So wie das Leben ist
Und vor uns das MeerMenschen kommen und gehen in unserem Leben. Freundschaften zerbrechen, Beziehungen gehen auseinander, Ehen werden geschieden. Doch was wäre, wenn man aus einer gebrochenen Freundschaft aus einem vorherigen ...
Menschen kommen und gehen in unserem Leben. Freundschaften zerbrechen, Beziehungen gehen auseinander, Ehen werden geschieden. Doch was wäre, wenn man aus einer gebrochenen Freundschaft aus einem vorherigen Leben aufgrund des Schicksals plötzlich die Liebe findet, die womöglich vorherbestimmt war?
In dem Roman „Und vor uns das Meer“ von der Autorin Jule Henning, erschienen am 28. März 2024 beim „Piper-Verlag“, geht es um Mette, eine geschiedene Frau im besten Alter, ohne Kinder, die mit ihrer Mutter zusammen in Berlin wohnt. Eines Tages bekommt sie einen Anruf, der sie derart sprachlos und geschockt zurücklässt, dass sie anfängt vergangene Taten zu zu überdenken. Ihre ehemalige beste Freundin Josefa ist mit Anfang 50 an den Folgen ihrer Krebserkrankung gestorben und Mette muss sich fragen, weshalb ihre Freundschaft von heute auf morgen zerbrochen ist. Kein geringerer als ihr ehemaliger Kunst-AG-Lehrer und damaliger Freund von Josefa, Ole, überbringt die traurige Nachricht. Josefas letzter Wunsch? Mette und er sollen ihre Asche auf ihrer Lieblingsinsel Sylt verstreuen. Nicht nur, dass die Aktion „Urne-wieder-aus-dem-Grab-heben-und-mitgehen-lassen“ illegal ist, auch Mette fühlt sich überhaupt nicht dazu in der Lage nachts auf einen Friedhof zu gehen und zusammen mit Ole Josefas sterbliche Überreste zu klauen. Mit ein wenig Alkohol im Blut sind sich die beiden jedoch einig, die Mission anzugehen und im Handumdrehen befinden sich beide wenige Tage später mit dem Auto auf dem Weg nach Sylt. Da die Teenager-Tochter ihrer Freundin Alexandra ihren Vater auf der Insel besuchen soll, nehmen sie diese kurzfristig mit auf die Reise. Neben der Urne im Gepäck versteht sich.
Josefa hat Mette und Ole einen Brief hinterlassen und ihnen entsprechende Anweisungen gegeben. Für die Unterkunft hat sie ebenfalls gesorgt. Sie können so lange in der Ferienwohnung bleiben wie sie mögen, die Kosten hat sie bereits zu Lebzeiten übernommen. Auch wenn für Mette klar ist, dass sie nach der Erfüllung von Josefas letztem Wunsch nach ein paar Tagen wieder abreisen wird, beginnt für sie eine emotionale Reise in ihre eigene Vergangenheit. Durch eine zufällige Begegnung werden all ihre traumatischen Kindheitserinnerungen an die Ferien auf Sylt wieder lebendig und Mette muss sich ihren Ängsten stellen. Nichtsdestotrotz lernt sie Ole immer besser kennen und merkt, dass ihre alte Schwärmerei für ihn durchaus seine Berechtigung hatte. Können die beiden den letzten Wunsch ihrer gemeinsamen Freundin erfüllen und vielleicht selber wieder glücklich werden?
Um ehrlich zu sein, hatte ich ein wenig „Angst“ davor das Buch zu lesen. Nicht, dass ich mich leicht triggern lasse oder Angst vor dem Thema Tod oder Verlust habe. Ich denke eher, dass ich dachte, dass „Und vor uns das Meer“ mich emotional so Achterbahn fahren lassen würde, dass ich währenddessen das Buch zur Seite legen müsste. Diesem war aber nicht so. Welcher Gedanke mich immer begleitet hat war eher: Ja, genau so ist das Leben.
Natürlich ist der Roman emotional und die Geschichte vermittelt fast alle Gefühle, aber er ist weder bedrückend, noch hinterlässt er negative Gedanken. Vielmehr ist er ein Abbild eines Lebens, welches so passiert, mit den Höhen und Tiefen, mit gemachten Fehlern, mit Fehlentscheidungen und Bindungen. Durch den leichten Schreibstil kann man sich ganz auf die Geschichte einlassen. Man schwimmt seicht durch das Buch.
Was ich sehr positiv finde, ist die Verknüpfung von verschiedenen Generationen. Wir haben Mette und Ole, die mitten im Leben stehen und schon einiges erlebt haben. Kinder, Ehe, Haus, Scheidungen oder Karriere. Dann Mettes Mutter, die einfach genau das Bild einer liebevollen, aber auch manchmal auf den Geist gehenden alten Frau widerspiegelt, die ihren Dickschädel nur zu gerne durchsetzt. Richtige Erfrischung bringt Mia, die ihre eigenen jugendlichen Probleme hat und ihre erste Liebe erfährt. Wir alle haben unsere Phasen durchgemacht.
Das Cover finde ich schlicht und unauffällig. So ganz konnte ich es auch nicht deuten. Drei Personen, die am Meer entlang spazieren. Wenn ich es auf den Inhalt projizieren sollte, würde ich daraus deuten, dass Ole und Mette ihre gemeinsame Freundin Josefa und der Mitte auf ihrem letzten Weg begleiten. Entweder als Darstellung wie es hätte sein können, da keiner der beiden noch Kontakt zur ihr hatten oder, da die Frau in der Mitte hell gekleidet ist, die Asche als lebendige Person zum Meer geführt wird. Es strahlt eine gewisse Ruhe aus, die dennoch zum Nachdenken anregt.
Zusammenfassend hat mir das Buch „Und vor uns das Meer“ gut gefallen. Jule Henning hat hier die perfekte Balance zwischen Emotion und Realität geschaffen, ohne zu übertreiben oder Szenen zu dramatisieren. Das Leben selber schreibt die besten Geschichten.
Ich vergebe gerne 4 von 5 Sternen und würde den Roman tatsächlich eher der erfahreneren Generation empfehlen.