftlichen Stellung ihre große Liebe verloren und ist aus ihrer Heimat geflohen. Mit ihrem angekratzten Ego will die selbstsüchtige Louise unbedingt das Glück anderer an sich reißen, um ein Stück vom Kuchen der Wohlhabende abzubekommen.

Das gegenwärtige Geschehen steigert sich zusehends zu einem dramatischen Finale während man mit den einzelnen Charakteren mitfiebert. Klar hat Ellen mit ihrer liebenswürdigen Persönlichkeiten die Sympathie auf ihrer Seite, doch Dorothy Whipple ist es mit ihrem einfühlsamen Erzählstil gelungen, dass man sogar mit der affektierten und zerstörerischen Louise und Avery Mitgefühl empfinden kann. Auf jeden Fall darf man bis zuletzt gespannt sein, was Dorothy Whipple für ihre Figuren im Sinn hat!

Fazit

Ein mitreißendes und dramatisches Possenspiel, dass sich auch über 60 Jahre nach der Erstveröffentlichung unheimlich gut lesen lässt!

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© Bellas Wonderworld; Rezension vom 24.07.2021