Rezension zu „Der Duft“ von Paul Richardot
Der Duft. Er führt dich ins Paradies. Oder in die HölleDer Duft von Paul Richardot ist ein Roman, der mit einer ebenso ungewöhnlichen wie faszinierenden Grundidee spielt: Erinnerungen lassen sich durch Gerüche wiedererlebbar machen. Die Firma Fragrancia hat ...
Der Duft von Paul Richardot ist ein Roman, der mit einer ebenso ungewöhnlichen wie faszinierenden Grundidee spielt: Erinnerungen lassen sich durch Gerüche wiedererlebbar machen. Die Firma Fragrancia hat dafür eine spezielle Substanz namens VMS (Volatile Memorielle Substanz) entwickelt, die olfaktorische Trancen auslöst und sowohl therapeutisch als auch kriminalistisch eingesetzt wird. Diese Prämisse bildet das Fundament für eine Geschichte, die zwischen Wissenschaft, Emotion und ethischen Fragen pendelt.
Im Zentrum steht Hélias, ein hypersensibler Aromaspezialist, der in den Hauptsitz von Fragrancia versetzt wird und dort seine Ausbildung zum „Olfakteur“ beginnt. Die Handlung gewinnt an Spannung, als Hélias in eine polizeiliche Ermittlung wegen sexueller Gewalt eingebunden wird. Dabei arbeitet er eng mit Nora zusammen, der entschlossenen rechten Hand der Fragrancia-Gründerin. Ihre Verbindung zur Polizei und ihr aktiver Einsatz bei der Aufklärung des Falls bringen die dringend benötigte Dynamik und die Thriller-Elemente in die Geschichte. Moralische Fragen rund um den Einsatz der Erinnerungstechnologie stehen dabei zunehmend im Mittelpunkt.
Trotz der gelungenen Umsetzung bleiben einige Fragen offen. Besonders die wirtschaftliche Logik hinter Fragrancia wirkt für mich nicht ganz schlüssig. Wie kann sich ein Unternehmen mit so aufwendiger Technologie und wissenschaftlicher Infrastruktur über Sitzungen finanzieren, die nur 200 Euro kosten? Wenn gleichzeitig Zweigstellen geschlossen werden und nur wenige Olfakteure zur Verfügung stehen, wirkt das Geschäftsmodell wenig tragfähig.
Besonders gefallen hat mir die Entwicklung von Hélias: Vom schüchternen Assistenten zum Schlüsselspieler in einem gefährlichen Spiel. Seine emotionale Reise ist glaubwürdig und bewegend.
Die Sprache des Romans ist flüssig und atmosphärisch dicht. Man meint beim Lesen, die beschriebenen Düfte förmlich riechen zu können.
Insgesamt ist Der Duft ein literarisches Experiment mit Tiefgang, das durch seine originelle Idee und sensorische Sprache überzeugt. Wer sich für die Verbindung von Wissenschaft, Erinnerung und Ethik interessiert, findet hier ein ungewöhnliches und nachdenklich stimmendes Leseerlebnis.