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Veröffentlicht am 25.03.2025

Tiefe Wunden

Nacht der Ruinen
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Joseph Salomon ist nach der Reichskristallnacht mit seinen Eltern nach Amerika geflohen, hat die Heimat notgedrungen auf den letzten Drücker verlassen. In den letzten Kriegstagen kehrt er im März ‘45 als ...

Joseph Salomon ist nach der Reichskristallnacht mit seinen Eltern nach Amerika geflohen, hat die Heimat notgedrungen auf den letzten Drücker verlassen. In den letzten Kriegstagen kehrt er im März ‘45 als amerikanischer Lieutenant Joe Salmon in seine völlig zerstörte, ehemalige Heimatstadt zurück, bereit das zu tun, was man von ihm seit seiner Ausbildung im Camp Ritchie Maryland erwartet.

Die dort ausgebildeten Ritchie Boys, deren wichtigste Qualifikation das Beherrschen der deutschen Sprache ist, sollen unterstützend beim Aufbau der amerikanischen Verwaltungen tätig sein, zwecks Informationsbeschaffung den Kontakt zu den Einheimischen suchen, Verhöre im Zug der Entnazifizierung führen oder, wie in Joes Fall, sich auf die Suche nach dem Mörder eines amerikanischen Piloten machen, der während eines Bombenangriffs auf Köln abgestürzt ist und wenig später mutmaßlich von einem Deutschen kaltblütig erschossen wurde. Aber Joe hat auch noch ein höchst privates Anliegen, das ihn nicht ruhen lässt. Er möchte unbedingt herausfinden, was mit seinen Freunden Jakub und Hilda geschehen ist, ob sie überlebt haben. Und ja, er wird schmerzhafte Antworten finden.

Cay Rademacher verbindet Fakten mit Fiktion, was diesem Roman einen hohen Grad an Authentizität verleiht, ihn quasi zum Zeitdokument macht (siehe dazu auch die umfangreiche Literaturliste im Anhang). Literaten und Politiker haben ihren Auftritt: George Orwell begleitet als Kriegsreporter den Protagonisten durch die Ruinen der Stadt, immer auf der Suche nach einer Story, die verbotene Schriftstellerin Irmgard Keun ertränkt ihre Trauer über die Zustände in Cognac, Konrad Adenauer hat das schon das Ende des Krieges im Blick und betätigt sich als Strippenzieher.

Mit „Nacht der Ruinen“ hat der Autor einmal mehr bewiesen, dass ein Kriminalroman viel mehr sein kann als Ermittlungsarbeit und Suche nach einem Mörder. Verantwortlich dafür ist neben der detaillierten und eindringlichen Beschreibung des zerbombten Köln zweifellos die Beantwortung der Frage, was dieser Krieg mit den Menschen gemacht hat. Ist sich jeder selbst der Nächste? Was ist gut, was ist böse? Haben diese alten Maßstäbe ihre Gültigkeit verloren? Oder geht es in erster Linie nur noch darum, die eigene Haut zu retten und zu überleben?

Nachdrückliche Leseempfehlung, für Spannungsleser und historisch Interessierte gleichermaßen!

Veröffentlicht am 22.03.2025

Unter die Haut

Achtzehnter Stock
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Berliner Plattenbau, 18. Stock. Dort lebt die alleinerziehende Wanda mit ihrer fünfjährigen Tochter Karlie. Und dass sie dort eigentlich nicht hingehört, macht sie gleich am Anfang klar, denn eigentlich ...

Berliner Plattenbau, 18. Stock. Dort lebt die alleinerziehende Wanda mit ihrer fünfjährigen Tochter Karlie. Und dass sie dort eigentlich nicht hingehört, macht sie gleich am Anfang klar, denn eigentlich ist sie ja Schauspielerin, auch wenn sie bisher nur einen Werbespot für Waschmittel gedreht hat, und wäre in einer Vorstadtvilla wesentlich besser aufgehoben. Sie geht zwar regelmäßig zu Castings, aber es will einfach nicht klappen mit der großen Karriere. Das Leben ist so ungerecht.

Sara Gmuer gelingt es zweifellos, das Setting glaubwürdig zu zeichnen, auch wenn sie dabei bis zum Ellenbogen in die Klischeekiste greift. In der Platte sitzen alle, natürlich außer Wanda, im gleichen Boot. Sie helfen ihr, geben Ratschläge, übernehmen auch mal die Kinderbetreuung. Insbesondere Aylins Mama ist immer für Wanda da, wenn Hilfe gebraucht wird, auch wenn diese der Meinung ist, besser als alle ihrer Nachbarinnen zu sein und sich noch nicht einmal für deren Namen interessiert. Beachtet werden sie nur dann, wenn sie deren Hilfe benötigt.

Ihr merkt es, ich bin kein Fan von Wanda und ihrem Verhalten, das mir zutiefst zuwider ist. Diese gnadenlose Selbstüberschätzung, ihr egoistisches Benehmen und nicht zuletzt die Vernachlässigung ihrer kleinen Tochter, die sie in der Nacht allein in der Wohnung zurücklässt, um mit den Reichen und Schönen Party zu machen, fand ich hochgradig grenzwertig und eigentlich ein Fall für das Jugendamt.

Ja, mir ist dieser Roman unter die Haut gegangen, zumindest das hat die Autorin erreicht, aber gemocht habe ich ihn schon allein wegen der Protagonistin nicht. Wenn das ihr Ziel war, ist er gelungen. Wenn sie uns allerdings mit Lebenswelten konfrontieren wollte, die uns üblicherweise unbekannt sind, wäre eine feinere, weniger klischeehafte Zeichnung des Milieus hilfreich gewesen. Und den märchenhaften Schluss hätte sie sich dann auch gleich sparen können.

Veröffentlicht am 20.03.2025

Fade Berliner Nächte

Skin City
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Skin City ist der neue und damit vierte Berlin-Roman von Johannes Groschupf. Die drei Vorgänger habe ich mit Begeisterung gelesen, bei diesem hier wollte sich dieses Gefühl nicht einstellen. Warum? Weil ...

Skin City ist der neue und damit vierte Berlin-Roman von Johannes Groschupf. Die drei Vorgänger habe ich mit Begeisterung gelesen, bei diesem hier wollte sich dieses Gefühl nicht einstellen. Warum? Weil er als Thriller und Berlin Noir vermarktet wird, diese Versprechen aber leider nur in Ansätzen einhalten kann.

Die Handlung ist schnell erzählt. Drei Personen im Fokus, die sich durch die Randbezirke der Metropole bewegen und deren Bahnen sich am Ende kreuzen.

Zentrale Figur ist die Polizistin Romina, kennen wir bereits aus „Die Stunde der Hyänen; versetzt in ruhige Lichterfelde, anfangs mit ihrem Kollegen auf der Spur einer Einbrecherbande aus Georgien, dann auf der Suche nach einem Schläger, der ihre jüngere Schwester heftig verprügelt hat, zu guter Letzt auf Rache aus für den Tod ihres Vaters.

Auf ihren ruhelosen Streifzügen trifft sie auf Koba, den jungen Einbrecher aus Georgien. Mit zwei Kumpanen steigt er auf Geheiß seiner Bosse in ausgekundschaftete Vorstadtvillen ein, die reiche Beute versprechen. Manchmal bekommt er einen Anteil, manchmal wird er windelweich geschlagen. Er will weg, auf und davon nach Kanada, in das Land seiner Sehnsucht.

Und dann ist da noch Lippold, ein White Collar Krimineller, gerade frisch aus dem Knast entlassen, aber schon wieder auf der Suche nach der Gelegenheit, die das große Geld verspricht. Aber zuerst gilt es noch, eine alte Rechnung zu begleichen.

Groschupf bleibt diesmal sehr an der Oberfläche, reißt vieles nur an, aber unter die Haut geht da leider nix. Die harte, kalte, stakkatoartige Sprache, für die ich ihn üblicherweise schätze, und die diesmal nur zu Beginn zu finden ist, bleibt hierbei leider völlig auf der Strecke. Schade.

Veröffentlicht am 19.03.2025

Erfrischend anders

Der Zögling
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Kriminalromane, in denen Serienmörder am Werk sind, meide ich üblicherweise. Meist sind sie nach dem gleichen, lieblosen Schema aufgebaut, das in erster Linie darauf ausgerichtet ist, mit einer möglichst ...

Kriminalromane, in denen Serienmörder am Werk sind, meide ich üblicherweise. Meist sind sie nach dem gleichen, lieblosen Schema aufgebaut, das in erster Linie darauf ausgerichtet ist, mit einer möglichst detaillierten Beschreibung der Gräuel anderweitige Schwächen wie dünne Handlung, offensichtliche Logiklöcher und 08/15-Gesetzeshüter zu übertünchen.

Aber ich liebe englische Krimis, insbesondere solche, die in Gegenden verortet sind, die ich kenne. M.W. Craven, Autor der Poe/Bradshaw-Krimis nimmt uns in den englischen Nordwesten mit. In „Der Zögling“, dem ersten Band seiner Poe/Bradshaw-Reihe werden in einem historischen Steinkreis im Lake District in Cumbria nacheinander drei Leichen gefunden. Alle zuerst gefoltert, dann bei lebendigem Leib verbrannt. Auf den ersten Blick gibt es keine Gemeinsamkeiten, aber dann entdeckt die Analystin Tilly Bradshaw auf der Brust des dritten Opfers scheinbar willkürliche Schnitte in der Haut, die sich bei genauerem Hinsehen aber als Name des vom Dienst suspendierten und degradieren ehemaligen DI der Spezialeinheit für schwere Verbrechen, Washington Poe, entpuppen. Es scheint, dass die Lösung des kniffligen Falls in der Vergangenheit zu finden ist. Hat der Killer etwa noch eine Rechnung mit Poe offen? Um diese Frage zu beantworten und den Täter dingfest zu machen, gilt es, keine Zeit zu verlieren und Poe zurück in den aktiven Dienst zu holen.

Alljährlich gibt es unzählige Neuerscheinungen auf dem Krimi/Thriller-Markt, die jegliche Vorlieben abdecken, ganz gleich, ob harte Kost oder cosy, unblutig und sehr oft albern. Aber diese Reihe ist anders, und deshalb für mich DIE Entdeckung der letzten Monate. Dass es auch anders geht, beweist M. W. Craven, denn ihm gelingt der perfekte Spagat zwischen einer spannenden Story samt düsterem Setting und den unfreiwillig humorvollen Dialogen, die in erster Linie Tilly Bradshaw geschuldet sind. Sie ist für mich die eigentliche Hauptfigur, sorgt mit ihrer unbeholfenen Naivität immer wieder für unfreiwillig peinlich-komische Situationen, liefert aber gleichzeitig mit ihren außergewöhnlichen analytischen Fähigkeiten Ergebnisse, die die Aufklärung des Falls voranbringen.

Soweit Band 1, die Besprechung von Band 2 „Der Gourmet“ folgt demnächst. Bleibt zu hoffen, dass wir nicht zu lange auf die Übersetzungen der noch fehlenden drei Bände (The Curator, Dead Ground, The Mercy Chair) warten müssen. Lest die Reihe, ihr werdet nicht enttäuscht sein!

Veröffentlicht am 14.03.2025

Schöne Landschaftsbeschreibungen, aber...

Middletide – Was die Gezeiten verbergen
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Elijah ist heimgekehrt. Der Traum von einer erfolgreichen Schriftstellerkarriere ausgeträumt. Zurück in Point Orchard im amerikanischen Nordwesten. Er muss seine Wunden lecken, muss heilen.

Anfangs lebt ...

Elijah ist heimgekehrt. Der Traum von einer erfolgreichen Schriftstellerkarriere ausgeträumt. Zurück in Point Orchard im amerikanischen Nordwesten. Er muss seine Wunden lecken, muss heilen.

Anfangs lebt er isoliert, richtet die baufällige Hütte wieder her, in der er mit seinem trunksüchtigen Vater gelebt hat, schafft sich ein Heim. Streift durch die Wälder, legt Beete an, lebt von dem, was ihm die Natur schenkt. Der Heilungsprozess dauert, geht nur in kleinen Schritten vorwärts, doch mit der Hilfe eines väterlichen Freundes findet er allmählich zurück ins gemeinschaftliche Leben.

Aber die Vergangenheit holt ihn ein, als auf seinem Grundstück Erin Landry, die Ärztin des Dorfes, mit der er auch eine kurze Affäre hatte, erhängt aufgefunden wird. Anfangs geht der Sheriff von einem Selbstmord aus, wird aber hellhörig, als er feststellen muss, dass in Elijahs Roman ein ähnlicher Vorfall beschrieben wird. Ist das ein Selbstmord, der sich als Mord herausstellen wird?

Und schon wird aus dem erfolglosen Schriftsteller Elijah ein Verdächtiger in einem Mordfall, der seine Unschuld beweisen muss. Glücklicherweise findet er Rückhalt und Unterstützung bei seiner Jugendfreundin Nakita und deren Vater, die an seine Unschuld glauben und ihm helfen wollen, diese zu beweisen.

„Middletide – Was die Gezeiten verbergen“ ist das Debüt der amerikanischen Langstreckenläuferin Sarah Crouch. Geboren und aufgewachsen ist sie im Staat Washington. Zweifellos ein Pluspunkt, denn sie kennt ihre Heimat und weiß sie anschaulich zu beschreiben. Und diese Fähigkeit ist durchaus mit ihrem offensichtlichen Vorbild Delia Owens vergleichbar.

Leider verzettelt sich die Autorin im Aufbau ihrer leider vorhersehbaren Story in Einzelheiten, lässt sich seitenweise über Elijahs Nahrungszubereitung aus, über Gerüche, über die Hühner und, und, und. Lauter Dinge, die ablenken, mit der eigentlichen Handlung nichts zu tun haben, langatmig sind und als Bremsklotz wirken. Dazu dann noch das ständige Hin und Her durch zahlreiche Zeitsprünge, die die Einordnung erschweren, das Tempo verlangsamen und den Fortgang der Geschichte unnötig in die Länge ziehen. Und warum hat Crouch fiktive Indigene erschaffen und in die Story eingearbeitet? Absolut überflüssig, da deren Herkunft absolut keine Auswirkungen auf die Handlung hatte? Wollte sie so dem Vorwurf der kulturellen Aneignung entgehen?

Wer eine spannende Lektüre sucht, die elementare Fragen nach „Liebe, Verlust und Rache“ thematisiert, wird enttäuscht sein. Zumindest war das bei mir der Fall, denn außer schönen Landschaftsbeschreibungen wurde mir hier leider nichts geboten. Dennoch bin ich überzeugt davon, dass auch diese Geschichte ihre Leserinnen finden wird, denn Liebe, Verlust und Rache zieht immer.