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Veröffentlicht am 22.05.2024

Leistungsanspruch oder psychischer Missbrauch?

Der Fall Miriam Behrmann
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Miriam Behrmann ist Professorin an der Uni Wien und sieht sich schweren Anschuldigungen ausgesetzt: Ihre Promotionsstudentin Selina Aksoy, die seit vier Jahren für sie arbeitet, wird ihr vor, sie psychisch ...

Miriam Behrmann ist Professorin an der Uni Wien und sieht sich schweren Anschuldigungen ausgesetzt: Ihre Promotionsstudentin Selina Aksoy, die seit vier Jahren für sie arbeitet, wird ihr vor, sie psychisch missbraucht zu haben. Nun wartet Miriam auf die Verkündung, welche Konsequenzen dies für sie haben wird. Zuvor soll sie zu den einzelnen Vorwürfen schriftlich Stellung nehmen. Anhand dieser erinnert sie sich an ihre Zusammenarbeit mit Selina zurück und ebenso daran, was sie selbst geleistet hat, um Karriere zu machen.

Der Roman ist aus der Perspektive von Miriam geschrieben, die zu Beginn darauf wartet, endlich zu erfahren, ob die Uni sich aufgrund der Vorwürfe ihrer Studentin von ihr trennt. Gemeinsam mit ihrem Mann Tom ist sie vor einigen Jahren von Princeton nach Wien gekommen, um dort ein Institut für experimentelle Philosophie zu gründen, das an die Uni angeschlossen ist. Damals wurden sie dafür gefeiert, den Flair der amerikanischen Eliteunis nach Wien zu bringen. Nun schlägt der Vorwurf des psychischen Missbrauchs in der Presse große Wellen. Die konkreten Anschuldigungen kennt Miriam jedoch nicht. Aus ihrer Sicht hat Selina, die mit ihrer Beschwerde bei der Dekanin alles ins Rollen gebracht hat, in der Zeit bei ihr nie etwas richtiges zustande gebracht. Doch mit diesen Konsequenzen hätte sie nie gerechnet.

Schließlich erhält Miriam die Aussagen ihrer Studenten, um Stellung zu nehmen, was Licht ins Dunkel bringt: Sie soll beispielsweise verlangt haben, dass die Studenten immer verfügbar sind und sich nicht um ihre Familie kümmern, gleichzeitig hätte sie versucht, ihnen ihre privilegierten Vorstellungen vom Leben aufzuzwingen. Bei jedem einzelnen Punkt taucht Miriam in die Vergangenheit ein und schildert ihr Sicht der Dinge. Sie verdeutlicht, dass sie einen klaren Leistungsanspruch hat, den sie durchsetzen wollte und dem zu entsprechen Selina nie gelungen ist

Indem sie den Erinnerungen an ihre Zusammenarbeit mit Selina solche aus ihrer eigenen Vergangenheit gegenüberstellt, entsteht ein besonders deutlicher Kontrast. Auch Miriam selbst ist in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, sie hat sich jedoch durch immensen Fleiß nach oben gekämpft und dabei zahlreiche Entbehrungen in Kauf genommen. Dazu ist Selina nicht bereit. Sie tut sich schwer damit, ein passendes Promotionsthema zu finden und eigenständig auszuarbeiten und nutzt ihre Zeit lieber, um sich sozial und politisch zu engagieren.

Die Schilderungen sind durch Miriam als Erzählerin sehr subjektiv und beim Lesen fragte ich mich, inwiefern sie das Vorgefallene verharmlost oder ob ihr Vorgehen tatsächlich zu hart war. So oder so wird hier das Bild eines Generationenkonflikts gezeichnet, in dem die Erwartung, die Karriere über alles zu stellen auf das Verlangen nach einer Work-Life-Balance trifft, in welcher der Life-Teil gerne auch überwiegen darf. Mich hat der Roman ins Nachdenken darüber gebracht, wie verschiedene Generationen mit Leistungsdruck umgehen. Gerne empfehle ich ihn weiter.

Veröffentlicht am 27.04.2024

Stillstand durch Verweigerung

Und alle so still
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Elin ist 21 Jahre alt und lebt mit ihrer Mutter Alma in deren eigenem Wellnesshotel. Für sie bestand ihre Familie immer nur aus ihnen beiden. Doch dann bittet Alma sie, zu ihrer Oma Iris zu fahren, die ...

Elin ist 21 Jahre alt und lebt mit ihrer Mutter Alma in deren eigenem Wellnesshotel. Für sie bestand ihre Familie immer nur aus ihnen beiden. Doch dann bittet Alma sie, zu ihrer Oma Iris zu fahren, die sie nie kennengelernt hat. Diese hat sich mit anderen Frauen vor das Krankenhaus gelegt. Die Aktion sorgt für Irritation - gegen was oder wofür sind die Frauen? Was sind ihre Forderungen? Doch die Beteiligten äußern sich nicht dazu. Nicht nur Elin wird Zeugin der Aktion, sondern auch die Pflegerin Ruth, Elins Tante, und der neunzehnjährige Nuri, der zahlreiche Aushilfsjobs hat, um seine Arztrechnungen bezahlen und eines Tages in eine eigene Wohnung ziehen zu können.

Zu Beginn des Romans lernte ich die drei Protagonist:innen näher kennen. Elin ist eine erfolgreiche Influencerin, doch die zahlreichen Hasskommentare machen ihr zu schaffen. Sie leidet unter Panikattacken und die hohe Zahl ihrer sexuellen Kontakte mit Besuchern des Hotels bereitet ihrer Therapeutin Sorgen. Bei einer dieser Begegnungen passiert etwas, von dem sie nicht sicher ist, ob es Gewalt war. Doch bevor sie weiter darüber nachdenken kann wird sie zu ihrer Oma geschickt, deren Verhalten Fragen aufwirft.

Ruth arbeitet in dem Krankenhaus, vor das ihre Mutter sich mit den anderen Frauen legt. Sie möchte ihre Arbeit gut erledigen, doch es gibt so viel zu tun, dass sie bis zur Erschöpfung und darüber hinaus arbeitet und trotzdem nicht alles schafft, was zu tun wäre. Im Krankenhaus begegnet sie auch Nuri, der keinen Schulabschluss hat und daher diverse Jobs im Niedriglohnsektor hat - Barkeeper, Reinigungskraft, Bettenschubser, Essenslieferant - um sich finanziell über Wasser zu halten.

Schnell war ich mittendrin in der Geschichte und gespannt darauf, welche Reaktion die stille Revolte der Frauen auslöst. Der Geist der Aktion verbreitet sich und plötzlich verweigern überall Frauen die Arbeit. Der Autorin gelingt es damit eindrucksvoll, den Wert von Care Arbeit zu verdeutlichen und was das plötzliche Wegbrechen für Konsequenzen hätte. Auch die katastrophalen Zustände in Pflegeberufen und im Niedriglohnsektor sind Teil des Romans. Der starke Zusammenhalt der Frauen hat mir gut gefallen und mit Nuri hat die Geschichte einen männlichen Charakter, der sich nicht dem männlichen Rollenklischee entsprechend verhalten möchte.

Nicht alles wird auserzählt, die Geschichte setzt auf intensive Szenen und überlässt es den Leser*innen, sich das restliche Geschehen genauer auszumalen. Für mich ist "Und alle so still" ein feministischer Gesellschaftsroman, der gelungen aufzeigt, welche Konsequenzen eine kollektive Verweigerung der Frauen hätte und der zum Nachdenken ebenso wie zur Diskussion einlädt.

Veröffentlicht am 06.04.2024

Wie geht es nach dem Happy End weiter?

Sommer ist meine Lieblingsfarbe
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Ava ist 43 und ihr Leben ist eigentlich genau so, wie sie es sich immer erträumt hat: Sie ist mit ihrem Traummann verheiratet, hat drei Kinder und lebt in einem schönen Haus in Hamburg Vierlanden gleich ...

Ava ist 43 und ihr Leben ist eigentlich genau so, wie sie es sich immer erträumt hat: Sie ist mit ihrem Traummann verheiratet, hat drei Kinder und lebt in einem schönen Haus in Hamburg Vierlanden gleich hinter dem Deich. Doch seit einiger Zeit fühlt sich das alles nicht mehr richtig an: Ihr Mann Jan muss so viel arbeiten, dass sie ihn kaum mehr zu Gesicht bekommt, sie kümmert sich allein um die Hausarbeit und die Hühner und in der Elternvertretung überlässt man ihr alles Organisatorische, weil sie als einzige nicht arbeitet und nach Auffassung der anderen doch sicher genug Zeit dafür hat. Als Ava eine Mail ihres Ex-Freundes erhält, der sie gerne sehen will, ist das Gefühlschaos komplett. Sie gerät ins Grübeln, was sie in ihrem Leben ändern möchte, um wieder glücklich zu sein, und was vielleicht doch bleiben darf, wie es ist.

Das Cover des Romans ist frisch und bunt und macht Lust auf die Geschichte. Es zeigt eine Frau mit Farbpinsel in der Hand, was eine Anspielung auf Avas Hobby ist, für das sie schon lange keine Zeit mehr gefunden hat. Zu Beginn des Romans lernte ich Avas turbulentes Leben kennen und musste schnell feststellen, dass sie selbst dabei viel zu kurz kommt. Insofern konnte ich gut nachvollziehen, warum sie unzufrieden ist und das Gefühl hat, dass sich etwas ändern muss.

Claudia Schaumann zeichnet Ava als eine authentische Figur, deren innerer Konflikt und emotionale Reise mich als Leserin mitnahm. Sie fragt sich, was sie wirklich im Leben will und was sie braucht, um glücklich zu sein. Der überwiegende Teil des Romans ist aus Avas Perspektive geschrieben, gelegentlich kommt aber auch ein "Er" zu Wort, der berichtet, wie er Ava kennengelernt hat. Hier ist zunächst nicht hundertprozentig klar, wer der Erzähler ist.

Der Autorin gelingt es, mit ihrem einfühlsamen Schreibstil eine berührende Geschichte über Selbstfindung, Liebe und Lebensglück zu kreieren. Es gibt nachdenklich stimmende und emotionale Szenen, aber auch humorvolle Momente, die der Handlung Leichtigkeit geben. Insgesamt ist "Sommer ist meine Lieblingsfarbe" ein gelungener Roman über die Frage, wie es nach dem Happy End weitergeht, den ich sehr gerne weiterempfehle.

Veröffentlicht am 09.03.2024

Mit diesen Figuren möchte man gerne noch mehr Zeit verbringen

Hallo, du Schöne
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William Waters ist ein Einzelkind, seit seine drei Jahre alte Schwester kurz nach seiner Geburt überraschend verstorben ist. Seine Eltern haben diesen Schicksalsschlag nie ganz überwunden und ihm wenig ...

William Waters ist ein Einzelkind, seit seine drei Jahre alte Schwester kurz nach seiner Geburt überraschend verstorben ist. Seine Eltern haben diesen Schicksalsschlag nie ganz überwunden und ihm wenig Liebe zukommen lassen. Seine Tage verbringt William mit Basketball spielen und ist schließlich so gut, dass er ein Stipendium für die Northwester University in Chicago erhält und sein bisheriges Leben hinter sich lässt. Dort lernt er Julia Padavano kennen, die mit ihren Eltern und ihren drei Schwestern in der Nähe des College wohnt. Als die beiden ein Paar werden, wird William in der Familie herzlich aufgenommen. Ihr Leben scheint vorgezeichnet: Eine gemeinsame Wohnung, Hochzeit, Kinder und Karriere. Doch dann kommt es zu unerwarteten Ereignissen, welche alle Charaktere aus der Spur werfen. Wie werden sie unter den veränderten Bedingungen ihre Zukunft gestalten?

Das Buch beginnt im Jahr 1987 mit dem Kennenlernen von William und Julia. Ich erhielt einen kurzem Abriss über Williams Kindheit und bevor ich mich versah waren die beiden ein Paar. Nach dem ersten Kapitel aus Williams Perspektive wechselt diese zu Julia und es ging in ebenso hohem Tempo weiter: Die beiden verloben sich und beschließen, zu heiraten. Die dritte im Bunde, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird, ist Julias Schwester Sylvie. Sie arbeitet seit ihrem dreizehnten Lebensjahr in einer Bibliothek, da ihr das Geld fürs College fehlt. Wärhend sie darauf wartet, dass ihr die große Liebe begegnet, lässt sie sich von diversen Jungen zwischen den Bücherregalen küssen.

Nach dem zügigen Einstieg spielt ein großer Teil der Geschichte in den Jahren 1982 bis 1984. Hier tauchte ich tiefer in das Leben der vier Schwestern und William ein. Auch wenn das Buch aus drei Perspektiven erzählt wird erfuhr ich ebenfalls so manches über die Zwillingsschwestern Cecelia und Emelina sowie ihrer Eltern Rose und Charlie. Die Charaktere wurden mir schnell sympathisch und die ersten schicksalhaften Entwicklungen ließen mich hoffen und bangen. Es kommt zu Brüchen, die mich hoffen ließen, dass sie wieder gekittet werden können. Doch manche Entscheidungen scheinen unwiderruflich.

Beim Lesen dieses Familienromans erlebte ich die ganze Bandbreite an Emotionen. Es geht um Liebe und Zusammenhalt, aber auch Eifersucht und Enttäuschung. Ann Napolitano behandelt die Themen gefühlvoll und mit großer Sensibilität. Ich lernte die Charaktere immer besser kennen, die einfach nicht aus ihrer Haut können. Ihre Entscheidungen, so folgenreich sie auch sein mögen und so unverständlich andere sie auch finden, wurden mir begreiflich gemacht. Zum Ende hin wird es noch einmal hochemotional und ich konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Auch wenn ich mit den Figuren noch mehr Zeit hätte verbringen können, ist die Länge des Romans genau richtig und dieser rundum gelungen. Für mich ein echtes Herzensbuch, das ich absolut weiterempfehlen kann!

Veröffentlicht am 02.03.2024

Ein absolut lesenswerter Roman

Yellowface
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June Hayward ist eine aufstrebende Autorin, deren Debütroman im Hinblick auf die Verkaufszahlen allerdings hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist. Ihre Freundin Athena Liu hingegen, die sie während ...

June Hayward ist eine aufstrebende Autorin, deren Debütroman im Hinblick auf die Verkaufszahlen allerdings hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist. Ihre Freundin Athena Liu hingegen, die sie während ihres Studiums in Yale kennengerlernt hat, landet mit ihrem ersten Buch gleich einen Bestseller, wird von der Branche gefeiert und räumt Preise ab. Als die beiden sich in Athenas Wohnung treffen und diese überraschend stirbt, nimmt June das Manuskript an sich, das Athena gerade vollendet und bislang streng geheim gehalten hat. June redet sich ein, dass es ganz in Athenas Sinne gewesen wäre, dass sie das Manuskript vollendet. Von einer geteilten Autorinnenschaft würde eine Tote auch nicht mehr profitieren, wieso es also nicht gleich als ihres ausgeben? Schließlich bestehet keine Chance, dass das Geheimnis ans Licht kommt, solange sie selbst nichts erzählt - oder?

Ich hatte im Vorfeld der Lektüre schon viel Lob für die Originalausgabe gesehen, sodass ich mit hohen Erwartungen in die Geschichte startete. Die Ich-Erzählerin June sprach mich als Leserin direkt an und erzählte zunächst von der Nacht, in der Athena in ihrem Beisein gestorben ist. Von Beginn an merkt man, dass sich June für ihr Handeln rechtfertigen will, es liest sich wie ein Plädoyer für ihre Sache. Athena wird als überheblicher Shootingstar dargestellt, der June trotz ihrer Freundschaft nicht besonders nahe stand und deren Tod zwar tragisch ist, sie emotional aber nicht allzu tief trifft. Die Eifersucht auf Athenas Erfolg trieft aus den Zeilen des Buches, sodass Junes Entscheidung, das Manuskript zu stehlen und als ihres auszugeben, für mich nachvollziehbar wurde.

Das Verhalten von June ist natürlich entsetzlich und moralisch völlig inakzeptabel. Gleichzeitig musste ich im Laufe der Geschichte widerwillig zugeben, dass sie ein manipulatives Talent besitzt, mit welchem sie ihr Umfeld um den Finger wickelt und dasselbe in meine Richtung versucht. Ihre Freundschaft zu Athena betont sie mal, dann wird sie wieder heruntergespielt, je nachdem was gerade besser passt. Sie spinnt ein Netz aus Lügen und tut alles für ihr Ziel, aus dem Manuskript einen Verkaufsschlager und aus sich eine Bestseller-Autorin zu machen.

Beim Lesen schwankte ich zwischen der Hoffnung, dass June für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen wird und der Neugier, wie weit sie es noch treiben kann, bevor ihr Kartenhaus in sich zusammenfällt. Währenddessen beobachtete ich gespannt das Verhalten ihres Verlags, der Branche und der sozialen Medien auf die Ereignisse. Dabei geht es unter anderem um die Frage, ob weiße Autor:innen alle Geschichten erzählen dürfen und die Bedeutung von Own-Voices-Romanen und Sensitivity Reading. Junes geklautes Manuskript wird vom Verlag als Bestseller auserkoren und es werden Änderungen zulasten der Authentizität und zugunsten des Rassismus vorgenommen, um ein möglichst großes Publikum anzusprechen. Schließlich setzt sich der Roman mit digitalen Shitstorms und Cancel Culture auseinander.

In Amerika hat das Buch für Kontroversen gesorgt, inwiefern die Autorin Rebecca F. Kuang hier auf Basis eigener Erfahrungen mit der Buchbranche abrechnet. Doch gerade im Hinblick auf Junes Verlag, der sich hinter sie und ihr rassistisches Verhalten stellt und in der Folge die Verkäufe in der rechten Szene ansteigen, ist die Geschichte von großer Aktualität. Ich kann dieses Buch klar weiterempfehlen.