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Veröffentlicht am 10.06.2020

Zu langatmige Geschichte um einen Helden, der seiner Zeit voraus ist

Isenhart
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Schon Isenharts Geburt anno 1171 läuft alles andere als gewöhnlich ab. Die Hebamme hält ihn bereits für tot, als ein geheimnisvoller Fremder ihn wieder zum Leben erweckt. Auch andere mächtige Männer schenken ...

Schon Isenharts Geburt anno 1171 läuft alles andere als gewöhnlich ab. Die Hebamme hält ihn bereits für tot, als ein geheimnisvoller Fremder ihn wieder zum Leben erweckt. Auch andere mächtige Männer schenken ihm viel Aufmerksamkeit, was sich bald auch als gerechtfertigt herausstellt, zeigt er doch große geistige Talente und würde heute wohl als hochbegabt gelten.
Sein Leben verläuft dann teilweise ziemlich turbulent (bisweilen aber auch ziemlich langweilig) und wird unter anderem vom ständigen Streben nach mehr Wissen, von der Jagd nach einem Mörder oder von der Suche nach seinem leiblichen Vater geprägt.

Die Idee, die Erlebnisse eines hochbegabten Menschen im Mittelalter zu schildern, ist zweifellos kreativ.
Die Umsetzung ist jedoch nur teilweise gelungen.
Isenhart ist seiner Zeit so weit voraus (und erkennt dies auch selbst), dass es unrealistisch wirkt. Das stellenweise seitenlange gelehrte Gerede wird außerdem schnell langweilig und lenkt oft von der eigentlichen Handlung ab.
Letztere würde durchaus einige Spannungsmomente bereithalten (insbesondere, wenn der Spur des Mörders gefolgt wird), immer wieder werden aber auch Nebensächlichkeiten zu breit ausgewalzt.
Weiters konnte ich trotz einer Länge von über 800 Seiten keine richtige Beziehung zu den Protagonisten aufbauen. Sie sind zu abstrakt und eindimensional gezeichnet, haben eben jeweils ein oder zwei hervorstechende Eigenschaften, aber keine echte Persönlichkeit.
Man muss dem Autor allerdings immerhin zugutehalten, dass er darum bemüht war, ein möglichst authentisches Bild des Lebens im Mittelalter zu zeichnen, und dabei viele interessante Informationen einfließen lässt. (Wenngleich die Tatsache, dass eine seiner Figuren prophetische Träume hat, dem angestrebten Realismus ein bisschen zuwiderläuft.)

Fazit: Die Geschichte hätte auch auf maximal der Hälfte der Seitenzahl erzählt werden können und hätte dann vielleicht etwas mehr Pep gehabt. So gestaltet sich die Lektüre trotz einiger packender Szenen eher zäh.

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Veröffentlicht am 10.06.2020

Ausflug in die Donaumonarchie

Von Friedensfurien und dalmatinischen Küstenrehen
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Dieses Buch umfasst ca 60 Begriffe, die in der späten Habsburgermonarchie (also der Zeit vom Ausgleich 1867 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs 1918) gebräuchlich waren.
Die Autorin erläutert jeweils, ...

Dieses Buch umfasst ca 60 Begriffe, die in der späten Habsburgermonarchie (also der Zeit vom Ausgleich 1867 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs 1918) gebräuchlich waren.
Die Autorin erläutert jeweils, wie sie entstanden sind und verwendet wurden und lässt dabei auch viele allgemeine Informationen zu Lebensweise und Politik der entsprechenden Epoche einfließen.
Manche Themenkomplexe werden immer wieder angesprochen, so insbesondere die Multi-Nationalität, welche sich in Ausdrücken wie Böhmisches Viertel, Krumpirii oder Portone dei Gnocchi zeigt. Doch auch Wörter im Zusammenhang mit dem Militär –etwa Blumenteufel, Flaschengrüner oder Komisswitz – finden sich häufig, ebenso wie solche, die sich auf die Lebensumstände während des Weltkriegs beziehen - von der Bin-gesund-Karte bis zum Maiskirchner.
Die Ausführungen sind großteils interessant und lassen vergangene Zeiten wiederauferstehen.
Für meinen Geschmack liegt der Schwerpunkt jedoch ein bisschen zu sehr auf Krieg und Politik, ein paar mehr Begriffe aus dem „normalen“ Leben wären schön gewesen.
Für k. u. k. – Fans nichtsdestotrotz empfehlenswert.

Veröffentlicht am 10.06.2020

Innovativer Ansatz

Beute, Ernte, Öl
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Man kann dieses Buch gleich in zweifacher Hinsicht als innovativ bezeichnen: Schon der Ansatz, den Ian Morris hier zur Erklärung der Menschheitsgeschichte heranzieht, ist faszinierend. Er unterstellt, ...

Man kann dieses Buch gleich in zweifacher Hinsicht als innovativ bezeichnen: Schon der Ansatz, den Ian Morris hier zur Erklärung der Menschheitsgeschichte heranzieht, ist faszinierend. Er unterstellt, dass das in einer Gesellschaft vorherrschende Wertesystem von ihrer Art der Energiegewinnung abhängt.
Dazu identifiziert er drei große Phasen, in denen die Menschen ihre (letztlich durch die Evolution angelegten) Grundwerte unterschiedlich interpretiert hätten, und konstatiert, dass diese Interpretation mit der jeweils vorherrschenden Wirtschaftsweise – Wildbeuterei, Landwirtschaft oder Nutzung fossiler Energie – zusammenhängt.
So seien beispielsweise bäuerliche Kulturen deshalb hierarchisch organisiert, weil dies im Kontext des Wirtschaftens mit domestizierten Tieren und Pflanzen besser funktioniert als die relative Gleichheit der Wildbeuter, und die zunehmende Emanzipation der Frauen habe ihre Ursache darin, dass es die Fossilienenergie erlaubt, körperliche Arbeiten durch Maschinen erledigen zu lassen.
Schließlich wagt er auch einen Blick in die Zukunft und sagt, ausgehend von der Annahme, dass die gesellschaftliche Entwicklung im 21. Jahrhundert mit derselben atemberaubenden Geschwindigkeit voranschreiten wird wie im 20., vorher, dass sich unsere Werte in den nächsten Jahrzehnten so radikal ändern werden wie nie zuvor in der Geschichte.

Innovativ ist aber auch die Art, wie diese Überlegungen präsentiert werden. Nach einem einleitenden Teil, in dem er seine Thesen ausbreitet, lässt der Autor vier seiner Kritiker zu Wort kommen, bevor er sich im letzten Kapitel noch einmal ausführlich mit deren Argumenten auseinandersetzt und seine eigenen Gedanken ausbaut und präzisiert.
Zwar klingt die Überschrift dieses Kapitels „Meine korrekten Ansichten zu allem“ nicht gerade bescheiden und er ist auch in keinem Punkt bereit, von seiner Meinung abzurücken. Dennoch ist es bemerkenswert, dass jemand in einem derartigen Werk auch seinen „Gegnern“ so breiten Raum gewährt. Die Diskussion verläuft dabei auch zumindest weitgehend sachlich.

So enthält dieses Buch eine Fülle interessanter Ideen, die großteils nachvollziehbar und allgemein verständlich dargestellt werden. Wahrscheinlich kann Morris Theorie nicht alles erklären, was sie zu erklären vorgibt, und einige Themen hätten näher ausgeleuchtet werden sollen. Man muss aber auch bedenken, dass sich der Autor hier teilweise auf Neuland begibt.
Ich finde seine Herangehensweise jedenfalls spannend und die Lektüre eröffnet einen neuen Blickwinkel auf historische Entwicklungslinien. Ein weiteres Forschen in diese Richtung wird möglicherweise noch zu weiteren spektakulären Erkenntnissen führen.

Veröffentlicht am 10.06.2020

Harmlos-humorvoller Ausflug in die Medizingeschichte

Effi liest
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Dieser Roman führt in die laut Vorwort prüdeste Phase der deutschen Geschichte und behandelt auch eine bedeutende, wenngleich nicht gerade ruhmreiche Episode der Medizingeschichte.
Alles beginnt damit, ...

Dieser Roman führt in die laut Vorwort prüdeste Phase der deutschen Geschichte und behandelt auch eine bedeutende, wenngleich nicht gerade ruhmreiche Episode der Medizingeschichte.
Alles beginnt damit, dass die 18jährige Elena (genannt Effi) von Burow in der Nähe ihres Pensionats ein Buch zum Thema „Physiologie des Genusses“ findet, das sofort ihr Interesse weckt. Ihr Versuch, seiner habhaft zu werden, misslingt und führt zu ihrem Schulverweis. Auf der Fahrt nach Hause lernt sie den jungen Arzt Max von Waldau kennen, der bald eine Stelle bei dem wegen seiner Ansichten zur Behandlung weiblicher Triebhaftigkeit berühmten Dr Fließ antreten wird.
In den nächsten Monaten kreisen Effis Gedanken einerseits um ihr Streben nach mehr Wissen, andererseits um ihre wechselhaften Gefühlen Max gegenüber. Und dann wird sie auch noch von einem seltsamen Schnupfen geplagt.

Erzählt wird dies abwechselnd von Effi in Ich-Form sowie durch Briefe, die Max an seinen Bruder Ben schreibt. Obwohl letzterer nie „persönlich“ auftritt, kann man ihn doch als einen der Helden dieses Romans bezeichnen.
Effi ist eine sympathische Hauptfigur, sie wirkt vielleicht etwas zu naiv und in ihren Gedanken und Handlungen widersprüchlich. Doch sie schildert ihre Erlebnisse jedenfalls flott und mit einigem Humor. Auch die übrigen Protagonisten sind lebendig und nachvollziehbar gezeichnet.

Der historische Hintergrund ist sicher interessant. Die damaligen Meinungen zur Hysterie (die natürlich nur Frauen betraf) sowie deren Zusammenhang mit der Nasenschleimhaut wirken aus heutiger Sicht reichlich bizarr. Ein Teil der Handlung basiert außerdem auf einem wahren und lange Zeit vertuschten Medizinskandal im Umfeld von Sigmund Freud.

Man hätte aus dem Thema aber mehr machen können.
Alles in allem wirkt der Inhalt zu weichgespült. Eigentlich muss Effi keine echten Widerstände überwinden – im Gegenteil: Sowohl ihr Vater als auch ihre Tante wirken weitaus aufgeschlossener und verständnisvoller als es zu dieser Zeit wohl üblich war. Ein paar Mal kommt zwar ein bisschen Spannung auf, auch das allerdings nur in sehr reduziertem Ausmaß. Das Meiste ist vorhersehbar.

Insgesamt also eine eher seichte, aber doch unterhaltsame Lektüre.

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Veröffentlicht am 10.06.2020

Die Nachteile der Staatenbildung

Die Mühlen der Zivilisation
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Das jahrhundertealte Narrativ, wonach die Erfindung des Ackerbaus automatisch zu Sesshaftigkeit und diese wiederum zur Entstehung von Staaten geführt habe, was der Beginn eines wunderbaren Weges hin zu ...

Das jahrhundertealte Narrativ, wonach die Erfindung des Ackerbaus automatisch zu Sesshaftigkeit und diese wiederum zur Entstehung von Staaten geführt habe, was der Beginn eines wunderbaren Weges hin zu immer größerem Fortschritt gewesen sei, wird in den letzten Jahren zunehmend hinterfragt. Auch James Scott reiht sich hier in diese Liste ein.
Dabei zeigt sich insbesondere, wie vielfältig und überraschend facettenreich die Lebens- und Wirtschaftsweisen der Menschen in den letzten ca 14.000 Jahren waren. Es handelte sich bei den verschiedenen Formen des Lebensunterhalts in aller Regel nicht um ein „entweder – oder“, sondern dieselben Personen und Gruppen wechselten je nach Verfügbarkeit bzw Bequemlichkeit etwa zwischen Jagen, Sammeln, Sammeln vom Meeresfrüchten, Wanderfeldbau, Weidewirtschaft etc.
Das Aufkommen der ersten Staaten, welche zunächst nur einen winzigen Anteil der Weltbevölkerung umfassten, wird dann erwartungsgemäß nicht gerade als Erfolgsgeschichte geschildert. Das Leben dort sei sowohl anstrengender als auch unfreier gewesen – „Ohne Sklaverei kein Staat“ - , sodass es nicht verwundert, dass deren Bewohner immer wieder dazu neigten, einfach davonzulaufen – „Die Chinesische Mauer wurde ebenso sehr zu dem Zweck erbaut, chinesische Steuerzahler drinnen zu halten, wie dazu, Barbaren draußen zu halten“.

Der Großteil dieser Ausführungen ist heutzutage nicht wirklich neu.
Zwei faszinierende Punkte möchte ich aber doch noch hervorheben: Zum einen wird die Bedeutung des Getreides betont (im englischen Originaltitel „Against the Grain“ kommt dies noch besser zum Ausdruck als im deutschen), welches aus Sicht eines frühen Staates als Besteuerungsgrundlage bedeutende Vorteile gegenüber allen anderen Feldfrüchten hatte. Dies ist ein selten bedachter Aspekt.
Zum anderen gibt es erhellende Betrachtungen über das Verhältnis der Staaten zu den in ihrer Nachbarschaft lebenden „Barbaren“, deren Lebensweise ohne die Staaten oftmals gar nicht möglich gewesen wäre und die daher ihr „goldenes Zeitalter“ erlebten.

Der Inhalt dürfte sehr gut recherchiert sein, ist zweifellos interessant und regt immer wieder zum Nachdenken an. Der Text ist allerdings eher trocken und mit teilweise unnötigen Fremdwörtern gespickt.
Auch wird das Bestreben des Autors, so gar kein gutes Haar an der Idee der Staatlichkeit zu lassen, mit der Zeit doch eintönig und wirkt übertrieben.
Als (etwas einseitige) Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstandes aber nichtsdestotrotz lesenswert.

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