Eine ambitionierte Geschichte
SommerkindDiese Rezension ist keine einfache Sache, denn es gelingt kaum, ohne zu viel von der Story zu verraten.
Die kleine Malu ertrinkt wegen einer kleinen Zwistigkeit mit ihrem großen Bruder Kolja, während ...
Diese Rezension ist keine einfache Sache, denn es gelingt kaum, ohne zu viel von der Story zu verraten.
Die kleine Malu ertrinkt wegen einer kleinen Zwistigkeit mit ihrem großen Bruder Kolja, während dieser sich versonnen den Abendhimmel über dem Meer und seinen heimlichen Schwarm aus der Klasse über ihm, Ragna, als begnadete Schwimmerin im Meer anschaut.
Erst viel zu spät wird Ragna aufmerksam, dass Malu nicht aus dem zu dieser Zeit geschlossenen Schwimmbad zurück gekommen ist, springt über den Zaun, birgt sie vom Beckenboden und belebt sie wieder. Wie erwähnt leider zu spät, was zudem bei einem Sommerkind fatal ist.
So nennt man die Kinder, die während der warmen Jahreszeit ertrinken. Die Winterkinder haben deutlich bessere Chancen wieder zu genesen, da sie durch das kalte Wasser in eine Art Kältestarre fallen und der Sauerstoffmangel dadurch weniger Schaden im Gehirn anrichtet. Malu hingegen bleibt in einer Art Wachkoma und lebt ihr Leben fortan in einem bedauernswerten, passiven Zustand.
3 Monate später zieht die angeschlagene Familie aus dem hohen Norden nach Süddeutschland, um Malu die denkbar beste Behandlung zukommen zu lassen in einer Klinik, in der sehr viele Sommer- und auch Winterkinder untergebracht sind.
Schnell wird klar: Solche Dramen passieren leider und stets sind sie eine große Belastung für die übrigen Familienmitglieder. Im Fall der kleinen Malu hält die Familie diesem Druck nicht lange stand.
Kolja wird von der Mutter als Schuldiger betrachtet - was objektiv gesehen sicher auch den Tatsachen entspricht. Doch Kolja war zu diesem Zeitpunkt selbst erst 15 Jahre alt und noch ein halbes Kind.
Für Kolja werden die Wochen und Monate zu einem schweren Paket, das er zu schultern hat. Er gibt sich auch selbst die Schuld an Malus Unfall, was ihn innerlich zerfrisst, denn selbstverständlich ist er durch diese Schuld auch gleich Auslöser der Familiensituation.
Ragna hat sich in den 3 Monaten zwischen Unfall und Umzug sehr eng mit Kolja befreundet, sodass man es als erste Liebe bezeichnen kann. Aus unerfindlichen Gründen hat sie sowohl den Unfall als auch die 3 Folgemonate und sogar den Namen ihrer ersten Liebe komplett vergessen - eine Teilamnesie. Durch einen Zufall kommen ihr Erinnerungsfetzen in den Sinn und sie gibt sich auf die Suche nach Kolja und ihrer Geschichte.
Gleich vorweg: Der Schreibstil hat mir sehr gut gefallen! Ich war sofort in der Geschichte und auch die fehlenden Anführungszeichen bei der wörtlichen Rede haben meinen Lesefluss nicht gestört. Die Charaktere sind größtenteils liebevoll ausgearbeitet - lediglich Kolja hätte m. E. tiefer gehen können.
Leider bin ich mit der übrigen Story nicht wirklich glücklich. Zu viele Fragen wurden aufgeworfen und liefen ins Leere. Das offene Ende störte mich dabei nicht einmal - die teils wichtigen Punkte der Erzählung wurden einfach im Galopp verloren, als ob sie eher nebensächlich gewesen wären.
Nicht klärt sich, warum eine immerhin 16jährige, Frischverliebte 3 Monate ihres Lebens "vergisst" und sich nicht einmal an den Namen des Jungen erinnert. Als ob auch in der Schule und Freundeskreis der Junge nie existiert hätte und nie über ihn gesprochen wurde.
Auch einige andere Punkte werden tlw. sogar nur einmal - da allerdings ausführlich - erzählt und angeschnitten, aber tauchen dann ab als ob sie belanglos waren. Nur: Warum wird dann groß und breit darüber geschrieben, wenn es tatsächlich belanglos war?
Am Ende des Buches kam es mir so vor, als hätte die Autorin dieses Thema der Sommerkinder so beschäftigt, dass sie unbedingt einmal ein Buch darüber schreiben wollte. Leider kamen dann noch einige Themen dazu und es wurde insgesamt einfach etwas viel für ein doch recht überschaubares Buch:
Über die Aufopferung der Familienangehörigen, deren Schuldgefühle und zerbrechende Familien. Und über Jugendliche, die unter Schuldgefühlen zusammenbrechen auch. Über Menschen mit Teil-Amnesie und über Ärzte, die sich so aufopfern, dass sie Familienmitglieder von Patienten mit in Urlaub nehmen (Sorry - das war eine für mich absolut unrealistische Geschichte).
Und über Schwule, die unglücklich verliebt waren. Und über die entsetzliche Erfahrung, wenn der besten Freundin ein Leid geschieht. Und über Heimweh, die Nordsee und das Leben auf einer Hallig sowieso.
So viele Themen werden angeschnitten und etliche laufen leider ins Leere.
Zum Cover sei gesagt, dass es zwar hübsch aussieht, jedoch leider nicht der tatsächlichen Szene entspricht. Für die Geschichte belanglos, aber mich stört es.
Auch die Interpretation eines bekannten Märchens durch die Autorin fand ich recht eigenwillig.
Fazit:
Trotz dieser Story-Lücken hat die Lektüre dieses Buches mir wegen der wirklich sehr schönen Schreibweise Freude gemacht und ich konnte es wirklich verschlingen. Die Schwächen der Story erkennt man zum Glück erst nach dem Ende, wenn man merkt, dass keine Aufklärung mehr kommt.