Ein freundlicher Frager: War er „der letzte römischkatholische Kopf“?
Begegnungen mit Bertolt BrechtÜber den Augsburger Schalk und Karl-Valentin-Adepten BB (1898-1956) haben sich schon viele illustre Federn essayistisch hergemacht; erwähnt seien nur gründliche Texte etwa von Walter Benjamin, Hannah Arendt, ...
Über den Augsburger Schalk und Karl-Valentin-Adepten BB (1898-1956) haben sich schon viele illustre Federn essayistisch hergemacht; erwähnt seien nur gründliche Texte etwa von Walter Benjamin, Hannah Arendt, Hans Mayer oder Marcel Reich-Ranicki. Brechts Nonkonformismus speiste sich nicht zum wenigsten aus einem Hang zum Wortwitz - Kostproben aus den Briefen (1913-56): Hier ist es zum Speien langweilig; ich finde das Frühjahr scheußlich inszeniert; ich küsse Ihnen das Handgelenk, da wo man den Puls fühlt; Rothäute behandelten meinen Skalp als Abortpapier... (44, 60, 65, 79). Wider den Stachel zu löcken, war seinerzeit gewiss riskanter, aber auch einfacher als heute, wenn Väter die eigenen Söhne (wie Abraham?) für Ideen zu opfern bereit waren und Lehrer am Realgymnasium vom Heldentod schwärmten. (Brecht in Augsburg, st 297, 84, 88) Der Primaner aus sehr gutem Haus war umsorgt von Hauspersonal, die Papierfabrik, die sein Vater leiten durfte, hatte den höchsten Schornstein in der Gegend (105m). Der Primaner war, sagte sein Deutschlehrer, keck, vorlaut, arrogant, aber auch hochbegabt und originell. Körperlich war der junge Brecht, was man in Bayern ein Sparifankerl genannt haben würde, dünn wie ein Bindfaden - sein Hals angeblich „dünner (...) als ein menschlicher Arm“ (106) - der ein Wort wie ultraviolett ähnlich Markus Söder (in jungen Jahren) eher als uldrafiolett ausgesprochen habe. Bavaria lässt grüßen, der Nockherberg ebenso. Mitglieder von Brechts Augsburger Clique mussten die Asymmetrie zwischen Körperbau und Führungsanspruch schon beim jungen Brecht anerkennen und hinnehmen: „Brecht war uns einfach überlegen.“ (Ebendort, 112, 158f) Ein Elternhaus „nur einige hundert Meter“ vom Lech (130) ist aber noch keine Garantie für spätere Aufenthalte in der Abbey Road in Maida Vale (London), am Broadway oder in der Nähe des Kremls. Die Valentin-Schwejk´sche Variante vom „guten Kommunist“ muss offenbar „den Weihnachtsbaum im Kreis meiner Familie betrachten“ (Briefe, 190), was den Leser an eine andere Lichtgestalt aus der „linken Szene“ erinnern könnte, Herbert Marcuse, der einen Zudringlichen mit der Aussage abwehrte, er habe jetzt keine Zeit, denn gleich komme „Columbo“ (Peter Falk) im US-Fernsehen. Solche auch bei Brecht greifbaren Heteronomien - 30 Krimis im Pariser Antiquariat bei nur einem Besuch mitgenommen (321) - hat der ausgewiesene Brecht-Experte Erdmut Wizisla (Jg. 1958) im Jahr 2009 in Leipzig beim Lehmstedt Verlag um weitere 58 Facetten bereichert, unter den Stichwortgebern sind so bekannte Namen wie Ernst Bloch, Carl Zuckmayer, Elias Canetti, Hermann Kesten, Christopher Isherwood, Peter Huchel oder Peter Suhrkamp. Schon im Vorwort geht es ganz schön ruppig zu, wenn aus dem Tagebuch des Harry Graf Kessler (1928) zitiert wird: „Brecht kennengelernt. Auffallender Dekadentenkopf, fast schon Verbrecherphysiognomie (...), ein eigenartig lauernder Gesichtsausdruck: fast der typische Ganove.“ (10) Vermutlich hatte der Graf noch unter dem Schock der eben gesehenen und gehörten Premiere der „Dreigroschenoper“ gestanden. Ernst Ginsberg erinnerte sich dagegen an einen „faszinierenden Kopf“ und weiß von einem diesbezüglichen Zitat im O-Ton Brechts zu berichten: „Geben Sie acht, wenn Sie mit mir über Glaubensfragen diskutieren, mein Lieber. Ich bin der letzte römischkatholische Kopf!“ (233) Ginsberg fand Brechts Gesang zur eigenen Ballade „scheinbar monoton, scheinbar unbeteiligt, scheinbar kalt“. Brecht habe „mit einer schmalen Stimme (gesungen), die etwas von der Schärfe eines Messers hatte (...). Es ging einem durch Mark und Bein.“ (234) Was aber nur Gefühlsäußerungen unterdrückt und verborgen habe, die Ginsberg „schamhaft, vergeistigt und sehr innerlich“ vorkamen. Insofern sei Brechts Theater „ein von falschem Gefühlsfett befreites Theater“ gewesen. „Seine Lieblingsschauspieler waren immer füllige, von echtem Leben strotzende Persönlichkeiten.“ (235) Elias Canetti fand die Zusammentreffen mit Brecht dagegen weniger amüsant. Er nahm Anstoß an „der penetranten Avantgarde-Atmosphäre um ihn“, ja bekennt sich freimütig zur „Feindschaft, die ich gegen ihn empfand“, und „meine Abneigung gegen seine Person (...). Bei seinem Anblick, ganz besonders aber bei seinen gesprochenen Sätzen packte mich jedes Mal die Wut.“ (79f) Canetti bemerkt, „dass Brecht nichts so hochhielt wie die Nützlichkeit und auf jede Weise merken ließ, wie sehr er `hohe` Gesinnungen verachtete. Er meine eine praktische, eine handfeste Nützlichkeit und hatte darin etwas Angelsächsisches, in der amerikanischen Spielart. Der Kult des Amerikanischen hatte damals Wurzeln geschlagen, besonders bei den Künstlern der Linken. An Lichtreklamen und Autos tat es Berlin New York gleich. Für nichts verriet Brecht soviel Zärtlichkeit wie für sein Auto.“ (78) Misslich allerdings für Canetti, dass er von den Gedichten in der „Hauspostille“ nichts weniger als „hingerissen“ war. „Es gab Dinge darunter, die mir durch Mark und Bein gingen (...). Vieles, das meiste traf mich. In Staub und Asche versank, was ich selber geschrieben hatte.“ (80) Neben seiner sozialen Herkunft ging schon der junge Brecht auf Abstand zu seiner nationalen Zugehörigkeit, wenn auch nicht immer so grobianisch formuliert wie in der Aussage „Die Deutschen sind ein Scheißvolk“ oder in der auch nicht gerade filigranen Bemerkung „Auch an mir ist alles schlecht, was deutsch ist.“ (164) Hierzu muss im Nachhinein wohl auch das Studium sowie das spätere (verzweifelte?) Festhalten am Marxismus als Glaubenskontext und Referenzrahmen zählen, zumal Brecht überzeugt war, „wie notwendig der deutsche Intellektuelle Erkenntnisformeln braucht. (...) Jede logische Formel übt auf das deutsche Gehirn einen hypnotischen Einfluss aus.“ (105) Dabei war ihm - im Unterschied zu sehr vielen anderen - Hegel „unbeschreiblich wurst“ (Brecht im Gespräch, es 771, 146). Hannah Arendt reihte Brecht, dies sei abschließend festgehalten, unter ihre Aufzählung von „Menschen in finsteren Zeiten“ ein (Piper 7491, 259-310), denen von einer allzu kritischen Nachwelt mildernde Umstände oft nicht eingeräumt würden: „Im Besitz einer durchdringenden, untheoretischen (!), hintergründigen Klugheit, nicht schweigsam, aber ungewöhnlich verschwiegen und reserviert, immer bedacht, Distanz zu halten, und vermutlich auch ein wenig schüchtern, ganz uninteressiert an sich selbst, aber von großem Wissensdurst (...), dabei vorerst und vor allem ein Dichter, also einer, der sagen muss, wo andere verstummen, und sich darum hüten muss zu reden, wo alle reden.“ (283)
Michael Karl