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Veröffentlicht am 15.09.2016

Die kleinen grauen Zellen…(AC3, Poirot + Hastings 2)

Mord auf dem Golfplatz
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Das Original heißt „Murder On The Links“ und erschien im Original 1923, allerdings zuerst in den USA bei Dodd, Mead and Company, dann im Mai The Bodley Head im selben Jahr auch in Großbritannen (falls ...

Das Original heißt „Murder On The Links“ und erschien im Original 1923, allerdings zuerst in den USA bei Dodd, Mead and Company, dann im Mai The Bodley Head im selben Jahr auch in Großbritannen (falls jemand weiß, warum – ich bin Fan genug, dass es mich interessieren würde). 1927 kam die deutsche Erstausgabe in der Übersetzung für den Georg Müller Verlag in München von Irene Kafka auf den Markt, 1937 die mir vorliegende Bearbeitung durch Friedrich Pütsch im Goldmannverlag (Leipzig) – meine Ausgabe ist von 1986, ISBN 3442000092 (für DM 6,80!!!), Scan hängt an, alle Zitate daher in alter Rechtschreibung - 1999 folgte noch die Neuausgabe in der Übersetzung von Gabriele Haefs im Scherz Verlag. Mit diesem Buch durften deutsche Leser Agatha Christie zum ersten Male in ihrer eigenen Sprache kennenlernen [Fakten aus Wikipedia].

Ich bin mit vielleicht elf/zwölf Jahren Fan geworden – und stelle nach langem Agatha-Christie – „Teilfasten“ gegenwärtig fest, dass die Bücher mitnichten an Reiz für mich verloren haben, ganz im Gegenteil. Gerade der Zugriff auf weitere Informationen zum Hintergrund würzt im Moment für mich die Lektüre und natürlich ändert sich mit den Jahren auch die Sicht. Dieses ist meine erste chronologische Lesereise zu „AC“ und ich lege in meinen Rezensionen stärkeres Augenmerk auf bestimmte Anekdoten und Charakteristika als auf die Handlung – von der verrate ich ja ohnehin bei spannender Lektüre möglichst wenig!

Der Krimi ist der dritte Roman der Autorin, dabei der zweite jeweils mit Hercule Poirot und seinem Helfer und Freund Arthur Hastings. Und wieder sehe ich Anleihen an Sherlock Holmes – Hastings erzählt wie im Debüt als Ich-Erzähler. Im ersten Buch war er ja wegen einer Kriegsverwundung auf Heimaturlaub und arbeitete zuletzt für das Kriegsministerium (vgl. S. 154 „Das fehlende Glied in der Kette“). Inzwischen wohnt er mit Poirot zusammen in London (sic!) und erwähnt, dass er nach der Schlacht an der Somme als invalid ausgemustert wurde und als eine Art Privatsekretär für einen Parlamentarier arbeite (S. 7).

Anfang Juni, im Zug von Paris nach Calais zur Überfahrt lernt Hastings eine junge Frau kennen – noch ahnt er nicht, dass er alsbald zurückkehren wird nach Frankreich, diesmal mit Poirot und in einem neuen Fall, in dem auch besagte Reisebekanntschaft eine Rolle spielen wird. Er betrachtet sich im Moment als wenig angetan von ihr, erzählt ihr aber doch einiges über seinen besonderen Mitbewohner und dessen Beschäftigung: „Ich habe Hercule Poirot schon an anderer Stelle beschrieben. Ein ganz außergewöhnlich kleiner Mann! Fünfeinhalb Fuß hoch, den eiförmigen Kopf ein wenig zur Seite geneigt, mit Augen, die in der Erregung grünlich schillerten, einem martialisch steif gedrehten Schnurrbart und mit unendlich würdevollem Aussehen! Seine äußere Erscheinung war peinlich, beinahe übertrieben elegant. Überhaupt war bei ihm jede Form von Ordnungsliebe zur Leidenschaft gesteigert. Sah er irgendwo etwas, was schief stand, lag irgendwo ein Körnchen Staub, gab es irgendwo die geringste Unordnung, so litt der kleine Mann Folterqualen, bis er sein Herz durch Abschaffung des Übels erleichtert hatte. „Ordnung“ und „Methode“ hießen seine Götter. Er verachtete gewissermaßen greifbare Beweise wie Fußstapfen und Zigarettenasche und behauptete, daß sie allein noch niemals einem Detektiv die Lösung seiner Aufgabe ermöglicht hätten. Darauf schlug er sich mit lächerlichem Behagen auf den eiförmigen Kopf und bemerkte selbstgefällig: „Die wahre Arbeit muß von innen heraus getan werden. Die kleinen grauen Zellen – gedenke immer nur der kleinen grauen Zellen, mein Freund.“ (S. 10) Dieser Begriff mit den kleinen grauen Zellen wird erst ab diesem Band von der Autorin eingeführt und später verwendet, ebenso erinnere ich mich an spätere Erwähnung von Poirots spezieller Phobie bezüglich der Seekrankheit, die hier Erwähnung findet: An Bord nun auf der Reise zum neuen Fall wendet Poirot die Methode Laverguiers an – „man wiegt sich hin und her, wendet den Kopf von links nach rechts, atmet ein und aus und zählt nach jedem Atemzug bis sechs“ (S. 15)

Als Poirot und Hastings bei ihrem neuen Auftraggeber Mr. Renauld eintreffen, wurde er bereits ermordet. Seine Frau wurde geknebelt und gefesselt im Schlafzimmer aufgefunden – ein Affront für den belgischen Meisterdetektiv.
Im Laufe der Ermittlungen ergeben sich einige Besonderheiten: Abends hatte Mr. Renauld häufig Besuch von seiner Nachbarin, Madame Daubreuil. Eines der Dienstmädchen weiß zu berichten, am Vorabend des Mordes sei eine weitere, jüngere Dame zu Besuch gewesen, eine Engländerin. Und warum hatte der Chauffeur freibekommen, wenn doch Poirot abzuholen gewesen wäre? Im Mantel, den der Tote trägt, findet sich ein Liebesbrief von einer Bella. Vor vierzehn Tagen schrieb Renauld ein neues Testament, in dem alles der Witwe vermacht wird, nicht mehr zur Hälfte seinem Sohn. Im Arbeitszimmer liegt das Eckchen eines Schecks an jemanden namens Duveen. Warum ging die Armbanduhr im Schlafzimmer um zwei Stunden voraus gegenüber der anderen Uhr?

Poirot: "Oh, mon ami, ich wünschte, eines Tages einem wirklich großen Verbrecher zu begegnen - einem, der sein Verbrechen verübt und dann - nichts tut! Sogar mir, Hercule Poirot, könnte es dann geschehen, daß er mir entschlüpfte." (S. 88) Es sind einfach zu viele Spuren - dabei sagt Poirot zu Fingerabdrücken, Fußspuren, Zigarettenasche: „Der geübte Beobachter, der Sachverständige, ist zweifellos sehr brauchbar. Aber die anderen, die ‚Hercule Poirots‘, stehen höher“. Er fragt Hastings: „Du warst doch sicher auch bei Fuchsjagden, nicht?‘
‚Ja, ab und zu‘, sagte ich [Hastings] etwas verblüfft über diesen plötzlichen Gesprächswechsel. ‚Warum?‘
‚Gut, um den Fuchs zu jagen, sind Hunde nötig, nicht wahr?‘

‚Ja, aber du steigst doch nicht vom Pferd, um mitzulaufen, den Boden mit der Nase zu beschnüffeln und laut Wau-Wau zu rufen?‘ “ (S. 16).

Dann taucht eine weitere Leiche auf, erstochen mit demselben, vom Tatort entwendeten Dolch wie Mr. Renauld – und der Todeszeitpunkt wirft Fragen auf.

Poirot und Hastings bieten dem Leser quasi zwei Seiten der Münze zur Identifikation – natürlich möchte jeder Poirot sein, der Detektiv, der alle Fälle zu lösen vermag, fürchtet aber gleichzeitig, genau das nicht zu vermögen. Hastings leichte Entflammbarkeit gegenüber der Damenwelt, seine steife Ehrbarkeit, seine Gutgläubigkeit im Widerstreit mit seinen felsenfesten Überzeugungen und Vorurteilen bieten das Gegenbild – er spielt den gutmütigen Trottel, der allenfalls durch eine zufällige Bemerkung, deren Bedeutung er typischerweise nicht im geringsten erahnt, an der Aufklärung beteiligt ist. Jedem ist dabei bewusst, eine bessere Figur zu machen als letzterer, auch wenn der Leser vielleicht optisch und vom Lebensstil her lieber weniger wie der stets etwas stutzerhafte Poirot wirken möchte.

Zeitgeist:
Poirot zu Hastings‘ schnell entflammbarem Herzen, als er nacheinander für zwei verschiedene Damen schwärmt: „Du hast entschieden das weite Herz eines Türken, Hastings! Du solltest dir einen Harem zulegen!“ (S. 89)
Werden Frauen verhört, lässt man zu dieser Zeit besondere Rücksicht walten, wenn es sich um Damen handelt: Da wird taktvoll verschwiegen, falls man vermutet, dass der Ehemann eine Ehebrecher war, um die Dame nicht zu beunruhigen. Auch ein allzu forsches Verhör ist nicht „comme il faut“. Allerdings wird auch den Herren zugestanden, in weiblicher Gegenwart nicht ganz Herr ihrer Sinne zu sein – so „darf“ Hastings unter weiblichem Einfluss für den Verlust des Mordwerkzeugs verantwortlich sein – ohne jegliche Konsequenzen.
Eine Formulierung für eine zu damaliger Zeit nicht als korrekt erachtete Beziehung zu einer verheirateten Frau lautet „Seine Verehrung war offenkundig, wenn auch streng innerhalb der erlaubten Grenzen.“ (S. 108)

Trivia (Quelle Wikipedia):
„Christie widmete ihr drittes Buch wie folgt: "Für meinen Ehemann. Ein großer Liebhaber von Detektivgeschichten und vor allem von meinen, für große Hilfe und Kritik".
Christie bezieht sich hier auf ihren ersten Ehemann, Archibald Christie (1890 - 1962), von dem sie im Jahr 1928 geschieden wurde. Die Widmung wurde in vielen Editionen danach nicht mehr gedruckt.“
„Das Thema "Golf" spielt nicht nur in diesem Roman Christies eine Rolle. Der Rasenballsport kommt auch in „Ein Schritt ins Leere“, in „16 Uhr 50 ab Paddington“ sowie in „Kurz vor Mitternacht“ vor. Golf sollte in Christies Leben eine traumatisierende Rolle spielen. Ihr erster Ehemann wurde laut ihrer eigenen Aussage nach dem Umzug des Paares nach London süchtig nach Golf und verbrachte auf dem Golfplatz mehr Zeit als mit seiner Ehefrau. Sie selber bezeichnete sich in dieser Phase ihres Lebens als "Golf-Witwe". Insofern sind Titel und Widmung als ironischer Wink mit dem Zaunpfahl an den Gatten zu verstehen. Letztendlich verlor Christie den Konkurrenzkampf mit dem Golfplatz: Archibald Christie trennte sich von seiner Frau wegen seiner neuen Golfpartnerin, die er nach der Scheidung heiratete und die bis zu seinem Tod seine Gattin blieb. Agatha Christie gab nach der Trennung das nie geliebte Golfspiel, das sie nur des Ehemannes zuliebe gelernt hatte, auf.“

„Der Theateragent Joseph Aarons spielt sowohl in dem Roman Der blaue Express als auch in der Kurzgeschichte Die Doppelsünde mit.“

„Eigentlich wollte AC mit diesem Roman Hastings loswerden, da sie den Charakter nicht mochte……
Hastings, von Poirot stets auf Französisch als "mon cher ami Hastings" (mein lieber Freund Hastings) bezeichnet und angeredet, verschwindet nicht sofort, wie von Christie geplant, aus den Poirot-Romanen, sondern taucht noch in zahlreichen weiteren auf. Erst 1937 in Der ballspielende Hund verschwindet er bis auf weiteres von der Bildfläche. Seinen letzten Auftritt hat er in dem 1940 geschriebenen Roman Vorhang, der allerdings erst mehr als 30 Jahre später veröffentlicht wurde. In diesem Roman … ist auch vom Tod von Hastings Ehefrau Dulcie die Rede, mit der er eine glückliche Ehe samt Tochter geführt hatte und die in Argentinien begraben ist.“

Veröffentlicht am 15.09.2016

Alles nur eine Frage der Kugel. Im Weltraum, im Leben, beim Boule (Buch-Zitat)

Tod in der Provence
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„Der blanke Kopf aus poliertem Edelstahl blitzte im Mondschein hell auf, als der Mann mit der langstieligen Axt weit ausholte und sie in Richtung des Balkens niedersausen ließ.
Es krachte laut. Ein abscheuliches ...

„Der blanke Kopf aus poliertem Edelstahl blitzte im Mondschein hell auf, als der Mann mit der langstieligen Axt weit ausholte und sie in Richtung des Balkens niedersausen ließ.
Es krachte laut. Ein abscheuliches Geräusch. Einen Moment später breitete sich eine rote Pfütze aus.“ S. 24 und 25
Im zweiten Teil ist es nur Bolognese, aber im ersten Satz leider nicht: In den letzten sechs Jahren sind rund um Avignon acht junge Frauen verschwunden, alle rothaarig. Bislang hatte man keine Leichen gefunden. Der letzte Fall von Albin Leclerc als Polizist. Der eine Fall, den er nie aufklären konnte, bei dem er sich fragte, worum es ging. Der Fall, bei dem ihm als erstem aufgefallen war, dass es da ein Schema gab, mit den roten Haaren bei allen Frauen, und dass es mehr als eine Frau war, die da spurlos verschwand.
Aber Leclerc musste ihn Rente gehen, den Mops Tyson – nach dem Boxer benannt – schenkten ihm seine Kollegen noch.
Und jetzt? „Endlich…haben wir ein Opfer und Spuren. Endlich wissen wir, was er tut und wie er es tut. Er sammelt Körperteile. Als Trophäen, oder weil er sie benötigt.“ S. 54
Gleichzeitig zieht ein junges deutsches Paar in die Nähe, weil der Ehemann von seinem verstorbenen Onkel ein Anwesen geerbt hat. Die Ehefrau hat rote Haare…

Mir hat Albin Leclerc sehr gut gefallen, weil er so eine schnodderige Art hat. So liefert er die beste Taktik zur Anmache, die ich je erlebt habe:
„Véronique schmunzelte. ‚Was willst du wirklich, Albin?‘
Albin löste die Hände aus der Verschränkung und schob ein loses Blatt auf dem Tisch hin und her. Er zuckte mit den Achseln und meinte: ‚Ich gehe abends manchmal essen.‘
‚Ach, tatsächlich.‘
‚Ich dachte, vielleicht gehst du auch abends manchmal essen.‘
‚Nein, ich koche meist.‘
‚Also…Falls du einmal eine Ausnahme machen und doch essen gehen möchtest…‘
‚Wird das jetzt eine Einladung zu einem Rendezvous?‘
Albin ließ das Blatt los, blickte hoch und sagt: ‚Nicht direkt. Also, wenn man so will, je nachdem…Ich dachte nur an ein Abendessen. Es gibt da ein schickes
Restaurant…‘ “ S. 167f.
Und natürlich ist Mops Tyson klasse, mit dem Albin sich irgendwann zu „unterhalten“ beginnt, den er aber auch zielgerichtet einsetzt, so als Ausrede, um an bestimmten Orten unterwegs zu sein – alternativ drückt er jemandem auch einfach die Leine in die Hand, den er irgendwo blockieren möchte.

Was mein Problem mit dem Buch ist: ich hatte gerade schon Provence, Remy Eyssen, Schwarzer Lavendel. Auch das eigentlich ein deutscher Autor. Ich frage mich dabei schon, ob es Franzosen gibt, die Krimis schreiben, die im Westerwald spielen.

Jetzt drückt mich schon seit Beginn der Lektüre folgender Schuh: Herr Lagrange ist ja nicht „Schuld“ daran, dass ich ihn als zweite Lektüre vor mir habe. In beiden Büchern gelingt irgendwann der Pétanque-„Golden Goal“ (Verzeihung, ich habe weder von Fußball noch von Boule einen Hauch von Schimmer). Beide Mörder haben eine gehörige Macke, zumindest ähnlich geartet, ähnlich ausgelöst.

Also: Lagranges Ermittler ist irgendwie kauzig-knorziger und gefällt mir dadurch besser.
Eyssen war zuerst auf den Zug aufgesprungen, der „Schwarze Lavendel“ ist schon seine zweite Veröffentlichung. Bei Eyssen hatte ich irgendwie mehr Lust, in die Provence zu fahren, man schmeckte das Essen und den Wein stärker.
Spoiler-Alarm: Bei Lagrange hatte ich mich viel früher auf den Mörder eingeschossen – hatte mir aber doch kurz vor der Bestätigung noch einmal vom Autor Zweifel einpflanzen lassen.

Fazit: im direkten Vergleich gewinnt bei mir hauchdünn Eyssen (wer zuerst kommt, …). Ich werde aber zumindest noch in den zweiten Band bei Lagrange reinlesen (Leseprobe war im Anhang) – und dann vielleicht einen zweiten Vergleich laufen lassen. Die Leseprobe klingt wieder schön kauzig und mopsig, die Tat klingt nicht so kalkuliert gestört.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein "Muss" für Fans, aber etwas zu viele Personen und Verwicklungen

Schneewittchen muss sterben (Ein Bodenstein-Kirchhoff-Krimi 4)
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Schneewittchen muss sterben“ ist der vierte Band der Reihe von Nele Neuhaus um Kriminalhauptkommissar Oliver von Bodenstein und seine Mitarbeiterin Pia Kirchhoff. Generell kann man die Bücher auch einzeln ...

Schneewittchen muss sterben“ ist der vierte Band der Reihe von Nele Neuhaus um Kriminalhauptkommissar Oliver von Bodenstein und seine Mitarbeiterin Pia Kirchhoff. Generell kann man die Bücher auch einzeln lesen.
Tobias Sartorius wird nach zehn Jahren aus dem Gefängnis entlassen und kehrt in sein Dorf Altenhain zurück. Er wurde kurz nach dem Abitur in einem Indizienprozess wegen Mordes an zwei Ex-Freundinnen aus dem Dorf verurteilt, die Leichen wurden nie gefunden, er kann sich an nichts erinnern. Das Dorf hat während seiner Haft seine Eltern quasi mit in Sippenhaft genommen, in dem kleinen Ort kennt jeder den anderen und weiß über die meisten Geheimnisse.

Zunächst aber stellt die Autorin zu Beginn des Krimis in für sie typischer Art einige Handlungsstränge in den Raum, die so noch nicht wirklich viel Sinn ergeben und die scheinbar unabhängig voneinander stehen.
Dabei soll es aber nicht bleiben: Glaubhaft baut die Autorin die Atmosphäre einer Dorfgemeinschaft auf, deren Stärke und Schwäche der unbedingte Zusammenhalt ist, in dem fein unterschieden wird zwischen denen, die dazugehören und anderen. Eine eifersüchtige Jugendliche erstellte Flugblätter mit dem Text „Schneewittchen muss sterben“ und die Kommissare bekommen Konkurrenz durch eine rebellische Teenagerin.
Grandios, wie Neuhaus hier immer noch eins draufsetzt: hielt ich einiges für vorhersehbar, was dann auch so eintrat, toppte die Autorin dieses mit immer noch einer weiteren Verkettung.
Als etwas problematisch empfand ich die doch sehr große Anzahl von Personen in diesem Buch

Veröffentlicht am 15.09.2016

Harter Krimi um Kindesmissbrauch und Vertuschung

Böser Wolf (Ein Bodenstein-Kirchhoff-Krimi 6)
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Nele Neuhaus liefert mit „Böser Wolf“ den sechsten Band ihrer Serie um die Ermittler Oliver von Bodenstein und Pia Kirchhoff.


Geschickt baut Neuhaus ein Geflecht aus zunächst scheinbar parallel verlaufenden ...

Nele Neuhaus liefert mit „Böser Wolf“ den sechsten Band ihrer Serie um die Ermittler Oliver von Bodenstein und Pia Kirchhoff.


Geschickt baut Neuhaus ein Geflecht aus zunächst scheinbar parallel verlaufenden Handlungssträngen auf, kontrastiert den Leichenfund eines über Jahre missbrauchten und misshandelten jungen Mädchens mit der Suche einer Fernsehmoderatorin nach einer neuen Story. Die Geschichte beschreibt auch das Leben eines in der Gesellschaft ins Aus geratenen mit anscheinend fragwürdigen Kontakten mit einem sehr jungen Mädchen ebenso verstörend wie die immer undurchschaubarer werdenden Vorgänge innerhalb einer Großfamilie der besten Gesellschaft.

Neuhaus nimmt den Leser mit hinein in die Ermittlungsarbeit, bringt die Ermittler persönlich in Bedrängnis und legt falsche und richtige Fähren – und löst letztendlich in einem fulminanten Finale auf, welch perfide Pädophilen-Maschinerie bis in die höchsten Kreise hier jahrelang ihr Unwesen trieb. Die Autorin schont den Leser nicht, sie stellt klar und überaus plastisch dar, wie stark die Körper und Seelen der Opfer hier geschädigt werden. Sie zeigt auf, wie diejenigen, die dagegen vorzugehen versuchen, von dem mafiösen Geflecht bis auf härteste und brutalste bekämpft werden. Wahrlich kein Buch für ein zartbesaitetes Publikum – aber ein durchweg spannender und fesselnder Krimi, der der Autorin spürbar am Herzen liegt. Ein „Böser Wolf“ ist hier nicht nur ein Märchen, sondern bittere Realität.


Die Reihe wird teils vermarket mit dem Untertitel „Taunuskrimi“ aufgrund der Lokation, hat jedoch wenig mit jenen der seit einigen Jahren grassierenden Regionalkrimis zu tun, bei denen es primär um die Kombination von Lokalkolorit bis Folklore mit der Krimihandlung geht. Ja, die Handlung spielt im Taunus – die Region ist aber kein eigenständiger Handlungsträger, sondern schlicht der gewählte Standort. Die Handlung steht im Vordergrund. Das nur als Anmerkung, die „Regionalkrimi-Manie“ reicht mir als Kaufargument nun wirklich nicht, die solide Arbeit von Nele Neuhaus hingegen schon. Definitiv

Veröffentlicht am 15.09.2016

Fünfter Band um Oliver von Bodenstein und Pia Kirchhoff

Wer Wind sät (Ein Bodenstein-Kirchhoff-Krimi 5)
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Oh, wie schön, so gewinnt eine Erzählung an Tempo – der Krimi beginnt mit dahingeworfenen Bröckchen an Handlung: da flieht eine Frau, eine tödliche Gefahr wird geschildert – bis es eine etwas andere Wendung ...

Oh, wie schön, so gewinnt eine Erzählung an Tempo – der Krimi beginnt mit dahingeworfenen Bröckchen an Handlung: da flieht eine Frau, eine tödliche Gefahr wird geschildert – bis es eine etwas andere Wendung gibt. Dann wehrt sich das anscheinend wandelnde Klischee eines wackeren Waidmannes gegen Rodungen im Wald.

Und jetzt darf man ins Buch einsteigen mit einer neuen Leiche für die Ermittler Oliver von Bodenstein und Pia Kirchhoff im fünften Band der Reihe – und versuchen, die Eingangs-Bröckchen mit der Handlung – und weiteren Bröckchen - in Einklang zu bringen. Die offenen Handlungsbrocken sind in diesem Band sehr zahlreich und vielfältig, so dass der Einstieg in das Buch zwar vorangetrieben wird, aber durchaus zuerst nicht ganz leicht gerät – die ersten rund 100 Seiten sollte man schon am Stück lesen können.

Warum beschäftigte der Leiter eines Windkraftanlagen-Bauers einen Nachtwächter mit Alkoholproblemen? Was haben die drei Kinder eines Bauern, der in einer Bürgerinitiative gegen eine der Windkraftanlagen aktiv ist, und ein Tiergeschäft mit dem Fall zu tun? Was ist hier wirklich passiert?
Bald gibt es einen ersten vagen Hinweis – eine Person verbindet alle Handlungsstränge. Aber ist das schon die Lösung? Für Hauptkommissar von Bodenstein wird der Fall unerwartet persönlich – nicht nur, weil sich auch sein Vater in der erwähnten Bürgerinitiative engagiert. Und dann gibt es eine weitere Leiche und den Verdacht, dass in der Vorgeschichte der Ereignisse Vetternwirtschaft und Korruption eine Rolle gespielt haben dürften. Doch es kommt noch viel schlimmer.

Der Einstieg ist hier zwar etwas anstrengend und auch bei Fülle der Personen sollte man sich für den Beginn des Buches Zeit nehmen – am Stück gelesen war das kein Problem. Geschickt wechselt Neuhaus zwischen den verschiedenen Sichtweisen der Handelnden, passt sich stilistisch z.B. sowohl an den verbockten Jugendlichen als auch an den um Haltung bemühten Hauptkommissar an. Ohne Mühe spielt sie auf der ganzen Klaviatur des Genres zwischen Ermittlungsarbeit, Routinefall, persönlichen Problemen der Ermittler bis hin zu der Frage, welche von zwei Darstellungen hier denn die richtige sei, mündend in Verschwörungstheorien. Definitiv einer der stärksten Bände der Reihe!