Platzhalter für Profilbild

Kritikerlady

Lesejury Profi
offline

Kritikerlady ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Kritikerlady über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.06.2017

viel Potenzial, aber nichts daraus gemacht

Nur ein kleiner Gefallen - A Simple Favor
0

Stephanie und Emily sind Freundinnen. Sie haben sich über ihre Söhne kennen gelernt, die in die gleiche Schule gehen und gute Freunde sind. Emily ist berufstätig und Stephanie holt deshalb manchmal beide ...

Stephanie und Emily sind Freundinnen. Sie haben sich über ihre Söhne kennen gelernt, die in die gleiche Schule gehen und gute Freunde sind. Emily ist berufstätig und Stephanie holt deshalb manchmal beide Jungen von der Schule ab und passt auf Nicky auf, bis Emily ihn abholt. Eines Tages bittet Emily Stephanie mal wieder um diesen kleinen Gefallen. Allerdings wartet Stephanie vergeblich darauf, dass Emily kommt und Nicky abholt. Emily ist verschwunden …

In die Geschichte kommt man schnell herein. Die Charaktere sind sehr überschaubar, genauso wie die Handlungsorte und die Handlungen selbst. Insofern ist die Geschichte sehr minimalistisch gehalten. Die Persönlichkeiten der drei Hauptfiguren sind dann allerdings auch nicht so richtig ausgefeilt, sondern eher schlicht gehalten. Grundsätzlich sind alle normale, stinklangweilige Charaktere mit einem normalen Leben. Stephanie soll dann zwar etwas verrucht und böse erscheinen, weil sie lange Zeit einen Geliebten gehabt hat, mit dem sie besser nichts angefangen hätte und auch wusste, dass sie es nicht durfte, aber sogar dies fand ich eher belanglos und viel zu sehr aufgebauscht. Ich hatte den Eindruck, dass Stephanie versucht, sich damit wichtig und interessant zu machen, weil sie so ein großes Geheimnis hat. Auf mich wirkte es allerdings eher affig und machte sie mir noch unsympathischer, als sie schon war. Sie nimmt sich auch selbst viel zu wichtig und nimmt nicht unbedingt Rücksicht auf die Gefühle anderer. Ganz schlimm fand ich auch ihren Mami-Blog, mit dem sie immer wieder versucht, Aufmerksamkeit und Mitgefühl ihrer Leser zu bekommen.

Emily wurde mir dagegen anfangs fast sympathisch. Zur Charakterisierung fällt mir die Bezeichnung „böses Mädchen“ ein. Allerdings gab es da dann auch zu viel Langweiliges und sie tut Dinge, die einfach nicht zu ihr passen und die aufkommende Sympathie schnell wieder zerstören. Und ihre angebliche Liebe zu ihrem Sohn konnte ich ihr einfach nicht abnehmen. Dazu nimmt sie viel zu wenig Rücksicht auf ihn und scheint auch keine wirkliche Bindung zu ihm zu haben. Nicky scheint es auch kaum zu stören, dass seine Mutter verschwindet. Insgesamt spielen die Kinder, die eigentlich der Lebensinhalt ihrer jeweiligen Mutter sind, mir auch eine viel zu kleine Rolle in dem Buch.

Und wie die Charaktere ist dann auch die Handlung eher langweilig und sehr minimalistisch. Sie besteht eigentlich hauptsächlich aus dem Verschwinden von Emily – und anfangs darin, dass kaum einer sie sucht oder wirklich vermisst. Stephanies Suche beschränkt sich darauf, dass sie blogt und am nächsten Tag mal bei Emilys Haus vorbei fährt. Die Polizei, die erst nach über einer Woche eingeschaltet wird, tut auch zunächst nichts und wird erst viel später tätig, ohne dass es für die Untätigkeit einen triftigen Grund gibt. Und weder den Ehemann noch den Sohn scheint das Verschwinden wirklich zu beeindrucken. Dies ist die Zusammenfassung des ersten Drittels des Hörbuches. Und auch danach kommt nie wirklich Fahrt auf. Das Ende fand ich dann ein bisschen verworren und nicht nachvollziehbar. Für mich lagen andere Möglichkeiten eigentlich viel näher und fast jede in der Hörrunde geäußerte Idee für ein Ende hat mir besser gefallen.

Den erzählenden Schreibstil konnte ich gut folgen, doch mir fehlte fast jegliche Art von Gefühl. Manchmal keimte ein bisschen davon auf, aber es war mir einfach viel zu wenig. Und die Blog-Einträge von Stephanie, die im ersten Drittel gefühlt die Hälfte des gesamten Buches ausmachten, waren mir einfach viel zu übertrieben und effekthascherisch.

Der Sprecherin Tanja Geke (Synchronstimme von Jane Rizzoli in der Serie Rizzoli and Isles) konnte ich sehr gut folgen. Ich mag ihre dunkle, leicht rauchige Stimme und wie sie versuchte, den einzelnen Personen ein bisschen Persönlichkeit zu geben und ihre Emotionen wieder zu spiegeln. Doch wenn die Geschichte einfach nicht viel hergibt, stößt auch sie an ihre Grenzen. So fand mein Freund, der große Teile mitgehört hat (mithören musste), sie dann auch relativ langweilig, wobei ich meine, dies lag eher an der Geschichte als an Tanja Geke.

Insgesamt fand ich die Geschichte relativ langweilig. Auf mich wirkten weder die Personen noch die Handlung richtig ausgereift oder durchdacht, obwohl viel Potenzial und gute Ansätze da waren. Dazu kommt, dass mir keine der Personen sympathisch ist. Die Sprecherin Tanja Geke fand ich dagegen sehr gut.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Dramaturgie
  • Erzählstil
Veröffentlicht am 14.03.2017

Mit Recht so erfolgreich

Die Tribute von Panem 1
0

Das Land Panem war in 13 Distrikte und das Kapitol unterteilt. Die Distrikte lehnten sich gegen das Kapitol auf in einem erbitterten Krieg, aus dem das Kapitol als Sieger hervorging. Der Distrikt 13 wurde ...

Das Land Panem war in 13 Distrikte und das Kapitol unterteilt. Die Distrikte lehnten sich gegen das Kapitol auf in einem erbitterten Krieg, aus dem das Kapitol als Sieger hervorging. Der Distrikt 13 wurde komplett zerstört. Die anderen Distrikte müssen jeweils bestimmte Produkte für das Kapitol herstellen. Bei Distrikt 12 ist es beispielsweise Kohle. Dafür bekommen sie vom Kapitol gerade genug Lebensmittel zum Überleben. Und einmal im Jahr gibt es die „Ernte“. In einem großen Lostopf sind die Namen aller Jugendlichen von 12 bis 18 Jahre enthalten. Um mehr Lebensmittel zu erhalten, können die Jugendlichen ihren Namen öfter in den Lostopf werfen lassen. Daraus werden ein Junge und ein Mädchen gewählt, die die Tribute dieses Distrikts darstellen. In den Hungerspielen müssen die insgesamt 24 Tribute aller Distrikte in einer künstlich generierten Arena sich auf Leben und Tod bekämpfen, bis der Sieger feststeht. Das Kapitol sieht ihnen dabei zu und amüsiert sich über die Kämpfe. Wenn ein Kämpfer dem Publikum besonders gefällt, kann der Spielleiter das Schicksal einzelner Tribute auch noch beeinflussen.

Die 16jährige Katniss lebt mit ihrer Mutter und ihrer 12jährigen Schwester Prim in Distrikt 12. Der Vater starb bei einem Grubenunglück. Katniss ernährt die Familie, indem sie illegalerweise außerhalb des Distrikts jagen geht. Gale, der ein ähnliches Schicksal teilt, ist dabei ihr Jagdpartner und die beiden sind beste Freunde. Bei der Ernte wird dann der Name von Prim gezogen. Katniss will ihre kleine Schwester retten und meldet sich freiwillig für die Spiele. Zusammen mit dem Bäckersjungen Peeta zieht sie für den Distrikt in die Spiele, ohne Hoffnung, jemals ihre Familie wieder zu sehen. Vor den Spielen muss sie dann noch jede Menge Anproben und öffentliche Auftritte über sich ergehen lassen, um dem Kapitol zu gefallen. Katniss ist dies alles zuwider, aber sie hat keine Wahl. Sie will die anderen Tribute nicht töten, doch wenn sie es nicht tut, werden diese sie töten. Und dann ist da noch Peeta, der Katniss schon lange liebt …


Ich habe vor dem Lesen dieses Romans schon den Film gesehen und wusste, worum es geht. Dadurch fand ich mich im Buch dann recht schnell zurecht. Ob es sonst so schnell gegangen wäre, weiß ich nicht.

Der Schreibstil ist recht klar und nicht so überladen ausschmückend. Suzanne Collins lässt ihre Figuren lieber handeln oder beobachten, anstatt viel zu beschreiben. Ich finde dies sehr kurzweilig und es bringt die Handlung voran. Dazu kommt, dass wenn einmal Beschreibungen z.B. der Kleider vonnöten sind, es auch ganz spezielle Auswirkungen hat. So werden etwa mit den aufwändigen Kleidern zur Eröffnung die Reaktionen des Kapitols beeinflusst.

Die Person von Katniss war für mich anfangs nicht so greifbar, da sie im Film sehr viel selbstbewusster und strahlender wirkt, sehr viel dominanter. Erst hier im Buch wurde mir klar, dass Katniss eigentlich viel vielschichtiger ist. Sie will gar nicht die Heldin sein und ist alles andere als dominant. Eine ganze Weile ist sie sogar einfach nur der Spielball von ihren Beratern und dem Kapitol, wird hierhin gereicht und dorthin, muss lächeln, ihr verhasste Kleider präsentieren und alles klaglos mit sich geschehen lassen, denn ihr wird immer wieder vor Augen geführt, was passieren wird, falls sie sich weigert. Dadurch kann man sich als Leser hervorragend mit ihr identifizieren und die Person von Katniss wird sehr sympathisch.

Die Geschichte insgesamt finde ich auch recht spannend und interessant ausgearbeitet. Ich möchte nicht zu viel verraten, aber es wird dem Leser immer wieder vor Augen geführt, dass man vieles nur für das Publikum, für die Öffentlichkeit machen muss, damit man Erfolg hat, damit man weiter kommt. Und ich finde es bewundernswert, dass Katniss nie mit ihrem Schicksal hadert. Sie fragt sich nicht, warum sie das ganze eigentlich machen muss und was das alles soll. Sie lehnt sich nicht gegen ihr Schicksal als Tribut auf oder gegen das ganze System, sondern sie fügt sich den Spielregeln. Sie kann ja ohnehin nichts ändern. Ich finde diese Haltung sehr bemerkenswert.

Insgesamt fand ich das Buch sehr spannend und unterhaltsam. Es kam mir sogar viel zu kurz vor. Ich kann es nur jedem empfehlen. Es ist noch besser als der Film, denn es erklärt auch noch viele kleine Nebensächlichkeiten.

Veröffentlicht am 03.10.2016

Thrill der höchsten Qualitätsstufe

Amokspiel
0

Die Kriminalpsychologin Ira Samin hat es nicht einfach. Ihre Tochter Sara hat sich umgebracht und ihre andere Tochter Kitty gibt ihr die Schuld daran und spricht kein Wort mehr mit ihr. Ira hat sich monatelang ...

Die Kriminalpsychologin Ira Samin hat es nicht einfach. Ihre Tochter Sara hat sich umgebracht und ihre andere Tochter Kitty gibt ihr die Schuld daran und spricht kein Wort mehr mit ihr. Ira hat sich monatelang in den Alkohol geflüchtet, weil sie mit dieser Situation nicht klar kam, aber damit soll nun Schluss sein. Sie will sich selbst umbringen. Alles, was sie noch braucht, ist eine Cola light lemon, damit sie die todbringenden Kapseln schlucken kann. Als sie jedoch aus dem Haus zum Laden um die Ecke geht, gerät sie erst in einen Streit um einen toten Hund, den die beiden Kontrahenten mit Waffengewalt lösen wollen, und wird anschließend mehr oder weniger vom SEK entführt, um bei einer Geiselnahme im Radiosender die Verhandlungen zu führen.
Im größten Radiosender von Berlin hat Jan May mehrere Geiseln genommen. Seine Forderung: Seine Verlobte Leoni soll zu ihm gebracht werden. Was sich anfangs einfach anhört, entpuppt sich dann doch als etwas schwerer, denn Leoni ist acht Monate zuvor bei einem Autounfall gestorben. Doch dies will Jan nicht wahr haben. Er ist sich sicher, dass alles ein großes Komplott ist und Leoni noch lebt. Er glaubt nicht, dass sie tot ist, sondern dass sie irgendwo gefangen gehalten wird. Und um Druck zu machen, droht er damit, jede Stunde eine Geisel zu erschießen, falls sich eine zufällig ausgewählte Person am Telefon nicht doch noch mit einer ganz bestimmten Parole meldet.


Meine Meinung
Dies war mein zweiter Roman von Sebastian Fitzek und meine Erwartungen waren ziemlich hoch, nachdem mir „Die Therapie“ sehr gut gefallen hat. Und ich muss sagen, dass mich auch dieser Roman sehr gefallen hat.

Die Persönlichkeiten gefallen mir richtig gut und erwachten vor meinem inneren Auge zum Leben. Insbesondere die Person von Ira hat mir sehr gut gefallen, denn jede Beschreibung, jede Handlung passt haargenau. Sie ist genervt von dem ganzen, denn eigentlich wollte sie doch schon längst tot sein. Und dann muss sie den ganzen Schmerz um Saras Tod noch einmal durchleben – und das live am Radio, wo inzwischen ganz Berlin zuhört! Und auch ihre Beziehung zu Kitty darf sie vor ganz Berlin offen legen. Dieser seelische Striptease ist richtig gut beschrieben. Es ist eine seltsame Mischung aus einerseits Abscheu, was da alles von Ira verlangt wird, andererseits dann auch Mitleid mit ihr, wenn sie einfach nur etwas Alkohol benötigt, um keine Entzugserscheinungen zu bekommen und weiter machen zu können, oder wenn sie einfach nur nach einer Cola light lemon sucht, um vielleicht doch noch heim zu ihren Kapseln zu kommen. Es ist dann aber auch noch ein bisschen Voyeurismus dabei, wenn Ira erzählen muss, wie es aus ihrer Sicht zum Suizid von Sara gekommen ist.

Auch die Person von Jan ist bis in die letzte Kleinigkeit ausgearbeitet. Anfangs hat mich gewundert, dass er ein so ausgefeiltes Gespräch mit Ira führen kann. Doch dies wird nach und nach aufgeklärt, sodass auch die Art des Gesprächs zur Person von Jan passt. Und ähnlich ist es dann auch mit den anderen wenigen Hauptpersonen. Ich bin wirklich überrascht, dass alles an ihnen passt. Und die Nebenpersonen bleiben dann tatsächlich auch mal Nebenpersonen und der Leser wird nicht mit unnötigen Details über sie gelangweilt, die mit der Handlung nichts zu tun haben. Das hat mir alles wirklich gut gefallen und zeigte mir, dass die gesamte Geschichte von A bis Z durchdacht war und nicht einfach mal drauf los geschrieben wurde.

Die ganze Geschichte bietet nicht unbedingt Stoff für Humor. Trotzdem zieht sich die Suche von Ira nach einer Cola light lemon wie ein roter Faden durch die Geschichte und hatte für mich etwas von einem Running Gag, denn sie sucht auch nur nach dieser bestimmten Sorte, es darf nicht einfach irgendein Getränk sein. Und ich meine, sie bekommt während der gesamten Geschichte keine. Ansonsten habe ich nichts Lustiges gefunden, allerdings auch nicht vermisst, denn die Geschichte bietet dafür einfach keinen Raum.

Die ganze Geschichte, die sich innerhalb weniger Stunden abspielt und nicht mal einen gesamten Tag umfasst, ist in viele kleine Kapitel eingeteilt. Oft findet von einem Kapitel zum nächsten ein Szenenwechsel statt, indem die Sicht einer anderen Hauptperson gezeigt wird oder der Ort sich verändert hat. Dieses steht zwar nicht in einer Überschrift, wie ich es aus anderen Romanen kenne, allerdings weiß man gleich beim ersten Satz schon, um wen es sich gerade handelt und wo er ist. Ich konnte mich also während des Lesens immer gut orientieren, wer gerade was macht. Die kleinen Kapitel von nur wenigen Seiten fand ich auch angenehm, denn dadurch konnte ich auch das Buch mal kurz weg legen und brauchte nicht beim Weiterlesen einige Zeit, um mich zu orientieren und wieder in die Geschichte einzusteigen.

Die Geschichte insgesamt fand ich dann sehr gut durchdacht. Alles hatte für mich Hand und Fuß, ganz viele Details griffen ineinander, auch wenn man dies anfangs nicht unbedingt sah. Jeder Handlungsstrang findet ein Ende, alles, was mal angesprochen wird, wird noch aufgelöst, wie es in das große Ganze passt und was es damit auf sich hatte. Das hat mich doch sehr beeindruckt und begeistert, denn ich bin jemand, der auch auf diese ganzen Details sehr achtet und dann oft enttäuscht wird, weil etwas doch im Ungewissen bleibt. Da scheint Sebastian Fitzek aber sehr drauf zu achten, denn sowohl in diesem Roman wie auch in dem anderen, den ich bereits von ihm gelesen habe, wird alles restlos aufgelöst.

Ich möchte vom Inhalt nicht zu viel verraten, denn er lebt von vorne bis hinten von seiner Spannung. Immer, wenn man denkt, man hat nun alles verstanden und begriffen, worum es geht, kommt ein neues Detail ans Licht, das alles bisherige wieder umwirft und in einem anderen Licht erscheinen lässt. Man kann sich nie wirklich sicher sein, dass alles so ist, wie es scheint. Dabei bleibt allerdings alles im Rahmen. Es fällt niemand aus seiner Rolle. Wenn das neue Detail bekannt wird, erklärt es eher das vorangegangene Verhalten und verwirrt nicht. Ich finde dies ungeheuer geschickt gemacht und das gibt für mich das besondere Etwas, das Etwas, das diesen Roman aus der breiten Masse heraus hebt. Es zeigt, dass Sebastian Fitzek wirklich etwas von Psychologie versteht und viel Menschenkenntnis hat.

Insgesamt habe ich das Buch sehr gern gelesen und ich kann es uneingeschränkt weiter empfehlen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein tolles Buch, über das man nachdenken kann und sollte!

Spanische Dörfer - Wege zur Freiheit
0

La Marche ist eine junge Frau, die aus einem Land in Afrika aufgebrochen ist, um nach Europa zu gehen, wo sie in Freiheit leben möchte. Es bleibt unklar, aus welchem Grund sie ihre Heimat verlässt, denn ...

La Marche ist eine junge Frau, die aus einem Land in Afrika aufgebrochen ist, um nach Europa zu gehen, wo sie in Freiheit leben möchte. Es bleibt unklar, aus welchem Grund sie ihre Heimat verlässt, denn sie hat ihr Gedächtnis gelöscht, hat anfangs nicht mal mehr einen Namen. Aus ihrem gesamten Verhalten wird nur klar, dass sie Schreckliches durchgemacht haben muss und dass es keine leichtfertige Entscheidung aus dem Bauch heraus war. Sie macht sich einfach auf den Weg nach Nordafrika und muss dort feststellen, dass es nicht ganz so einfach ist, über Gibraltar nach Spanien zu kommen. Doch mit ihrem eisernen Willen schafft sie es schließlich, die Meerenge zu durchschwimmen.

Am Strand von Spanien trifft sie dann auf Enrique, der dort in der Sonne liegt und über seine Situation nachdenkt. Er kam als Mädchen Henriqua auf die Welt, war sich aber schon in jungen Jahren sicher, dass er im falschen Körper geboren wurde, denn er fühlte sich immer wie ein Junge und lebte und verhielt sich auch so. Seine Eltern kamen damit kaum klar und auch in seinem kleinen Heimatdorf wurde er nur schief angeguckt. Er ging zum Studium nach Madrid und ließ sich dort auch behandeln, um äußerlich männlicher auszusehen. Die letzte, große Operation wollte er jedoch nicht, denn es reichte ihm so, wie er war. So fühlte er sich wohl in seinem Körper und er brauchte nicht mehr. Nach seinem abgeschlossenen Studium kehrte er für den Sommer zu seinen Eltern zurück, denn er fand selbst in der Großstadt keine Arbeit. Er entschloss sich, nach Deutschland zu gehen, um dort Arbeit zu finden, wollte dies aber in seiner Heimat noch einmal überdenken.

Und während Enrique so am Strand lag und ein wenig döste, kam plötzlich diese Frau aus dem Meer. Enrique war irgendwie von ihr fasziniert, wie sie da aus dem Wasser stieg. Er gab ihr zu trinken. Als dann Polizisten auftauchten, die am Strand patrouillierten, erkannte er, dass sie die Frau nicht finden dürfen. Er ruft ihr zu, dass sie laufen soll und lenkt die Polizisten ab, sodass sie nichts mitbekommen. So macht sich La Marche weiter auf den Weg nach Nordspanien, wo für sie erst einmal Endstation ist, weil sie im Winter nicht die Pyrenäen überqueren kann. Dort trifft sie auf ein altes Ehepaar, das ihr weiter hilft, und durch das sie auch ihren Namen in Manso wechselt. Mit Hilfe dieses Paares schafft sie es schließlich auch nach Deutschland, wo sie sich in Freiheit glaubt, wo es aber so ganz anders ist, als sie es sich vorgestellt hat.

Enrique verabschiedet sich vor seinem Aufbruch nach Deutschland noch von seinem besten Freund Leon. Leon gilt als geistig behindert, weil er das Down-Syndrom hat. Im Endeffekt ist dies nur ein überzähliges Chromosom, das ihn anders aussehen lässt und durch das bei ihm nur sein Lernverhalten verlangsamt wird. Leon ist aber sehr eifrig im Lernen und schließt die Schule ab. Er will unbedingt Lehrer werden und seinem großen Vorbild nacheifern, einem anderen Mann mit Down-Syndrom, der bereits das Studium hinter sich hat und auch das Lehrerexamen bestanden hat. Leon weiß, dass es schwer werden wird für ihn, eine Anstellung als Lehrer zu bekommen, denn die Arbeitslosigkeit in Spanien ist hoch und die Lehrer, die ein Chromosom weniger haben als er, werden wohl immer bevorzugt werden. Doch er lässt sich nicht unterkriegen und hält an seinem Berufswunsch fest.

In München treffen Manso und Enrique dann wieder aufeinander. Beide haben inzwischen die Erfahrung gemacht, dass Deutschland für sie auch nicht bieten kann, wonach sie gesucht haben. Enrique findet auch dort keine Arbeit als Architekt und muss seine wahre Identität verbergen, um akzeptiert zu werden. Und Manso findet auch dort nicht die Freiheit, die sie braucht, um wieder leben zu können ohne Zwänge. Als Enrique dies Leon schildert, der gerade an seinem Abschlussexamen sitzt, hat dieser eine verrückte Idee, die schließlich gar nicht so verrückt ist.



Meine Meinung
Wie auch die bisherigen Bücher von Maria Braig handelt es sich hier nicht um eine Geschichte aus einer heilen Welt mit "normalen" Menschen. Es geht auch hier wieder um Personen, die nicht in die gängigen Schubladen passen und die teilweise einfach vergessen, weggesperrt und übersehen werden. Menschen, mit denen man nichts zu tun haben will, weil sie eben irgendwie anders sind. Menschen, die einfach nur leben und akzeptiert werden wollen, wie sie sind. Und ich mag diese Geschichten, denn ich finde es wichtig, auch von diesen Außenseitern zu erzählen, die niemandem etwas Böses wollen, niemanden bedrohen - und doch oft als Bedrohung für unsere Gesellschaft angesehen werden, weil sie eben nicht in unsere "heile Welt" passen und unser Schubladendenken. Es geht auch hier wieder um Toleranz, Respekt vor anderen Personen und Akzeptanz ihrer Persönlichkeit. Und ich finde, diese Themen wurden in diesem Buch wieder hervorragend umgesetzt ud dem Leser nahe gebracht.
Alle drei Personen erhalten eine richtige Persönlichkeit. Auch wenn Manso die ganze Zeit recht unnahbar wirkt, weil man so gar nichts von ihr und ihrer Vergangenheit erfährt, so habe ich beim Lesen doch gespürt, dass ihr etwas ganz Schreckliches passiert sein muss, wodurch sie das Vertrauen in die Menschheit verloren hat. Und wer die ganzen schrecklichen Greueltaten aus den afrikanischen Kriegsgebieten zumindest vom Hörensagen kennt, der kann erahnen, was passiert ist. Auch wenn es nie angesprochen wird im Buch, denke ich doch, dass es nicht nur eine einzelne Gewalttat einer Einzelperson gewesen sein wird. Manso hatte also einen triftigen Grund, ihre Heimat zu verlassen. Bei der Beschreibung ihres Weges wird dann aber auch deutlich, dass sie gar keine konkrete Vorstellung hat, was sie in Europa vorfinden wird. Ihr ist auch das Land, wo sie hin will, eigentlich egal. Sie hat nur eine ungefähre Vorstellung, dass es Mitteleuropa sein soll. Und ich denke, dass Maria Braig mit der Person von Manso eine Gruppe von Flüchtlingen skizziert hat, die wir uns hier im sicheren und weltweit vernetzten Deutschland kaum vorstellen können. Manso hat nämlich kein wirkliches Ziel ihrer Flucht vor Augen. Sie weiß nicht, was sie erwartet. Sie will einfach nur Freiheit, Freiheit von allen Zwängen. Und sie glaubt, dass sie das in Europa finden wird. Dass in Europa dann ganz andere Zwänge wie etwa das Asylverfahren auf sie warten, war ihr unbekannt. Und dass sie während des Verfahrens in engen Unterkünften auf die Entscheidung warten müsste, war für sie ganz unvorstellbar. Denn diese Enge könnte sie auch gar nicht ertragen. Schon das Asylverfahen und die ganzen behördlichen Zwänge wie auch die detaillierte Auskunft dessen, was ihr passiert ist, sind für sie einfach undenkbar. Das erträgt sie einfach nicht! Um überleben zu können, hat sie diese Erinnerungen aus ihrem Gedächtnis gelöscht, lebt nur im Hier und Jetzt.

Dieses Verhalten von Manso kennen wir sonst nur von schwer traumatisierten Personen, die Opfer schwerer Gewalttaten geworden sind. Sind es Personen aus Deutschland oder anderen sogenannten zivilisierten Ländern, gehen wir ganz behutsam mit ihnen um. Wir lassen ihnen die Zeit, ihre Erlebnisse zu bewältigen, geben ihnen die medizinische und psychologische Hilfe, die sie brauchen, um wieder ins Leben zurück zu finden. Und obwohl wir immer wieder von diesen grausamen Taten aus Afrika hören, die oft jenseits unserer Vorstellung liegen, was Menschen anderen Menschen antun können, zwingen wir diese traumatisierten Flüchtlinge hier in das Asylverfahren, wo sie Schlange stehen müssen, um dann vor einem Verwaltungsbeamten am besten noch im Verwaltungsdeutsch locker flockig zu schildern, welche Gewalttaten ihnen angetan wurden - oft sogar von Verwaltungsbeamten der Regierung. "Sind Sie mit dem Tod bedroht worden? Hat man Ihnen gesagt, dass Sie umgebracht werden? Nein? Dann müssen Sie zurück." Dass es allgemein bekannt war, dass man stirbt, wenn man gewisse Dinge nicht machte, sich auflehnte oder dergleichen, zählt nicht. Dafür, dass der Tod ständig über einem schwebte, dafür gibt es keine Spalte im Formular. Diese Widersinnigkeit, diese absolute Gefühllosigkeit des Systems für das Schicksal dieser Menschen ist für jemanden, der nicht direkt damit befasst ist, kaum zu begreifen. Es muss doch auch einen anderen Weg geben, wie wir diese Flüchtlinge menschlich behandeln und trotzdem entscheiden können, ob sie ein Recht auf Asyl haben oder nicht.
Das Asylverfahren hier in Deutschland wird im Buch zwar nicht direkt thematisiert, aber es klingt ein wenig an, wenn es darum geht, dass es für Manso undenkbar ist, einen Asylantrag bei der Behörde zu stellen und sie Angst davor hat, in eine Asylantenunterkunft zu müssen. Lieber bleibt sie als Illegale im Untergrund, lieber lebt sie in Angst, von der Polizei doch noch aufgegriffen zu werden. Und diese Angst, die Sehnsucht nach Freiheit, einfach frei von Zwängen leben und arbeiten zu können - das klingt meines Erachtens in dem Buch sehr gut an. Es hat mir mal wieder ein paar der Probleme, mit denen wir Flüchtlinge konfrontieren, näher gebracht und es hat dazu beigetragen, Flüchtlinge besser zu verstehen.

Ganz andere Probleme, die dann doch nicht ganz so unterschiedlich sind, hat dagegen Enrique. Ich denke, es gibt viel mehr Menschen, als wir glauben, die mit ihrem angeborenen Geschlecht nicht zufrieden sind und mit ihn schlicht und einfach nicht leben können und wollen. Die Medizin hat inzwischen einige Verfahren entwickelt, mit denen sich diese Menschen ein bisschen wohler in ihrer Haut fühlen. Aber schlimmer ist es, dass ihre Umwelt sie nicht so akzeptiert, wie sie sein wollen. Und das ist auch das Problem von Enrique. Mit Hilfe der Medizin steckt er inzwischen in einem Körper, in dem er sich wohl fühlt. Doch er kann keinem davon erzählen, wer er mal war oder welche Probleme er mit seiner Familie hat, weil er dann das Risiko eingeht, dass ihn auch die Menschen, unter denen er nur als Mann bekannt ist, dann mit anderen Augen ansehen und ablehnen. Enrique fühlt sich keiner Gruppe so richtig zugehörig und daher ziemlich allein und als Außenseiter.

Und dann ist da noch Leon. Dass jemand mit Trisomie 21 (eine andere Bezeichnung für das Downsyndrom) eine Hauptfigur in der Geschichte spielt, fand ich sehr überraschend. Das findet man nicht oft. Anfangs dachte ich, dass er gar nicht typisch dargestellt ist. Insbesondere sein Satzbau kam mir viel zu komplex vor und er dachte viel zu vernetzt. Doch dann dachte ich an mein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Heim für geistig Behinderte zurück, wo ich viel mit diesen Menschen zu tun hatte. Und ich habe schon dort gesehen, dass es sehr viele verschiedene Ausprägungen dieser Behinderung gibt. Ich hatte zu tun mit ganz schweren Fällen, die auch im Erwachsenenleben emotional und geistig einem Kleinkind gleich zu setzen waren. Und es gab dort auch welche, die lesen und schreiben konnten und mich mit ihrer komplexen Denkweise überraschten. Da übertrafen sie teilweise sogar uns mit der regulären Chromosomenanzahl. Und das waren immerhin nur die Menschen, die in einem Heim leben mussten und nicht allein leben konnten. Ich habe aber auch schon von Menschen mit Down-Syndrom gehört, die so fit sind, dass sie in einer eigenen Wohnung leben können. Eine Frau mit so einem Chromosom zu viel lebt sogar hier bei mir im Haus, auch wenn ich sie nicht näher kenne. Warum fange ich, die ich mich für sehr tolerant halte und wenig in Schubladen denkend, also an, Menschen mit Trisomie 21 in die Schublade "geistig behindert" zu stecken und ihnen schwierigere geistige Leistungen abzusprechen? Sie sind teilweise intelligenter als die Menschen, mit denen ich Abitur gemacht habe - oder auch bestimmte Verwaltungsbeamte! Als ich übrigens das Nachwort von Maria Braig gelesen habe, musste ich lachen, weil sie dort etwas ganz ähnliches beschreibt.

Auch Leon macht sich so seine Gedanken über seinen Platz in der Welt. Und vor allem auch darüber, dass er sich nicht als behindert sieht, sondern dass er eher behindert wird. Er kann den Stoff bewältigen, den er braucht für das Examen, und er ist der Meinung, dass er sogar ein besserer Lehrer sein wird, als diejenigen, die ihm einfach nichts zutrauen. Leon macht sich auch durchaus kritische Gedanken und ist sich bewusst, dass er etwa langsamer lernt als andere. Und er weiß, dass er auf dem spanischen Arbeitsmarkt mit seiner hohen Arbeitslosenquote wohl nie eine Chance haben wird. Auch wenn er versucht, vieles positiv zu sehen, ist er sich doch darüber im Klaren, dass er ein Außenseiter ist und in der Gesellschaft einfach nicht akzeptiert werden würde als Lehrer von "normalen" Kindern mit normaler Chromosomenanzahl.

Der Schreibstil ist übrigens recht ansprechend für solch komplexe Themen. Er ist leicht distanziert und drückt gar nicht auf die Tränendrüse. Die drei Menschen denken recht objektiv über ihre jeweilige Situation nach. Sie nehmen sie hin, denn sie sind ohnehin nicht in der Lage, sie zu ändern. Zufrieden sind sie natürlich nicht damit, aber sie versuchen, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden, wo sie gut leben können und auch die Gesellschaft mit ihnen. Durch diese leichte Distanz habe ich mich während des Lesens nicht mit den Personen identifiziert, wie es etwa in anderen Romanen der Fall ist. Ich fand es aber sehr positiv, denn so hatte ich mehr die Position des Beobachters und vielleicht Freundes und habe mehr über die Situation nachgedacht und darüber, was man eigentlich ändern müsste, damit auch diese drei sich in Gesellschaft wohl fühlen und nicht ausgegrenzt werden. Darüber kam ich wohl mehr ins Grübeln als bei einer emotionaleren Geschichte.

Dieses Buch finde ich wieder ein großartig gelungenes Werk, das sich mit Außenseitern beschäftigt und zum Nachdenken anregt. Und ich würde dieses Buch gerne vielen Menschen in die Hand drücken, die ganz pauschal gegen Flüchtlinge hetzen und alles, was nicht der Norm entspricht, verteufeln. Doch ich befürchte, sie werden dieses Buch nicht verstehen und es langweilig finden.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ziemlich spannend!

Those Girls – Was dich nicht tötet
0

Die Schwestern Jess, Courtney und Dani sind alle noch nicht erwachsen, als es zu einem folgeschweren Streit mit ihrem gewalttätigen Vater kommt. Ihre Mutter ist schon länger tot und so beschließen die ...

Die Schwestern Jess, Courtney und Dani sind alle noch nicht erwachsen, als es zu einem folgeschweren Streit mit ihrem gewalttätigen Vater kommt. Ihre Mutter ist schon länger tot und so beschließen die Drei zu fliehen, weil sie Angst vor der Polizei haben und davor, wie in verschiedene Pflegefamilien zu kommen, die teilweise nicht besser waren als ihr Vater. Doch der Wagen bleibt liegen. Zunächst scheinen zwei junge Männer ihnen zu helfen, doch dann kommt alles noch schlimmer, als sie es sich je vorstellen konnten.

Dies war mein erster Thriller von Chevy Stevens und ich wusste nicht, was mich erwarten sollte. Doch gleich am Anfang ist man mitten im Leben der drei Schwestern und die Angst, die die drei haben, als sie ihren Vater zurück erwarten, nachdem er wochenlang auf Montage war, ist fast greifbar. Mich hat sie jedenfalls vollkommen in ihren Bann gezogen. Und ich habe mit Dani mitgelitten, als ihre Rühreier dem Vater nicht gut genug waren und er ihr Gesicht auf den heißen Herd drückt. Es war eine ganz eigenartige Mischung aus Ekel und Spannung, gepaart mit ein bisschen Voyeurismus, den glaube ich jeder empfindet, wenn man mitbekommt, dass anderen etwas Schlimmes passiert, einfach weil man erleichtert ist, dass es anderen passiert und nicht einem selbst.

Den Schreibstil von Chevy Stevens mochte ich. Er war ziemlich direkt und eher wenig ausschmückend. Vor allem benutzte er nicht so viele aufzählende Adjektive, sondern ließ eher Handlungen für sich sprechen, was mir sehr gefiel.

Ich habe dieses Buch verschlungen und mit den drei Mädchen mit gelitten. Es war eine ganz eigenartige Stimmung in dem Buch, wo ich einfach immer weiter lesen musste. Nur im Mittelteil fand ich es manchmal etwa langatmig, aber da habe ich dann einfach "normal" weiter gelesen.

Ich habe mich gefreut, dass ich es lesen durfte.