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Shannon2091

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Veröffentlicht am 08.08.2025

Mutig und originell! Teilweise hart an der Schmerzgrenze!

Zwischen zwei Leben
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Minna Rytisalo ist eine finnische Autorin, die uns hier eine Frau Anfang Fünfzig sehr lebensnah und beinahe schmerzhaft realistisch präsentiert. Jenny Hill erfindet sich gerade neu. Nach der Trennung von ...

Minna Rytisalo ist eine finnische Autorin, die uns hier eine Frau Anfang Fünfzig sehr lebensnah und beinahe schmerzhaft realistisch präsentiert. Jenny Hill erfindet sich gerade neu. Nach der Trennung von ihrem notorisch fremdgehenden Mann stellt sie sich die Frage, was im Leben noch geht, was von Wert ist und wie sie der verbleibenden Zeit noch Sinn geben kann.
„Jenny ist momentan nicht in Bestform, und es ist auch nicht gerade hilfreich, dass sie zu wenig schläft, über Erinnerungen grübelt, ihre Lebensgeschichte rekapituliert, und all das nächtliche Herumwälzen hat zu der Schlussfolgerung geführt, dass sie gehen muss, und deshalb sitzt sie jetzt im Taxi. Sie möchte glücklich sein und dass ihr Leben irgendwie einfacher und lockerer ist, sie möchte gut zu sich sein und sich selbst verstehen, so wird es überall geraten, aber das ist furchtbar schwierig in einer Welt, die einen Wunsch und einen Anspruch nach dem anderen hervorbringt, Ziele steckt und einen zur Anstrengung zwingt, so ist es ihr immer vorgekommen, seit jungen Jahren, und jetzt ist sie nach vielen Maßstäben alt.“
Begleitet wird sie im Geiste von den Ajattaras – bekannten Märchenfiguren, die ihre wahren Geschichten erzählen, die sich jeweils gänzlich von den bekannten tradierten Versionen unterscheidet. Im Klappentext wird dies humorvoll geschildert, doch für mich kam es kaum so rüber, sind doch alle Alternativen glaubwürdig und mit historischen Frauenbildern vergleichbar.
Tatsächlich ist „Zwischen zwei Leben“ ein Buch übers Frausein – und zu meiner Freude eines mit einer Protagonistin, die ihr Muttersein liebt, ja, darunter leidet nicht noch mehr Kinder gehabt zu haben – während die Vergleiche mit gleichaltrigen Männern stetig präsente Gegensätze zwischen den Geschlechtern offenbaren:
„Jenny verbrachte zahllose Nachtstunden … damit, bei Instagram das Profil eines italienischen Millionärs zu studieren… der sich auch Grandpa Playboy nennt, und bei diesem Namen hat Jenny geschmunzelt, ja, ein Mann darf sich ja wohl nennen, wie er will. … Der Opa hatte einen Labrador und hundert Tattoos … und Jenny hat sich gefragt, wie viele Frauen sich auf diesem Planeten wohl ihren eigenen Namen in ihre Haut einritzen lassen würden. Aber nein, so etwas würde niemand tun – nicht einmal Madonna oder Beyoncé. Vielleicht würde Rihanna es in Betracht ziehen. … Die Gefühle, die Jenny beim Anblick seiner bedrückt hatten: dass ein Mann altern und seine ledrige Hand auf die straffe Pobacke einer Zwanzigjährigen legen darf, als ob es ein Naturgesetz und die Ordnung der Welt wäre.“
Rytisalo beschreibt die Gedanken- und Gefühlswelt ihres Hauptcharakters beneidenswert klug und klarsichtig. Sie vermeidet offensichtliche Kniffe und Lösungen. Hier kommt kein weißer Ritter und rettet unsere Jenny Hill. Sie schafft das aus eigener Kraft mit dem Wissen, dass es in ihrer Ehe auch gute Zeiten und eine Verbindung gab, die nach dem Aus Bestand haben darf, auch wenn ihr übel mitgespielt wurde.
„Am nächsten Morgen probiert Jenny Hill in der Unterwäscheabteilung des Kaufhauses das teuerste Nachthemd von allen an. Mit diesem Kleidungsstück will sie sich niemandem nähern und auch niemandem ihre Tauglichkeit unter Beweis stellen, und es ist auch nicht der erste Schritt in Richtung eines wilden Singlelebens, es ist eine erlernte Art, mit Sorgen und Enttäuschungen umzugehen.“
Für Finninnen der gleichen Generation dürfte der Roman eine schöne Zeitreise in die eigenen erlebten Jahrzehnte sein, den hier fließt auch viel Kulturelles und der Zeitgeist der vergangen 50 Jahre ein. Für mich als fast gleichaltrige Leserin war die Lektüre ein schmunzelnder Blick in den Spiegel, der zu mehr Weichheit im Umgang mit sich und seinen Lieben und zur Selbstfürsorge einlädt. Am Ende war das Buch mit meinen Post-it Lesemarkern gespickt und schon allein das spricht für sich selbst.
„Zwischen zwei Leben“ ist eine reife, kluge Auseinandersetzung mit dem Älterwerden, mit Feminismus, Geschlechterrollen, Lebenszielen und Selbstansprüchen – warmherzig und mit erfrischendem Zugang. Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 29.07.2025

Vielversprechender Debütroman!

Das Geschenk des Meeres
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Mit dem Zitat eines Gedichtes von William Butler Yeats werden wir in dieses Buch geworfen und dieser Einstieg passt genial, denn wir finden uns in einer kargen keltischen Welt, dem Schottland des Jahres ...

Mit dem Zitat eines Gedichtes von William Butler Yeats werden wir in dieses Buch geworfen und dieser Einstieg passt genial, denn wir finden uns in einer kargen keltischen Welt, dem Schottland des Jahres 1900, wieder. Skerry heißt das Dorf, in welches Dorothy aus Edinburgh anreist um die Stelle als Lehrerin anzutreten. Vielem sieht sie freudvoll entgegen, doch in Wahrheit geht es darum, was sie endlich hinter sich lässt – die moralinsaure, rigide Mutter, deren Einfluss und Machtspielchen Dorothy satthat.
Skerry ist ein Fischerdorf, in dem jeder jeden kennt. Die neue Lehrerin fällt auf. Ihre steife, korrekte Art und die Kälte, die ihr die Mutter eingeimpft hat, kommen nicht gut an. Dennoch findet sich der Fischer Joseph, der langsam Gefühle für die neue Lehrerin entwickelt, was einigen Leuten im Dorf gar nicht in den Kram passt. So beginnen die Ränkespiele und Heucheleien, die schließlich mehr als eine Seele in die Verzweiflung treiben.
„Das Geschenk des Meeres“ ist aus Sicht mehrerer Personen geschrieben und changiert zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit. Der Leser erhält erst langsam Einblick in die Geschehnisse der Dorfgeschichte und kann deren gesamte Tragweite und ihre Einflüsse in die Gegenwart erst nach und nach begreifen. Diese Kniffe hat die Autorin gut umgesetzt – das Buch ist praktisch nicht aus der Hand zu legen.
Wer Schottland und die raue Welt der Fischer und des Meeres mag, ist hier gut bedient. Die Zeiten sind andere und die Rolle der Frau unter jeder Kritik. Was hervorragend rüberkommt, sind die Hoffnungen und Träume der Charaktere und ihre Verstrickungen, ihr Fehlverhalten und die Dummheit, mit der sich Menschen ihr Glück oft verwehren. Die Geschichte rund um den verschwundenen Jungen und sein Wiederauftauchen ist herzzerreißend. Der Tod eines Kindes und die Trauer der Hinterbliebenen zieht sich wie ein roter Faden durch den ganzen Roman.
Nach Beendigung des Buches wurde mir schnell klar, dass es mich in meiner Reaktion vielfach an „Sturmhöhe“ von Emily Bronte erinnert. Ich mag die Wildheit und Rohheit des Settings, das Mystische und die Naturelemente. Leider kann ich das von den Protagonisten nicht behaupten. Für mich ist die klare Schwachstelle des Romanes, dass ich mich mit der Hauptfigur Dorothy – und mit jeder anderen Frau dieses Romanes – so rein gar nicht identifizieren kann. Sie sind praktisch durch die Bank abgrundtief unsympathisch. Joseph ist der Einzige, der auf meiner Sympathieskala ins Plus schlägt, mal abgesehen von Moses, dem vermissten Jungen.
Eine andere Parallele zu „Sturmhöhe“ ist aus meiner Sicht die absolute Unfähigkeit der Charaktere miteinander sinnvoll zu kommunizieren. Tatsächlich würde die gesamte Handlung wegfallen, wenn sie das auch nur einmal zielführend schaffen würden. Sowas regt mich auf, zumal es Dorothy als Heldin über die Maßen infantil wirken lässt.
Ohne spoilern zu wollen, kann ich die doch recht abrupten Charakterwandlungen am Ende auch nicht nachvollziehen. Ein Leben lang Ignorant und dann plötzlich: „Heureka!“ Nein. Nicht glaubwürdig.
Trotzdem versöhnt das Ende und ich halte es der Autorin zugute, dass sie nicht in überdramatischen Kitsch verfällt. Die Lektüre war mitreißend, gut aufgebaut und ein Genuss. Von dieser Autorin bitte mehr! Klare Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 17.06.2025

Kurzweilig, aufregend & von unglaublichem Scharfsinn! Kate Atkinson wie man sie kennt!

Nacht über Soho
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Bücher von Kate Atkinson sind Pflichtlektüre für mich. Wie kaum ein anderer zeitgenössischer Autor bringt sie Geist und Menschenkenntnis hervorragend in ihre Werke ein – hier im Kontext der Roaring Twenties!
Das ...

Bücher von Kate Atkinson sind Pflichtlektüre für mich. Wie kaum ein anderer zeitgenössischer Autor bringt sie Geist und Menschenkenntnis hervorragend in ihre Werke ein – hier im Kontext der Roaring Twenties!
Das Buch kommt als Krimi daher, aber wer Atkinson kennt, weiß, dass dies in der Regel nicht im Vordergrund steht. Der Krimiaspekt plätschert lediglich im Hintergrund dahin. Die Hauptrolle spielen eindeutig die Charaktere – allen voran Nellie Coker und ihr Nachtclub Amethyst.
Nellie ist die Grande Dame der Nachtclubszene Londons und in ihren Etablissements tummeln sich Vergnügungssüchtige aller Couleur. Dabei ist nicht immer klar, wer gut und wer böse ist. Korrumpierte Polizisten, warmherzige Prostituierte und allerlei andere Geschöpfe feiern die Nächte durch, trinken Cocktails, verprügeln und beschießen sich – nicht zuletzt, um die schrecklichen Jahre des Krieges zu vergessen. Dabei ist Nellies Imperium im Innen wie im Außen gefährdet. Machtansprüche von kriminellen Elementen machen ihr genauso zu schaffen, wie die Dummheit der eigenen Brut. Dass laufend Mädchenleichen aus der Themse gefischt werden, hilft der Sache nicht.
„Nacht über Soho“ heißt im englischen Original „Shrines of Gaiety“ und wurde meiner Meinung nach etwas schlampig übersetzt. Hier geht es tatsächlich um die Nachtclubs, den Lebenstrieb der Menschen nach dem Krieg, der Aufbruchsstimmung und der Ausgelassenheit. Ich werfe der Autorin vor, dass sie beim Schluss gehudelt hat, was die vier Sterne erklärt. Wer Atkinson kennt, weiß, dass sie sich beim Verbleib der Charaktere nicht gerne festlegt und Happy Ends meidet. Hier kommt der Schluss völlig überraschend, fast schon überstürzt. Aber bis dahin ist das Buch ein reines Vergnügen, da die Menschenkenntnis und Charakterzeichnung der Autorin herausragend sind! Klare Leseempfehlung für alle, die mit einem Sittengemälde und Gesellschaftsbild der Wilden Zwanziger von einer der scharfzüngigsten Autorinnen der Gegenwarte etwas anfangen können!

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Veröffentlicht am 03.06.2025

Ruhiges Buch mit einem fundierten Zugang zur japanischen Kultur, Trauerphasen und der Lebensmitte. Empfehlenswert!

Kokoro
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Beth Kempten ist studierte Japanologin und hat wohl schon viele Japanreisen hinter sich. Ihr kulturelles Wissen ist enorm und der Leser profitiert hier auf alle Fälle von den wunderschönen Beschreibungen ...

Beth Kempten ist studierte Japanologin und hat wohl schon viele Japanreisen hinter sich. Ihr kulturelles Wissen ist enorm und der Leser profitiert hier auf alle Fälle von den wunderschönen Beschreibungen der Landschaften und der Philosophie Japans.
Wie es der Zufall wollte, erwischte mich dieses Buch genau in der Lektüre von James Clavells „Shogun“ und nach Barbara Bleischs „Mitte des Lebens“, was die perfekten Voraussetzungen für „Kokoro“ zu sein scheinen. Hier finde ich einen Ansatz zur Bewältigung der Lebensmitte, die fernöstliche Sichtweisen in den Vordergrund rückt und einen Erfahrungsbericht über den Umgang mit Trauer obendrein.
Kempten verliert im Laufe eines Jahres sowohl eine gute Freundin als auch die Mutter und erzählt von ihren anschließenden Wanderreisen durch Japan. Sie erklimmt drei Gipfel, die für jeweils drei verschiedene Lebensphasen stehen und berichtet von ihrem Umgang mit der aufkeimenden Midlife Crisis, der Dichotomie zwischen „was erwartet die Gesellschaft“ und „was brauche ich“.
„Ich sollte nach meinen Regeln gedeihen und ein Leben führen, dessen Vermächtnis in der Wirkung besteht, die ich Tag für Tag auf andere Menschen ausübe.“
Helfen soll dabei der Fokus auf das „kokoro“, das eine Vielzahl an Übersetzungen und Interpretationen in sich birgt, von der Autorin aber unter anderem sehr schön als „Herz-Achtsamkeit“ benannt wird. Dieses Hören auf die innere Stimme hilft auf verschiedene Arten, bzw. wird durch verschiedene Ansätze erzielt. Sicherlich ist ein großer Teil davon, das achtsame Wahrnehmen der Gegenwart und der inneren Bedürfnisse laut Kempten. Das oben zitierte Loslösen von den Erwartungen anderer, bewirkt ein Versöhnen mit dem eigenen Sein und der eigenen Endlichkeit.
„Ich konnte direkt ins Auge dieses einen Moments blicken, sah das riesige Potenzial in diesem Augenblick, an diesem Ort, in dieser Welt, in meinem Leben, in unser aller Leben. Ich konnte sein, wer immer ich sein wollte. Keine Angst vor dem Tod zu haben, bedeutete, alle Vorstellungen davon, wer ich zu sein glaubte, loszulassen. Das hieß nicht unbedingt, neu anfangen zu müssen, sondern ich hatte jederzeit die Möglichkeit, es zu tun. Es war eine Einladung, jegliche fixe Idee von mir selbst aufzugeben.“
In einer Welt, in der man sich schließlich an nichts außerhalb von sich selbst klammern kann, erscheint es als das Sinnvollste und denkbar Tröstendste, sich an sein eigenes kokoro halten zu können, als den Fixpunkt schlechthin.
Was mir an diesem Buch ausgezeichnet gefällt, ist die Tatsache, dass die Autorin wissenschaftlich fundierte Informationen einbringt. Sie deutet Schriftzeichen auf verschiedene Art und Weise und beschreibt jahrhundertealte klassisch japanische Literatur dazu. All das ist mir völlig fremd, aber der Zugang ist für mich der Richtige. Das Geschriebene erreicht mich. Die Trauerphasen der Autorin, die uns allen im Laufe des Lebens nicht erspart bleiben, machen das Buch authentisch und greifbar. Man spürt den Schmerz und das Herzblut hinter den Zeilen. Beth Kempten ist mit „Kokoro“ ein sehr schönes, warmherziges Buch gelungen, das zum Nachdenken über Leben und Tod anregt und zum Auseinandersetzen mit der japanischen Kultur. Ihre anderen Bücher werde ich mir sehr genau ansehen und dieses hier ist definitiv einen Reread wert!

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