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Veröffentlicht am 25.12.2024

Ein wahrlich farbenreicher, wenn auch nicht farbenfroher Roman.

Das Leben ist ein Fest
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Die französische Autorin Claire Berest schafft in ihrem Roman sehr eindringlich, die überbordende und auch unheimlich verletzende Liebe zwischen der Malerin Frida Kahlo und dem "größten mexikanischen Maler" ...

Die französische Autorin Claire Berest schafft in ihrem Roman sehr eindringlich, die überbordende und auch unheimlich verletzende Liebe zwischen der Malerin Frida Kahlo und dem "größten mexikanischen Maler" Diego Rivera darzustellen. Hier geht es um nicht weniger als Liebe, Hass, Zärtlichkeit und Verletzungen, Schmerzen - seelischer wie auch körperlicher Art und allem dazwischen.

Mit einer vollmundigen Sprache passt sich die Autorin scheinbar auch stilistisch der Art von Frida Kahlo an. Hier gibt es keine Grautöne, sondern viele Farbnuancen des Lebens. Wobei mir da der französische Originaltitel "Rien n'est noir." (Nichts ist schwarz.) passender erscheint, als der deutsche "Das Leben ist ein Fest". Hier ist nichts ausschließlich schwarz, auch weil jede Kapitelüberschrift einer Farbnuance zugeordnet ist und damit den Inhalt des jeweiligen Kapitels vorausscheinen lässt. Hier orientiert sich die Autorin an das "Gemalte Tagebuch" von Kahlo selbst. Auch nutzt sie viele Zitate aus erhaltenen Briefwechseln von Kahlo und Rivera. Das ist sehr gut recherchiert und lässt den Text unglaublich lebendig werden. Man hat das Gefühl mit Frida im Bett zu liegen und zu leiden oder zu lieben (je nachdem). In den Anmerkungen am Ende des Buches wir darauf hingewiesen, dass die Zitate kursiv gedruckt sind. Das ist eindeutig. Was weniger eindeutig ist, ist der erste Teil des somit kryptisch werdenden Kommentars: "Bei den kursiv gesetzten Stellen handelt es sich um kleine Anspielungen der Autorin oder um fremdsprachige Ausdrücke oder um Zitate von Frida Kahlo und Diego Rivera." Ist nicht immer ein gesamter fiktionaler/fiktionalisierter Roman eine Anspielung der Autor*innen? Was soll das denn heißen? Nun gut, selbst wenn ich dies diskret überlese, kann ich explizit eine andere genutzte Wortwahl leider nicht überlesen: Im Buch tauche immer wieder die Wörter "Indianerin", "indianisch" etc. auf. Das kann man machen in einem aktuell verfassten Roman, aber meines Erachtens unter den Bedingungen, dass es sich entweder um belegte Zitate von historischen Figuren handelt, aus dem Kontext hervorgeht, dass dieses Wort gezielt genutzt wird, um eine gesellschaftliche Einordnung im Rahmen der damaligen Zeit zu geben oder durch eine Anmerkung im Nachwort einsortiert wird. Indianer ist die im Deutschen verbreitete Sammelbezeichnung für die indigenen Völker Amerikas mit bestimmten Ausnahmen und dabei eine Fremdbezeichnung durch die Kolonialisten. Ich finde es bedenklich und nicht zu ignorieren, wenn in einem heutigen Roman unkommentiert dieses Wort repliziert wird.

Im Großen und Ganzen hat mir der vorliegende Roman wirklich sehr gut gefallen. Ich hatte bisher nur rudimentäre Kenntnisse zu Frida Kahlos und Diego Riveras Beziehung bzw. dem Leben von Frida Kahlo. Zu Ersterem erfuhr ich sehr viel - zu Letzterem nebenher durch Rückblicke auch so einiges, was bei Bedarf vertieft werden kann. Also eigentlich eine 4 Sterne Bewertung. Im speziellen Fall jedoch mit Abstrichen in der Form. Demnach sehr gute 3 Sterne von mir für diesen außergewöhnlichen Roman über eine außergewöhnliche Frau sowie ihre außergewöhnliche Beziehung.

Veröffentlicht am 25.12.2024

Actionreiches Weltraumabenteuer

Knights of Sidonia - Master Edition 1
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Nagate Tanikaze lebt mit seinem Großvater zusammen in einem abgeschiedenen Industriekomplex und verbringt seine Tage damit, in einem Mech-Simulator gegen außerirdische Tentakelmonster zu kämpfen. Da sein ...

Nagate Tanikaze lebt mit seinem Großvater zusammen in einem abgeschiedenen Industriekomplex und verbringt seine Tage damit, in einem Mech-Simulator gegen außerirdische Tentakelmonster zu kämpfen. Da sein Großvater allerdings tot ist und die Reisvorräte zur Neige gehen, wagt er sich gezwungenermaßen tiefer in die Gänge des Großkomplexes und muss feststellen, dass er sich all die Jahre im Keller eines gigantischen Kolonieraumschiffes aufgehalten hat, welches sich schon seit 1000 Jahren auf der Suche nach einem neuen Planeten für die an Bord befindlichen Menschen befindet. Auf ihrem Weg wird die Sidonia immer wieder von einer speziellen Art außerirdischer Lebensformen, genannt Gauna, angegriffen und verteidigt sich mit von jungen Piloten gesteuerten Kampfanzügen.

Tsutomu Nihei, Schöpfer der Mangas BLAME! und BIOMEGA, hat sich bei seiner detaillierten Darstellung von Technik und gigantischer Architektur wieder größte Mühe gegeben, auch wenn mir persönlich das Ganzte hier im Vergleich etwas zu “hell” vorkommt. Er schafft es aber gut, Abnutzungserscheinungen durch die lange Reise darzustellen und überrascht immer wieder mit klugen Gedanken zum Alltagsleben auf dem Raumschiff. Was mich gestört hat, war der gefühlte Wechsel des Zielpublikums. Waren Niheis frühere Werke klar dem “Seinen”-Genre zuzuordnen (erwachsene Leser), kommen in “Sidonia” sehr viele Elemente des “Shonen”-Mangas (jugendliche Leser) vor. Dazu zählt der junge Protagonist, die überproportional vielen (jungen) weiblichen Pilotinnen, geringe Anflüge von Schulalltag und Klischees über Interaktion zwischen pubertierenden Jugendlichen. Diese machen den Manga aber nicht per se schlecht, sind für mich nur für eine Geschichte von Tsutomu Nihei recht ungewohnt. Die Action der Kämpfe ist toll, die Aliens angenehm ekelig-kreativ und die Charaktere bekommen auch immer wieder schöne persönliche Momente. Darüber hinaus hat die vorliegende Veröffentlichung als Master Edition ein tolles Design und ist hochwertig verarbeitet.

Im Großen und Ganzen ist Knights of Sidonia ein toller SciFi Manga, fällt für mich aber leider im Vergleich zu den früheren Werken von Tsutomu Nihei in seiner Qualität etwas ab.

Veröffentlicht am 25.12.2024

Black Mirror in Buchform

Friday Black
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Ana Kwame Adjei-Brenyah nimmt in seiner Kurzgeschichtensammlung nicht nur das Leben als Schwarze Person sondern auch die Konsumgesellschaft aufs Korn. Wobei das nicht bedeuten soll, dass die Geschichten ...

Ana Kwame Adjei-Brenyah nimmt in seiner Kurzgeschichtensammlung nicht nur das Leben als Schwarze Person sondern auch die Konsumgesellschaft aufs Korn. Wobei das nicht bedeuten soll, dass die Geschichten rein satirisch angelegt sind, sondern eben auch im wörtlichen Sinne, viele Waffen, Gewalt und Brutalität im Spiel ist, sodass tatsächlich hier viel "aufs Korn" genommen wird.

Die inhaltliche Qualität der Geschichten schwankt für mich stark. So finde ich die eher dystopisch angehauchten Erzählungen fast durchgängig großartig, die eher fantastisch angehauchten mitunter ziellos und überflüssig. Zu meinen Favoriten gehört z.B. die Geschichte über eine Art Freizeitpark, in dem Weiße die Möglichkeit haben, das Verteidigen ihrer Familie/ihres Hauses/Nachbarschaft vor einem "auffälligen, schwarzen Jugendlichen" zu simulieren und damit die Macht bekommen, ungestraft dem "Gerechtigkeitswunsch" nachkommen zu können, vorgegriffener Selbstjustiz nachzukommen. Durch eine Änderung in den Regularien des Parks gibt es einen massiven Plottwist. Großartig! In der ersten Geschichte wird man direkt von der Brutalität, die nie ohne Sinn und Verstand in den Geschichten auftaucht, geschockt. Ein Weißer Mann wird unbestraft freigesprochen, obwohl er fünf Schwarze Kinder vor einer Bibliothek mit einer Kettensäge zerstückelte. Alles als reine Selbstverteidigung. Gleichzeitig wird dieser Freispruch lebensverändernd für einen jungen Schwarzen sein. Auch die titelgebende Geschichte, in der zombiehaft Menschenhorden in einem Einkaufszentrum zum Black Friday-Schlussverkauf einfallen wird überspitzt aber hochpointiert dargestellt. Für diese Geschichten hat der Autor höchsten Respekt verdient.

Leider habe ich die deutsche Übersetzung der Geschichten gelesen und schnell wird klar, dass diese nicht nur unter ihren Möglichkeiten bleibt, sondern auch von jemandem verfasst worden scheint, der keine Verbindung zum Vokabular der Generation Adjei-Brenyahs hat. Bei von ihm (Thomas Gunkel) übersetzten Autoren wie Paul Auster ist der 1956 Geborene sicherlich gut aufgehoben. Ein kleines aber bezeichnendes Besipiel, warum der Übersetzer hier jedoch fehl am Platz ist, zeigt dieser eine beispielhafte Satz: "Wir waren das Entladeteam, so was wie die Gerechtigkeitsliga oder die Avengers. Die Spezialisten." Das geht einfach gar nicht. Und so liest sich leider das gesamte Buch. Häufig hat man eine Ahnung, welches originale englische Wort jeweils übersetzt wurde und kann sich dadurch vorstellen, dass die Geschichten des Autors im englischen Original wahrscheinlich viel mehr hergeben, als in dieser deutschen Übersetzung. Wer also die Möglichkeit hat, sollte definitiv auf das Original zurückgreifen!

Insgesamt hat dieser junge Autor ein unglaubliches Potential, welches hier für mich nicht in jeder aber doch in einigen Geschichten durch die mangelhafte Übersetzung durchstrahlt. Ich bin gespannt auf zukünftige Werke des Autors.

Veröffentlicht am 25.12.2024

Interessantes Thema anstrengend zu lesen

Zwei Jahre Nacht
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Damir Ovčina erlebte seinerzeit selbst als bosnischer Muslim die Belagerung Sarajevos und die Kriegsgreul von Seiten der serbischen Besatzer. Entsprechend hoch war die Erwartung an diesen 750 Seiten umfassenden ...

Damir Ovčina erlebte seinerzeit selbst als bosnischer Muslim die Belagerung Sarajevos und die Kriegsgreul von Seiten der serbischen Besatzer. Entsprechend hoch war die Erwartung an diesen 750 Seiten umfassenden Roman. Es geht um einen jungen Mann im Alter von ca. 17/18 Jahren, der sich durch Zufall im "falschen" Stadteil Sarajevos bei dessen Belagerung befindet und fortan unter den Milizen zu leiden hat. Er erlebt Schreckliches, befreit sich und kämpft fortan im Untergrund.

Grundsätzlich sind die Bestandteile für einen historisch wie auch immer noch aktuell-politisch hochinteressanten Roman gegeben. Leider ist das Buch aus meiner Sicht kaum über diesen Umfang lesbar, da er durchgängig von stakkatohaften Sätzen lebt. Der Ich-Erzähler beschreibt die Geschehnisse in Form seiner Tagebucheinträge, welche über die ersten 100 Seiten hinweg sogar nicht einmal aus Hauptsätzen sondern vorwiegend aus durch Punkte getrennte Stichpunkte besteht. Selbst im etwas besser lesbaren Mittelteil bleibt es bei besagten stakkatohaften Hauptsätzen wie hier: "Wir laufen hintereinander mit eingezogenen Köpfen. Wir springen in den Geschäftsraum im Erdgeschoss. Aus dem Haus ein Maschinengewehr. Auf der anderen Seite explodiert etwas. Vom Jüdischen Friedhof her häufig etwas Schweres. Wir stellen Säcke mit Erde auf." usw. usf. Ich habe aufgrunddessen über weite Strecken den Text nur überfliegen können, da mir eine emotionale Verbindung zum Schicksal des Protagonisten, zum Schicksal der Bewohner Sarajewos und selbst zum Bosnienkrieg an sich, dadurch vollkommen genommen wurde. Ich habe außerdem wenig über die Zusammenhänge des Konflikts erfahren, da es sich um rein minutiöses Heruntererzählen von Erlebnissen dieser einen Person handelt. Dort gibt es kaum Gedankengänge, Überlegungen, Gefühle.

Leider, leider konnte mir dieser hochgelobte Roman den Bosnienkrieg und den Konflikt zwischen den Bevölkerungsgruppen, welcher bis heute anhält, nicht erklären oder zumindest näher bringen.

Veröffentlicht am 24.12.2024

Ein sprachliches Highlight

Was vom Tage übrig blieb
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Mit diesem Roman über einen Butler, welcher von 1956 aus rückblickend über sein (Arbeits-)Leben als hochrangiger Vertreter seiner Zunft im Dienste einer englischen Lordschaft berichtet, konnte mich Kazuo ...

Mit diesem Roman über einen Butler, welcher von 1956 aus rückblickend über sein (Arbeits-)Leben als hochrangiger Vertreter seiner Zunft im Dienste einer englischen Lordschaft berichtet, konnte mich Kazuo Ishiguro vollends von seiner Schreibkunst überzeugen. Mr. Stevens war dabei, als nach dem Ersten Weltkrieg Geschichte geschrieben wurde; immer im Dienste des "moralisch Guten"; immer mit der nötigen Würde, um als einer der besten seines Fachs zu gelten. Zumindest sieht er das so.

Auf diesen subjektiven Blickwinkel kommt es in diesem Buch an, denn es handelt sich definitiv um einen unzuverlässigen Erzähler, wie man mit fortschreitender Lektüre bemerkt. Wir erfahren hier die eloquent ausformulierten subjektiven Erinnerungen einer Person. Etwas, was man durch den geschickten Schreibstil Ishiguros gekonnt untergejubelt bekommt. Die Verklärung selbst erlebter und historischer Ereignisse ist nicht nur prototypisch für die Zeitspanne um die beiden Weltkriege herum, sondern natürlich auch brandaktuell.

Diese unverkennbare Erzählstimme des Ich-Erzählers Mr. Stevens ist einfach nur grandios. Jedes einzelne Wort ist durchdacht und abgewogen. Mit ausschweifenden, hochtrabenden Formulierungen trifft der Autor exakt die Stimme, die sich die Lesende für einen würdevollen, englischen Butler nur vorstellen kann. An dieser Stelle ist die Übersetzung von Hermann Stiehl besonders hervorzuheben. Das Paket der mir vorliegenden Büchergildeausgabe macht dann noch die wunderschöne grafische Aufarbeitung des Romans durch Janna Klävers komplett.

Ein rundum hochwertiger Lesegenuss, der meinerseits eine uneingeschränkte Leseempfehlung zugesprochen bekommt. Wirklich ein Highlight der Weltliteratur!