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Veröffentlicht am 10.04.2024

Anders als erwartet

Das andere Tal
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Es gibt Romane, da muss ich erst einmal einige Zeit verstreichen lassen, bevor ich eine Rezension zu ihnen schreibe. Scott Alexander Howards "Das andere Tal" gehört dazu.

Vorweg muss ich zugeben, dass ...

Es gibt Romane, da muss ich erst einmal einige Zeit verstreichen lassen, bevor ich eine Rezension zu ihnen schreibe. Scott Alexander Howards "Das andere Tal" gehört dazu.

Vorweg muss ich zugeben, dass ich im Moment krankheitsbedingt sehr emotional veranlagt bin: Ein Roman wie "Das andere Tal", der sich nicht nur - wie der Rückentext unter anderem ankündigt - mit Themen wie "Freiheit und die Macht des Schicksals" befasst, sondern auch mit dem Tod geliebter Menschen und den Umgang damit, kann mich daher nicht kalt lassen.

"Das andere Tal" hat eine interessante Prämisse: Im Osten und Westen des Tals befindet sich jeweils ein identisches Tal - nur 20 Jahre zeitversetzt, also 20 Jahre in der Vergangenheit bzw. 20 Jahre in der Zukunft. Diese Täler sind durch stark bewachte Zäune voneinander getrennt. Ein Übergang in die Nachbartäler ist nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Die Erlaubnis wird vom so genannten Conseil bzw. dessen Conseilliers/Conseillieres erteilt.

Die Protagonistin Odile ist 16 Jahre alt und bewirbt sich auf Anraten ihrer Mutter - die selbst einst Conseillière werden wollte, aber gescheitert ist - um einen Ausbildungsplatz beim Conseil. Zur gleichen Zeit lernt sie Edme, einen Klassenkameraden, näher kennen und lieben. Zudem bilden sich für die einstige Einzelgängerin unerwartete zarte Freundschaften.

Allerdings erfährt Odile durch Zufall auch, dass Edme bald sterben wird. Und nun steht sie also vor einem Dilemma: Soll sie in Edmes Schicksal eingreifen oder nicht? Soll sie ihm einen Tipp geben oder nicht? Soll sie tun, was das Conseil von ihr verlangt oder soll sie ihrem Herzen folgen? Gar nicht so einfach, denn laut Conseil kann Einmischung katastrophale Folgen für alle haben.

Ich hatte einen anderen Roman erwartet, war aber durchaus froh, dass der Autor mit meinen Erwartungen gebrochen hat. Zum einen konnte mich der Roman dadurch emotional mehr packen, zum anderen wurde er auch nicht langatmig.

Grundsätzlich muss man sich auf viele Vorgaben des Romans einlassen können. Wer eine einwandfreie Umsetzung wissenschaftlicher Theorien zu Zeitreisen und so weiter erwartet, wird unweigerlich enttäuscht sein. Wer ein komplett logisches Werk erwartet, wird ebenso enttäuscht werden, fürchte ich.

Letztendlich ist "Das andere Tal" ein sehr emotionaler Roman mit einem philosophischen Touch - ohne aber komplett in theoretisch-philosophische Abgründe abzudriften.

Howard einen nüchternen Erzählstil gewählt, den ich als sehr angenehm empfinde. Das Erzähltempo ist von Anfang bis Ende sehr gut gewählt. Es gibt keine enervierend langatmigen Szenen und ich hatte auch zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, dass Howard plötzlich überhastet einen Schlusspunkt ziehen möchte.

Odile ist eine Protagonistin (und Ich-Erzählerin), deren Handeln oder Nichthandeln nicht immer bis ins letzte Detail erläutert wird. Das hat mir sehr gefallen. Ich mag es nicht, wenn Autorinnen meinen, ihre Leserinnen seien nicht schlau genug, sich selbst Dinge zusammenreimen zu können. Und ich mag es, wenn ich - zumindest ab und zu - meine eigene Phantasie nutzen kann. So kommen dann eigene Lebensrealitäten zum Zug, so dass im wahrsten Sinne des Wortes jeder Leserin zwar das gleiche Buch in den Händen hält, aber einen anderen Roman erlebt.

Ich kann mir vorstellen, dass einige Leserinnen von diesem Roman enttäuscht sein werden - vor allem von dessen Ende. Mir hat er, so wie er ist, sehr gefallen. Für mich hat sich am Ende ein Kreis geschlossen: vor allem in Bezug auf Odiles Entwicklung und damit einhergehend ihre Entscheidungen und Taten. Es war für mich wunderbar, das lesen zu dürfen.

Anmerkung zum Ende: Howard hat auf Anführungszeichen für die direkte Rede verzichtet. Einigen Leser
innen bereitet das eventuell Schwierigkeiten oder stößt das negativ auf. Wer sich also an derartigen Stilmitteln stört, sollte die Hände lieber weg lassen von dem Roman. 😉

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Veröffentlicht am 16.01.2024

Für mich eine Bereicherung

Vielfalt
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Als Sebastian Pertsch auf Mastodon "Vielfalt" ankündigte, war mir sofort klar, dass ich dieses Buch unbedingt kaufen und lesen möchte. Meine Geduld wurde auf die Probe gestellt, weil der Duden Verlag das ...

Als Sebastian Pertsch auf Mastodon "Vielfalt" ankündigte, war mir sofort klar, dass ich dieses Buch unbedingt kaufen und lesen möchte. Meine Geduld wurde auf die Probe gestellt, weil der Duden Verlag das Erscheinungsdatum nach hinten verschob und die im Anschluss eBook-Ausgabe - für die ich mich entschieden hatte - noch einmal auf Februar 2024 verschoben worden ist.

Nun halte ich also die gedruckte Ausgabe in meinen Händen und bin zugleich glücklich und beeindruckt. Das glänzende Cover ist ein Hingucker; tatsächlich bin ich mittlerweile froh, nicht geduldig genug gewesen zu sein, auf die eBook-Ausgabe zu warten. Beindruckend ist für mich der Inhalt.

Die in diesem Band versammelten Begriffe waren und sind mir allesamt geläufig. Ich nutze sie immer wieder. Und doch habe ich viel gelernt.

"Vielfalt" versteht sich nicht als klassisches Wörterbuch, wie der Untertitel "Das andere Wörterbuch" klarstellt. Vielmehr ist "Vielfalt" - zumindest empfinde ich es so - als Einladung zu verstehen: Zum einen gibt es eben doch einiges, was wir - die LeserInnen - durch die 100 Beiträge lernen können. Zum anderen lädt "Vielfalt" dazu ein, andere Perspektiven auf diese Begriffe kennenzulernen. Die Beiträge laden dazu ein, sich mit den Begriffen, mit den Perspektiven auseinanderzusetzen. Und die Beiträge laden natürlich auch zu Diskussionen ein.

Jedem Begriff ist eine Doppelseite gewidmet. Das ist teilweise sehr knapp bemessen, denn zu jedem Begriff ließe sich deutlich mehr schreiben. Und doch bin ich froh, dass es diese Einschränkung gibt, denn so ufern die Beiträge nicht aus. Wer Interesse an weiterführenden Informationen hat, dem stehen zahlreiche Quellen und Medientipps zur Verfügung.

"Vielfalt" ist eine meiner Meinung nach eine sehr gelungene Veröffentlichung, die mich mal zum Lachen (alter weißer Mann), mal zum Nachdenken (inklusive Sprache) gebracht hat. Für mich ist dieses Buch eine Bereicherung.

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Veröffentlicht am 07.01.2024

Toll geschriebenes, sehr informatives Sachbuch

Sind wir allein im Universum?
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"Sind wir allein im Universum?" Ich würde wetten, dass die Mehrheit der Menschen sich diese Frage mindestens einmal im Leben gestellt hat bzw. stellt oder noch stellen wird. Insofern ist der Titel von ...

"Sind wir allein im Universum?" Ich würde wetten, dass die Mehrheit der Menschen sich diese Frage mindestens einmal im Leben gestellt hat bzw. stellt oder noch stellen wird. Insofern ist der Titel von Lisa Kalteneggers Buch gut gewählt.

Lisa Kaltenegger ist ihres Zeichens Astronomin und Astrophysikerin und hat es immerhin zur Leiterin des Carl Sagan Institutes an der Cornell University gebracht. Das ist beeindruckend und spricht für den Inhalt des Buches.

"Sind wir allein im Universum? Meine Suche nach Leben im All" erschien bereits 2015, wurde aber Ende 2023 laut Verlag noch einmal komplett überarbeitet neu veröffentlicht. Im Verlauf der Lektüre bin ich immer wieder auf Flüchtigkeitsfehler gestoßen, hier hätte der Verlag meiner Meinung nach sauberer arbeiten können und müssen (Auswirkungen auf den Inhalt haben die Flüchtigkeitsfehler zwar nicht, aber sie nerven).

Inhaltlich hat mich das Buch überzeugt: Lisa Kaltenegger hat ein sehr unterhaltsames Buch geschaffen, das selbst Laien wie mir komplexe Sachverhalte nahezubringen vermag. Und es ist tatsächlich sehr spannend, Lisa Kalteneggers Ausführungen zu folgen und Einblicke in ihre Arbeit zu gewinnen - und natürlich auch ein bisschen besser die Suche nach Leben, wie wir es kennen, zu verstehen (und manch sensationsheischende Zeitschriften-Überschriften besser einordnen zu können).

Ich liebe es sehr, wenn WissenschaftlerInnen uns an ihrem Wissen auf eine Weise teilhaben lassen, die einladend und vermittelnd ist, statt ausschließend. Das gelingt Lisa Kaltenegger mit ihren Ausführungen. Ich habe viel Spaß gehabt, das Buch zu lesen. Und ich habe für mich den Eindruck, etwas dazu gelernt haben, auch wenn ich mir nicht alles merken konnte. Besonders freut mich, die Arbeit von Frau Kaltenegger und ihren KollegInnen besser verstehen zu können.

Mir haben außerdem die begleitenden Illustrationen von Mandy Fischer gefallen, die manche Ausführungen noch besser verdeutlichen und gleichzeitig die Ausführungen auflockern und lebendiger machen. Das ist ein sehr schöner Ansatz.

Alles in allem ist "Sind wir allein im Universum?" - so plakativ der Titel des Buches auch sein mag - ein sehr empfehlenswertes Buch: spannend, unterhaltsam, informativ und dabei nicht zu anstrengend.

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Veröffentlicht am 19.02.2023

Super recherchiert, gut geschrieben

Putins Netz. Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste
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"Putins Netz" liest sich wie ein Krimi und ich musste mich während der Lektüre immer wieder daran erinnern, dass Catherine Belton leider nicht Erdachtes zu Papier gebracht hat, sondern Reales. Das Ergebnis ...

"Putins Netz" liest sich wie ein Krimi und ich musste mich während der Lektüre immer wieder daran erinnern, dass Catherine Belton leider nicht Erdachtes zu Papier gebracht hat, sondern Reales. Das Ergebnis ist erschreckend.

Catherine Belton beschreibt das System Putin, seinen Werdegang, seine Einflüsse und eben "das Netz", in dem er sich befindet. Sie hat offensichtlich akribisch und über Jahre hinweg recherchiert. Das Ergebnis der Recherchen, mit zahlreichen Belegen im Anhang versehen, kann man nun am Stück nachlesen.

Und was man da liest, ist in der Tat erschreckend. Einiges war mir bereits bekannt, das Ausmaß des Systems Putin, die Kriminalität, die damit einhergeht, die sind mir allerdings neu gewesen.

Was mir an Betons Buch besonders gefallen hat, ist, dass sie nicht nur das System Putin beschreibt, sondern auch das Versagen des Westens thematisiert. Warum hat der Westen so lange weggeschaut? Auch das wird - wenn auch nicht so ausführlich wie der Rest (natürlich) - eindrücklich ausgearbeitet.

Ebenfalls hat mir gut gefallen, dass Belton Passagen, in denen sie oder ihre Interviewpartner Mutmaßungen anstellen, auch als solche präsentiert werden und nicht als Fakten. Da sie aber vor allem Fakten präsentiert, sind Mutmaßungen eher die Ausnahme, auch das spricht für das Buch.

Alles in allem ist Putins Netz ein herausragendes Buch, das akribisch recherchiert ist und so geschrieben ist, dass ich es kaum beiseite legen konnte.

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Veröffentlicht am 30.11.2022

Emotional mitreißende Dystopie

Unsre verschwundenen Herzen
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Der Roman, der mich dieses Jahr am meisten mitgenommen hat, stammt von Celeste Ng. Ihr Werk "Kleine Feuer überall" stand schon lange auf meiner Wunschliste, gelesen habe ich nun aber ihren aktuellen Roman ...

Der Roman, der mich dieses Jahr am meisten mitgenommen hat, stammt von Celeste Ng. Ihr Werk "Kleine Feuer überall" stand schon lange auf meiner Wunschliste, gelesen habe ich nun aber ihren aktuellen Roman "Unsre verschwundenen Herzen".

Es gibt einiges, was man an dem Roman - der als Dystopie eingestuft wird - kritisieren kann. "Warum handelt Margaret so und nicht anders, warum nimmt sie dieses und nicht jenes?" "Mir ist das zu konstruiert." Und so weiter. Klar, kann man machen. Und ich würde den jeweils genannten Punkten sogar zustimmen. Nur ist das für mich nicht der Kern des Romans. Oder anders gesagt: Wenn man den Roman nicht an sich ranlässt, wird man diese Punkte derart kritisieren, dass man am Ende nichts mit ihm anfangen können.

Wer sich emotional auf Bird und Margaret einlässt - und mich haben beide schon auf den ersten Seiten in ihren Bann gezogen -, der wird auf eine emotionale Achterbahnfahrt geschickt.

Dabei ist die Dystopie, in der Bird und Margaret leben, gar nicht so weit weg. Rassismus (in diesem Roman gegen Chinesen im besonderen und asiatisch-stämmige Personen im allgemeinen) ist nicht nur in den USA seit Jahrzehnten ein ernstzunehmendes Problem.

Ng präsentiert die USA als eine Nation, die im Zuge einer mehrjährigen Krise Chinesen als das Problem herbeigeredet bzw. -geschrieben hat und mit PACT eine Art "Patriotismus-Gesetz" zum Kampf gegen unpatriotische Umtriebe erlassen hat. Gar nicht so weit weg von der Realität, nicht wahr? Auch nicht weit von der Realität entfernt: Wie der Rassismus gegen asiatisch gelesene Menschen immer offener und brutaler ausgelebt wird, wie die Berechtigungen der Behörden im Kampf gegen "unpatriotische Umtriebe" immer mehr ausgeweitet werden, wie irgendwann selbst subtile Kritik an PACT hart bestraft wird.

Vieles von dem, was Ng in dem Roman ersonnen hat, fußt auf der Realität. Das macht gute Romane und Dystopien aus. Sie lassen uns mitfiebern, lassen uns hoffen, der Roman möge ein gutes Ende nehmen, lassen uns nachvollziehbar werden, was da überhaupt vor sich geht.
Im Zentrum steht bei "Unsre verschwundenen Herzen" aber das emotionale Band zwischen Bird und Margaret - und all der Eltern zu ihren verlorenen Kindern und umgekehrt - und deshalb halte ich den Begriff Dystopie für irreführend, was diesen Roman betrifft.

Mich hat "Unsre verschwundenen Herzen" wie bereits erwähnt schon mit den ersten Seiten mitgenommen. Ich fühlte mich mit Margaret und Bird - mit ihrer Liebe zueinander - von Anfang an verbunden. Und wie Ng immer wieder PACT und dessen Auswirkungen bis in die engsten Winkel des Privaten beschreibt und wir so nach und nach das Puzzle und vor allem das Ausmaß des Ganzen begreifen, hat mir sehr gefallen. Der Blick Celeste Ngs ist auf Amerika gerichtet, aber ihre Geschichte ist universell und angesichts der weltweiten Entwicklungen sollte der Roman auch für uns in Europa eine Warnung sein.

Und dann ist da der Kern des Roman - zumindest meiner Meinung nach: den Menschen zu gedenken, die Opfer geworden sind sowie denjenigen, die sich gewehrt haben, im Kleinen wie im Großen. Das ist das, was ich mitgenommen habe: dass die Opfer und Wehrhaften unsere Stimmen und unsere Erinnerungen brauchen, dass sie nicht vergessen werden dürfen.

Für mich ist "Unsre verschwundenen Herzen" ein sehr intensives Erlebnis gewesen, das auch jetzt noch nachhallt und auch noch einige Zeit nachhallen wird.

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