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Veröffentlicht am 30.07.2023

Ja, das müssen wir lesen!

Muss ich das gelesen haben?
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Muss ich das gelesen haben? - Ja, find ich schon!
Zugegeben, man merkt Teresa Reichls Buch an, dass es sich an eine jüngere Generation richtet. Wenn man jedoch über den Slang hinweglesen kann, erkennt ...

Muss ich das gelesen haben? - Ja, find ich schon!
Zugegeben, man merkt Teresa Reichls Buch an, dass es sich an eine jüngere Generation richtet. Wenn man jedoch über den Slang hinweglesen kann, erkennt man, dass Reichl jemand ist, der verdammt gerne liest, über Bücher reflektiert und dann darüber spricht. In diesem Buch nun lässt sie uns an den Gedanken darüber teilhaben, dass die (Pflicht-)Lektüren an unseren Schulen und der gängige Literaturkanon überwiegend ziemlich gleich und deshalb ziemlich eintönig sind. Die Germanistin und Poetry-Slammerin plädiert in jugendlicher Begeisterung für eine Neubetrachtung und -orientierung zu authentischen, diversen und bunten Geschichten, die den beispielsweise immergleichen Goethe und seine Homies ablösen, denn Literatur hat so viel mehr zu bieten!

Reichls kleine Literaturrevolte war für mich ähnlich inspirierend wie Nicole Seiferts "Frauenliteratur" und ich fänd es so toll, wenn ganz viele Lehrer:innen ihre Unterrichtsgestaltung damit bunter gestalten würden und überhaupt alle, die es lesen, alte (Literatur-)Systeme hinterfragen. Nehmt diese Bücher als Augenöffner!

Veröffentlicht am 07.06.2023

Dystopie im Ruhrgebiet

Am Ende der Welt liegt Duisburg am Meer
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In möglicherweise einer nicht allzu fernen Zukunft an der Küste Duisburgs leben Mara und ihr jüngerer Bruder Ben. Eine Flutkatastrophe biblischen Ausmaßes hat weite Landesteile überspült. Die Menschen ...

In möglicherweise einer nicht allzu fernen Zukunft an der Küste Duisburgs leben Mara und ihr jüngerer Bruder Ben. Eine Flutkatastrophe biblischen Ausmaßes hat weite Landesteile überspült. Die Menschen sind größtenteils heimatlos, jede:r schlägt sich irgendwie durch. Die größte Sorgen gelten der Nahrungsbeschaffung und einem trockenen Schlafplatz. Um jeden Preis trocken bleiben oder vor Einbruch der Nacht trocken werden, lockt Feuer doch andere Menschen und damit Gefahr an.

Mara und Ben sehen keine Zukunft mehr am kargen Duisburger Hafen. Wie so viele machen sie sich auf den Weg nach Osten. Erzählungen über freundliche Gestalten, die Menschen in ihrer Verzweiflung helfen, denen Nächstenliebe noch ein Begriff ist, treiben die Kinder an. Ben ist bereit, an diese Hilfsbereitschaft zu glauben, die in Form eines Mannes namens Noah existieren soll. Maras tiefe Skepsis lässt sie vorsichtig sein gegenüber allen Fremden. Denn irgendwann gilt es, sich zu entscheiden - wem kann man trauen und wem nicht?
Ein Buchhändlerkollege hat mir dieses Buch empfohlen, als ich ihm sagte, dass mir Cormac McCarthys "Die Straße" ungemein gefallen hat. Atmosphärisch nicht ganz zu vergleichen mit dem genannten Titel, liegt der Charme von Sascha Pranschkes "Am Ende der Welt liegt Duisburg am Meer" eher im Regionalkolorit der Reise durch ein Ruhrgebiet, das keiner von uns wiedererkennt. Ein unterhaltsames und empfehlenswertes Buch!

Veröffentlicht am 07.06.2023

Wie ein Lufthauch

Der Wind erhebt sich
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Ein junges Paar entschließt sich, für eine Weile in ein Sanatorium in die Berge zu gehen. Die Frau leidet an einer Lungenkrankheit. Der Ich-Erzähler begleitet seine Verlobte, und ihr Zustand scheint sich ...

Ein junges Paar entschließt sich, für eine Weile in ein Sanatorium in die Berge zu gehen. Die Frau leidet an einer Lungenkrankheit. Der Ich-Erzähler begleitet seine Verlobte, und ihr Zustand scheint sich auch kurzzeitig zu verbessern. Zwischen den Besuchen der Krankenschwestern, Spaziergängen in der abgeschiedenen Bergidylle und zeitweiliger Bettlägerigkeit Setsukos ziehen die Jahreszeiten an dem Paar und auch an uns als Leser:innen vorüber. Der Wechsel der Saisons wird dabei so zart beschrieben wie die Beziehung der beiden Handelnden zueinander - grazil, dabei aber behutsam. Das Paar wirkt in seiner Interaktion platonisch, vielleicht entzieht es sich aber auch lediglich westlichen und/oder neumodischen Maßstäben von Romantik. Ein wenig befremdlich fand ich die verklärte Betrachtung des Ich-Erzählers, der mit voranschreitender Krankheit eine anziehende ästhetische Fragilität in Setsuko sieht und in diesem Zustand noch anziehender findet. Irgendwann verlässt Setsuko für immer längere Perioden das Bett nicht mehr, der Verfall ihrer Lunge lässt es nicht zu. Dem Voranschreiten der vergehenden Zeit sieht die kranke Frau nur durch die Fenster des Zimmers, ohne selbst noch Teil der Welt außerhalb des Krankenzimmers zu sein. Es passiert das Unausweichliche, Setsuko stirbt, und trotz der immer wieder geäußerten aufkeimenden Hoffnung des Ich-Erzählers scheint er zu wissen, dass der Tod seiner Verlobten unausweichlich ist.

Hat mich "Der Wind erhebt sich" berührt? Ich kann es gar nicht genau sagen. Die Kürze der Novelle hat es mir versagt, mich mit den Handelnden emotional zu verbinden. Die Stärke dieses Buches liegt eher in seiner Sprache, die zeitweise filigran wirkt und mich ein bisschen an Haiku erinnert.

Veröffentlicht am 29.05.2023

Ein steiniger Lebensweg

Second-Class Citizen: Der Klassiker der Schwarzen feministischen Literatur
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Schon früh merkt Adah, dass sie mehr vom Leben will. Als kleines Mädchen spaziert sie zielgerichtet in die Schule, um sich dort anzumelden, und damit ein Privileg einzufordern, das normalerweise Jungen ...

Schon früh merkt Adah, dass sie mehr vom Leben will. Als kleines Mädchen spaziert sie zielgerichtet in die Schule, um sich dort anzumelden, und damit ein Privileg einzufordern, das normalerweise Jungen vorbehalten ist. Ihre Schulausbildung wird vom Vater gefördert, als dieser jedoch überraschend stirbt und sie bei einem Onkel unterkommt, hat dessen Familie einzig im Sinn, das Mädchen für sich arbeiten zu lassen und später eine Ehe einzugehen, die sich als lukrativ für die Familie erweisen soll.
Adah sucht sich ihren Ehemann selbst aus, von dem sie annimmt, dass Frances irgendwann eine gute Zukunft für sie und die beiden Kinder gestalten wird. Eines Tages erhält er das Angebot zu einer Weiterbildung nach London aufzubrechen, und kurze Zeit später folgt sie ihm. Dort angekommen, türmen sich die Schwierigkeiten. Frances konzentriert sich allein auf seine Weiterbildung und überlässt es Adah, das komplette Familieneinkommen zu verdienen. Als Schwarze und vor allem Schwarze Frau ist sie in London erstmals Rassismus ausgesetzt, der sie daran hindert trotz ihrer guten Ausbildung und ihres Einkommens ein besseres Leben zu bestreiten. Alle Umstände in ihrem Leben scheinen sich gegen ihr Weiterkommen zu stellen.

Die Willensstärke von Buchi Emecheta, die mit "Second-Class Citizen" ihre eigene Lebenserfahrung verarbeitet hat, ist bewundernswert. Wie viel hätte diese Frau und Schriftstellerin erreichen können, wäre sie gesellschaftlich und familiär nicht derart behindert worden. Ein inspirierendes Buch! Lest es!

Veröffentlicht am 29.05.2023

#WeiblicherKanon

100 Autorinnen in Porträts
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Literaturkritikerinnen Verena Auffermann, Gunhild Kübler, Ursula März, Elke Schmitter und Julia Encke schreiben über 100 Autorinnen durch sämtliche Zeiten und Nationalitäten. Ich hatte mir vorgenommen, ...

Literaturkritikerinnen Verena Auffermann, Gunhild Kübler, Ursula März, Elke Schmitter und Julia Encke schreiben über 100 Autorinnen durch sämtliche Zeiten und Nationalitäten. Ich hatte mir vorgenommen, an jedem Tag lediglich ein Autorinnenporträt zu lesen, um die Biografien nicht durcheinanderzubringen. Entsprechend lange habe ich an diesem Kompendium gesessen, aber dafür hat es sich auch für mich gelohnt. Von vielen der vorgestellten Autorinnen habe ich noch nie etwas gehört, von anderen waren mir nur die Namen aber keine weiteren biografischen Daten bekannt, und bei manchen haben die Kritikerinnen in den Kurzporträts mit Mythen und Unwahrheiten aufgeräumt. Insgesamt ein wirklich tolles Buch, das in meinem Regal jetzt schwesterlich neben Nicole Seiferts „Frauen Literatur“ steht und mir als weiteres Nachschlagewerk dient und mir durchaus einige Inspirationen gegeben hat für Bücher, die ich in der Zukunft noch lesen möchte.