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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 21.03.2025

Das unendliche Bemühen des Genugseins

Alles, was du wolltest
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Hochglanzschrankfronten, Swimmingpool im Garten, Ahornböden, Regendusche - alles gehört Viktoria. Alexandra darf es mitbenutzen, mitbewohnen, denn die beiden sind ein Paar. Alexandra bekommt von Viktoria ...

Hochglanzschrankfronten, Swimmingpool im Garten, Ahornböden, Regendusche - alles gehört Viktoria. Alexandra darf es mitbenutzen, mitbewohnen, denn die beiden sind ein Paar. Alexandra bekommt von Viktoria ihr heiß ersehntes eigenes Massagestudio, dafür kann Alexandra auch mal einkaufen, die Wäsche waschen, Perlenohrstecker tragen, Staub saugen und kochen. Das klingt irgendwie nicht gleichberechtigt? Ist es auch nicht.

💜

Was ist eigentlich eine toxische Beziehung? Sind Gegenleistungen fair? Da sollte sie sich doch mal revanchieren - sie lebt doch ein Leben ohne Sorgen und hat alles, was sie immer wollte! Das hat sie alles ihr zu verdanken! Wtf?

Macht. Viktoria hat die Macht, sie nutzt die Macht. Viktoria ist die Überlegenere, sie hält die Fäden in der Hand. Die Fäden, die Alexandra kontrollieren, die sie fesseln und die sie binden.

Der Roman von Christina König ist so wundervoll normal. Scheinbar passiert nichts Schlimmes, aber es ist das Ungetane, das so viel ausmacht. Und es ist das Ungesagte, was zwischen den Zeilen heraus brüllt, sodass man Alexandra am liebsten wachrütteln möchte. Es ist ein so normales Beispiel dafür, was nicht normal sein sollte.

Ich habe „Alles, was du wolltest“ verschlungen, die Sprache ist so echt und angenehm zu lesen. Es ist beeindruckend, wie es der Autorin gelingt, von Seite zu Seite eine immer größere Spannung aufzubauen. Und recht bald wird klar, dass alles einstürzen wird.

Doch wie geht die Geschichte aus? Und damit folgt mein Highlight des Romans: Christina König gibt uns verschiedene Varianten mit auf den Weg, wie die Gechichte enden könnte. Das klingt ungewöhnlich, aber in meinen Augen hat es hervorragend funktioniert!

Große Leseempfehlung für einen neugedachten, aufregenden Roman, der die Lesenden tief mit hineinzieht und nicht mehr loslässt, bevor der letzte Satz endet. Die Thematik ist unfassbar eindringlich und zeigt den Schrecken einer Beziehung zwischen Dominanz und dem unendlichen Bemühen des Genugseins.

Veröffentlicht am 04.01.2025

Von Kristallskorpionen und Wiewölfen

Das Einhörnchen, das rückwärts leben wollte
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Ich habe mich mal in ein eher fremdes Genre gewagt und wollte schauen, was es mit den Büchern von Walter Moers auf sich hat. Entschieden habe ich mich für das neueste Werk - ein ganz schlankes, bestehend ...

Ich habe mich mal in ein eher fremdes Genre gewagt und wollte schauen, was es mit den Büchern von Walter Moers auf sich hat. Entschieden habe ich mich für das neueste Werk - ein ganz schlankes, bestehend aus 20 sogenannten Flabeln: Kurze Geschichten, die sich irgendwo zwischen Fabel, Märchen und Parabel einordnen lassen. Und bei den meisten muss man ein bisschen schmunzeln.

🐿️

Wir reisen zusammen nach Zamonien, wo schon viele andere Bücher von Moers spielten. Da wäre zum Beispiel das titelgebende Einhörnchen, das beschließt, sein Leben rückwärts zu leben – eine Auseinandersetzung mit dem Wunsch, den Tod zu überlisten. Oder die Begegnung zwischen Biber und Kristallskorpion mit einem wirklich unerwarteten Ausgang.

Nachhaltig beeindruckt hat mich, dass Moers es schafft, mit wenigen Worten ganz neue Universen zu erschaffen, mich zum Lachen zu bringen und im nächsten Moment mit einem bitteren Nachgeschmack zurückzulassen. Diese Phantasie, mit welcher zum Beispiel ein Schuhu zum Leben erwacht, ist wirklich phänomenal.

Geschrieben sind die Flabeln in einfacher Sprache, sodass sie sich für einen ganz gemütlichen Leseabend eignen. Und trotzdem fordert uns jede Geschichte dazu auf, über uns selbst nachzudenken: über Mut, über Scheitern, und ganz oft fühle ich mich ertappt, aber auf eine sympathische Weise.

Bei all der zamonischen Magie war das Buch für mich ein netter Ausflug in eine andere Welt, mit bleibenden Eindrücken. Jedoch hat es mich nicht unbedingt dazu animiert, die weiteren Werke unbedingt lesen zu wollen. Aber das ist - wie so häufig - eben Geschmacksache.

Dennoch ist „Das Einhörnchen, das rückwärts leben wollte“ eine unterhaltsame Sammlung, die mit Witz und ganz viel Weisheit überzeugt. Das Highlight sind für mich übrigens die wundervollen Illustrationen, die den magischen Wesen ein niedliches Gesicht verleihen. Diese haben mich wirklich verzaubert!

Veröffentlicht am 03.01.2025

Wütend, aufreibend und abenteuerlich

Wir waren Kometen
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Luba und Lukas - zwei Menschen wie Kometen auf kollidierenden Bahnen. In Berlin treffen sie aufeinander, in einer Stadt, die pulsiert, atmet und lebt. Lukas kommt aus Stuttgart, ist still und wünscht sich ...

Luba und Lukas - zwei Menschen wie Kometen auf kollidierenden Bahnen. In Berlin treffen sie aufeinander, in einer Stadt, die pulsiert, atmet und lebt. Lukas kommt aus Stuttgart, ist still und wünscht sich Erdung. Luba ist in Rumänien aufgewachsen und trägt Enttäuschung, Wut und Verrat unumkehrbar in sich. Die beiden finden sich und verlieren sich.

☄️☄️☄️

Wie zwei Magnete mit wechselnden Polen, hin- und hergerissen zwischen Nähe und Distanz. Was die beiden verbindet, sind Narben - körperliche, seelische und gemeinsame.

Ganz ohne Kitsch, ohne Romantik kommt diese Liebesgeschichte aus. Das ist, was mir an diesem Roman sehr gut gefällt. Diese zwischenmenschliche Beziehung ist echt und ungeschönt. Zum Teil war ich unschlüssig, ob sich die beiden guttun oder schaden. Bis zum Schluss bin ich nicht sicher. Doch genau das ist das Leben, aufreibend, schmerzhaft und versöhnlich.

Mein Highlight ist die Sprache, die Daniel Gräfe wählt. Vermutlich muss man den poetischen Stil mögen, meinen Geschmack trifft es. Manche Sätze sind so schön, so bildhaft und warm, dass man sie am liebsten laut aussprechen möchte.

Auch das Roadtrip-Feeling kommt nicht zu kurz, denn die Reise nach Rumänien ist beeindruckend. Skurrile Begegnungen, die flirrende Hitze des Sommers, die Donau, die Walachei - ich bin wirklich gerne mitgereist.

Zu guter Letzt ist dieser Roman lehrreich und wichtig. Was ich alles über den rumänischen Geheimdienst zur Zeit von Lubas Kindheit erfahren habe, über die Schreckensherrschaft von Ceausescu, ist zwar grausam, aber so bereichernd. Geschichte in Büchern nachzufühlen, ist immer noch meine liebste Lernmethode.

Von mir gibt es eine große Empfehlung für eine unbequeme Liebesgeschichte voll von glühender Hitze, Erschütterungen und Einschlägen - wie bei Kometen.

Veröffentlicht am 31.10.2024

Schwesternliebe

Blue Sisters
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Vier Schwestern, die unterschiedlicher nicht sein könnten. In der Kindheit so eng zusammen gewachsen und durch einen schrecklichen Schicksalsschlag auseinander gerissen. Wir lernen Avery, Bonnie und Lucky ...

Vier Schwestern, die unterschiedlicher nicht sein könnten. In der Kindheit so eng zusammen gewachsen und durch einen schrecklichen Schicksalsschlag auseinander gerissen. Wir lernen Avery, Bonnie und Lucky kennen, ein Jahr nachdem ihre Schwester Nicky gestorben ist. Was die vier damals verbunden hat, steht nun auf der Probe. Und wir werden in Coco Mellors Roman „Blue Sisters“ zu Zeug*innen, ob das einstige Band wieder zusammen wachsen kann.

🩵🩵🩵

Schon nach wenigen Seiten war ich gecatched. Authentisch, nahbar, ungeschönt und echt - genauso wie ich Romane am liebsten mag - erzählen uns die Schwestern in wechselnder Perspektive von den besten und schlimmsten Zeiten ihres Lebens. Von der Gegenwart und der Vergangenheit, von Hass und Liebe, von Abgründen und Glücksmomenten.

Es waren die grandios verkörperten Emotionen, die mir an den „Blue Sisters“ am besten gefallen haben - und die offensichtlich auch durch eine ganz wundervolle Übersetzung den Weg in mein Herz gefunden haben.

Falls du über die an sich traurige Thematik des Romans grübelst, kann ich dir versprechen, dass der frische und lebendige Schreibstil für ein hoffnungsvolles und schönes Leseerlebnis sorgt. Als Einzelkind, das ganz ohne Geschwister aufwachsen musste, hatte ich im Leben schon häufig das Gefühl, das mir etwas fehlt. So ging es mir auch während der Lektüre immer wieder. Denn obwohl die Schwestern schwierige und hürdenreiche Wege zu gehen haben, strahlt die Schwesternliebe immer wieder so warm aus den Zeilen.

Eine große Leseempfehlung von mir für eine super kurzweiliges und sehr nahbares Buch, das das wahre Leben auf gelungene Weise abbildet.

Veröffentlicht am 19.09.2024

„Zustand vollkommener Wunschlosigkeit“

Mein drittes Leben
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Ohne den Klappentext zu lesen, habe ich mich auf die Leseprobe von „Mein drittes Leben“ gestürzt, nachdem „Die Liebe im Ernstfall“ von Daniela Krien vor ein paar Monaten meine persönliche Bücher-Hitliste ...

Ohne den Klappentext zu lesen, habe ich mich auf die Leseprobe von „Mein drittes Leben“ gestürzt, nachdem „Die Liebe im Ernstfall“ von Daniela Krien vor ein paar Monaten meine persönliche Bücher-Hitliste gestürmt hat. Nach der Leseprobe war klar, dass ich dieses Buch lesen MUSS, egal wie hart es wird.

Und es wurde hart. Es ist vermutlich die aufreibendste Lektüre, die ich bisher zu Ende gelesen habe. Doch es war wichtig und richtig. Und es war unfassbar lohnenswert.

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Im ersten Teil des Romans habe ich mich immer wieder gefragt, was ein Mensch aushalten und ertragen kann, obwohl die Grenze des Leidens jeden Tag aufs Neue erreicht und überschritten wird. Ungeschönt, nüchtern und authentisch erzählt die Autorin von Lindas (für mich zum Glück) unvorstellbaren Qualen - tagein tagaus - seit dem Tod ihrer Tochter.

Obwohl mir wirklich oft die Tränen kommen, lese ich weiter und bin fasziniert, wie es Daniela Krien gelingt, diesen Teil des Lebens in die richtigen Worte zu packen, wo uns allen doch meist die Worte ausgehen, wenn das Leid zu groß wird.

Im zweiten Teil des Romans lässt das (Mit-)Fühlen nicht nach, doch nun lerne ich, was Trauerbewältigung bedeutet. Und genau das ist es, was dieses Buch für mich aus- und vor allem einzigartig macht. Denn zusammen mit Linda gehen wir da durch - durch die schlimmsten Abgründe - solange bis wieder Licht kommt. Dieses Licht reißt mich mehr mit als all das Leid zuvor und es zeigt auf phänomenale Weise, wie perfekt winzige Momente des „Zustands vollkommener Wunschlosigkeit“ (S. 266) sein können.

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Ich bin froh, dass ich dieses Buch unvorbelastet lesen durfte - und dennoch war es harte Kost. Doch eines werde ich mitnehmen: Es lohnt sich, auf das Licht zu hoffen und an Wunder zu glauben, auch dann, wenn die Dunkelheit alles zu verschlingen droht.

Große Leseempfehlung für ein wirklich bewegendes Buch in wundervoller Sprache mit glaubwürdigen und tollen Charakteren. Das Buch lässt innehalten, muss verdaut werden und hallt nach - es kann sogar überlebenswichtig sein.