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Veröffentlicht am 15.09.2016

(Selbst-)Lügen im menschlichen (Mit-)einander, Walser-haft dargestellt

Ohne einander
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Der Handlungsrahmen ist einfach erzählt: Ellen und Sylvio sind verheiratet, Sylvi ist die quasi erwachsene gemeinsame Tochter. Für einen Seitensprung von Sylvio revanchierte sich Ellen, ihr (Ex-)Liebhaber ...

Der Handlungsrahmen ist einfach erzählt: Ellen und Sylvio sind verheiratet, Sylvi ist die quasi erwachsene gemeinsame Tochter. Für einen Seitensprung von Sylvio revanchierte sich Ellen, ihr (Ex-)Liebhaber lebt jetzt mit dessen (Ex-)Geliebter zusammen.
Das Buch beschäftigt sich mit der Klärung dieser Handlung, den Motiven, Beweggründen, Motiven, Auswirkungen,…

In „Ohne einander“ schreibt Walser in drei Kapiteln aus der Sicht von drei seiner Hauptpersonen, Ellen, Syli und Sylvio, und stellt dabei die teil-überlappende Handlung aus unterschiedlichen Perspektiven dar, teils setzt er die Handlung zeitlich voranschreitend fort.
Ich hatte das Buch vor langen Jahren erworben und beiseite gelegt, ich war damals schlicht zu jung für dieses Buch – und ohne jegliche „Walser-Erfahrung“.
Mit inzwischen vier von mir gelesenen Werken empfehle ich aus ganz persönlicher Sicht den (Neu-)„Einstieg“ mit „Ein fliehendes Pferd“ – eine (naturgemäß kurze) Novelle; tatsächlich ist Walser nicht ganz einfach zu lesen, wenn man Walser nicht kennt, ihn als nicht „Walser-vorbelasteter“ Leser liest. Andere empfehlen hier „Ehen in Philippsburg“, das jedoch vorerst nur auf meiner Wunschliste steht.

Zum Schneller-Lesen für Walser-Kenner; ich stelle kurz den Vorteil der vorbereitenden Lektüre dar: Walser nutzt gerne typische Stilmittel und hat bestimmte wiederkehrende Themen, beide können sich als etwas anstrengend darstellen, wenn man quasi unvorbereitet darauf stößt (Exemplar und Zitate in alter Rechtschreibung), hier nur einige:

Freude macht mir Walser mit seiner Neigung zu Wortschöpfungen oder Wort-Neu-Zusammenstellungen: Von harmlos S. 12 „Tulpennulpen“, S. 20 „Liberalist, Bestialist“ (analog zu den vorigen Nationalist, Atheist usw.), S. 22 „Nichtnachgeben“, S. 26 „Zweitagebartgesicht“ mit „Zweitagestand“ usw. bis hin zu S. 185 „Restlosverschmolzenheitsphilosophie“.


Bei wenigen Autoren finde ich ähnlich häufig Sätze zum Anstreichen oder Herausschreiben wie bei Walser, er ist einfach genial darin, in einem einzigen Satz (manchmal mit dem gängigen Nach-Satz dazu) eine universelle Aussage zu treffen oder auch mindestens nur eine wunderschöne Universal-Aussage zu einer Handlung oder einer Person im Buch:
S. 32 „Ein Alkoholiker ist eine ungeheure Steigerung dessen, was ein Mann ohnehin schon ist.“
S. 37 „Die vollkommene Niedertracht kommt nur vor, wo eine Frau gegen eine Frau agiert.“
S. 40 „Ach, jeder Mann ist ein Monologist!“
Über Ernest, Ellens Liebhaber:
S. 39 Ellens Aussage: „Wenn er [Ernest] Ellen etwas Schönes sagen wollte, redete er ja auch nur von sich.“
S. 45 „Er [Ernest] ist nie krank, aber dauernd in Behandlung.“
Über die 19jährige Tochter Sylvi:
S. 130 Ernest zu Syvli: „Sie sind nicht zu Hause in Ihrem Körper. Noch nicht.“
oder, aus Sylvis Sicht:
S. 138f. „Sie rannte dem Leben nach. Würde es nie einholen.“

Es gibt wiederkehrende Typen von Satzbau bei Walser. Eine Version ist: Ein „klassischer“ Satzbau mit Subjekt-Prädikat-Objekt, dem folgt ein Satz, dem das Verb fehlt, der auch hätte mittels eines Komma angeschlossen werden können, teils nur ein Wort.
In „Ohne einander“
z.B. S. 12, als Ellens Liebhaber Ernest zu ihr nach Hause kommen möchte: „Nach fast vier Jahren habe er wohl das Recht, ihr Kinder kennenzulernen. Den Mann lieber nicht. Aber der sei doch ohnehin nie da. Aber Sylvi und Alf. Seit Jahren rede Ellen von Sylvi und Alf. Das meiste in diesen Jahren sei unterblieben wegen Sylvi und Alf.“
Dieses Stilmittel wirkt auf den Leser drängend, die Handlung vorantreibend, unruhig, atemlos. Da die Sätze einfach bleiben, lassen sie sich meist einfach lesen – taucht das Stilmittel gehäuft auf, kann es genauso passieren, dass man als Leser einfach daran hängen bleibt wie an einem Stolperstein. Geduld!
Demgegenüber stehen kunstvolle Satzgebilde, mäandrierend, ich füge ein Beispiel ein unter dem nächsten Punkt, Themen Walsers.

Eines der wiederkehrenden Themen ist die Ablehnung des Kulturbetriebs, die Auseinandersetzung mit der medialen Öffentlichkeit (man möge nachlesen zu den Auseinandersetzungen mit Hans Magnus Enzensberger oder gar mit Marcel Reich-Ranicki):
S. 62/63: „Nur der Schwächling braucht Macht. Nur der Schwächling strebt nach Macht. …
Und er vertraue darauf, daß einer Ellen … nach mehr als zwanzig Jahren Kulturbetriebserfahrung der tobende, der auftrumpfende, der alle anderen niedermachende Schwächling nicht ganz fremd sei, denn reiner als im Kulturbetrieb manifestiere es sich nirgends, daß Schwäche, also Machtgier, also ethische Entkräftung den Psychofilz jedes Agierenden liefern. Das Allererstaunlichste: daß eine zuschauende Öffentlichkeit so tut, als glaube sie, diesem Betrieb gehe es um etwas anderes als um sich selbst.“
Die Gründe liefert er nach:
S. 74 „Einfach so böse, wie jeder andauernd gern wäre, aber er kann es sich nicht leisten, ist ja verheiratet, fest angestellt, muß sich rentenwürdig benehmen. Das hält er nur aus, wenn er die täglich in ihm produzierte Wut in den Bosheitsquanten ablassen kann, die ihm DAS [Anm. d. Verfasserin: Das Magazin, für das Ellen schreibt …oder vermutlich jegliches andere Medium] verordnet.“
Das Thema bleibt präsent im Roman, auch als die Perspektive zum Ehemann, zu Sylvio, wechselt:
S. 176 „Hielt er [Sylvio] doch die kritische Grundhaltung der Produzenten öffentlicher Meinung für Heuchelei. Selbstgerechtigkeit und Heuchelei, das war das Fundament der Meinungsproduktion. Je heuchlerischer, um so krasser kritisch beziehungsweise je krasser kritisch, um so heuchlerischer. Das sei ein unauflöslicher Interdependenzknoten zur Verhinderung einer Einsicht ins eigene Tun. Denn: je krasser kritisch, desto besser das eigene Gewissen, desto weniger Anlaß, Neigung, Fähigkeit zur Selbstüberprüfung. Die öffentliche Meinung als die neueste Kirche, der letzte Gott“.

Definitiv ist Walser ein Meister der Worte, ihres Gebrauchs, des Spracheinsatzes – das gestehen ihm gemeinhin auch alle Kritiker zu. Kritik erfolgt hier zumeist bezüglich seiner eindeutig vorhandenen Tendenz zum Überbordenden hierbei, wodurch dann die eigentliche Erzählung auch durchaus in den Hintergrund treten kann (die Empfehlung zum Einstieg über „Ein fliehendes Pferd“ rührt aus einer Zurückhaltung Walsers in dieser Novelle bei genau diesem möglichen Kritikpunkt, wohingegen die typischen Stilmittel und Themen brillieren dürfen. Ich hatte die Novelle eingeschoben, als ich zur Halbzeit der Lektüre von „Ein sterbender Mann“ verwirrt und zweigeteilt zu meiner Einschätzung war).

Die Walserschen Protagonisten erweisen sich (auch in diesem Roman) als zutiefst verunsichert, ihre auf das Gegenüber gerichteten Handlungen haben selten etwas zu tun mit der Person ihres Gegenüber, vielmehr mit der eigenen Wahrnehmung, der Illusion, die diese Person bei ihnen hervorruft.
S. 41 „Er [Ellens Liebhaber Ernest] rede nur soviel, weil er nicht aufhören könne, ihr ihre [Ellens] Wirkung auf ihn zu schildern. Er gebe zu, daß er sie dadurch mitreißen wolle. Da er schon nicht im Stande sei, sie zu begeistern, sie hinzureißen, wolle er eben dadurch, daß er sie ihre Wirkung auf ihn erleben lasse, sie von sich selber hinreißen lassen.
Obwohl sie Angst hatte und vorsichtig sein wollte, war sie dann doch hingerissen gewesen. Von ihm. Vielleicht doch von ihrer Wirkung auf ihn.“
S. 83 (aus Sicht Ellens) „Er [ihr Liebhaber Ernest] ist eine Aussicht. Die einzige. Nur weil er eine Aussicht ist, liebst du ihn. Nur ein Mann kann auf die Idee verfallen, man liebe ihn um seinetwillen.“
S. 119 (im Kapitel Sylvi; über ihren Vater) „ Dieser Schwätzer! Dieser Dekorateur! Dieser Schaumschläger, Wortkonditor, Lügenbold!“

Mein Fazit? Gewappnet mit einem rudimentären Vorwissen über Walser lässt sich dieser Roman schlicht und einfach genießen, sowohl hinsichtlich des Sprachgebrauchs als der Bonmots. Faszinierend, dass sich eine Rezension samt Inhaltsüberblick an diesen entlanghangeln kann! Ausschweifender als „Ein fliehendes Pferd“, dafür mit mehr Sprachschätzen, jedoch deutlich zielstrebiger und am Leser orientierter als „Ein sterbender Mann“, darf man sich als Leser durchaus verstören lassen von Erkenntnissen darüber, wie furchtbar verlogen - auch gegenüber sich selbst Menschen in beruflichen und privaten Beziehungen interagieren – und kommt dabei vielleicht auch auf die eine oder andere unangenehme Gemeinsamkeit mit sich selbst.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Vieles wird angedeutet...

Neringa
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"Neringa oder die andere Art der Heimkehr" ist ein melancholisch-ruhiger Roman mit wunderschönem Sprachgebrauch über Heimat, Identität, Erinnern und Zulassen.

Midlife-Crisis, Suche nach dem Sinn des ...

"Neringa oder die andere Art der Heimkehr" ist ein melancholisch-ruhiger Roman mit wunderschönem Sprachgebrauch über Heimat, Identität, Erinnern und Zulassen.

Midlife-Crisis, Suche nach dem Sinn des Lebens, zarte Liebesgeschichte, Middle Ager auf Sinnsuche verliebt sich in jüngere ausländische Putzfrau, beruflicher Erfolg bei privater Einsamkeit, Reise in die Vergangenheit, Verklärung der Familiengeschichte und Realität - das alles und nicht weniger könnte der Leser als Grund-Handlung des Buches nennen. Noch nie habe ich jedoch derart viele Probleme mit der Rezension gehabt, einfach weil sich Autor Stefan Moster vielfach entzieht, vieles nur andeutet, besonders bei seinem Protagonisten: wenn man sich die sehr verstreuten Daten zusammensucht, teilt Moster mit diesem Geburtsjahr, -monat und -ort sowie den Vornamen.

Moster wechselt zwischen der Gegenwart seines Ich-Erzählers und dessen Heranwachsen und Adoleszens, streut Erinnertes über Dritte ein, speziell über den geliebten Großvater mütterlicherseits, dessen Schritten und Spuren als Pflasterer er nachzuspüren versucht.

Diese Suche im Kontrast mit dem Leben der Hauptfigur machte für mich den Reiz der Lektüre aus, da dabei allgemein gültige Fragen aufgeworfen werden: was sollte von einem bleiben? Was kann Erinnerung - was bringt sie mir? Worin liegt der Sinn für mich?

Durch die langsame zarte Liebe mit seiner ehemaligen Putzfrau, die er entlässt, um sich ihr auf gleicher Ebene nähern zu können, findet der bisherige Zweifler in kleinen Schritten zu sich selbst. Vor ihr lernt er zuletzt: „Das einzige, womit wir die Toten beschenken können,
sind liebevolle Legenden“ (S. 280).



ACHTUNG, aber hier ggf. Spoiler:

Über seine Hauptfigur legt der Autor etliche Fährten, lässt auch diese solchen nachspüren: „Konnte man sich auf das verlassen, was man sich im Namen der Erinnerungen zusammenreimt?“ (S. 233). So idealisieren die Erinnerungen den Großvater, ungeachtet des gleich zu Anfang beschriebenen "Beinahe-Totschlags im Affekt" an seiner Ehefrau oder der fast untergehenden Bemerkung „…und dann greift er zum Schürhaken.“ (S. 93). Die Erinnerungen an die Eltern evozieren eine unglückliche Kindheit durch deren Desinteresse - dabei gratulieren diese der erwachsenen Sohn als einzige zum fünfzigsten Geburtstag, erwarten ihn (wie immer?) zu Weihnachten. Die Hauptfigur neigt(e) zu Selbstverletzungen, hatte Suizidgedanken, war deshalb über Jahre in Psychotherapie - auf der anderen Seite wird ein möglicher Missbrauch in der späteren Jugend durch den heimischen Pfarrer angedeutet als Ursprung für einen Ekel vor sich selbst.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Kurzweiliger durchschnittlicher Krimi mit einigem Humor, aber leider vielen sprachlichen Schnitzern

Tief steht die Sonne
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Anscheinend gibt es im Sauerland einen kauzigen Menschenschlag, der die klassische Rollenverteilung in Familien bevorzugt, Arbeitslosigkeit und Faulheit gleichsetzt, katholische Wertvorstellungen hochhält ...

Anscheinend gibt es im Sauerland einen kauzigen Menschenschlag, der die klassische Rollenverteilung in Familien bevorzugt, Arbeitslosigkeit und Faulheit gleichsetzt, katholische Wertvorstellungen hochhält und mit der Verbreitung von Klatsch Abweichungen schneller ahndet, als die Betroffenen diese realisieren können. In diesem Milieu lebt und arbeitet Kommissarin Inka Luhmann, Protagonistin der Reihe, die sich als „Regional-Krimi“ versteht – wobei die Hauptfigur evangelisch ist und aus Dortmund kommt, da sie nach Brilon „eingeheiratet“ hat. Ihr Mann ist ein Ex-Kollege und in Elternzeit für die beiden gemeinsamen Kinder – somit eine Abweichung sowohl vom beschriebenen Weltbild als auch vom genreüblichen Schema, der Ermittler müsse irgendwie „beschädigt“ sein – mindestens geschieden, unglücklich oder ähnliches. Bei dem vorliegenden Band handelt es sich um den bereits dritten über die Ermittlerin – ich kannte die Vorgänger nicht und konnte mich mühelos hineinfinden.
Wie häufig in Krimis, spielt die Handlung auf verschiedenen Ebenen, eine davon hier als zeitlicher Rücksprung.
Knutschende Teenies finden auf einem Campingplatz ein Mordopfer. Aus einem Gefängnis wird ein verurteilter Bankräuber nach 8 Jahren entlassen – der zweite Täter konnte mit der Beute unerkannt entkommen, Inka Luhmann war damals an der Ermittlung beteiligt. Jetzt muss sie trotz Camping-Phobie wegen der Leiche auf dem Campingplatz ermitteln und steht mit ihrem Team dort vor einigen Herausforderungen: „Die wollten mich erst auf einen Schnaps einladen, mir dann den Wohnwagen zeigen und den Grill anwerfen, bevor sie zum Punkt gekommen sind. Wenn das alle machen, sind wir bis Weihnachten nicht hier durch“ (S. 73).
Das Buch ist flott und leicht geschrieben mit etlichen Prisen Humor – wenn man davon absieht, dass mir besonders zu Beginn viel zu häufige Unsauberkeiten im Umgang mit Sprache negativ auffielen (fett gestellt durch die Rezensentin):
S. 13: „Abgesehen von Supermarktpreisen, die normalverdienenden Selbstversorgern die Tränen in die Augen trieb“ statt „trieben“….
S. 20 „Er hatte Banküberfälle…immer als eine [statt eines] der am wenigsten riskanten Kapitalverbrechen eingeschätzt.“
S. 53 „Immerhin schmückten die Fenster bereits Girlanden“ nein, Fenster werden nicht als Schmuck für Girlanden eingesetzt: Immerhin schmückten Girlanden bereits die Fenster….
S. 53 „ Als Einheimischer, ehemaliger Schüler, Vater in Elternzeit, Erziehungsberechtigter einer Tochter an der Schule und Tom, seinem sechsjährigen Sohn unter den ‚I-Dötzchen‘, erfüllte er sogar gleich alle Helferkriterien auf einmal.“ -> als Erziehungsberechtigter einer Tochter an der Schule und eines sechsjährigen Sohnes, Tom, unter den ‚I-Dötzchen‘…
Ein vernünftiges Lektorat hätte hier gut getan, diese Fehler verärgern mich. Später war ich dank des angenehmen Schreibstils zum Glück ausreichend „drin“ in der Handlung und habe automatisch etwas weniger auf derartige Fehler geachtet (sie setzten sich leider trotzdem fort).
Insgesamt ein ganz normaler Krimi, kein besonderes Highlight, auch kein Fehlgriff, aber leichte und angenehme „Nebenbei“-Lektüre. 3 Punkte, da ich nicht das Bedürfnis verspüre, die anderen Bände zu kaufen – sie aber lesen würde, wenn sie irgendwo herumlägen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Mystischer Schauerroman. Ein Jugendbuch als Einstieg zum Autor auch für Erwachsene

Der dunkle Wächter
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Wer Carlos Ruiz Zafóns „Der dunkle Wächter“ lesen will und zum Beispiel „Der Schatten des Windes“ von ihm kennt, sollte wissen, dass die „Nebeltrilogie“ („Der Fürst des Nebels“ von 1993, „Der Mitternachtspalast“ ...

Wer Carlos Ruiz Zafóns „Der dunkle Wächter“ lesen will und zum Beispiel „Der Schatten des Windes“ von ihm kennt, sollte wissen, dass die „Nebeltrilogie“ („Der Fürst des Nebels“ von 1993, „Der Mitternachtspalast“ von 1994 und eben „Der dunkle Wächter“ von 1995, jeweils Erscheinungsdaten der spanischen Originale) prinzipiell als Jugendlektüre angelegt ist. Ich war mir dessen vor dem Erwerb des Buches nicht bewusst und erwähne es, da man das durchaus merkt – sprachlich ist das Buch mitreißend, allerdings geht es entsprechend etwas weniger ins Detail zum Beispiel bei der Charakterzeichnung.


Dieses Buch entzieht sich in vielerlei Hinsicht – eine Rezension ist schwierig, ebenso eine Inhaltsangabe oder gar eine Einordnung in ein Genre.
Vorweg: ich werde nie ein Anhänger von Fantasy oder Mystery werden, weder bei Büchern noch bei Filmen – allerdings entdecken mich, so herum muss man es wohl formulieren, immer wieder einige spezielle Werke: ich bin begeistert vom Film „Der Krieger des Kaisers“ von Ching Tsiu-Tung, von den Büchern „Das Geisterhaus“ von Isabel Allende oder „Der Scheiterhaufen“ von György Dragomán mit ihren mystisch-phantastischen Anteilen.


Der Kern der Handlung spielt im Jahre 1937, nach dem Tod des Vaters ziehen die fast fünfzehnjährige Irene und ihr jüngerer Bruder Dorian Sauvelle mit der Mutter von Paris an die Küste der Normandie, wo letztere durch Annahme eines guten dotierten Arbeitsplatzes als Hauswirtschafterin den finanziellen Ruin von der Familie abwenden kann. Der neue Arbeitgeber, Lazarus Jann, ist Herr des palastartigen Cravenmoore nebst ehemaliger Spielzeugfabrik. Haus und umgebender Wald werden bevölkert von allerlei magischen Schöpfungen des Hausherren, künstlichen Lebewesen, mechanischen Figuren mit sehr realitätsnahen Bewegungen. Während Irene sich in den wenig älteren Ismael verliebt, offenbart sich langsam eine finstere unheimliche Seite im ländlichen Idyll, die bald schon zu einer Toten führt und noch weitere Leben bedroht.
„Der dunkle Wächter“ trägt im Original den Namen „Las Luces de Septiembre“, also die Septemberlichter – so heißt auch nicht nur ein ganzes Kapitel im Buch, sondern diese Septemberlichter werden durchgängig thematisiert, sie sind von der Leuchtturminsel vor der Küste sichtbar seit dort eine geheimnisumwobene Frau ertrank.

Die Handlung des Buches erkläre ich am besten als eine Mischung von „Rebecca“ von Daphne du Maurier, „Charlie und die Schokoladenfabrik“ von Roald Dahl, „Das Bildnis des Dorian Gray“ von Oscar Wilde, „Dr. Jekyll und Mr Hyde von Robert Louis Stevenson, gar Faust und mindestens noch etlichen weiteren, ohne im Ansatz wie eine Kopie zu erscheinen, dabei bewegt es sich fast erbarmungslos zwischen Jugendbuch, Liebesroman, Coming-of-Age-Geschichte und phantastischem Schauerroman.


Jetzt könnte ich hier meine Genre-Vorbehalte bestätigt sehen, doch fesseln mich Ruiz Zafóns Stärke der bildhaften Sprache und sein verwendetes Motiv: er arbeitet mit dem Konzept eines Doppelgängers, eines Schattens, der sich von seinem Besitzer gelöst hat und sich gegen diesen wendet, beschreibt, was passiert, wenn man einen Pakt mit dem Bösen eingeht. Dadurch, dass die Kernhandlung des Buches eingerahmt wird mit zwei Briefen zehn Jahre später, also 1947, ausgetauscht zwischen Irene und Ismael, schafft der Autor es sogar, die angedeuteten Parallelen dieses fatalen Bündnisses zu den Schrecken des Krieges greifbar zu machen. Ja, es bleiben Elemente von Mystery, sogar deutliche – aber dank des Autors als lesbare Alternative.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Suchtmittel mit tollem Preis, etwas unhandliches Format, geniale Idee Rätsel-Lösung auf Rücken

Nonogramm
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Nonogramme sind Logik-/Kombinatorik-Rätsel im Kästchen-Schema - für jede Zeile und jede Spalte steht am Rand, wie viele der Kästchen zusammenhängend anzumalen sind - allerdings nicht, welche davon exakt: ...

Nonogramme sind Logik-/Kombinatorik-Rätsel im Kästchen-Schema - für jede Zeile und jede Spalte steht am Rand, wie viele der Kästchen zusammenhängend anzumalen sind - allerdings nicht, welche davon exakt: Hat eine Zeile zum Beispiel 30 Kästchen und links daneben steht "16", dann sind die mittleren 2 Kästchen zwingend anzumalen, denn egal, von wo man die 16 Kästchen zählt, sind diese immer "mit dabei". Am Ende ergibt sich ein Bild mit einem Muster wie im Kreuzstich.

Ich bin süchtig nach Nonogrammen - allerdings kannte ich sie nicht unter diesem Namen. In der Vergangenheit hatte ich von P.M. im Zeitschriftenhandel die "Kreativ"-Hefte gekauft, da hießen die "Logik-Puzzle". Die Hefte waren deutlich teurer, die Nonogramme waren teils größer, es gab wesentlich weniger davon - dabei war das Format A4.

Ich liebe also den Preis, den Fischer Taschenbuch hier vorgibt, und die schiere Stärke des Buches = Anzahl der Rätsel. Allerdings muss man, gerade bei der Seitenzahl in Kombination mit dem Format, das Buch beim Malen immer festhalten (oder einmal sehr nachhaltig brutal werden). Ich überlege gerade - Querformat? Ringbuchbindung? Seiten perforiert zum Heraustrennen?

Was mich im Anfang irritiert hatte, war, die Lösungen direkt auf den Rückseiten zu platzieren - das finde ich jetzt geradewegs genial:

1. Wenn ich "spicken" will, ist es ziemlich egal, ob ich nach hinten blättere oder nur umblättere - es geschieht auch bei diesem Buchformat nicht häufiger (wenn man sich vertan hat, muss man ohnehin noch einmal sehr viele Schritte zurückgehen, nachzusehen hilft nur, wenn man komplett hängt)

2. Beim Ausmalen wird man immer etwas von der Farbe durchscheinen sehen - das ist jetzt dort sichtbar, wo es nicht stört, bei den Lösungen (und nicht bei einem noch frischen Motiv).

Mit mir selbst uneins bin ich noch beim Papier. Ich hatte mir eigentlich Filzmaler angewöhnt (ja, ich gehe auf Risiko - das geht bei diesem recht offenporigen Papier nicht (hat bei P.M. allerdings auch immer durchgeschienen). Am besten gefallen mir auf diesem Papier hier Wachsmalstifte - aber wirklich wichtig ist das für's Ziel auch icht. Man merkt deutlich, ob man hibbelig ist bei den Nonogrammen...

Ich vermisse noch mehrfarbige Nonogramme und wirklich so richtig schwierige Monster-Blätter, es gibt doch recht viele symmetrische Blätter (bei denen man dann auf beiden Hälften das gleiche tut) - Niveau des vorliegenden wäre also von Stufe 2 (ganz wenige) bis Stufe 4 von 5.