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Veröffentlicht am 22.01.2024

Toller Band

Wirres Haar
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Im letzten Jahr hat der Manesse Verlag bereits Yosano Akikos Essays herausgebracht. Nun sind endlich auch ihre Tanka erschienen! Und zwar in einer Ausgabe, die sich an der Originalanthologie von 1901 orientiert ...

Im letzten Jahr hat der Manesse Verlag bereits Yosano Akikos Essays herausgebracht. Nun sind endlich auch ihre Tanka erschienen! Und zwar in einer Ausgabe, die sich an der Originalanthologie von 1901 orientiert und die alle Gedichte dieser Ausgabe im japanischen Original, in lateinischer Umschrift und in der deutschen Übersetzung von Eduard Klopfenstein beinhaltet.

Vieles von dem, was ich schon bei der Lektüre der Essays empfunden hatte, ist mir auch jetzt wieder durch den Kopf gegangen. Es ist unheimlich beeindruckend, wie progressiv Yosano Akiko schreibt, wie kraftvoll, selbstbewusst und im Grunde zeitlos das ist, was sie erzählt.

Die Themen und Motive sind bei einer Anthologie, die 399 Tanka umfasst, natürlich vielfältig. Schönheit, Vergänglichkeit, Farben und Jahreszeiten spielen ebenso eine Rolle wie die Freiheit und der Drang einer jungen Frau, aus ihrem Leben auszubrechen. Hier ein Beispiel:

"Du siehst und berührst nicht
meine zarte Haut unter der
das heiße Blut pocht
Bist du nicht einsam? Du!
Schulmeister des rechten Wegs"

Das ungestüme jugendliche Temperament spricht immer wieder aus den Zeilen. Und man kann sich vorstellen, dass es in der damaligen japanischen Gesellschaft sicher das Potential hatte, anzuecken. Gleichzeitig blitzt in manchen Tanka, wie dem folgenden, ein Humor zwischen den Zeilen hervor, eine Art Augenzwinkern, das mir die Dichterin unheimlich sympathisch gemacht hat:

"Ich bin verwirrt
So viele ähnliche Gesichter
gleichen dem Geliebten
Ihr macht euch einen Spaß
mit mir ihr Liebesgötter"

Ich empfehle diesen Band, das steht ganz außer Frage! Aber ich empfehle vor allem auch den Anhang und das Nachwort von Eduard Klopfenstein. Denn erst mit den Informationen aus dem Anhang lassen sich viele der Tanka richtig einordnen und verstehen.

Last but not least: Lieber @manesse.verlag, diese Übersetzung ist so eine großartige Leistung! Sollte da die Nennung des Übersetzers (und in diesem Fall ja auch Herausgebers) auf dem Cover nicht ganz selbstverständlich sein?

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 22.01.2024

Toller Band

Wirres Haar
0

Im letzten Jahr hat der Manesse Verlag bereits Yosano Akikos Essays herausgebracht. Nun sind endlich auch ihre Tanka erschienen! Und zwar in einer Ausgabe, die sich an der Originalanthologie von 1901 orientiert ...

Im letzten Jahr hat der Manesse Verlag bereits Yosano Akikos Essays herausgebracht. Nun sind endlich auch ihre Tanka erschienen! Und zwar in einer Ausgabe, die sich an der Originalanthologie von 1901 orientiert und die alle Gedichte dieser Ausgabe im japanischen Original, in lateinischer Umschrift und in der deutschen Übersetzung von Eduard Klopfenstein beinhaltet.

Vieles von dem, was ich schon bei der Lektüre der Essays empfunden hatte, ist mir auch jetzt wieder durch den Kopf gegangen. Es ist unheimlich beeindruckend, wie progressiv Yosano Akiko schreibt, wie kraftvoll, selbstbewusst und im Grunde zeitlos das ist, was sie erzählt.

Die Themen und Motive sind bei einer Anthologie, die 399 Tanka umfasst, natürlich vielfältig. Schönheit, Vergänglichkeit, Farben und Jahreszeiten spielen ebenso eine Rolle wie die Freiheit und der Drang einer jungen Frau, aus ihrem Leben auszubrechen. Hier ein Beispiel:

"Du siehst und berührst nicht
meine zarte Haut unter der
das heiße Blut pocht
Bist du nicht einsam? Du!
Schulmeister des rechten Wegs"

Das ungestüme jugendliche Temperament spricht immer wieder aus den Zeilen. Und man kann sich vorstellen, dass es in der damaligen japanischen Gesellschaft sicher das Potential hatte, anzuecken. Gleichzeitig blitzt in manchen Tanka, wie dem folgenden, ein Humor zwischen den Zeilen hervor, eine Art Augenzwinkern, das mir die Dichterin unheimlich sympathisch gemacht hat:

"Ich bin verwirrt
So viele ähnliche Gesichter
gleichen dem Geliebten
Ihr macht euch einen Spaß
mit mir ihr Liebesgötter"

Ich empfehle diesen Band, das steht ganz außer Frage! Aber ich empfehle vor allem auch den Anhang und das Nachwort von Eduard Klopfenstein. Denn erst mit den Informationen aus dem Anhang lassen sich viele der Tanka richtig einordnen und verstehen.

Last but not least: Lieber @manesse.verlag, diese Übersetzung ist so eine großartige Leistung! Sollte da die Nennung des Übersetzers (und in diesem Fall ja auch Herausgebers) auf dem Cover nicht ganz selbstverständlich sein?

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Veröffentlicht am 22.01.2024

Überzeugend

Ich an meiner Seite
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Arthur war im Gefängnis. Warum, das weiß man zuerst nicht genau. Erst durch eine Reihe von Therapiesitzungen erfahren wir als LeserInnen rückblickend, wie es dazu kommen konnte.

Birnbachers letzter Roman, ...

Arthur war im Gefängnis. Warum, das weiß man zuerst nicht genau. Erst durch eine Reihe von Therapiesitzungen erfahren wir als LeserInnen rückblickend, wie es dazu kommen konnte.

Birnbachers letzter Roman, "Wovon wir leben", hatte mich begeistert. Umso neugieriger war ich deshalb auf "Ich an meiner Seite".

In beiden Romanen erzählt Birnbacher unaufgeregt von wichtigen Themen: In "Wovon wir leben" geht es um das Land- vs. Stadtleben und in diesem Roman darum, was Menschen dazu veranlassen kann, eine Straftat zu begehen. Der Roman beschäftigt sich mit der Frage, wie das Leben nach dem Vollzug aussieht und wie schwer Straftäter es haben, wenn sie sich wieder in die Gesellschaft integrieren möchten. Beides Themen, die komplex sind, aber Birnbacher gelingt es, sie auf glaubhafte Weise mit den Lebensgeschichten ihrer Figuren zu verweben.

Arthur kämpft um einen Praktikumsplatz, um irgendeine Anstellung. Auch eine Wohnung findet er lange Zeit nicht. Trotz Unterstützung, die zum großen Teil eher zweifelhaft ist, öffnen sich ihm keine Türen. Er befindet sich am Rand des gesellschaftlichen Zusammenlebens, dorthin befördert durch den Strafvollzug.

"Ich an meiner Seite" ist also ein Roman über das Leben nach der Zeit im Gefängnis. Es ist aber auch eine Geschichte darüber, wie wichtig es ist, von Menschen umgeben zu sein, die einen unterstützen, die sich kümmern und einen gerade in schwierigen Zeiten nicht alleine lassen. Sowohl in emotionaler als auch in materieller Hinsicht.

Außerdem zeigt und kritisiert der Roman wie dokumenten- und lebenslaufgläubig die Gesellschaft ist. Der Mensch wird an dem bemessen, was er gemacht hat, nicht an dem, was er ist. Wir alle sind scheinbar human doings, nicht beings.

Für mich ein weiterer überzeugender Roman von Birgit Birnbacher.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 22.01.2024

Überzeugend

Ich an meiner Seite
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Arthur war im Gefängnis. Warum, das weiß man zuerst nicht genau. Erst durch eine Reihe von Therapiesitzungen erfahren wir als LeserInnen rückblickend, wie es dazu kommen konnte.

Birnbachers letzter Roman, ...

Arthur war im Gefängnis. Warum, das weiß man zuerst nicht genau. Erst durch eine Reihe von Therapiesitzungen erfahren wir als LeserInnen rückblickend, wie es dazu kommen konnte.

Birnbachers letzter Roman, "Wovon wir leben", hatte mich begeistert. Umso neugieriger war ich deshalb auf "Ich an meiner Seite".

In beiden Romanen erzählt Birnbacher unaufgeregt von wichtigen Themen: In "Wovon wir leben" geht es um das Land- vs. Stadtleben und in diesem Roman darum, was Menschen dazu veranlassen kann, eine Straftat zu begehen. Der Roman beschäftigt sich mit der Frage, wie das Leben nach dem Vollzug aussieht und wie schwer Straftäter es haben, wenn sie sich wieder in die Gesellschaft integrieren möchten. Beides Themen, die komplex sind, aber Birnbacher gelingt es, sie auf glaubhafte Weise mit den Lebensgeschichten ihrer Figuren zu verweben.

Arthur kämpft um einen Praktikumsplatz, um irgendeine Anstellung. Auch eine Wohnung findet er lange Zeit nicht. Trotz Unterstützung, die zum großen Teil eher zweifelhaft ist, öffnen sich ihm keine Türen. Er befindet sich am Rand des gesellschaftlichen Zusammenlebens, dorthin befördert durch den Strafvollzug.

"Ich an meiner Seite" ist also ein Roman über das Leben nach der Zeit im Gefängnis. Es ist aber auch eine Geschichte darüber, wie wichtig es ist, von Menschen umgeben zu sein, die einen unterstützen, die sich kümmern und einen gerade in schwierigen Zeiten nicht alleine lassen. Sowohl in emotionaler als auch in materieller Hinsicht.

Außerdem zeigt und kritisiert der Roman wie dokumenten- und lebenslaufgläubig die Gesellschaft ist. Der Mensch wird an dem bemessen, was er gemacht hat, nicht an dem, was er ist. Wir alle sind scheinbar human doings, nicht beings.

Für mich ein weiterer überzeugender Roman von Birgit Birnbacher.

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Veröffentlicht am 22.01.2024

Lohnt sich

Der Bauch des Wals
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Mit "Im Bauch des Wals" hat der @diogenesverlag Essays von zwei großen Schriftstellern herausgegeben: George Orwell und Ian McEwan.

Orwells "Im Innern des Wals" erschien 1940. Orwell thematisiert darin ...

Mit "Im Bauch des Wals" hat der @diogenesverlag Essays von zwei großen Schriftstellern herausgegeben: George Orwell und Ian McEwan.

Orwells "Im Innern des Wals" erschien 1940. Orwell thematisiert darin die Frage nach der politischen Verantwortung von Schriftstellern. Wie politisch muss/soll/darf Kunst sein? Muss sie es überhaupt sein?

Als Beispiel dient ihm Henry Millers Roman "Wendekreis des Krebses". Ein Roman, der für ihn das Leben bejaht, der den Lesern nicht vorgibt, was sie zu denken haben, der das Weltgeschehen nicht vorantreiben oder bremsen möchte. Damit bildet er das Gegenstück zu den Romanen von den meisten von Millers schreibenden Zeitgenossen.

Orwell benutzt in diesem Zusammenhang das Bild eines Schriftstellers, der sich im Bauch eines Wals befindet: Dort ist man gleichgültig der Welt gegenüber und muss sich nicht mit ihr auseinandersetzen. Es ist für Orwell die Freiheit eines jeden Autoren, diese Position für sich auszuwählen und das eigene Schreiben nicht von politischen Glaubenssätzen diktieren zu lassen.

Ian McEwan antwortet mit seiner "Orwell Memorial Lecture" auf diesen Essay. Er stellt ihn in einen historischen Zusammenhang, erklärt ihn auch vor dem Hintergrund der persönlichen politischen Enttäuschungen Orwells und denkt ihn vor allem in der Gegenwart weiter.

Beide Essays bieten spannende und unterschiedliche Perspektiven auf die Frage nach der politischen Verantwortung des Schriftstellers. Dürfen Schriftsteller sich im Bauch des Wals verstecken? Floriert die Literatur nicht außerhalb des Wals (immerhin sind gerade Orwells bekannteste Romane, "1984" und "Farm der Tiere" sehr politisch!)? Oder gibt es in Zeiten des Klimawandels sowieso keinen Walbauch mehr, in dem man sich verstecken könnte?

Zu welchem Schluss McEwan kommt, will ich an dieser Stelle nicht verraten. Dafür solltet ihr das Buch lesen! Denn es lohnt sich, wenn man sich gedanklich mit Literatur und Verantwortung, mit Kunst und Aktivismus beschäftigen möchte.

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