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Veröffentlicht am 05.02.2021

Bruch mit dem Menstruationstabu

Periode ist politisch
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Unauffällig und leise, hinter vorgehaltener Hand frage ich meine Freundinnen, ob sie zufällig eine Binde oder Tampon für mich haben, da ich unerwartet meine Erdbeerwochen bekommen habe . Als mir unter ...

Unauffällig und leise, hinter vorgehaltener Hand frage ich meine Freundinnen, ob sie zufällig eine Binde oder Tampon für mich haben, da ich unerwartet meine Erdbeerwochen bekommen habe . Als mir unter den Tischen entlang, so dass niemand davon Wind bekommt, eine Binde gereicht wird, lasse ich sie blitzschnell in einer meiner hinteren Hosentaschen verschwinden und mache mich auf den Weg zur Toilette. Dort öffne ich die Plastikverpackung der Binde möglichst langsam und vorsichtig, damit das Aufreißen ja keine Geräusche erzeugt und jemand erfährt, was ich hier gerade tue.
Dieselbe oder eine ähnliche Situation haben wahrscheinlich schon viel menstruierende Personen in der Schule, Uni oder am Arbeitsplatz erlebt. Sie verdeutlicht idealtypisch, wie die Menstruation in unsere Gesellschaft tabuisiert wird, und diese Tabus auch uns prägen und beeinflussen.
In ihrem Buch „Periode ist politisch. Ein Manifest gegen das Menstruationstabu“ bricht die Autorin Franka Frei mit diesem Menstruationstabu , räumt mit den Mythen über die Monatsblutung auf und plädiert dafür, über die Periode offen zu sprechen und sie als etwas ganz Normales zu begreifen, das die Hälfte der Menschheit monatlich trifft, das nichts unreines, schmutziges oder etwas ist, das andere krank macht und Unheil bringt. Dabei begreift sie das Menstruationstabu als weltweites Phänomen, spricht mit verschiedenen Menstruationsaktivistinnen in anderen Ländern, z. B. Indien, Pakistan und Bangladesch, und zeigt auf, welche Auswirkungen der weltweite Konsum von Menstruationsprodukten, die nur einmal genutzt werden können, auf andere Länder hat, und wie Religionen, Philosophen, Wissenschaftler:innen und Politik:innen zur Verfestigung und Vertiefung des Menstruationstabus beigetragen haben und beitragen. Neben der Menstruation geht Franka Frei auch auf andere Aspekte ein, die den weiblichen Körper betreffen, wie Unkenntnisse über Zyklus, Lust und Sexualität sowie Vagina und Vulva.
Die 19 Kapitel des Buches sind in jeweils noch in kürzere Abschnitte aufgeteilt und dadurch klar gegliedert. Der Schreibstil ist sehr umgangssprachlich, teilweise humorvoll und einfach gehalten, sodass das Lesen leicht fällt und man nicht über Fachbegriffe stolpert. Freilich birgt der Schreibstil auch die Gefahr zu großer Oberflächlichkeit.
Die Autorin behandelt in dem Buch wichtige Themen, die Einfluss auf alle menstruierenden Menschen haben und geht selber als Tabubrecherin voran. Dabei verfällt sie nicht in eine eurozentrische Perspektive, sondern denkt das Menstruationstabu und die Menstruation auch intersektional und zeigt andere Perspektiven abseits der westlichen Kultur auf, ohne diese im Vergleich abzuwerten, auch wenn sie natürlich das Tabu an sich kritisiert. Durch den Schreibstil und den Humor macht sie das Buch für eine breite Masse von Leser*innen attraktiv, die keine schwerverständliche wissenschaftliche Abhandlung über das Thema lesen wollen. Das Buch ist wirklich interessant und aufschlussreich, die Thesen werden durch Studien oder persönliche Anekdoten untermauert.
Jedoch führt die große Populärwissenschaftlichkeit dazu, dass viele Themen nur in Kürze angerissen werden und ein grober Überblick geliefert wird, wo die Autorin ein Thema tiefer und ausführlicher behandeln hätte müssen. Ferner habe ich starke Probleme mit den Quellenangaben. Es gehört zwar zu populärwissenschaftlichen Büchern dazu, dass meist auf Quellen verzichtet wird, jedoch war es sehr verwirrend, dass das eine Zitat oder die eine Studie zwar durch eine Fußnote gezeichnet sind, die nächsten dann aber schon wieder nicht mehr. Hier hätte ich mir eine einheitliche Kennzeichnung der Quellen gewünscht, für deren Fehlen auch Lektorat und Verlag verantwortlich sind.
Für Menstruierende oder nicht-Menstruierende gibt das Buch einen sehr guten Überblick über die Problematiken, die mit dem Menstruationstabu und allgemein der mangelnden Kommunikation über den weiblichen Körper auftauchen; das Buch führt eindrucksvoll vor Augen, wie das Tabu patriarchale Strukturen weiter stützt. Es eignet sich daher besonders für Einsteiger:innen, die sich bis jetzt noch nicht so stark damit auseinandergesetzt haben. Kennt man sich jedoch schon etwas aus, bietet das Buch leider nicht allzu viel Neues, sondern nur vereinzelte Ergänzungen.

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Veröffentlicht am 05.02.2021

Eine Ausnahmeerscheinung im Krimigenre

Der Malik
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Clan-Kriminalität, Korruption, Geldwäsche, Steuerbetrug, Mord, Drogen und der Kampf um Macht und Einfluss. Mit diesem „bunten Strauß“ der Kriminalität wartet Bernhard Kreutner dem/der Leser:in in seinem ...

Clan-Kriminalität, Korruption, Geldwäsche, Steuerbetrug, Mord, Drogen und der Kampf um Macht und Einfluss. Mit diesem „bunten Strauß“ der Kriminalität wartet Bernhard Kreutner dem/der Leser:in in seinem Roman „Der Malik“ auf.
Die Wiener Sondereinheit, bestehend aus Michael Lenhart und Sabine Preiss, unterstützt durch Anton Steinbach ermittelt im Fall eines Mitarbeiters des österreichischen Finanzministeriums, der auf Malta verschwunden ist und nur einen Zettel mit den Worten „der Malik“ hinterlassen hat. Das Ermittlerduo begibt sich auf die Spur des Maliks und stößt dabei auf ein europaweit operierendes und ausgeklügeltes Verbrechernetz, dessen Oberhaupt auch nicht vor Mord zurückschreckt.
Michael Lenhart und Sabine Preiss sind ein Ermittlerduo, das sich sehen lassen kann. Michael Lenhart, auch Sherlock genannt, ist ein philosophischer Kopf, der mehr auf geistige als auf körperliche Fähigkeiten setzt, und dem es leicht gelingt, das Verhalten anderer zu durchschauen. Er ist durchsetzungsfähig, klug und gerissen und trotz seiner Beziehung zu Sabine, die die beiden geheim halten, bei der Polizei ein Einzelgänger, der aufgrund seines teilweise oberlehrerhaften Verhaltens von seinen Kolleg:innen abgelehnt wird. Er kennt seine Stärken und Schwächen sehr gut und weiß, diese einzusetzen. Sabine und Michael ergänzen sich perfekt. Sie steht ihm in ihrer sprachlichen Gewandtheit und ihren Kenntnissen über Literatur, Philosophie und Geschichte kaum nach, ist klug, kompetent und selbstbewusst und eine überragende Schützin.
Mir hat es sehr gefallen, dass Bernhard Kreutner bei seinen Hauptprotagonist:innen nicht auf das typische Ermittlerduo à la Fred Vargas oder Elizabeth George zurückgreift, sondern völlig andere Eigenschaften und Verhältnisse wie den Verzicht auf Hierarchien in der Sondereinheit nutzt. Dadurch wirken Michael und Sabine auf den ersten Blick zwar allzu perfekt, weil es an persönlichen Entwicklungslinien und Problemen fehlt, doch tut dies dem Krimi keinen Abbruch, da dem/der Leser:al etwas anderes geboten wird, als in jedem 08/15-Krimi. Auch die Art und Weise, wie der Fall aufgelöst wird, macht das Buch im Krimigenre einzigartig. Außerdem verfällt der Autor nicht dem Klischee von Clan- Kriminalität, sondern stellt die Akteure als gebildet, sehr gerissen und wohlhabend dar und verzichtet auch auf schnelle Actionszenen, sondern setzt stattdessen auf gekonnte Ermittlungsarbeit und Intellekt. Durch die philosophischen Dialoge und Monologe wird die Ermittlungsarbeit aufgelockert und die geistige Aktivität der Leser:innen herausgefordert. Teilweise sind die Dialoge aber überladen mit Zitaten und Anspielungen auf historische Persönlichkeiten oder Ereignisse, die den/die Leser*in zu überfordern drohen. Einige Dialoge verstricken sich so tief in gedanklicher Konfusion, sodass es dem/der Leser:in wie Anton Steinbach ergeht, der Inhalt und Aussagen mancher Gespräche nicht mehr wirklich folgen kann. Zum Glück liefert Lenhart meist jedoch noch Erklärungen und Hintergründe zu seinen Zitaten, die etwas Klarheit in das Ganze bringen. Da der Krimi auf das seltene „How catch them?“ Konzept zurückgreift, wobei man schon relativ früh erfährt, wer hinter der Tat steckt, ging für mich etwas die Spannung verloren, auch wenn die Hintergründe der Tat bis zum Schluss im Dunklen liegen. Ich kann den Kriminalroman „Der Malik“ jedem empfehlen, der etwas abseits der Standard-Krimis auf ein klares Konzept und scharfe Charaktere sowie auf interessante Themen nicht verzichten will.

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Veröffentlicht am 26.01.2021

Ein kontrovers diskutierbares aber auch tröstendes Buch über den Glauben und die Hingabe zu Jesus

Jung sterben
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Das Debüt von Henok Worku hat bei mir einen zwiespältigen Eindruck hinterlassen: Das Buch mit knapp 166 Seiten erschien 2021 im SCM Verlag und will den/ die Leserin dazu anregen, seinihr Leben ganz für ...

Das Debüt von Henok Worku hat bei mir einen zwiespältigen Eindruck hinterlassen: Das Buch mit knapp 166 Seiten erschien 2021 im SCM Verlag und will den/ die Leserin dazu anregen, seinihr Leben ganz für Jesus hinzugeben, für ihn und für Gott zu leben sowie durch den Glauben seine*ihre Bestimmung zu finden.
Henok Worku behandelt viele Themen, die Menschen in ihrem Alltag beschäftigen, ob Selbstzweifel, Angst, Ablehnung, Schmerz, Trauer, Abhängigkeit und Träume. Die ultimative Lösung für alles scheint die Hingabe an Jesus zu sein. Dabei spricht der Autor in „Jung sterben“ explizit junge Menschen an, die ihre Berufung noch nicht gefunden haben, aber einen Unterschied in der Welt machen wollen.
Das Buch ist in sieben, relativ kurze Kapitel gegliedert, die jeweils noch reichlich Zwischenüberschriften beinhalten, so dass das ganze Buch klar strukturiert ist, was das Lesen erleichtert. Eingeleitet werden die Kapitel durch persönliche Erlebnisse und Erfahrungen des Autors, den man dadurch man näher kennenlernt und Einblicke in sein Leben und Glauben sowie seine Beziehung zu Gott erhält. Ferne umfasst jedes Kapitel das Porträt einer Personen sowie eine „Challenge“, die man leicht im Alltag umsetzten kann. Für die jeweiligen Themen nutzt der Autor Beispielgeschichten aus der Bibel, die als Orientierung und Motivation dienen können, und integriert zahlreiche Bibelzitate, die etwas mit dem jeweiligen Thema, welches in dem Kapitel behandelt wird, zutun haben und eine biblische Grundlage für das Gesagte liefern. Der Schreibstil ist einfach und klar formuliert. Dadurch lässt sich das Buch leicht und zügig lesen, und man hat Zeit über die Inhalte nachzudenken, ohne sich durch einen schwierigen und ausschweifenden Schreibstil ablenken zu lassen.
Inhaltlich habe ich einige Probleme mit dem Buch, vor allem was einzelne Aussagen angeht. Viele Dinge, die der Autor sagt, kann ich einfach nicht mit meiner Glaubensvorstellung und meiner allgemeinen Meinung in Einklang bringen, und halte sie teilweise sogar für sehr bedenklich: (Bsp. Es bedeutet, Informationen über Sex und Sexualität aus der Bibel zu nehmen und nicht aus dem Biounterricht, aus Teeniezeitschriften, Filmen und dem Internet" (S. 76) ). Die meisten Glaubenshaltungen und -einstellungen widersprechen der Art, wie ich meinen Glauben lebe. Dem gegenüber gibt es auch Aussagen, die ich so voll und ganz unterschreiben würde, da sie motivierend sind, Trost geben und helfen.
Insgesamt lässt sich sagen, dass das Buch die Möglichkeit gibt, seinen eigenen Glauben zu reflektieren, eine neue Perspektive kennen zu lernen. Viele Aussagen lassen sich kontrovers diskutieren, was vielleicht Menschen über ihren Glauben ins Gespräch bringt und Potential zum Austausch bietet. Für Menschen, die eine ähnliche Art zu glauben und seinen Glauben zu leben wie der Autor, ist das Buch bestimmt bereichernd und kann neue Inspiration und Anstoß geben, das Leben für Jesus zu leben.

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Veröffentlicht am 25.01.2021

Ein chronistischer Roman oder die Geschichte eines Aufsteigers

Landnahme
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Der Roman Landnahme von Christoph Hein, welcher im Suhrkamp Verlag erschien, behandelt Themen und Erfahrungen, die wahrscheinlich viele Menschen im Nachkriegsdeutschland erlebt haben. Exemplarisch am Leben ...

Der Roman Landnahme von Christoph Hein, welcher im Suhrkamp Verlag erschien, behandelt Themen und Erfahrungen, die wahrscheinlich viele Menschen im Nachkriegsdeutschland erlebt haben. Exemplarisch am Leben von Bernhard Haber, der aus Breslau stammt, erzählt Christoph Hein die Geschichte von Leben voller Ablehnung, vom Wunsch nach Akzeptanz und Zugehörigkeit.
1950, fünf Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges, kommt Bernhard mit seinen Eltern als Umsiedler in das sächsische Städtchen Guldenberg. Dort stoßen die Vertriebenen, die bei einem Bauern unterkommen, auf Ablehnung, Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit. Über die Jahre und im Verlauf des Romans gelingt es Bernhard Haber, in Guldenberg als Tischler aufzusteigen und gesellschaftliches Ansehen sowie politische Relevanz zu erlangen. Ihm gelingt also die Integration in die neue Heimat und Gemeinde, wodurch er nicht mehr als „minderwertiger“ Umsiedler wahrgenommen wird. Parallel zum persönlichen Leben Bernhards werden auch immer wieder geschichtliche Ereignisse oder Entwicklungen in die Handlung des Romans eingebaut. Dazu zählen Beispielsweise, die Zwangskollektivierung und spätere Verstaatlichung, der Prager Frühling, der Mauerbau sowie die Wiedervereinigung.
Der Roman ist multiperspektivisch aufgebaut und ist aus der Sicht von fünf verschiedenen Erzähler:innen geschrieben, die alle irgendwann in einer Verbindung zu Bernhards Leben standen und jeweils von einem Abschnitt seines Lebens erzählen. Durch die verschiedenen Perspektiven änderte sich auch der Schreib- und Sprachstil in den jeweiligen Abschnitten, doch alle Kapitel waren gut und angenehm lesbar.
Mit den meisten Charakteren konnte ich nicht allzu viel anfangen, da ich nicht wirklich einen persönlichen Bezug zu ihnen herstellen konnte. In Kürze will ich auf die sechs relevanten eingehen:
Thomas Nicolas ist der erste Erzähler im Roman und zeichnet sich durch eine nüchterne Sprache aus. Er ist ein Schulkamerad Bernhards und hält am Anfang nicht sehr viel von ihm, versucht später jedoch, ihn näher kennen zu lernen. Marion Denutz stellt die erste Freundin Bernhards dar, mit der er mehrere Jahre zusammen ist. Nach seinem politischen Engagement im Rahmen der Zwangskollektivierungen trennt sich Marion jedoch von ihm.
Marion würde ich als ein naives Mädchen einschätzen. Sie ist sehr auf ihr Äußeres und die Meinung anderer Menschen bedacht und orientiert sich eher an materiellen Dingen.
Peter Koller ist ebenfalls ein Schulkamerad von Bernhard, lernt ihn jedoch erst nach dem Schulabschluss, als sie gemeinsamen Geschäften nachgehen, näher kennen. Für Geld nimmt er große Risiken auf sich und agiert naiv, legt jedoch auch auf soziale und finanzielle Absicherung einen großen Wert.
Katharina Hollenbach ist die Schwägerin von Bernhard. Sie ist scheinheilig, manipulativ und lechzt nach Aufmerksamkeit. Meiner Meinung nach war sie der unsympathischste Charakter im ganzen Buch.
Der letzte Abschnitt wird aus der Sicht von Sigurd Kitzerow erzählt. Dieser ist ein Freund und Geschäftspartner Bernhards und verhilft ihm maßgeblich zum gesellschaftlichen Aufstieg in Guldenberg.
Bernhard selber war für mich der unnahbarste und undurchschaubarste Charakter des Buches, was logischerweise auch daran liegt, dass sein Leben immer nur aus der Außenperspektive beschrieben wird. Auch wenn einzelne Handlungen von ihm ein paar seiner Charakterzüge erkennen lassen, gelang es mir nicht, ihn als Person richtig zu erfassen und zu kennen. Auch seinen Gefühle für Menschen in seinem Umfeld konnte ich teilweise nur sehr schwer einschätzen.
Die Nutzung so vieler Erzählerperspektiven macht den Roman interessant und einzigartig. Den Einbau der historischen Geschehnisse in der DDR zeigen, dass Hein seinem Anspruch als Chronist gerecht geworden ist und gemeistert hat, aber auch welchen Einfluss politische Entscheidungen auf das Leben einzelner haben kann. Jedoch fand ich das Buch teilweise sehr langatmig und auch der Tod seines Vaters konnte keine Spannung in die Handlung bringen. Viele Charaktere, auch abseits der Erzähler:innen, fand ich unsympathisch und anstrengend. Problematisch fand ich desweiteren die Reproduktion von Rassismus im Kapitel von Peter Koller, auch wenn die Aussagen den Zeitgeist und Mentalität der Menschen in der DDR wiedergespiegelt haben.
Als Schullektüre kann ich das Buch jedoch nur empfehlen, da es Einblicke in das Nachkriegsdeutschland, die Erfahrungen von Vertriebenen und die Gesellschaft in der DDR bietet.

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Veröffentlicht am 21.12.2020

Ein Krimi mit Parallelen zur Wirklichkeit

Dresden rechts außen
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Die Autorin Beate Baum nimmt den/die Leser:in mit in eine erschreckend realitätsnahe Geschichte, in der es an Spannung und Gefahren ebenso wenig mangelt wie an Anspielungen auf die politischen Verhältnisse ...

Die Autorin Beate Baum nimmt den/die Leser:in mit in eine erschreckend realitätsnahe Geschichte, in der es an Spannung und Gefahren ebenso wenig mangelt wie an Anspielungen auf die politischen Verhältnisse in der sächsischen Landeshauptstadt.
Nach einer Kundgebung der Gruppierung Bedecha (Bewahrer des christlichen Abendlandes) zur Feier ihres Jahrestages und Gegendemonstrationen eskaliert die Situation auf den Straßen Dresdens. Als am nächsten Morgen ein Mitglied von Bedecha tot aufgefunden wird, gerät schnell ein Flüchtlingshelfer aus der linken Szene in Verdacht, den Mann umgebracht zu haben. Die beiden Journalisten Kirsten Bertram und Andreas Rönn sollen über die Demonstration und den Mordfall berichten. Doch bei ihren Recherchen in der linken und rechten Szene Dresdens stoßen sie auf zahlreiche Ungereimtheiten. Gemeinsam mit dem Privatdetektiv Dale Ingram versuchen sie den Fall aufzuklären, geraten dabei jedoch immer wieder in große Gefahr.
Das verheiratete Journalisten Ehepaar Kirsten Bertram und Andreas Rönn werden sehr sympathisch beschrieben. Beide halten an ihren Werten und moralischen Überzeugungen fest und setzen alles daran, den/die Täter:in einer gerechten Strafe zuzuführen. Kirsten ist eine gute Journalistin, die sich in ihre Storys hineinvertieft und konsequent umsetzt, was sie sich vorgenommen hat. Sie ist mutig und klug, agiert aber in brenzligen Situationen vorsichtiger und überlegter als ihr Mann Andreas, der meistens nur Andy genannt wird. Andy ist draufgängerisch und begibt sich selber bewusst in Gefahr. Er ist stur und lässt sich zumeist seine Pläne nicht ausreden, handelt impulsiv mit großer Bereitschaft zum Risiko, dennoch ist immer spürbar, dass er dies nur tut um der Werte und Überzeugungen willen, die ihm am Herzen liegen. Dale Ingram, Privatdetektiv aus New Jersey und Exfreund von Kirsten, kommt zurück nach Dresden und beteiligt sich an den Ermittlungen. Er agiert besonnener als Andreas und schätzt die Situationen aus professioneller Sicht ein. Dabei setzt er alles daran, Kirsten und Andy vor Angriffen zu schützten und den Fall aufzuklären, ohne dass sich die beiden unnötig in Gefahr bringen müssen.
Die Story ist mit vielen Parallelen zur Realität aufgebaut, sei es Bedecha, eine Organisation, die stark an PEGIDA erinnert, oder Parolen, die von der rechten Szene gebetsmühlenartig verbreitet oder lautstark artikuliert werden. Der schnelle und direkte Einstieg in das Geschehen nimmt die/den Leser:in sofort für Geschichte und die Stimmung des Buches, die von sehr viel Lokalkolorit lebt, ein. Der Schreibstil ist angenehm, die Geschichte wird flüssig erzählt.
Die Autorin hat die Einstellungsmuster und das Verhalten Rechter und besorgter Bürger:innen sehr gut recherchiert und auch die Verbindung der rechten Szene nach Amerika erscheint glaubwürdig . Man weiß und ahnt, von welchen realen Ereignissen einzelne Situationen inspiriert sind. Diese Realitätsnähe schafft eine beklemmende Atmosphäre. Beate Baum gelingt es, die Emotionen der Protagonist:innen sehr gut zu schildern und Unbehagen angesichts bestimmter Verhaltensmuster zu erzeugen. Einzelne Szenen versetzen die/den Leser:in eine schier unerträgliche Spannung und machen die Gefahren, in denen Kirsten und Andy übergangsweise schweben, äußerst glaubhaft. Wie es in den geschilderten Milieus zugeht, erfährt die/der Leser*in auf Schritt und Tritt hautnah mit den Romanprotagonist:innen.
So sehr sich der Spannungsbogen durch den Roman zieht und bis zum Schluss unklar bleibt, wer nun der/die Mörder:in ist, so früh ist schon vorhersehbar, wohin die sich die Handlung entwickeln wird. Durch die knappen Dialoge und schnellen, oft abrupten und willkürlichen Ortswechsel verlieren Gespräche und Handlung erheblich an Tiefgang. Wer sich dafür interessiert, wie die Ermittlungen und deren Ergebnisse aus Sicht der Polizei und Dale verlaufen, wird enttäuscht sein. Die Funktion und der Beitrag des Privatdetektivs zur Lösung des Falls werden nirgendwo klar herausgearbeitet.
Dennoch ist das Buch ein spannender und guter Krimi. Auch wenn es sich um einen fiktionalen Roman handelt, wird die Stimmung, die teilweise in Dresden seit 2015 herrscht, gut getroffen, insbesondere aber Einstellungen, Mentalitäten und Gewaltbereitschaft in der rechten Szene, die inzwischen tief in sog. Bürgerliche Kreise hineinreicht.

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