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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 19.11.2022

Die ergreifende Geschichte eines suchtkranken Superstars: von seelischen Abgründen am Rande der Hollywoodtraumindustrie

Friends, Lovers and the Big Terrible Thing
2

Matthew Perry hat als Chandler Bing in der US-amerikanischen Serie „Friends“, die von 1994 bis 2004 produziert wurde, mit seinem Witz und Esprit ein Millionenpublikum begeistert, und damals auch meine ...

Matthew Perry hat als Chandler Bing in der US-amerikanischen Serie „Friends“, die von 1994 bis 2004 produziert wurde, mit seinem Witz und Esprit ein Millionenpublikum begeistert, und damals auch meine Abende um einige Wohlfühlmomente verschönert. Nach der Friends-Reunion 2021 kam nun (2022) seine Autobiografie „Matthew Perry – Friends, Lovers and the Big Terrible Thing“ bei Bastei Lübbe heraus. Das Buch zeichnet ein faszinierendes Porträt von dem Schauspieler und dreht sich vor allem um seine Alkohol- und Tablettensucht, und um seinen Umgang damit.

Matthew Perry besitzt einen sehr angenehmen Schreibstil – er hat diesen trockenen englischen Humor, der an Sarkasmus grenzt. Selbst über die schlimmsten Sachen noch einen Witz zu reißen war von Kind an seine Überlebensstrategie. Als der Vater die Familie verließ, übernahm Matty, wie seine Freunde ihn nennen, die Verantwortung für seine Mutter. Er lernte, dass er sie mit Witzen aufmuntern konnte, und, dass lustig sein mit Liebe belohnt wird. Genau diese Strategie, die irgendwann zu einem Teil seiner Persönlichkeit wird, ist es, mit der er später die Rolle des Chandlers in Friends füllt. Das Buch dreht sich allerdings weniger um die Serie und wie es mit seinen Kollegen am Set lief, sondern es geht vor allem um das „Big terrible Thing“, Matthew Perrys Alkohol- und Tablettensucht. Er zeigt, wie die Krankheit seine Beziehungen prägt, seien es Liebesbeziehungen oder Freundschaften. Die Mit-Ursachen für die Krankheit findet er in seinen frühesten Bindungen. Schon der Großvater hatte Alkoholprobleme und Matthew Perry wurde bereits als Säugling – er war ein Schreikind – mit Medikamenten ruhiggestellt.

Das Buch beginnt hochdramatisch mit einem Nahtoderlebnis. Im weiteren Verlauf wird in elf Kapiteln mit je einem „Intermezzo“ Matthew Perrys Lebensgeschichte, beginnend mit dem Kennenlernen seiner Eltern und endend als er 53 Jahre alt ist, dargestellt. Die „Intermezzo“ könnten als Exkurse gesehen werden, wären jedoch nicht notwendig gewesen, denn der Großteil des Buchs scheint ohnehin nicht streng chronologisch strukturiert. Sollte es einen roten Faden gegeben haben, ist mir dieser zumindest ab der Mitte des Buches verborgen geblieben. Matthew Perry hüpft wild zwischen Ereignissen, Beziehungen, Filmdrehs, Aufenthalten in Entzugskliniken, Zeiten der Produktivität und des Clean- beziehungsweise Trockenseins und Rückfällen hin und her. Manche Ereignisse werden mehrfach erzählt und ab einem gewissen Punkt wiederholen sich die Inhalte (Film drehen – Beziehungen eingehen und beenden – Entzug durchmachen – rückfällig werden etc.). Ein Orientierungspunkt ist das Jahr, in dem er die Rolle des Chandler Bing bei Friends bekommt, dies ist ein großer Wendepunkt in seinem Leben. Ich habe die Sprünge und Wiederholungen nicht als sehr störend empfunden, sie machen das Buch eher noch authentischer, denn sie passen zu seinem Krankheitsbild. Was Matthew Perry schreibt, und vor allem, wie er das tut, ist so packend, bedrückend, so offen und ehrlich, dass man Dinge gerne mehrmals liest, Hauptsache das Buch endet noch nicht.

Matthew Perry lässt den Leser nah an sich heran, so nah, wie ich es für Autobiografien berühmter Persönlichkeiten nicht unbedingt kenne. Man lernt einen Mann kennen, vor dem man den Hut zieht, nicht nur, weil er tapfer so viel durchgestanden hat, sondern auch, weil er so mutig ist, sich so darzustellen, wie er ist. Er beschönigt seine Schwierigkeiten Bindungen einzugehen nicht, er gesteht Irrtümer und Eitelkeiten. Er lässt den Leser und die Leserin bis in die tiefsten Schwärzen seiner Seele sehen – und in die seiner Eltern. Man glaubt, den wahren Menschen Matthew Perry zu spüren, den, der zur oberen Liga von Hollywood gehört, millionenschwer ist und so leichtherzig Häuser kauft, wie andere Menschen nicht einmal Schuhe - und dabei innerlich so zerrissen, einsam und seine Seele so fragil ist. Einer, der sich selbst als „egoistisches, faules Arschloch“ (E-Book Position 3587) und wenig später als guten Menschen (Position 3631) bezeichnet. Einer, der sein Leben lang versucht, eine innere Leere zu füllen, die offensichtlich nicht füllbar ist, der durch die Hölle ging (beziehungsweise durch 65 Entzüge, zumindest zum Zeitpunkt des fünften Kapitels) und doch niemals aufgegeben hat. Das Buch ist das berührende und schonungslos ehrliche Zeugnis eines Mannes, der in einer prekären Familiensituation aufwuchs, der glaubte seine seelischen Wunden mit beruflichem Erfolg, Ruhm und finanziellem Reichtum schließen zu können und herausfinden musste, dass dies nicht möglich ist. Es ist auch ein gesellschaftskritischer Roman, der zeigt, wie erbarmungslos die Hollywoodfabrik mit ihren Stars umgeht. Über Matthew Perrys Alkohol- und Tablettensucht wird am Set großzügig hinweggesehen, solange er noch einigermaßen funktioniert. Selbst seine Kollegen von Friends, die er als Freunde sieht, fragen ihn erst sehr spät, was los ist. Es scheint ganz so, wie Matthew Perry es von Kind an gewöhnt ist: „Jeder kämpft für sich allein“ (Position 3291). Dabei zeigt Matthew Perry, wie wichtig es für ihn war, dass jemand sich einmischte, denn erst nachdem jemand, meistens seine aktuelle Freundin, Klartext mit ihm sprach, gestand er sich in mehreren gefährlichen Situationen die Wahrheit ein und handelte.

Das Buch ist hoch spannend zu lesen und wirft viele Fragen auf – ganz sicher bei jedem Leser und jeder Leserin andere. Ich frage mich nach wie vor, wie ein Hilfsangebot aussehen könnte, das Menschen, die an Süchten leiden bestmöglich begleitet. Suchtkliniken sind, so Matthew Perry, keine hilfreichen Einrichtungen.

Das Buch hat insofern auf mich einen ernüchternden Nachgeschmack gehabt, denn meiner Meinung nach gibt es letztlich für Matthew Perry kein Happy End. Alkoholiker ist man bis ins Grab, so seine nüchterne Erkenntnis ungefähr in der Mitte des Buchs. Zum Ende hin wird sein Tonfall versöhnlicher, gelassener, er hat durch Therapien und beharrliches Weitermachen lebensverändernde Erfahrungen gemacht, Lösungsansätze für sich gefunden, wichtige Einsichten gewonnen, hat sich verändert und weiterentwickelt. Aber abstinent zu bleiben, wird nach meinem Eindruck auch in Zukunft ein Kampf für ihn bleiben. Jeden Tag muss er sich erneut aktiv gegen den Alkohol entscheiden.

Matthew Perrys Lebensweg hat mich beeindruckt, und, mehr noch, hat mir die Art, wie er seine Symptome und den Umgang damit beschreibt, geholfen, als Nicht-Alkoholiker ansatzweise eine Ahnung davon zu bekommen, wie es sein muss. Zudem bin ich nun bestens über die Bandbreite, Wirkungsweise und Auswirkungen von Rausch- und Betäubungsmitteln informiert.

Weniger würde ich Matthew Perrys Autobiografie den Fans von Friends empfehlen, die vor allem an seinem Mitwirken an der Serie, oder dieser an sich interessiert sind. Wer aber wissen will, wie Matthew Perry tickt und etwas über Tabletten- und Alkoholsucht erfahren möchte, sollte unbedingt dieses Buch lesen. Es könnte auch für die interessant sein, die selbst ähnliche Probleme haben oder für deren Angehörige. Wobei ich mir vorstellen könnte, dass es manche, die an Tabletten- oder/und Alkoholsucht erkrankt, auf dem Weg dahin oder davon weg sind, triggern könnte. Auch wenn sich sicher niemand ein Nahtoderlebnis wünscht, könnten dennoch die Beschreibungen der zunächst einmal ja positiven Wirkung von Alkohol als soziales Schmiermittel und die beruhigende oder leistungssteigernde Wirkungen von Barbituraten oder Tranquilizern zum Versuch oder erneutem Konsum anregen.

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Veröffentlicht am 12.11.2022

Weihnachtliche Liebeskomödie mit Irland-Flair

Maybe this year - Dieser eine Tag im Winter
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VORSICHT SPOILER in der Bewertung

„Maybe this year – dieser eine Tag im Winter“, handelt von der zweiunddreißig-jährigen Norah, Gesangslehrerin an einer Mädchenschule und ehemalige Jazz-Musikerin, die ...

VORSICHT SPOILER in der Bewertung

„Maybe this year – dieser eine Tag im Winter“, handelt von der zweiunddreißig-jährigen Norah, Gesangslehrerin an einer Mädchenschule und ehemalige Jazz-Musikerin, die vor zehn Jahren im Italienurlaub den Ausnahme-Musiker Andrew kennenlernte und eine Urlaubsromanze mit ihm erlebt hat. Die Liebe der beiden hielt später den unterschiedlichen Lebensweisen und der großen räumlichen Entfernung nicht stand. Während Norah in London lebt und arbeitet, verfolgt Andrew seine Musikerkarriere zunächst am Juilliard in New York, später in Berlin. In der magischen Woche, als sie sich kennenlernten, hatten sie verabredet, sich 2019 in Dublin im Bewley’s Café auf der Grafton Street zu treffen, sollten sie sich aus den Augen verlieren. Andrew feiert dort jedes Jahr Weihnachten mit seiner Familie, Norah hat verschüttete Verwandtschaft dort, zu der kein Kontakt bestand. Im Jahr 2019 ist Norah tatsächlich Single, hat Andrew alles andere als vergessen und hofft, dass es ihm geht wie ihr, und dass er sich an das Versprechen erinnert. Also bricht sie, zusammen mit ihrem besten Freund Joe nach Dublin auf. Die Autorin Emily Bell ist in Dublin aufgewachsen, lebt heute in London und arbeitete bereits als Tour Guide und Pubsängerin – beste Voraussetzung also, um diesen Roman zu schreiben.
Vorwarnung: Die Rezension enthält Spoiler.

Meine Meinung
Die Idee, dass zwei Menschen, die sich im Urlaub kennen- und lieben lernen, sich für zehn Jahre später in Dublin verabreden, weil sie befürchten, dass ihre Liebe im Alltag keinen Bestand hat, und zehn Jahre später tatsächlich vor der Frage stehen, ob der andere sich erinnert, und zum Treffpunkt kommt, könnte romantischer nicht sein und hat mich fasziniert. Sicher ist die Grundidee nicht ganz neu, man denke, was Film-Klassiker angeht an „Die große Liebe meines Lebens“ oder „Schlaflos in Seattle“. Ich finde, dass der Stoff immer wieder spannend und herzerwärmend ist, und nicht oft genug aufgegriffen werden kann. Nicht nur die Idee, auch Cover und Leseprobe hatten mich verzaubert, und die Erwartungen waren dementsprechend hoch.
Das Buch beginnt tatsächlich rasant. Als Norah ausgerechnet kurz vor Weihnachten in einem rappelvollen Kaufhaus einen Anruf von ihrer esoterisch-abgehobenen und emotional unterkühlten Mutter bekommt, war ich sofort bei ihr. Voller himmlischer Details wird der Roman stimmungsvoll eingeleitet, man ist sofort mitten drin. Beispielsweise hätte ich die Zitronenplätzchen für Mutter bei Chormusik und Duft nach Tee und Lebkuchen im Londoner Einkaufsparadies Fortnum und Mason am liebsten selbst schnell ins Regal zurückgestellt und wäre der Weihnachstvorhölle entkommen. Als Norah dann von ihrer Mutter für Weihnachten versetzt, und klar wird, dass sie nun frei ist, sich aufzumachen, ihren nach wie vor starken Gefühlen für Andrew auf den Grund zu gehen, indem sie ihrer Verabredung nachkommt, ist der Buchstart perfekt. Aber, um es vorwegzunehmen: So stark wie das Buch beginnt, mit Wortwitz im Sekundentakt, bleibt es nicht. Nachdem man sich über den fulminanten Einstieg gefreut hat und ungeduldig darauf wartet, dass Norah sich nach Dublin begibt, um ihren Andrew dort zu treffen, gibt es zunächst etwas langatmige Erzählungen über Norahs Leben in London, die meines Erachtens nach nichts zur Geschichte beitragen. Dann wird Norahs bester Freund Joe vorgestellt. Ihre Beziehung wird als warmherzig beschrieben, da sind zwei, die auf einer Wellenlänge liegen und die nicht nur eine gemeinsame Geschichte, sondern auch tiefe Gefühle füreinander haben. Zwar glaubt Norah bis kurz vor Schluss noch, dass es rein freundschaftliche Gefühle seien, aber dem Leser ist Joes künftige Rolle sofort klar. Bereits im zweiten Kapitel wird so die Spannung herausgenommen. Man fiebert nicht mehr so sehr mit Norah mit, ob sie und Andrew sich wirklich treffen und ob sie am Ende zusammenkommen werden oder nicht. Zwar beschreibt Emily Bell sehr einfühlsam und unterhaltsam in zwei Rückblenden, wie Andrew und Norah sich im Urlaub kennengelernt haben, wie besonders diese Begegnung war und wie verliebt besonders Norah war. Aber schon in der nächsten Rückblende, und dann in allen weiteren, wird Andrew als wenig liebenswert, als nur von der Karriere besessen und gar nicht an Norah interessiert – kurz als absolut ungeeigneter Partner für Norah beschrieben. Insofern wünscht man sich fast, dass er später nicht zum Treffpunkt erscheint. Die Reise nach Irland wird damit belanglos und das Ende des Romans zeichnet sich von Anfang an sehr eindeutig ab. Der Rest Unsicherheit diesbezüglich reicht meines Erachtens nicht, um diese Mikrospannung zu erzeugen, die den Leser durch ein Buch fliegen lässt. Was den Spannungsbogen anging, gab es also im Mittelteil keinen Höhenflug und kein Herzklopfen, eher Tiefenentspannung, aber ich habe mich gut unterhalten gefühlt, weil das Buch insgesamt schön geschrieben ist, und mit vielen originellen Ideen und klugen Lebensweisen aufgepeppt wurde.
Zum Ende hin nimmt die Geschichte wieder an Tempo auf und es gibt doch noch ein paar unerwartete Wendungen. Um aber nicht komplett zu spoilern, werden diese hier nicht näher ausgeführt.
Mein Fazit ist, dass ich das Buch allen Liebhabern romantischer Liebeskomödien empfehle, denen Spannung nicht ganz so wichtig ist und die gerne nach Irland reisen, denn die Beschreibung dieser faszinierenden Stadt kommt nicht zu kurz.




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Veröffentlicht am 16.10.2022

Ein bewegender Roman über eine verbotene Liebe im Grauen des Zweiten Weltkriegs

Élises Geheimnis
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Ruth Druart selbst schreibt, wie wichtig es ist, die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg aufrechtzuerhalten, damit so etwas nicht noch einmal passiert. „Élises Geheimnis“ trägt ganz sicher dazu bei.
Zunächst ...

Ruth Druart selbst schreibt, wie wichtig es ist, die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg aufrechtzuerhalten, damit so etwas nicht noch einmal passiert. „Élises Geheimnis“ trägt ganz sicher dazu bei.
Zunächst kurz zum Inhalt:
Alles beginnt damit, dass Élise, Mutter von Joséphine und Überlebende des Zweiten Weltkriegs, ihrer Tochter im Jahr 1963 endlich ein Geheimnis anvertrauen möchte, dass sie schon viel zu lange für sich behalten musste. Doch dann findet Joséphine, als sie ihre Geburtsurkunde für einen Schulausflug sucht, es selbst heraus. Ihr Vater, den sie für einen gefallenen französischen Soldaten hielt, war kein Franzose, sondern Deutscher – der Feind. Hals über Kopf flieht Joséphine aus dem Haus in der Bretagne, in dem sie mit ihrer Mutter lebt, zu ihrer Tante, Élises Schwester Isabelle, nach Paris. Von Isabelle erfährt Joséphine mehr über die Umstände, unter denen Élise ihre große Liebe, Sebastian, kennenlernte und verlor. Die Geschichte beginnt 1944 in Paris und endet mit Joséphines Geburt in der Bretagne im April 1945.
Der Roman spielt also auf zwei Zeitebenen. „Heute“, also im Jahr 1963 wird aus Élises und Joséphines Perspektive berichtet. Über den Zeitraum von 1944 bis 1945 berichtet Isabelle. Sie erzählt Joséphine, was damals geschah und zu der heutigen Situation geführt hat. In diesem Zeitraum kommen in personaler Erzählweise zudem sowohl Élise als auch Sebastian zu Wort.

Meine Meinung
Ich bin bekennende Leserin von Wohlfühlromanen, weshalb ich Respekt vor der Lektüre dieses Buchs hatte. Letztlich hat mich vor allem der unaufgeregte und schnörkellose Schreibstil von Ruth Druart, der den Leser und die Leserin vom ersten bis zum letzten Buchstaben in der Geschichte hält, überzeugt, meine Komfortzone zu verlassen. Ebenso zeichnen den Roman eine Tiefe und Ernsthaftigkeit aus, die es unmöglich machen, das Buch wegzulegen. Es ist, als wäre man mit der ersten Zeile in die Tiefen des Ozeans getaucht und wieder aufzutauchen, bevor die Sauerstofffalsche leer ist, kommt einem gar nicht in den Sinn. Auch wenn man Dinge sieht, die man eigentlich so lieber nicht gesehen hätte. An zwei Stellen werden, meines Erachtens nach, zu grausame Szenen geschildert. Auch wenn es wichtig sein mag aufzuzeigen, wie brutal die NS vorging, und der Leser oder die Leserin mit solchen Szenen rechnet, wären diese Szenen meines Erachtens nach nicht unbedingt notwendig gewesen. Der Roman ist auch ohne die explizite Nennung der Gräueltaten, wie von Ruth Druart versprochen, ein schockierendes Zeugnis des Zweiten Weltkriegs.
Eindrücklich schildert Ruth Druart den Kriegsalltag, was teilweise, ob des Ausnahmezustands in dem die Welt sich damals befand, skurril wirkt. Die ganze Stadt hungert. Nicht weit vom Wohnhaus entfernt werden Menschen auf grausamste Weise gefoltert, und doch verlieben sich Menschen, gehen abends feiern und freuen sich unbändig über ein Stück Schokolade.
Der Leser oder die Leserin erlebt die Kriegszeiten hautnah, die Brutalität, die Verzweiflung, die Unmöglichkeit sich zwischen den Fronten zu positionieren. Es wird aber auch gezeigt, dass es letztlich niemals nur Schwarz und Weiß gibt, auch im Krieg nicht. Dass selbst in den dunkelsten Zeiten, in denen grausamste Verbrechen begangen werden, immer auch irgendwo Widerstand, Mut und Klarheit wachsen und dass sogar Schönes entstehen kann. Das zeichnet für mich die Geschichte aus: obwohl ungeschönt die schlimmsten Gräueltaten dargestellt und die Abgründe der menschlichen Seele offenbart werden, hört die Geschichte nie auf gleichzeitig mit Hoffnung getränkt zu sein.
Die Figuren sind authentisch dargestellt. Ich habe während des Kriegs Élise bewundert, die Kinder aus einem Waisenhaus schmuggelte, und mit ihr gelitten, als sie unter so schrecklichen Umständen nach Kriegsende Joséphine zur Welt bringen musste. Vor allem Sebastian, der Soldat, den Élise liebt und der Joséphines Vater ist, wird als dreidimensionaler Charakter dargestellt. Ein Mann, der – verletzlich, gutherzig, klug und reflektiert – zur falschen Zeit im falschen Land mit der falschen Nationalität gelandet ist. Man fühlt mit ihm, als er für Élise zunächst nur der Feind ist, der Mann, der all das Leid verursacht. Und doch beginnt Élise nach und nach zu verstehen, dass Sebastian letztlich in erster Instanz Mensch ist. Ein Mann, dabei noch halb Franzose, mit Gefühlen, Sehnsüchten und Zweifeln. Wie die beiden sich ineinander verlieben, ist sehr herzerwärmend und klug dargestellt.

Abschließend bleibt in Bezug auf Layout und Inhalt festzuhalten, dass das Cover, das mir sehr gut gefiel, im Verlauf des Buches an mehreren Stellen aufgegriffen wird. Was die Struktur angeht, sind die Kapitel nicht nur logisch aufeinander aufgebaut und der Leser oder die Leserin kann sich zu jeder Minute orientieren, durch den Wechsel der Perspektiven hat der Leser oder die Leserin auch einen in sich geschlossenen Rundumblick.

Die Spannung, unter der der Leser oder die Leserin besonders vom Mittel- bis zum Endteil steht, ist gerade noch auszuhalten. Die überraschenden Wenden, die an mehreren Stellen zu finden sind, erhöhen den Nervenkitzel zusätzlich.

Fazit
„Élises Geheimnis“ ist die bewegende Geschichte über eine Liebe, die während des Zweiten Weltkrieges zwischen die deutschen und französischen Fronten geriet. Ich würde den Roman allen empfehlen, die sich für die Thematik des Dritten Reichs interessieren, aber auch denen, die ein spannendes Buch mit dreidimensionalen Charakteren suchen. Der Leser oder die Leserin sollte jedoch nervenstark sein und Dramatik aushalten können. Ruth Druart schreibt allerdings so wunderschön, mit so viel Herzblut und mit solcher Tiefe und Eindringlichkeit, dass man sogar als bekennender Wohlfühlromanleser das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen möchte. Mehr noch wird man zum Nachdenken angeregt. „Élises Geheimnis“ ist ein Roman mit Nachhall, und ich hoffe, dass der Hall weit trägt, denn ich gebe Ruth Stuart recht: es ist wichtig über Geschichte zu schreiben, über das was passiert ist und sich nicht wiederholen sollte. Und es ist wichtig, über solche Bücher zu sprechen, so wie wir es hier in der Lesejury tun.

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Veröffentlicht am 15.10.2022

Bewegender Roman über Liebe, Verlust und die Schönheit des Lebens

Wir und jetzt für immer
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Marie arbeitet im Supermarkt, backt gerne und lebt in dem Haus, in dem ihre vor zwei Jahren verstorbene Großmutter sie großgezogen hat. Seit diesem Zeitpunkt hat sie sich sehr aus dem Leben zurückgezogen. ...

Marie arbeitet im Supermarkt, backt gerne und lebt in dem Haus, in dem ihre vor zwei Jahren verstorbene Großmutter sie großgezogen hat. Seit diesem Zeitpunkt hat sie sich sehr aus dem Leben zurückgezogen.
Nachdem sie ihre Arbeit verliert, und ihr Vermieter auch noch Nachzahlungen von ihr fordert, befürchtet sie das Haus nicht halten zu können. Ihr Vermieter Herr Gruber, den sie umgehend aufsucht, schlägt ihr einen Deal vor: Sie geht ihm in seinem Bestattungsinstitut zur Hand, welches gerade nicht sehr gut läuft und er gestaltet die Frist für die Rückzahlung großzügig. Marie beginnt also in dem Bestattungsinstitut zu arbeiten, sie soll sich um die Buchhaltung und die störrische, aber dennoch liebenswerte Tante von Herrn Gruber, Irmie Edel, kümmern.
Wenig später lernt sie Ben kennen. Nach dem Motto „Jeder Tag könnte der letzte sein“, lebt er auf der Überholspur und dokumentiert seine teils waghalsigen Aktionen – wie Mountainbiketouren auf unwegsamen Gelände, Wakeboarden oder Fallschirmspringen – auf dem beliebten V-Log „Mein bester letzter Tag“. Wie sich herausstellt hat seine Adrenalinsucht mit den Hintergrund, dass er einen Hirntumor diagnostiziert bekam, und glaubt, bald sterben zu müssen.
Ben und Marie beginnen Zeit miteinander zu verbringen. Während Ben durch Marie lernt, dass leben nicht nur Geschwindigkeit und Abenteuer bedeutet, beginnt Marie sich wieder mehr dem Leben zu öffnen. Alles wäre wundervoll, wäre da nur nicht Bens Krankheit … Vorsicht, SPOILER in der jetzt folgenden Meinung.

Meine Meinung
„Wir und jetzt für immer“ macht seinem Titel, der einfallsreich, spritzig und originell ist, alle Ehre. Ich habe das Buch binnen kürzester Zeit verschlungen. Katrin Lankers schreibt auf einfühlsame, humorvolle Art und vollbringt so die Meisterleistung schwere Themen wie Trauer, Tod, Verlust und Krankheit leicht aufzubereiten.
Die Charaktere, insbesondere die Hauptprotagonistin, Marie, sind gut ausgearbeitet und sehr lebendig und authentisch dargestellt. Marie habe ich als junge Frau erlebt, die gerne anderen Menschen hilft, und daraus etwas für sich selbst zu ziehen vermag. Sie hätte leicht als Gutmensch überzeichnet werden können: Welcher junge Mensch backt schon regelmäßig für einen Seniorentreff? Aber das passiert nicht, weil man ihr so nah kommt, dadurch, dass sie gleichzeitig als verletzte Seele und manchmal auch als ein bisschen naiv – eben als Mensch aus Fleisch und Blut mit Stärken und Schwächen – dargestellt wird. Ich habe mit Marie gefühlt, habe mir ihr gezittert, geweint, gelacht, und mich mit ihr gefreut, als sie erste Schritte in Richtung Aufarbeitung des Verlusts der Großmutter und Rückkehr ins Leben unternahm. Ben wirkte auf mich zunächst etwas oberflächlich und ich habe mich gefragt, wie zwei, die so unterschiedlich mit ihrem schweren Schicksal umgehen, eine gemeinsame Basis finden sollen. Aber das gibt sich später, wenn seine Geschichte erzählt wird.
Obwohl vorhersehbar ist, dass Marie und Ben sich ineinander verlieben würden, habe ich mich beim Lesen keine Nanosekunde gelangweilt. Der Roman wies einige spannende Wendungen auf, wie beispielsweise, als sich herausstellt, dass Bens Hirntumor operabel ist oder als Marie, am absoluten Tiefpunkt angelangt, sich Hilfe in Form ihrer alten Freundin Sibel holt, zu der der Kontakt abgebrochen war. Überhaupt hat Katrin Lankers die Entwicklung, die die Protagonistin im Laufe des Romans durchmacht sehr einfühlsam und eindrücklich dargestellt.
Die Geschichte ist mit viele Liebe zum Detail ausgearbeitet. Obwohl ich selbst nicht backe, hätte ich Maries Torten und Süßspeisen sofort probiert und die Namen der Kochshows, die sie sah, um sich abzulenken, haben für viel Schmunzeln gesorgt.
Auch mochte ich die Symboliken, die sich durch das Buch zogen, beispielsweise ein Band, das Ben auf Reisen in Tibet auf einem Markt gekauft hat und das ihn mit dem Menschen verbinden sollte, der ihm vorbestimmt sei.
Die Idee, dass eine junge Frau, die sich sozial zurückgezogen hat, auf einen Mann trifft, der, um mit seinem Schicksal umgehen zu können, zum Adrenalinjunkie bis zum Exzess wird, und dass beide voneinander lernen, fand ich wunderschön und sehr gut ausgearbeitet. Unter Maries Talent hätte ich mir allerdings etwas anderes vorgestellt. Sie ist für mich einfach ein Mensch, der sich gerne für andere einsetzt, der selbst etwas draus zieht, anderen zu helfen, und dieser Wesenszug erleichtert ihr die Arbeit im Bestattungsinstitut, wo sie nach und nach neue Aufgaben innehat und gemeinsam mit Irmie Edel Beerdigungsformate entwickelt, die den Wünschen und Bedürfnissen der Angehörigen auf eine individuelle, statt althergebrachte Art gerecht werden. Zwar nennt Herr Gruber es „Gabe“, was Marie kann, aber für mich war es weniger eine spezielle Gabe, als ein Wesenszug, der Ausdruck in ausgefallenen Torten und kreativen Gestaltungsideen für Trauerfeiern fand.

Fazit
„Wir und jetzt für immer“ ist für mich trotz der schweren Themen der perfekte Sommerroman für die Ferien, denn er besticht durch viel Gefühl, originelle Ideen und Humor. Dabei überzeugt er ebenso durch Tiefgang und regt zum Nachdenken an. Ich habe jede einzelne Zeile genossen und werde auch weiter Ausschau nach Katrin-Lankers-Romanen halten.

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Veröffentlicht am 15.10.2022

Auszeit vom Alltag im kleinen Buchcafé an der Isar

Das kleine Buchcafé an der Isar
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Marlene, Tochter einer sehr erfolgreichen und etwas herzenskalten Professorin der Germanistik, kommt, nachdem sie promoviert hat, nicht richtig im Leben an. Sie bewirbt sich auf viele Stellen, die den ...

Marlene, Tochter einer sehr erfolgreichen und etwas herzenskalten Professorin der Germanistik, kommt, nachdem sie promoviert hat, nicht richtig im Leben an. Sie bewirbt sich auf viele Stellen, die den hohen Anforderungen ihrer Mutter genügen würden, aber sie wird nirgendwo genommen. Dann entdeckt sie inmitten einer Postfiliale in ihrer Nachbarschaft einen Buchladen, wo eine Verkäuferin gesucht wird. Kurzentschlossen bewirbt sie sich, obwohl die Stelle so überhaupt nicht das ist, was sie sich vorgestellt hatte. Zwar liebt sie Bücher, aber ihre Mutter hätte sich für sie eher eine wissenschaftliche Karriere gewünscht.
Nach und nach findet Marlene Gefallen an ihrem neuen Job. Sie bringt Schwung in das in die Tage gekommene Buchcafé, gründet eine Schreibwerkstatt und findet im Verlauf des Romans ihren ganz eigenen Weg.
Unter den Schreibbegeisterten der Schreibwerkstatt ist auch die nach einem Unfall im Rollstuhl sitzende, siebzehnjährige Amelie. Als Marlene ihren attraktiven Bruder Johannes kennenlernt, ahnt man als Leser bereits, wo dies hinführen könnte. Johannes und Marlene lernen sich durch Amelies tatkräftige Unterstützung nach und nach besser kennen. Marlene verliebt sich, allerdings hat Johannes nicht nur bereits eine Freundin, es gibt auch ein unverarbeitetes Trauma, das ihm zu schaffen macht und das mit dem Unfall seiner Schwester zusammenhängt. Wie die Geschichte um Marlene, Amelie und Johannes weiter- und aus geht soll hier nicht verraten werden. Da jedoch weiter unten ein Hinweis auf den Ausgang der Geschichte gegeben wird, warne ich an dieser Stelle dennoch vor dem unten folgenden SPOILER.

Meine Meinung
Als ich das Cover des "Kleinen Buchcafés an der Isar" gesehen habe, war ich sofort hin und weg und wäre am liebsten reingesprungen. Auch die Leseprobe des Romans hat mich gefesselt und ich wollte immer weiterlesen. Doch am besten war natürlich der Roman selbst. Die Mischung aus Liebes- und Entwicklungsroman ist sehr gelungen, der Schreibstil von Emilie Thomas ist wunderbar unaufgeregt und flüssig.

Die Autorin schafft es, eine Atmosphäre zu kreieren, die zum Verweilen und sich Wohlfühlen einlädt. Man wird mit in das Savoir Vivre der Münchener Gipfel-WG genommen, die aus Marlene und ihrer Freundin Canan besteht, und zu deren größeren Kreis natürlich noch mehr Freunde gehören. Es gibt Kochabende, Picknicke am Flaucher und gemeinsame Feiern im Old Irish. Der Roman "atmet München": Ob das Kapuzinerviertel beschrieben wird, oder Marlene die Eisbachwelle passiert und den Englischen Garten hinter sich lässt, man befindet sich als Leser hautnah dabei.

Die Geschichte der jungen Frau, die darum kämpft, in ihrem Leben anzukommen, hat mich auch deshalb so sehr berührt, weil Marlene so sympathisch und mir dadurch nah ist. Sie ist hilfsbereit – bringt beispielsweise der Obdachlosen Gerti Kaffee und Kekse und rettet sie später sogar. Marlene nimmt ihr Leben aktiv in die Hand. Auch wenn sie zunächst in die völlig falsche Richtung rennt, bewundert man ihren Tatendrang und möchte viel Zeit mit dieser netten, interessanten Person verbringen, die sich nicht nur durch Stärken auszeichnet, sondern auch mit Schwächen zu kämpfen hat. Sie ist oft sehr unsicher, was mich sofort noch mehr mit ihr verbunden hat. Wer kennt das nagende Gefühl nicht, zu glauben, man sei nicht gut genug, weil es die Mutter, Eltern oder die Gesellschaft so sagen? Dabei zählen doch im Leben nicht die Höhe des Gehalts oder das Prestige des Jobs, sondern dass man glücklich ist. Das zumindest lernt Marlene, die sich zu Beginn des Buchs noch sehr bemüht der Mutter zu gefallen, und am Ende zu sich und dem Beruf gefunden hat, der wirklich zu ihr passt.

Die Liebesgeschichte zwischen Marlene und Johannes beginnt lustig, geht temporeich weiter und hat mich in einem angenehmen Spannungszustand gehalten. Besonders schön fand ich hier, wie Marlene sich nicht davon abbringen lässt, tiefer zu schauen, als es gesellschaftlich angebracht scheint. Das ist für Johannes, der wegen des Traumas nur oberflächliche Bindung zulassen kann, schwer. Aber Marlene lässt sich nicht beirren, sie fühlt tief, schaut weiter hin und hinterfragt, wo andere wegsehen und behält mit dieser Philosophie am Ende recht.

Abschließend ist der Roman für mich perfekt gelungen, und zeichnet sich durch einen tollen Schreibstil aus, durch eine Atmosphäre, die den Leser den eigenen Alltag vergessen und in den Roman abtauchen lässt, durch authentisch und lebendig dargestellte Figuren, angenehmes Tempo und zum Nachdenken anregenden Tiefgang.

Fazit


Ich würde dieses Buch unbedingt jedem empfehlen, der gut geschriebene Liebes- und Entwicklungsgeschichten mag, die ans Herz gehen und ernste Themen auf eine kluge und sensible Art behandeln. Das Cover hält, was es verspricht: Das Buch entführt den Leser hinter die Kulissen und am liebsten möchte man nicht mehr daraus auftauchen. Aber der Tag kommt, und dann bleibt einem nichts anderes übrig, als auf das nächste Buch von Emilia Thomas zu warten – oder, wenn noch nicht gelesen, den Vorgängerroman zu lesen.

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