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Veröffentlicht am 18.07.2023

Familiengeheimnisse

Porträt auf grüner Wandfarbe
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Wir befinden uns im Jahr 1992, als Gwen Farleigh, eine in London lebende Mittdreißigerin, von ihrer betagten Tante Lily von Stein eingeladen wird, mit ihr und ihrer Jugendfreundin Lotte an die Ostsee nach ...

Wir befinden uns im Jahr 1992, als Gwen Farleigh, eine in London lebende Mittdreißigerin, von ihrer betagten Tante Lily von Stein eingeladen wird, mit ihr und ihrer Jugendfreundin Lotte an die Ostsee nach Polen zu fahren, dahin, wo die Familie bis zum II. Weltkrieg einen Gutshof besaß. Bei den Reisevorbereitungen entdeckt Gwen einen Koffer mit Unterlagen und Dokumenten ihrer verstorbenen Mutter. Es befinden sich darin auch Aufzeichnungen und Tagebücher von Ella Blau, einer ehemaligen Freundin von Gwens nunmehr 94jährigen Großmutter Ilsabé von Isolani, aus den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen. Gwen beginnt zu lesen und erfährt dabei Geheimnisse ihrer Familie, die ihr auf ihrer Reise in die Vergangenheit sehr nützlich sind …

Elisabeth Sandmann (*1960) ist eine deutsche Buchautorin, Verlagsbuchhändlerin, Verlegerin und promovierte Literaturwissenschaftlerin, die sich gerne mit Biografien außergewöhnlicher Frauen beschäftigt. Sie lebt mit ihrem Mann in der Nähe von München und ist Mutter eines erwachsenen Sohnes.

Zu Anfang ist die Geschichte sehr verwirrend, da man gleich mit sehr vielen Personen und deren komplizierten Familienverhältnissen konfrontiert wird. Wer gehört zu wem, wer ist wessen Bruder bzw. Schwester, wie heißt nun mal wieder der Onkel oder die Tante, welche Großmutter gehört zu welchem Großvater, war das die erste oder zweite Ehe, wer ist wessen Freundin und wie waren nochmal die Namen von Gwens Eltern? Zwar liegt dem Buch eine kleine Faltkarte mit den wichtigsten Namen bei, aber auch die ist nicht immer hilfreich.

Hat man die verworrenen Verhältnisse erst mal gedanklich sortiert, wird es sogar spannend. Die entdeckten Tagebücher und Gwens Gespräche mit noch lebenden Verwandten lassen ein Familiengeheimnis vermuten, das sich im Nachhinein jedoch eher als banal entpuppt. Der Schreibstil ist angenehm flüssig und schön komponiert - doch leider ist der Roman durch den Umfang und die verworrenen Verhältnisse schwer zu lesen und erfordert eine gewisse Konzentration. Die Figuren sind lebensecht und authentisch beschrieben, dennoch konnte ich zu ihnen keine Verbindung aufbauen, da mir ihre Emotionen fehlten. Das Geschehen zieht sich recht zäh dahin, obwohl immer wieder (zu viele) neue Geheimnisse auftauchen und Heimlichkeiten angedeutet werden.

Zu loben ist die Recherchearbeit der Autorin, die bei den komplexen Themen dieses Romans (Weltkriege, Judenverfolgung, verschwundene Gemälde, Schloss Elmau in Bayern, verlorene Güter im Osten, geheime Schließfächer in der Schweiz etc.) nötig war. Leider wirkt die Geschichte jedoch dadurch sehr überladen.

Fazit: Ein Buch für Liebhaber ausschweifender Familiengeschichten – für mich war es eher ungeeignet.

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Veröffentlicht am 06.07.2023

Cannery Row

Die Straße der Ölsardinen
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Wir befinden uns in Monterey, einer kleinen Stadt südlich von San Francisco, in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. In der Cannery Row, die Straße der Sardinen-Fabriken, ist das Leben für die Menschen ...

Wir befinden uns in Monterey, einer kleinen Stadt südlich von San Francisco, in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. In der Cannery Row, die Straße der Sardinen-Fabriken, ist das Leben für die Menschen die wir dort kennenlernen mühsam und hart, dennoch sind sie mit ihrem Los zufrieden. Da sind Mack und seine Jungs, eine Clique von Faulenzern, die auch gerne mal dies oder jenes mitgehen lassen, ansonsten aber immer hilfsbereit sind. Sie hausen in einem alten Schuppen, den sie sich von dem Chinesen Lee Chong, dem Besitzer eines Kramladens, „ausgeliehen“ haben. Nebenan ist auch das „Restaurant Flotte Flagge“, ein Bordell, das von Dora Flood geführt wird. Sie ist sehr geschäftstüchtig, aber äußerst weichherzig und liebevoll zu ihren Mädchen. Dann ist da noch Henri, der schon jahrelang an seinem Hausboot baut, das aber nie fertig wird, weil er Angst vor dem Wasser und den Wellen hat. Der arbeitslose Sam Malloy mit seiner Frau lebt ebenfalls hier. Die beiden wohnen in einem alten Dampfkessel, der in der Fischfabrik ausgedient hat und jetzt auf einem verkommenen Lagerplatz abgestellt ist. Die Seele der Canney Row aber ist der Doc, ein Biologe, dessen Laboratorium, das „Western Biological“, zugleich seine Wohnung ist. Er ist beliebt bei den sozialen Außenseitern, hilft stets in Notfällen und bei Krankheiten, dennoch ist er ein einsamer Einzelgänger. Das ändert sich, als seine Freunde beschließen, ein Fest für ihn zu veranstalten …

John Steinbeck lebte von 1902 bis 1968. Er war US-amerikanischer Schriftsteller und einer der meistgelesenen Autoren des 20. Jahrhunderts. Er schrieb zahlreiche Romane, Novellen und Kurzgeschichten, verfasste Drehbücher, arbeitete zeitweilig als Journalist und war Kriegsberichterstatter im Zweiten Weltkrieg. 1940 erhielt er den Pulitzer-Preis für seinen Roman „Früchte des Zorns“ und 1962 den Nobelpreis für Literatur.

Die Fischfabrik existiert nicht mehr, dafür steht an deren Stelle jetzt das weltbekannte Monterey Bay Aquarium. Dennoch kann man sich beim bummeln in der Cannery Row die von John Steinbeck in seinem wunderbaren Roman „Die Straße der Ölsardinen“ geschilderten Ereignisse lebhaft vorstellen. Leider hatte ich bei meinem Besuch in Monterey vor etlichen Jahren das Buch noch nicht gelesen, was ich im Nachhinein sehr bedauere.

In 32 Kapitel berichtet der Autor über tragische, komische und erheiternde Begebenheiten, die sich gelegentlich ins Groteske steigern. Dass Steinbeck ein Meister der Erzählkunst ist, merkt man schon nach wenigen Zeilen. Man taucht ein in seine beschriebene Welt, fühlt sich plötzlich als Nachbar, denkt man gehört dazu und trifft auf alte Freunde. Es gelingt ihm, selbst aus Gaunern, Ganoven und Vagabunden die liebenswerte Seite hervorzuholen, so dass sie einem am Ende regelrecht ans Herz gewachsen sind. Man freut sich, wenn ihnen ein guter Coup gelungen ist und sie dabei nicht erwischt wurden. Gewiss handelt es sich um einen romantisch verklärten Roman, der sich aber wunderschön liest und ein wohliges Gefühl hinterlässt.

Fazit: „Die Straße der Ölsardinen“ zu lesen war für mich ein angenehmes Erlebnis – ich empfehle das Buch deshalb gerne weiter!

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Veröffentlicht am 27.06.2023

Drei mutige Frauen kämpfen für ihre Zukunft

Der Zopf
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Smita, die Inderin, ist eine Unberührbare und somit in der Rangordnung der Kasten ganz unten – es bleibt ihr nur die Drecksarbeit für die anderen zu verrichten. Um ihrer Tochter Lalita ein solches Schicksal ...

Smita, die Inderin, ist eine Unberührbare und somit in der Rangordnung der Kasten ganz unten – es bleibt ihr nur die Drecksarbeit für die anderen zu verrichten. Um ihrer Tochter Lalita ein solches Schicksal zu ersparen entschließt sie sich zu fliehen und quer durch das Land zu Verwandten zu fahren, um dort ein neues Leben zu beginnen. Als sie am Tempel von Tirupati vorbei kommen ändert sie ihre Pläne. Sie möchte Gott Vishnu eine Opfergabe darbringen, um seinen Segen zu erhalten. Doch was kann sie opfern?

Giulia lebt auf Sizilien, wo sie im Unternehmen der Familie nach alter Tradition Perücken herstellt. Als ihr Vater einen Unfall erleidet entdeckt sie, dass die Fabrik kurz vor dem Ruin steht. Ihre Mutter möchte sie mit einem reichen Verehrer verheiraten, um so das Unternehmen und die Familie zu retten. Aber Giulia liebt Kamal, ein Student aus Indien – und dieser hat eine großartige Idee.

Sarah ist erfolgreiche Anwältin und zukünftige Partnerin einer Kanzlei in Montreal. Tagtäglich ist sie mächtigem Stress ausgesetzt, um als alleinerziehende Mutter ihren drei Kindern und ihren beruflichen Anforderungen gerecht zu werden. Eines Tages hat sie im Gerichtssaal einen Zusammenbruch, eine Untersuchung ergibt die Diagnose Brustkrebs. Sie versucht ihre Krankheit zu verheimlichen und arbeitet bereits zwei Wochen nach der OP wieder. Als ihr Arbeitgeber durch Indiskretion von ihrer Krankheit erfährt, werden ihr die wichtigen Mandanten entzogen. - So fasst sie schweren Herzens einen Entschluss, der ihr Leben von Grund auf verändern soll.

Laetitia Colombani, geb. 1976 in Bordeaux, ist eine französische Schauspielerin, Regisseurin, Drehbuchautorin und Schriftstellerin. „Der Zopf“ (La Tresse, 2017) ist ihr erster Roman, der 2019 im S. Fischer Verlag erschienen ist. Die Autorin erhielt dafür 2017 den Prix Ulysse und 2018 den Globe de cristal in der Kategorie „Bester Roman“. Zwei weitere Romane „Das Haus der Frauen“ 2020 und „Das Mädchen mit dem Drachen“ 2022 folgten, die ebenfalls vom S. Fischer Verlag verlegt wurden. Laetitia Colombani lebt in Paris.

Haare sind die verbindende Materie dieser drei unterschiedlichen Frauenschicksale, die sich auf wundersame Weise miteinander verflechten. Leider ist dies schon früh vorhersehbar, was jedoch den Lesespaß keineswegs trübt. Die Frauen kämpfen für ihre Überzeugungen, für ihre Familie und für ihr Glück. Dabei sind es nicht nur die Männer, die ihnen Steine in den Weg legen – nein, sie müssen sich oftmals auch gegen das eigene Geschlecht durchsetzen.

Den Schreibstil fand ich sehr ansprechend. Die Autorin hat nicht nur einen angenehm flüssigen Sprachrhythmus, sondern kann auch Szenen und zwischenmenschliche Beziehungen treffend wiedergeben. Über das weitere Schicksal der drei Protagonistinnen berichtet sie abwechselnd, immer nur auf eine fokussiert, in kurzen Episoden, die meist mit einem Cliffhanger enden. Etwas störend allerdings empfand ich das vermeintlich glückliche Ende. Es hat sich ja nicht allzu viel geändert, die Standesunterschiede bleiben erhalten: Smita, die Ärmste der Armen hat ihre Würde, bleibt aber nach wie vor arm, Giulia muss weiterhin hart arbeiten, um der Familie ihre Fabrik zu erhalten, einzig die wohlhabende Sarah kann sich das leisten, wofür die anderen ihre Opfer bringen müssen, nämlich eine Echthaarperücke.

Fazit: Ein ansprechendes Debüt, das durchdacht konstruiert ist uns sich gut und flüssig lesen lässt.

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Veröffentlicht am 22.06.2023

Zauberkunst und Magie

Da sind wir
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Die 1950er Jahre neigen sich dem Ende zu. Die entbehrungsreiche Kriegs- und Nachkriegszeit ist vorbei, man will wieder Spaß und Unterhaltung. Im Seebad Brighton vergnügen sich die Menschen und genießen ...

Die 1950er Jahre neigen sich dem Ende zu. Die entbehrungsreiche Kriegs- und Nachkriegszeit ist vorbei, man will wieder Spaß und Unterhaltung. Im Seebad Brighton vergnügen sich die Menschen und genießen die angenehme Stimmung. Eine besondere Attraktion ist das auf dem Pier gelegene Theater, in dem allabendlich eine große Varieté-Show stattfindet. Conférencier ist der 28 Jahre alte Jack, die Sensation sind jedoch sein gleichaltriger Freund Ronnie, der sich auf der Bühne Pablo nennt, mit seiner drei Jahre jüngeren Partnerin Evie, welche das Publikum mit ihrer Zaubershow in Erstaunen versetzen. Die beiden sind ein Paar, bis Evie mit Jack ein Verhältnis beginnt und Ronnie alias Pablo sich auf offener Bühne selbst verschwinden lässt …

Graham Swift, geb. 1949 in London, ist ein britischer Schriftsteller von Romanen und Kurzgeschichten. Zentrales Thema seiner Bücher ist, wie auch in „Da sind wir“ (2021), die Funktion der Erinnerung. In Fragmenten erzählen die Protagonisten rückwirkend und vorausschauend ihre Geschichte, die erst zum Ende hin ein sinnvolles Ganzes ergibt.

Kein Liebesroman, sondern die Geschichte einer Dreiecksbeziehung, bei der die üblichen Emotionen wie Liebe und Eifersucht ausgeklammert sind. Wir erleben Passagen aus Kriegstagen, denen das Landleben in Friedenszeiten gegenüber gestellt ist, Kinder aus London werden aufs Land verschickt und nach dem Krieg erlebt das Varieté eine glanzvolle Zeit. Zaubern, die Illusion des Verschwindens und gleichzeitig die körperlichen Anwesenheit verwirren die Sinne. In zeitlich vor- und zurückspringenden kurzen Episoden, die abrupt aufhören und später zu Ende erzählt werden, erinnert sich Evie als 75jährige zurück, bis wir am Schluss selbst versuchen, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen.

Fazit: Ein nicht ganz einfach zu lesender und verstehender Roman, dessen Sinn sich erst mit einiger Verzögerung erschließt, wenn man sich auf die fragmentierte Erzählweise einlässt.

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Veröffentlicht am 21.06.2023

Es gibt nur einen Ausweg, ausbrechen!

Unorthodox
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1986 geboren, wächst Deborah bei ihren Großeltern in der jüdisch-ultraorthodoxen Glaubensgemeinschaft der Chassiden in Williamsburg im New Yorker Stadtteil Brooklyn auf. Die Regeln und Traditionen, besonders ...

1986 geboren, wächst Deborah bei ihren Großeltern in der jüdisch-ultraorthodoxen Glaubensgemeinschaft der Chassiden in Williamsburg im New Yorker Stadtteil Brooklyn auf. Die Regeln und Traditionen, besonders für die Frauen, sind sehr streng. Es darf nur Jiddisch gesprochen werden, Haar und Körper muss von der Kleidung vollständig bedeckt sein, die Farbe Rot ist verboten, Kontakt zu Nicht-Juden ist untersagt. Ein Ehemann wird ihnen vom Erziehungsberechtigten ausgesucht, bei der Hochzeit werden sie kahlrasiert und Empfängnisverhütung ist strikt verboten. Oberstes Gebot der Gemeinschaft ist die Fortpflanzung, um die während des Zweiten Weltkriegs durch das Nazi-Regime in den Konzentrationslagern umgekommenen Juden zu ersetzen. Schon früh rebelliert Deborah gegen die geltenden Regeln, beginnt diese zu hinterfragen und liest heimlich Bücher, die sie gut zu verstecken weiß. Mit 17 wird sie verheiratet und bringt zwei Jahre später einen Sohn zur Welt. Als der Junge drei Jahre alt ist entflieht sie mit ihm der Gemeinschaft in eine ihr bis dahin ihr fremde und unbekannte Welt.

„Unorthodox“ ist eine autobiographische Erzählung, wie die Autorin und Ich-Erzählerin Deborah Feldman in einem Vorwort anmerkt, bei der die Namen und charakteristischen Identifikationsmerkmale aller involvierten Personen geändert wurden um deren Identität zu schützen, die beschriebenen Vorkommnisse jedoch der Wahrheit entsprechen. Ihr Schreibstil ist gradlinig und sachlich, ohne Effekthascherei und falscher Eitelkeit. Vielmehr gewährt sie uns einen tiefen Einblick in das Leben und die Gebräuche dieser ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde und erzählt wie es ihr gelang, sich aus den Fesseln dieser religiösen Extremisten zu befreien. Dabei sollte man sich beim Lesen immer wieder in Erinnerung rufen, dass diese Art zu leben in der heutigen Zeit, im 21. Jahrhundert, mitten in New York, stattfindet. Etwas störend für den Lesefluss sind leider die häufig vorkommenden jiddischen Ausdrücke, zu deren Erklärung man immer das hinten angefügte Glossar aufsuchen muss – Fußnoten wären wohl eine bessere Lösung gewesen.

Fazit: Ein interessantes, lehrreiches und spannendes Buch über ein brisantes Thema, eine Emanzipationsgeschichte die ermutigt und zeigt, dass man sich auch aus vermeintlich ausweglosen Situationen noch befreien kann.

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