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Veröffentlicht am 24.10.2016

Auf den Mops gekommen

Lennart Malmkvist und der ziemlich seltsame Mops des Buri Bolmen
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Lennart Malmkvist hat sich in seinem Alltagstrott (guter Job, hohes Einkommen, schicke Wohnung) recht gemütlich eingerichtet. Zumindest bis das Schicksal ihm einen Zauber- und Scherzartikelladen und einen ...

Lennart Malmkvist hat sich in seinem Alltagstrott (guter Job, hohes Einkommen, schicke Wohnung) recht gemütlich eingerichtet. Zumindest bis das Schicksal ihm einen Zauber- und Scherzartikelladen und einen sprechenden Mops zukommen lässt - ab diesem Punkt zieht das Chaos in Lennarts Leben ein. Und die Magie.

Ich muss zugeben, mir ist der Einstieg in dieses Buch nicht ganz leicht gefallen. Zu Beginn passiert nicht sehr viel und es dauert relativ lange, bis sich ein richtiger Spannungsbogen entwickelt. Das klingt ja nun erst mal nicht gerade verlockend, warum bin ich also an dem Buch dran geblieben und habe nicht aufgegeben? Das ist eigentlich nur dem Stil von Lars Simon zuzuschreiben, der ein Händchen dafür hat, absurd-komische Situationen einzufangen und mich damit bei der Stange gehalten hat - wenn ich beim Lesen ab und zu laut lachen (im Gegensatz zu "grinsen" oder "schmunzeln") muss, dann hat der Autor definitiv etwas richtig gemacht.

Und mein Durchhalten wurde auch belohnt: spätestens ab etwa der Hälfte war ich dann komplett in die Geschichte abgetaucht, und wollte einige Male "bloß noch schnell ein Kapitel" lesen, um dann irritiert festzustellen, dass Mitternacht schon längst vorbei ist und ich schon zwei Stunden hätte schlafen sollen.

Mir haben die Figuren von Anfang an gut gefallen: Protagonist Lennart und der dickliche Mops Bölthorn natürlich (der tatsächlich eine Hauptrolle in diesem Buch spielt), aber auch schrullige Nebenfiguren wie die Italienerin Maria, die klischeehaft den ganzen Tag Opernarien hört, während sie pausenlos Unmengen leckere Pasta und andere mediterrane Spezialitäten produziert.
Auch der Kriminalfall, in den Lennart wider Willen verwickelt wird, entwickelt mit der Zeit eine eigene Dynamik und bringt einen dazu, selbst wilde Theorien zu entwickeln.

Da die Magie zwar eine wichtige Rolle spielt, Lennart aber in unserer normalen Welt lebt, würde ich "Lennart Malmkvist und der ziemlich seltsame Mops des Buri Bolmen" der Urban Fantasy zuordnen - ein Genre, das mir unter gewissen Voraussetzungen sehr liegt. In diesem Fall erhält man eine Mischung aus alten nordischen Legenden, einem magisch begabten Bürohengst, der einen Kriminalfall aufklären muss, mit einem sehr kleinen Anteil Romanze (manchmal nimmt die Romanze bei solchen Büchern überhand - das ist dann in der Regel nicht mein Fall).

Außerdem handelt es sich hier ganz offensichtlich um einen ersten Band - die Geschichte ist nicht in sich abgeschlossen, sondern endet sozusagen mittendrin und der Leser erhält längst nicht auf alle offenen Fragen eine Antwort. Daher hoffe ich, dass die Fortsetzung nicht allzu lange auf sich warten lässt, damit man die Geschehnisse des ersten Bandes noch parat hat, wenn es so weit ist.

Im Nachhinein betrachtet ist der etwas "lange Anlauf" zu Beginn wohl der Tatsache geschuldet, dass es sich hier um einen Mehrteiler handelt. Nachdem ich das Buch nun beendet habe, bin ich auch tatsächlich der Meinung, dass es wichtig war, den Leser so gemächlich an Lennarts Entwicklung heranzuführen - ansonsten hätten sich die Ereignisse zu sehr überschlagen. Die zweite Hälfte hat mich dafür mehr als entschädigt und auch sehr neugierig auf die Fortsetzung gemacht.

Veröffentlicht am 10.10.2016

Eine unkonventionelle Familie

Brüder für immer
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Quentin und Julian Bell wachsen zusammen mit ihrer kleinen Schwester Angelica in den 20er Jahren in Charleston - einem Landhaus in Sussex - bei ihrer berühmten Mutter, der Malerin Vanessa Bell, auf. Ihre ...

Quentin und Julian Bell wachsen zusammen mit ihrer kleinen Schwester Angelica in den 20er Jahren in Charleston - einem Landhaus in Sussex - bei ihrer berühmten Mutter, der Malerin Vanessa Bell, auf. Ihre ebenso berühmte Tante, die Schriftstellerin Virginia Woolf, und auch die anderen Mitglieder der "Bloomsbury Group" sind häufig zu Gast - in ihrem Zuhause herrscht eine für die damalige Zeit ungewöhnlich freigeistige Stimmung. Der Umgang mit diesen kreativen und modern denkenden Intellektuellen prägt die Kindheit des Bell-Nachwuchses. Sie hören zwar immer wieder von Außenstehenden, dass ihre Familie seltsam sei, doch die Kinder hinterfragen ihre Familienverhältnisse nicht. Für sie ist es normal, dass der Vater in London lebt und regelmäßig mit anderen, neuen Freundinnen zu Besuch kommt, und dass ihre Mutter lieber mit Duncan zusammenlebt als mit ihrem Vater.
Doch eines Tages kommt ein Geheimnis ans Licht, das diese kleine, idyllische Welt in den Grundfesten erschüttert.

Rindert Kromhout hat ein anrührendes Jugendbuch geschrieben. Selbst in heutiger Zeit würde diese Familie nicht als "normal" durchgehen, wie mag das erst in den 20er- und 30er-Jahren auf die englische Landbevölkerung gewirkt haben? Und dennoch beschreibt der Autor die jungen Jahre der Bell-Kinder als unbeschwert und behütet, vielleicht gerade, weil ihre Mutter Vanessa nicht der "Engel im Haus" sein muss, sondern ihrer Leidenschaft freien Lauf lassen kann und dennoch ihren Kindern eine gute und liebende Mutter ist.

Obwohl es sich hier um ein Jugendbuch handelt, und dieses Buch auch definitiv für die empfohlene Altersgruppe geeignet ist, habe ich auch als Erwachsene meine Freude daran gehabt. Man findet viele intelligente Dialoge, in denen oft philosophische Fragen aufgeworfen werden. Es geht um die Familie, das Erwachsenwerden, wie man seinen eigenen Weg findet und wie man sich eine eigene Meinung bildet. Und auch um die Erkenntnis eines Jugendlichen, dass auch Eltern sich nicht immer an ihre eigenen Ratschläge halten, dass auch sie nur Menschen sind und nicht immer alles richtig machen.
Ein jugendlicher Leser liest "Brüder für immer" sicher mit anderen Eindrücken als ein Erwachsener, aber trotzdem liefert dieses Buch mit Sicherheit viele interessante Denkanstöße für alle Altersgruppen. Außerdem zeichnet der Autor auch ein gelungenes Bild der damaligen Zeit, greift politische und gesellschaftliche Umbrüche, wie beispielsweise den Aufstieg des Faschismus und die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, auf. Diese ernsten, geschichtlichen Hintergründe verpackt er aber altersgerecht und bereitet die Themen deutlich interessanter auf, als es im Geschichtsunterricht der Fall ist.

Obwohl fast alle Figuren dieses Romans reale Personen sind, handelt es sich natürlich trotzdem um einen Roman und nicht um eine Biografie - worauf der Autor auch im Nachwort noch einmal deutlich hinweist. Natürlich hat er viel über diese außergewöhnliche Familie recherchiert, und hinterlässt damit beim Leser auch den Eindruck, dass die Ereignisse sich so (oder zumindest ähnlich) abgespielt haben könnten. Die Charakterzüge und Eigenheiten dieser Personen hat er glaubwürdig dargestellt, alle wichtigen Figuren wirken äußerst lebensecht.

Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung - und das nicht nur für jugendliche Leser. Eine gut erzählte Familiengeschichte, die alles Wichtige mitbringt: Verbundenheit und Freundschaft unter Geschwistern, nostalgische und berührende Momente und auch große Konflikte.

Veröffentlicht am 02.10.2016

Eiskalte Gänsehaut

DNA
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Die junge Mutter Elisa wird in ihrem eigenen Zuhause bestialisch ermordet, doch ihrem Killer ist etwas entgangen: ihre siebenjährige Tochter Margrét war Zeugin seiner Tat. Die Kleine ist Kommissar Huldars ...

Die junge Mutter Elisa wird in ihrem eigenen Zuhause bestialisch ermordet, doch ihrem Killer ist etwas entgangen: ihre siebenjährige Tochter Margrét war Zeugin seiner Tat. Die Kleine ist Kommissar Huldars einzige Spur, ihre Aussage wird darüber entscheiden, ob der Täter davonkommt oder gefasst wird. Das traumatisierte Mädchen steht aber unter der Obhut des Kinderhauses, und Psychologin Freyjas oberstes Anliegen ist das Wohl des Kindes, daher kommen die Befragungen nur schleppend voran - bis eine zweite Frau auf ähnliche Weise getötet wird.
Der junge Amateurfunker Karl entdeckt zeitgleich einen geheimnisvollen isländischen Zahlensender, eine Frequenz auf der zu bestimmten Zeiten scheinbar sinnlos wirkende Zahlenkolonnen gesendet werden - gibt es einen Zusammenhang zu den Morden? Und geht im kleinen Island wirklich ein Serienkiller um?

Als ich die ersten 30 Seiten dieses Thrillers als Leseprobe gelesen hatte, stand für mich fest: Dieses Buch muss ich haben! Der Prolog erzählt eine kurze Episode aus dem Jahr 1987, im ersten Kapitel begleitet der Leser Elisas letzte Minuten - und ist sofort mitten drin, in dieser düsteren und spannenden Geschichte, die mir mehr als einmal Gänsehaut bereitet hat.

Als Protagonisten fungieren Huldar, Freyja und Karl:
Huldar ist ein junger Polizeibeamter, dem dieser spektakuläre Fall vollkommen unverhofft in den Schoß fällt. Er ist zum ersten Mal in seiner Laufbahn leitender Ermittler, und hätte es nicht vor kurzem Unregelmäßigkeiten und interne Untersuchungen bei der Mordkommission gegeben, wäre die Wahl sicher auf einen älteren, erfahreneren Kollegen gefallen.
Freyjas Situation ist ähnlich, sie hat ihren Job als Leiterin des Kinderhauses erst vor kurzem angetreten, dort werden misshandelte und missbrauchte Kinder psychologisch betreut. Sie muss ebenfalls beweisen, dass sie die Lage im Griff hat, wenn es auch zukünftig eine Zusammenarbeit zwischen Polizei und Kinderhaus geben soll.
Karl ist Anfang 20 und Student. Seine große Leidenschaft ist sein CB-Funkgerät und er ist ein richtiger kleiner Nerd, der leider zu spät geboren wurde. Seine Altersgenossen lachen eher über seine Amateurfunker-Ambitionen, und interessieren sich selbst für das World Wide Web und Computerspiele - nicht für die angestaubte Funktechnik. Das macht ihn zum Außenseiter bei seinen Kommilitonen, und selbst seine beiden einzigen Freunde teilen sein Interesse an der Funkerei nur mäßig. Seine Mutter ist vor kurzem verstorben, sein Bruder lebt im Ausland und Karls Funkgerät ist nur ein unzureichender Ersatz für echte soziale Kontakte.
Die drei Hauptfiguren sind zwar nicht immer echte Sympathieträger, aber sie sind glaubwürdig gezeichnet, haben ihre Schrullen und Macken und man kann sich jederzeit gut in sie hineinversetzen. Auf die inzwischen schon zur Genüge ausgereizten Thriller-Stereotype, wie beispielsweise den alkoholkranken Ermittler mit privaten Problemen, muss man sich hier zum Glück nicht einstellen.

Der Fall selbst ist wirklich gut und schlüssig konstruiert, auf den Täter kam ich erst ganz zum Schluss - eigentlich zeitgleich mit Huldar. Im Rückblick gab es aber durchaus so einige (wenn auch dezente) Hinweise, die den Leser auch schon früher auf die richtige Spur hätten bringen können.

Für mich war es das erste Buch von Yrsa Sigurdottir, und obendrein auch das erste eines isländischen Schriftstellers. Die Autorin hat mir wirklich spannende Lesestunden und einige Gänsehautmomente beschert. Im Mittelteil gab es ein paar kleinere Längen, darum reicht es nicht ganz für den fünften Stern, aber an der Autorin und an der Reihe werde ich definitiv dranbleiben!

Veröffentlicht am 15.09.2016

"Die Hölle war ein Ort, an dem Kinderlogik herrschte. Ewig währende Schadenfreude." (S. 149)

Loney
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Die Handlung von "Loney" spielt in England, der Ich-Erzähler trägt den Spitznamen Tonto, sein richtiger Name wird nie genannt. Gleich zu Anfang erfahren wir, dass Tonto einen Bruder namens Andrew hat, ...

Die Handlung von "Loney" spielt in England, der Ich-Erzähler trägt den Spitznamen Tonto, sein richtiger Name wird nie genannt. Gleich zu Anfang erfahren wir, dass Tonto einen Bruder namens Andrew hat, der innerhalb der Familie Hanny genannt wird. Hanny ist heutzutage Priester, Bestsellerautor, verheiratet und zweifacher Vater, aber in seiner Kindheit und Jugend war er in seiner geistigen Entwicklung auf dem Stand eines Kleinkindes und konnte noch nicht einmal sprechen. Der Schlüssel zu seiner wundersamen Heilung liegt in einer Pilgerfahrt zum heiligen Schrein von "The Loney" in den späten 70ern.

Der Leser folgt nun Tontos Schilderungen über die Ereignisse, die damals zu Hannys Genesung geführt haben, und auch über deren Spätfolgen in der Gegenwart.
Man erfährt viel über die Familie der beiden. Die Mutter, aus unerfindlichen Gründen "Mummer" genannt, ist eine absolut abstoßende bigotte Frau, für die ich keinen Funken Sympathie aufbringen konnte. Sie regiert ihren Familienclan mit eiserner Faust, ihr Wort ist Gesetz und selbst "Farther" (ihr Ehemann und Hannys und Tontos Vater) kuscht vor ihr. Wer nun erwartet, dass ihr Einflussbereich an den Grenzen ihres Haushalts endet, irrt sich gründlich. Auch während der Pilgerfahrt nach Loney kommandiert sie die ganze Gemeinschaft herum, weiß zu jedem Thema alles besser, und lässt auch den neuen Pfarrer Father Bernard bei jeder Gelegenheit spüren, dass er dem seligen Father Wilfried nicht mal die Schuhe putzen dürfte. Man könnte ihren Charakter nun für überzeichnet halten, aber ich muss sagen, es gibt durchaus fanatisch gläubige Menschen, die exakt so auftreten und ihrem gesamten Umfeld das Leben vergällen.
Leider war beim gesamten Personal keine Figur zu finden, zu der ich eine wirkliche Verbindung bekommen hätte: Farther ist ein Waschlappen, Father Bernard lässt sich von Mummer völlig einschüchtern, selbst mit Tonto konnte ich nicht wirklich sympathisieren, und die anderen sind so fromm, dass sie todlangweilig sind.

Positiv zu erwähnen ist, dass der Autor unheimlich stimmungsvoll schreiben kann. Das düstere Setting von The Loney und die beklemmende Atmosphäre innerhalb dieser verschrobenen christlichen Gemeinde mit all ihren seltsamen Ritualen entfaltet schon auf den ersten Seiten die volle Wirkung. Man kann das düstere alte Haus, in dem die Gruppe während ihrer Pilgerreise das Osterwochenende verbringt, fast vor sich sehen, genau wie die karge Landschaft und die raue See.
Eigentlich unverständlich, dass im Gegensatz dazu alle Personen - abgesehen von Mummer - so merkwürdig blass und kaum greifbar erscheinen.

Dagegen hat mir überhaupt nicht gefallen, dass der Autor den Leser über mehr als 300 Seiten immer wieder mit vielen vagen Andeutungen ködert, damit auch den Spannungsbogen über die weite Strecke gut aufbaut, um ihn dann am Ende völlig frustriert zurückzulassen, weil er jegliche Form der Auflösung schuldig bleibt. Dabei bin ich ein Leser, der auch durchaus damit zurechtkommt, wenn am Ende nicht jedes Detail minutiös aufgelöst wird, es darf ruhig auch ein wenig Raum für meine eigene Interpretation bleiben, aber was Andrew Michael Hurley hier abliefert ist wirklich der Gipfel der Schwammigkeit. Man sitzt nach der letzten Seite auf so vielen losen Enden, dass es eigentlich eher ein gordischer Knoten ist. Und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Autor schlicht nicht in der Lage war, aus all seinen konfusen Hinweisen und grusligen Details ein auch nur halbwegs schlüssiges Ende zu konstruieren.
Ein Beispiel hierfür ist vielleicht, dass etwa bis zur Mitte des Buches noch immer unklar war, ob es sich bei der Gemeinde "Saint Jude's" nun um eine katholische, eine anglikanische oder am Ende eine ganz andere christliche Glaubensrichtung handelt. Von dieser quälenden Frage wurde ich dann irgendwann erlöst, es handelt sich um eine katholische Gemeinde. Schön, dass ich das zumindest erfahren habe. Aber wieso um Himmels Willen ist der gute Hanny dann bitte Geistlicher und Ehemann? Ich bin in Glaubensfragen sicher nicht unbedingt auf dem neuesten Stand, aber ich denke, wenn das Zölibat abgeschafft worden wäre, hätte ich das doch mitbekommen. Und wenn sich Hanny nach seiner gottgegebenen Wunderheilung als so undankbar erwiesen hätte, und zu den Protestanten oder Anglikanern konvertiert wäre, hätte Mummer sich doch vermutlich aus Verzweiflung in ihr allerbestes Küchenmesser gestürzt...?

Und damit kommen wir zurück auf das titelgebende Zitat: Lacht der Autor sich nun grade ins Fäustchen und genießt die immerwährende Schadenfreude, weil er für seinen Roman sogar noch einen Preis abgestaubt hat, obwohl er uns Lesern so ziemlich alle Antworten schuldig geblieben ist, einschließlich der Erklärung für den verheirateten Priester und seine wundersame Genesung? Es ist nicht das erste Mal, dass ich mich frage, ob die betreffende Jury ihren Siegertitel überhaupt gelesen hat...
Da dieser Roman nicht im Ansatz halten konnte, was die Leseprobe versprochen hat, kann ich mich gerade noch zu einem zweiten Stern aufraffen, weil mir die düstere Stimmung des Buches gefiel, und weil der Autor mit Mummer zumindest einen gelungenen Charakter erschaffen hat.

Veröffentlicht am 15.09.2016

"Über Geld redet man nicht."...

Von Krösus lernen, wie man den Goldesel melkt
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... Sebastian Schnoy bricht mit dieser Binsenweisheit seiner Großmutter und hat sogar ein ganzes Buch zu diesem Thema geschrieben.
Wer sich nun erhofft, nach der Lektüre dieser etwa 300 Seiten endlich ...

... Sebastian Schnoy bricht mit dieser Binsenweisheit seiner Großmutter und hat sogar ein ganzes Buch zu diesem Thema geschrieben.
Wer sich nun erhofft, nach der Lektüre dieser etwa 300 Seiten endlich den Weg zu schnellem Reichtum zu kennen, den muss ich leider enttäuschen, genau hierfür hat der Autor leider keine Tipps. Er widmet sich stattdessen der Geschichte des Geldes (Seit wann bezahlen die Menschen mit Münzen, und wie hat das vorher geklappt? Woher kommt das Papiergeld, das Sparkonto, die Überweisung?), den verschiedenen Wirtschaftssystemen (Woran ist die DDR und damit der Sozialismus gescheitert? Warum hatte der Kapitalismus die Nase vorn?) und erklärt, warum Wirtschaftskrisen entstehen (von der niederländischen Tulpenkrise im 17. Jahrhundert bis zur Lehman-Pleite). Selbst die spannende Frage: "Was war zuerst da, Steuern, Schulden oder Sparguthaben?" wird nicht ausgelassen.

Auf den ersten Blick klingt das eigentlich unheimlich trocken, aber das ist es tatsächlich nicht, denn der Autor nähert sich diesen Themen stets von der humorvollen Seite, peppt das Ganze auch noch mit amüsanten Anekdoten und (hoffentlich nicht immer ganz ernst gemeinten) eigenen Schlussfolgerungen und möglichen Weiterentwicklungen auf.
Trotzdem driftet es aber auch nicht in irgendwelche Ulkereien ab, im Gegenteil, wie in einem Sachbuch werden viele mal interessante, mal absurde, mal lustige Fakten vermittelt, und man erhält hier tatsächlich ein sehr informatives Buch rund um das allgegenwärtige Thema Geld.

Außerdem gibt es noch ein zusätzliches, wirklich praktisches Gimmick dazu: Der Titel ist mit einem Aufkleber als "papego"-Exemplar gekennzeichnet. Ich kannte das bisher noch nicht, aber im Buch fand ich ein kleines Lesezeichen mit einer Erklärung: Man kann sich die Papego-App auf sein Tablet oder Smartphone laden, fotografiert damit die letzte gelesene Seite bevor man das Haus verlässt, und kann dann in Bus, Bahn oder Wartezimmer einfach mobil weiterlesen. Ich habe es getestet, und es hat auf Anhieb funktioniert.
Eine sehr praktische Sache, hoffentlich werden bald mehr Neuerscheinungen mit diesem Label versehen.

Mir hat "Von Krösus lernen, wie man den Goldesel melkt" wirklich sehr gut gefallen. Die geschichtlichen Informationen waren interessant, in einigen aktuellen Themen wurde ich in meinen Ansichten bestätigt (ich hab jetzt keine Schweißausbrüche mehr, weil ich keine Riester-Rente abgeschlossen habe, mir kam das von Anfang an nicht ganz koscher vor), in anderen Themen habe ich neue Impulse bekommen, und kann mir bei Gelegenheit noch ein paar Gedanken dazu machen, was ja auch nie verkehrt ist.

Ein Buch für alle, die manchmal das Gefühl haben, in dem ganzen Finanz-Wirrwarr zwischen Sparguthaben, 0-Prozent-Finanzierung und Bausparer nicht mehr so ganz durchzublicken. Aber auch echte Finanzprofis, wie beispielsweise die berühmte schwäbische Hausfrau, wissen vielleicht noch nicht, dass das Erheben von Toilettengebühren schon lange vor der Erfindung von Autobahnraststätten Gang und Gäbe war, und können somit mit diesem Titel noch die ein oder andere interessante Hintergrundinformation abspeichern.