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Veröffentlicht am 07.05.2025

Wunderbares Zeitzeugnis

Die Wünsche gehören uns
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Anna und Idi führen Elise den kleinen Berg hinauf. Oben angekommen, starren die Halbschwestern verstohlen auf den kleinen Koffer mit den abgenutzten Verschlägen, in der Hand ihrer Mutter. Sie ist sich ...

Anna und Idi führen Elise den kleinen Berg hinauf. Oben angekommen, starren die Halbschwestern verstohlen auf den kleinen Koffer mit den abgenutzten Verschlägen, in der Hand ihrer Mutter. Sie ist sich sicher, dass sie die beiden nie wieder sehen wird. Sie drehen sich um und gehen mit lächerlich kleinen Schritten und nach vorn gebeugtem Oberkörper den Hang hinab. Sie schickt ihnen keine guten Wünsche hinterher, als sie ihnen nachschaut.

Neben ihr erscheint ein Mann mit seinem Leiterwagen, der sich ihr als Johann Kempf vorstellt. Ihre Beine schmerzen so stark, dass er ihr das Gesäß nach oben drücken muss, während sie die beschwerlichen Stiegen zu erklimmen versucht. Sie kommen bei einem heruntergekommenen Haus an. Eine freundliche Schwester heißt sie willkommen und erklärt in groben Zügen das Konzept. Sie wird mit fünf Diakonissen, Frauen, Männern und Kindern in einer Gemeinschaft leben. Manche sind unheilbar krank, andere gesund und debil. Bei Oberschwester Otilia muss sie ihren Schmuck und ihr Geld abgeben, denn die Kostgelder der Heimatgemeinden sind knapp. Bis dahin war Elise sich sicher gewesen, dass Anna ihren Platz bezahlte. Das Brüggli sei schließlich ein Armenhaus.

Schwester Burga führt Elise zu ihrem Zimmer im ersten Stock, einen Raum, den sie mit sieben anderen Frauen teilen wird. Die Betten stehen so eng nebeneinander, dass kein Nachttischchen, nicht einmal ein Stuhl zwischen sie passt. Während Elise sich auf ihr Bett sinken lässt, schweifen ihre Gedanken in ihre jüngste Vergangenheit ab. Sie hatte ihren Körper verkauft, um ihre minderjährige Schwester versorgen zu können. Ihre damalige beste Freundin Flora hatte es ebenso gemacht für drei Franken pro Freier. Die war aber verpfiffen worden und verschwand, weil ihre Tätigkeit einen Mangel an Moral und ein Übermaß an Faulheit aufweisen würde, im Zuchthaus. Später war Elise Wäscherin in der Wäscherei ihres Mannes. Sie stieg immer in das noch dampfende Wasser und stampfte den Berg aus Laken und Uniformen. Jetzt sickert ihr das Wundwasser in die Verbände.

Fazit: Katharina Geiser ist eine historische Aufarbeitung eines Schweizer Armenhauses der 50er-Jahre gelungen. Sie erzählt die Geschichte Elises, die sich wirklich so ereignet hat, aus der Erinnerung ihrer eigenen Großmutter. Elise lebte ein entbehrungsreiches Leben, wie so viele Frauen dieser Zeit. Am Ende schoben ihre Kinder sie in dieses Auffangasyl für sozial schwache, straffällig gewordene und behinderte Menschen ab. Elise hätte bei ihrer Schwester leben können, aber die wurde gar nicht informiert. Die Autorin lässt Elise immer wieder in ihre Vergangenheit schweifen und ich erfahre alles über ihr Leben. Gleichzeitig entblättern sich, durch Elises Interaktionen mit den Heimbewohnern, die Umstände, die sie an diesen Ort gebracht haben. Die Zeiten waren hart in einer Gesellschaft, in der sich Rechtschaffenheit breitmachte und Moral sich an männlichen Vorstellungen orientierte. Die Klassenunterschiede waren riesig, Frauen zumeist wertlose Haushaltshilfen oder Arbeiterinnen. Hygiene und Gesundheitsversorgung oder einfach nur Essen waren knapp bemessen. Die Geschichte ist sehr lebendig geschrieben, ich war mittendrin im Schlafsaal, im Speisesaal. Jede Charaktereigenschaft ist vertreten und alle prallen aufeinander. Ein wunderbares, gut recherchiertes Zeitzeugnis, das ich sehr gerne gelesen habe. Am Ende des Buches finden sich Skizzen oder Porträts der einzelnen Bewohner und Pflegekräfte und deren Gründe für ihren Aufenthalt und die Autorin schenkt einen Einblick in die Entstehung ihrer Geschichte.

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Veröffentlicht am 05.05.2025

Trotz einiger Schwächen ein gewisser Unterhaltungswert

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Carla Mittmann ist exmatrikulierte Philosophiestudentin. Seit nunmehr zehn Jahren fristet sie ihren öden Berufsalltag im Kundendienst einer Möbelfirma. Zwanzig Stunden in der Woche nimmt sie Bestellungen ...

Carla Mittmann ist exmatrikulierte Philosophiestudentin. Seit nunmehr zehn Jahren fristet sie ihren öden Berufsalltag im Kundendienst einer Möbelfirma. Zwanzig Stunden in der Woche nimmt sie Bestellungen für Schultische, Amtsregale und Warteraumbestuhlung entgegen. Zwölf Tage Urlaub stehen ihr pro Jahr zu und Magen-Darm kann eine segensreiche Sache sein, wenn er dazu dient, ein paar zusätzliche freie Tage einzubauen oder Urlaube zu verlängern. Nach Feierabend verkauft sie als „Cosmic-Charly Online-Horoskope. Ein Computerprogramm, dessen Auswertung sie wegen der Vergleichbarkeit minimal abändert, hilft ihr dabei. Sie hat sich einen größeren Kundenstamm aufgebaut, der ihr treu ist.

An einem Mittwochmorgen wird sie unsanft geweckt, als ein Stein durch ihr Fenster fliegt. Nach dem ersten Schreck glaubt sie an einen Irrtum, falsche Hausnummer oder jemand hatte sich in der Etage geirrt. Verärgert darüber, dass das Aufräumen nun an ihr hängen bleibt, schält sie sich aus dem Bett, begutachtet den Schaden und schaut hinunter auf den Bürgersteig:

„Freiheit für Mittmann!“, steht dort in großen blauen Kreidebuchstaben. S. 19

Das will sie sich näher anschauen, zieht sich an, öffnet die Wohnungstür und fällt fast über den Karton auf ihrer Fußmatte. Sie trägt ihn in die Küche, faltet den Deckel auseinander und sieht gebündelte zehn Dollarnoten. Sie kann sich nicht vorstellen, dass das Geld echt ist und um ihr Misstrauen zu beweisen, nimmt sie einige Scheine, die sie am Nachmittag zur Wechselstube bringen wird. Als sie die Haustüre öffnet, um zur Arbeit zu fahren, sind die Kreidebuchstaben weg, als hätte sie eine Halluzination gehabt.

Fazit: Katja Kullmann hat nach „Die singuläre Frau“ nun ihren ersten Roman geschrieben. Die fiktionale Geschichte liest sich humorvoll, aber auch beliebig. Erst ab Seite achtzig konnte sie mich mitnehmen und ich fand Spaß an ihrer abstrusen Handlung. Ihre Protagonistin lebt ein arbeitsreiches Singledasein. Mit dem unerwarteten Geldzuwachs als Sicherheit entwickelt sie die Idee einer Vollzeitselbstständigkeit im Astro-Business und stellt ihr Geschäft beeindruckend gewissenhaft auf. Die Interaktionen mit ihren Kundinnen sind wirklich unterhaltsam geschrieben. Sie will hoch hinaus, einer Madame Tessier würdig werden. Mir gefielen auch die diversen Einschübe über die Sternbilder und die Konstellationen. Auf Seite 234 lässt die Autorin dann ihre Protagonistin dazu raten, unsere Globulis in die Kanalisation zu kippen, weil Rudolf Steiners Schriften, zu den Schuldigen am Ersten Weltkrieg, von den Nationalsozialisten rezipiert wurden. Der Anthroposoph und Heilpädagoge Steiner hat sich der Esoterik gewidmet und die Misteltherapie entdeckt, die ja bei bestimmten Krebsarten nicht umstritten ist. Das hat aber mit Globulis gar nichts zu tun, denn die Homöopathie ist ja von dem Arzt Samuel Hahnemann entwickelt worden. Aus beruflicher Sicht bin ich da empfindlich, weil über die unschuldige Homöopathie viel Unsinn verbreitet wird. Dennoch hatte der Roman für mich, trotz einiger Schwächen, einen Unterhaltungswert.

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Veröffentlicht am 02.05.2025

Eine durchweg gelungene Geschichte

Beeren pflücken
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Maine 1962

Joe war sechs, als er von den Weißen hörte, dass die Indianer gute Beerenpflücker seien, weil sie etwas Saures im Blut hätten und deswegen die Mücken nicht an sie gingen.

Für Joe, der mit ...

Maine 1962

Joe war sechs, als er von den Weißen hörte, dass die Indianer gute Beerenpflücker seien, weil sie etwas Saures im Blut hätten und deswegen die Mücken nicht an sie gingen.

Für Joe, der mit seiner Familie in einer Vierzimmerwohnung mit undichtem Dach lebte, war Mr. Ellis Haus mit den vielen Fenstern, das reinste Herrenhaus. Nachdem sie auf Ellis Farm angekommen waren, fuhr sein Vater wie jedes Jahr los, um die anderen Pflücker einzusammeln. Im Gegensatz zu den anderen, die in Zelten schliefen, hatten sie eine Hütte, die jetzt geschrubbt werden musste. Seine Schwester Mae half Mom drinnen. Die Brüder Ben und Charlie waren in Dads Truck und Joe und die kleine Ruthie rissen das Gras um die Hütte herum aus. Ben und Mae waren in der Schule für junge Indianer gewesen. Joe sah sie nur noch an Weihnachten und zum Beeren pflücken. Als der Indianerbeauftragte Dad einen Brief schrieb und die harte Arbeit erwähnte, die ihren Charakter formen und sie zu anständigen Leuten mache, zerriss Dad das Papier und Ben und Mae gingen wieder auf die gleiche Schule wie Joe. Der Tag, als die vierjährige Ruthie auf dem Stein am Feldrand saß und kurz darauf verschwand, veränderte das Leben jedes einzelnen der Mi´kmaq Familie nachhaltig.

Norma erinnert sich an den Tag, als sie auf dem Rücksitz eines Autos saß, das sie nicht kannte. Ihr sonst zusammengebundener Zopf war zerzaust und einer ihrer Schuhe lag vor ihr auf dem Boden. Sie träumt regelmäßig von einem Lagerfeuer, riecht den Rauch und hört Menschen singen und lachen. Sie kann sich diese Bilder nicht erklären und wenn sie ihrer Mutter davon erzählt, bekommt die Kopfschmerzen und muss sich zurückziehen. Wenn Mutter etwas richtig gut kann, dann ist das Schuldgefühle auslösen und ihrem Putzfimmel frönen. Normas Vater ist Richter und muss immer tadellos gekleidet sein, sagt Mutter.

Fazit: Amanda Peters hat eine eindringliche fiktive Geschichte über eine indigene Familie aus Nova Scotia geschrieben, die im Sommer Geld bei der Blaubeerernte in Maine verdient. Sie leben ein einfaches, aber zufriedenes Leben, bis die jüngste Tochter spurlos verschwindet. Reichtum wird ihnen nie beschert sein, dieser Zustand ist den weißen vorbehalten. Viele ihrer Landsleute haben sich für ein Leben im Reservat entschieden, doch diese Familie schlägt sich weiter durch. Die Geschichte ist hervorragend geschrieben und entblättert die tragische Wirklichkeit über die Gedanken von Joe, die sich mit denen der wunderlichen Norma abwechseln. Die Autorin mit indigenen Wurzeln hat die Geschichte ihres Volkes aufgearbeitet. Sie bedient sich einer einfachen, klaren und bildreichen Sprache. Die Ereignisse schildert sie ohne unnötigen Pathos und berührt mich damit tief. Die psychologischen Konsequenzen, Joes Schuldgefühle und das Leid seiner Mutter, sind richtig gut eingefangen. Alle Charaktere haben den angemessenen Raum bekommen, sich zu entfalten. Eine durchweg bewegende Geschichte, bei der wirklich alles stimmt. Absolute Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 29.04.2025

Eindringliche Geschichte über gesellschaftlichen Umbruch

Der Tøyen-Effekt
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Oslo/Tøyen 2018

Kalle vermisst Papa, doch Jostein ist in Kopenhagen. Kalle zockt am Tablet, obwohl er das nicht soll. Seine grenzenlose Langeweile treibt ihn immer wieder zum Controller. Seine Mutter ...

Oslo/Tøyen 2018

Kalle vermisst Papa, doch Jostein ist in Kopenhagen. Kalle zockt am Tablet, obwohl er das nicht soll. Seine grenzenlose Langeweile treibt ihn immer wieder zum Controller. Seine Mutter Mona will, dass er sich mit anderen Kindern trifft. Er weiß das und entschuldigt sich. Seine Gefügigkeit ist ihr unangenehm. Sein Klassenlehrer hat sie schon darauf angesprochen, dass Kalle Konflikten grundsätzlich aus dem Weg geht. Mona fürchtet, dass ihm der nötige Biss fehlt, um sich durchzusetzen.

Während sie das Essen zubereitet, liegt ihr das unangenehme Gespräch mit Jostein gestern Abend schwer im Magen, der viele Alkohol und wenige Schlaf. Sie würden besser getrennt wohnen, hatte sie ihm gesagt, kalt, herzlos. Er leistete keinen Widerstand, schien das erwartet zu haben. Er wolle doch depressiv sein, warf sie ihm vor und sie halte das nicht noch einmal aus. Heute Morgen dann war Jostein in der Früh nach Kopenhagen aufgebrochen.

Vor acht Jahren hatten sie sich entschieden, nach Tøyen zu ziehen, den Osloer Stadtteil mit der höchsten Kriminalität, der größten Armut. Es hatte sich so ergeben, nachdem sie ihre Zweizimmerwohnung verkauft hatten. Sie brauchten eine größere Wohnung für ihre kleine Familie und Tøyen versprach günstigen Wohnraum. Sie nahmen das Straßenbild der Backsteinbauten, Hochhäuser und Junkies in Kauf. Jostein kam mit den Anwohnern ins Gespräch und erfuhr von deren Problemen. Die meisten kamen aus Pakistan und Somalia. Er half bei Anträgen und der Jobsuche. Mona eröffnete einen Social-Media-Account, postete Fotos und schrieb Artikel. Viele Menschen aus Norwegen interessierten sich für die Entwicklung von Tøyen, sie folgten ihnen und die Resonanz war positiv. Doch schon bald erntete sie Hasskommentare über die Sozialschmarotzer, man fühlte sich überfremdet. Nach und nach driftete die kleine Familie auseinander.

Fazit: Bjarte Breiteig hat eine brandaktuelle Fiktion geschaffen. Seine Protagonistin lässt die Jahre mit ihrem Mann Revue passieren, als er für zwei Tage nach Kopenhagen fährt. Über ihre Gedanken erfahre ich, wie sie sich engagieren, die Lebensqualität der Menschen und auch ihre eigene, in einem verrufenen Stadtteil zu verbessern. Sie trotzen den Widrigkeiten und bauen ein tragfähiges Netzwerk auf. In den Jahren des Aufbaus bekommen sie viel Energie zurück. Eine neue Flüchtlingswelle überfordert vor allem Mona, die mit ihrer Arbeit als Lektorin die Hauptverdienerin ist und das Überleben ihrer Familie sichert. Interessant fand ich, wie gut der Autor das Familienleben Monas zeichnet, die viele Arbeit, die sie in ihr Engagement stecken. Sie ziehen Jahre an einem Strang, doch während Jostein sich wie selbstverständlich mit seiner großen Offenheit und seinem Charisma einbringt, steht Mona, die voller Selbstzweifel ist, lieber im Hintergrund. Mona stellt sich infrage, bezweifelt ihre Intention in den Interaktionen und das finde ich lehrreich. Letztendlich zeigt die Geschichte auf eindringliche Weise, was gesellschaftlich möglich wäre, wenn wir offen blieben und auch, wie lohnenswert das für jeden einzelnen sein kann. Gemeinsam können wir Berge versetzen. Eine schöne Vorstellung.

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Veröffentlicht am 28.04.2025

Zeitloser Klassiker über menschliche Abgründe

Nicht länger ein Mensch. Roman. Das Kultbuch aus Japan
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Ein Foto von einem etwa Zehnjährigen. Er steht an einem Gartenteich, umgeben von Frauen, vermutlich Schwestern und Cousinen. Er lächelt einfältig, doch bei genauerer Betrachtung ist sein Lächeln schmierig. ...

Ein Foto von einem etwa Zehnjährigen. Er steht an einem Gartenteich, umgeben von Frauen, vermutlich Schwestern und Cousinen. Er lächelt einfältig, doch bei genauerer Betrachtung ist sein Lächeln schmierig. Es wirkt nicht echt, zumal er die Fäuste geballt hat. Auf dem zweiten Bild trägt er eine Schuluniform. Er lächelt, aber etwas stimmt nicht. Das Lächeln wirkt gekünztelt oder geziert. Auf dem dritten Bild ist er deutlich älter. Graue Strähnen durchziehen das Haar. Sein Gesicht schaut ohne jeden Ausdruck aus einer Ecke eines heruntergekommenen Raums hervor. Es bereitet einem Unbehagen, man möchte schnell wieder wegschauen.

Als Kind verspürte er nie Hunger. Er war das Jüngste und saß in dem Saal, in dem sie zu zehn speisten, in der hintersten Ecke. Alle nahmen ihre Speisen in absoluter Stille mit der größten Dringlichkeit ein. Diese Zusammenkünfte an drei Zeiten des Tages wurden ihm der größte Groll. Wer nicht esse, müsse sterben, sagte man ihm und verursachte ihm nächtliche Albträume.
Er verstand die Menschen nicht, alle wirkten so fröhlich, ganz anders als er. Er wusste nicht, worüber er mit den Nachbarn reden sollte, alles war ihm ein Rätsel.

Und somit schuf ich mir die Clownsmaske. Sie war mein letzter Versuch, um die Liebe meiner Außenwelt zu werben. So sehr mir die Menschen auch Angst einflößten, aufgeben konnte ich sie nicht. S. 13

Obwohl er ein kränklicher Junge war und mehrere schulische Ausfälle hatte, einmal ein ganzes Jahr, war er ein glänzender Schüler. Er erzählte Geschichten, faxte herum und brachte seine Umwelt zum Lachen. An der weiterführenden Schule traf er auf seinen ersten Widersacher. Take´ichi enttarnte ihn in seiner Clownerie und er wusste, er würde sich mit dem ungepflegten Jungen verbünden müssen und so umwarb er ihn.

Fazit: Das Buch wurde 1948 ursprünglich als Dreiteiler in der japanischen Zeitschrift Tembo veröffentlicht und entwickelte sich zu einem Buch, das in Japan mittlerweile 6,7 Mio. Mal verkauft wurde. Ein „Opus magnum“. Die Geschichte hat autobiografische Züge, weil der Autor Osamu Dazai eigene Parallelen wie Suizid, soziale Entfremdung und Depression verhandelt. Kurz nach der Veröffentlichung ertränkte sich Dazai.
Sein Protagonist hat keine Empathiefähigkeit und entwickelt schon in ganz jungen Jahren multiple Ängste. Sein Anderssein stürzt ihn in tiefe Einsamkeit. Er versucht seine Anpassung, indem er die „Anderen“ zum Lachen bringt. Trotz bester intellektueller Voraussetzungen gerät er an den falschen Umgang und lernt die Wirkung von Alkohol auf den geschundenen Selbstwert schätzen. Er muss das Studium abbrechen und verliert die väterliche Unterstützung. Im Laufe der Geschichte verfällt er diversen Abhängigkeiten. Sein Leidensdruck ist enorm, ebenso wie sein Egoismus und die Weigerung, Verantwortung zu übernehmen. Eine tiefreifende Geschichte, die mich hin- und hergerissen hat, mich ebenso Verständnis als auch tiefe Abneigung gegen Yózó hat spüren lassen. Ein zeitloses Buch für alle, die sich für die japanische Kultur interessieren.

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