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Veröffentlicht am 14.04.2024

Würdest du die Zeit ändern, wenn du die Möglichkeit hättest?

Das andere Tal
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Mit seinem Debüt-Roman „Das andere Tal” versucht sich Scott Alexander Howard am Thema Zeitreisen und ihren Komplikationen.

Die Protagonistin in „Das andere Tal“ ist die junge Odile.
Sie lebt in einem ...

Mit seinem Debüt-Roman „Das andere Tal” versucht sich Scott Alexander Howard am Thema Zeitreisen und ihren Komplikationen.

Die Protagonistin in „Das andere Tal“ ist die junge Odile.
Sie lebt in einem kleinen Tal, welches im Osten und Westen an weitere Täler grenzt. Das besondere hierbei ist, dass es immer die gleiche Stadt ist. Allerdings auf unterschiedlichen Zeitebenen. Sodass wenn man von Odiles Tal ausgeht, Täler in 20 Jahren in der Zukunft und in 20 Jahren in der Vergangenheit existieren.
Ein Reisen zwischen Tälern wird streng reglementiert vom Conseil, diese dürfen nur einmalig und auch nur im Trauerfall besucht werden. Abweichungen werden streng geahndet. Dieses rigide System in dem Odile aufwächst ist sehr düster, restriktiv und versprüht an jeder Ecke eine gewisse Tristess.
Als Odile durch einen Zufall herausfindet, dass ihr Jugendfreund Edme wahrscheinlich früh versterben wird, steckt sie in der Zwickmühle.
Wird Odile es verhindern, indem sie sich der herrschenden Obrigkeit widersetzt und riskieren, dass die Zukunft so niemals existieren wird?

Der Roman, den ich anfangs noch in die Kategorie Coming of Age gesteckt hatte, entwickelte sich schnell zu einer melancholisch, dystopischen Geschichte. In dieser werden viele philosophische Fragen aufgeworfen.
Der Schreibstil von Scott Alexander Howard ist unaufgeregt und ruhig, weiß aber durch pointierte fast schon poetische Momente zu glänzen, wie die Beschreibungen der Natur oder von Musik.
Was meinen Lesefluss zunächst sehr gestört hat, waren die fehlenden Anführungszeichen bei der wörtlichen Ansprache zwischen den Figuren. So musste ich sehr genau lesen und zuweilen auch ein zweites Mal um den Inhalt nicht misszuverstehen.

Eine weitere mutige Entscheidung des Autors war es seine Protagonistin so passiv angepasst und fast schon antriebslos darzustellen. Diese fehlende Motivation könnte einige Lesende vom Weiterlesen abschrecken. Nichtsdestotrotz passt dies aus meiner Sicht ganz hervorragend zur Grundstimmung des Romans. Und trotzdem hofft man unweigerlich die ganze Zeit, dass sie endlich etwas ändert und zu einer tatsächlichen Heldin ihrer eigenen Geschichte wird.

Absolut hervorragend fand ich es, wie der Autor den Bogen zwischen Zukunft, Gegenwart & Vergangenheit geschaffen hat.
Ich liebe es, wenn etwas von vornherein so gut durchdacht ist, dass es offene Fäden so gut eingewebt in der Geschichte, dass sie am Ende wieder sinnvoll aufgenommen und zu Ende gebracht werden können.


„Das andere Tal“ überzeugt mit einem ruhigen, eher düsteren Gesamt-Setting, welches den Lesenden über verschiedene philosophische Fragestellungen nachgrübeln lässt. Dieser Roman lohnt sich auf jeden Fall in einer Gruppe zu lesen und sich über ihn auszutauschen.

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Veröffentlicht am 04.04.2024

Perspektiven einer toxischen Beziehung

Geordnete Verhältnisse
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Vorab möchte ich eine kurze Triggerwarnung aussprechen, in „Geordnete Verhältnisse“ geht es unter anderem um häusliche Gewalt, toxische Familienstrukturen und Gaslighting.

Lana Lux, die bereits Bekanntheit ...

Vorab möchte ich eine kurze Triggerwarnung aussprechen, in „Geordnete Verhältnisse“ geht es unter anderem um häusliche Gewalt, toxische Familienstrukturen und Gaslighting.

Lana Lux, die bereits Bekanntheit durch ihren Debütroman "Kukolka" und ihren zweiten Roman "Jägerin und Sammlerin“ erlangte, legt mit ihrem neusten Roman „Geordnete Verhältnisse“ intensiv nach.

Das fängt bereits mit der klugen Gestaltung des Covers an. Ein schief angeordneter Titeltext der im Kontrast zum Einbandtitel steht. Außerdem als Motiv grüne Blätter, welche einen ruhigen und sanften Eindruck vermitteln.

In „Geordnete Verhältnisse“ geht es um die Freundschaft zwischen Philipp und Faina. Beide kommen aus dysfunktionalen Familien und toxischen Verhältnissen, aus denen sie sich nie wirklich befreien konnten. Ihre Freundschaft wird schnell zu einer Obsession, was für mich an diesem Zitat von Faina sehr deutlich wird:
„Das Gefühl, ihm die Welt zu bedeuten. Dieses Gefühl macht süchtig. Es lässt einen alles andere erdulden. Weil es ja zum eigenen Besten ist, weil der Schmerz, den diese Person einem zufügt, seiner Liebe entspringt.“ S. 273

In ihrem Roman geht die Autorin dabei einen sehr spannenden und gewagten Schritt und erzählt die Geschichte nicht nur aus Sicht des Opfers oder des Täters, sondern lässt beide abwechselnd zu Wort kommen.
Der Roman unterteilt sich in drei Abschnitte.
Im Ersten erfahren wir viel über die Vergangenheit der beiden aus der Sicht von Philipp.
Im zweiten Abschnitt kommt Faina zu Wort, die einige Details ergänzt, ihre Sicht der Dinge widerspiegelt, und wir erfahren wie die Gegenwart für beide gerade weiter verläuft. Im dritten und letzten Abschnitt kommen beide wieder abwechselnd zu Wort.

Dabei habe ich es sehr genossen wie Frau Lux die Protagonisten mit den Lesenden kommunizieren lässt. Ich mochte es, wie man in die Gedanken- und Gefühlswelt hineingesogen wurde.

Die Geschichte wird niemals vordergründig voyeuristisch oder verliert sich in sinnlosen (Gewalt-)Details.
Die Autorin schafft den Spagat, keinen der Protagonisten als absolut unsympathisch oder übertrieben dazustellen. Sie sind dabei nahbar und besitzen eine ganz eigene Lebendigkeit und Glaubwürdigkeit.
Man muss unwillkürlich mit allen handelnden Figuren mitfühlen und hinterfragt auch ständig woher diese Verhaltensmuster wohl kommen müssen.

Die an einigen Stellen schon fast poetische Sprache vermischt sich ganz leicht mit einem modernen Sprachstil, ohne dabei zu gewollt zu wirken.

Für mich war „Geordnete Verhältnisse“ definitiv ein Lesehighlight, welches mit seinem Inhalt noch lange bei mir nachklingen wird.

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Veröffentlicht am 01.04.2024

Melancholisch, ruhiger Roman über die Macht der Worte und ihre Kraft zu heilen.

Die Vermesserin der Worte
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Aufgrund des schlichten Cover habe ich mich auf eine ruhige Geschichte eingestellt und wurde auch nicht enttäuscht.
Katharina Seck, eher bekannt für ihre Fantasy Romane, lässt mit „Die Vermesserin der ...

Aufgrund des schlichten Cover habe ich mich auf eine ruhige Geschichte eingestellt und wurde auch nicht enttäuscht.
Katharina Seck, eher bekannt für ihre Fantasy Romane, lässt mit „Die Vermesserin der Worte“ eine entspannte Geschichte der Gegenwartsliteratur entstehen.

„Die Vermesserin der Worte“ ist ein Roman über Sprachlosigkeit. Eine Sprachlosigkeit, die einem plötzlich im Griff hat, aber auch eine, die zwischen Menschen herrschen kann und tiefe Gräben schlägt.
Es geht um die Autorin Ida, die unter einer Schreibblockade leidet und sich lieber in ihrer kleinen Wohnung vor der Welt abschottet. Als das Geld langsam zur Neige geht, muss sie notgedrungen einen Job in der Provinz annehmen. Dabei lernt sie die ältere Hausherrin Ottilie kennen, die ebenfalls ihre Worte sucht, wobei Sie nach und nach den Bezug zur Welt verliert.
Die beiden Frauen finden durch ihre Liebe zu Büchern einen Weg zu einander. Es entsteht eine zarte Freundschaft, in der sich die beiden gegenseitig durch die Kraft der Worte retten und heilen.

Man spürt sehr schnell die Liebe der Autorin für Bücher. Es finden sich regelmäßig Anspielungen auf anderen Romane, Autorinnen und Autoren. Für mich persönlich hätte das an einigen Stellen einfach gestrafft werden können, da sie sich gerne wiederholt. Auch das übermäßige Wiedergeben von Floskeln und Wortpaarungen trübte für mich den Lesefluss etwas ein.

Der Roman hat mir in seiner unaufgeregten und ruhigen Lese-Art gut gefallen.

Wer einen leicht melancholischen und ruhigen Roman als kleine Auszeit im hektischen (Lese-)Alltag sucht, ist hier trotz einiger Kritikpunkte sehr gut aufgehoben.

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Veröffentlicht am 03.03.2024

Spannende Thematik mit schwer greifbarer Handlung

Arctic Mirage
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Der Debüt-Roman „Arctic Mirage“ von Terhi Kokkonen wurde mit dem finnischen Literaturpreis Helsingin-Sanomat ausgezeichnet, was meine Erwartungshaltung direkt nach oben geschraubt hat.

Der Inhalt des ...

Der Debüt-Roman „Arctic Mirage“ von Terhi Kokkonen wurde mit dem finnischen Literaturpreis Helsingin-Sanomat ausgezeichnet, was meine Erwartungshaltung direkt nach oben geschraubt hat.

Der Inhalt des recht schmalen Buches ist schnell zusammengefasst. Es geht um das Ehepaar Karo und Risto, die in der einsam verschneiten Gegend Lapplands Urlaub machen. Als es zu einem Autounfall kommt, suchen beide Unterkunft in dem Titelgeben Hotel namens Arctic Mirage. Doch das scheinbare Glück, den Unfall nur mit geringen Blessuren überstanden zu haben, schlägt schnell um und das Düstere in der Beziehung scheint beide zu übermannen.

Leider konnte mich dieser Roman nicht überzeugen, auch wenn das grundsätzlich düstere Setting mich sehr angezogen hat.
Hervorzuheben ist, dass die Autorin meiner Ansicht nach diesen schwierigen und psychologischen Themenkomplex gut recherchiert hat.
Allerdings verliert sie sich in Andeutungen in ihrer eigenen düsteren Geschichte etwas zu sehr, dadurch wirkt es für mich zu gewollt und nicht gänzlich rund.
Dem Lesenden wurde eine komplexe Geschichte einer Ehe versprochen, die sehr tragisch endet.
Erhalten habe ich allerdings nur sehr eigenwillige und unsympathische Hauptfiguren, deren Handlungen und Entscheidungen ich nur schwer nachvollziehen konnte.
Risto's Sicht wird immer nur im direkten Zusammenspiel mit Karo deutlich, beziehungsweise in Rückblenden. Aus meiner Sicht, verpasst da die Autorin eine Chance auch seine Perspektive aufzuzeigen.
Hinzukamen abrupt und scheinbar wahllos auftauchende Nebenfiguren, die für das Voranschreiten der Handlung nur wenig von Nöten waren.

Abschließend bleibt zu sagen, dass es eine interessante Thematik war, die in der Umsetzung leider hinter meinen Erwartungen zurückblieb.

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Veröffentlicht am 24.02.2024

Alles nur geklaut!?

Yellowface
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Rebecca F. Kuang ist eine gefeierte und mehrfach ausgezeichnete Fantasyautorin.
Mit ihrem Neusten Werk „Yellowface“ wagt sie sich nun auf ein ganz anderes Gebiet.

Bei „Yellowface“ fällt einem direkt das ...

Rebecca F. Kuang ist eine gefeierte und mehrfach ausgezeichnete Fantasyautorin.
Mit ihrem Neusten Werk „Yellowface“ wagt sie sich nun auf ein ganz anderes Gebiet.

Bei „Yellowface“ fällt einem direkt das schreiend gelbe Cover auf. Davon sollte man sich allerdings nicht blenden lassen.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht die junge Autorin June Hayward. Wie viele aufstrebende Schreibende möchte Sie ein Werk erstellen, welches sichtbare Anerkennung erreicht.
Etwas, was ihrer unglaublich erfolgreichen Autorenfreundin Athena Liu bereits geglückt ist.
Ihre Erfolgsgeschichte, aber auch Athenas Schönheit und Exotik, rufen bei June nur Animositäten hervor.
Als durch einen tragischen Unfall Athena verstirbt, sieht June ihre Zeit gekommen und stiehlt das letzte literarische Schaffen ihrer Freundin. Nachdem sie begreift welches Potential in der Geschichte steckt, fängt sie an diese zu überarbeiten und zu veröffentlichten
Mit dem Erfolg kommen schnell erste Fragen nach der Urheberschaft auf. Die sozialen Medien kennen keine Gnade bei ihrer Hexenjagd. Kann alles nur in einem Drama gipfeln?

„Yellowface“ schafft es sehr präzise den Finger in eine sehr offene und meines Erachtens eitrige Wunde unserer Zeit zu legen. Unter anderem wie groß der Einfluss moderner Medien wie Instagram oder X (ehemals Twitter) auf unsere Gesellschaft ist. Wie schnell es zu Abhängigkeiten von Usern beziehungsweise der Ausnutzung solcher Plattformen für anonyme Hetze und Hasskommentare kommen kann.
Der Roman schafft es gezielt die Fragen nach Kultureller Aneignung, Gatekeeping und Cancel Culture zu adressieren. Die Leserschaft wird fast beiläufig dazu gebracht sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen und innerlich die eigenen Wertevorstellungen zu reflektieren.

Mir persönlich hat der ganz spezielle Schreibstil von Frau Kuang gefallen.
Insbesondere der Aspekt, dass ihre Protagonistin die Leserschaft immer wieder direkt anspricht und in ihre Gedankenwelt abholt. Damit versucht sich die Figur der June den Lesenden zu erklären. Sie bettelt fast um unsere Sympathien und Verständnis für ihr Verhalten.
Allerdings ist und bleibt sie von Anfang bis Ende eine tragische Antiheldin. Sie ist kein charmanter Underdog, den man die Daumen drückt und für die man auf ein Happy End hoffen möchte.
Leider lastet dadurch, aber auch die volle Last als Protagonistin auf ihr. Sämtliche Nebenfiguren verkommen zu Randnotizen, die nur wenig Raum bekommen. Das nimmt den Roman aus meiner Sicht etwas an Schwung.
Für mich war June in ihrer manischen Obsession völlig glaubhaft dargestellt, wenn sie auch zuweilen sehr anstrengend zu ertragen war.
Ich frage mich, wie realistisch das ganze Szenario ist? Lassen sich Verleger, Angehörige oder Freunde so lange täuschen? Was für rechtliche Schritte könnten auf sie zu kommen? Da hätte ich mir persönlich noch etwas ausgefeilte Tiefe gewünscht.

Zusammenfassend würde ich sagen, hat Frau Kuang einen zeitgenössischen Roman abgeliefert, der hier und da sicherlich noch etwas Potential nach oben hätte, Lesenden dennoch die Möglichkeit bietet sich mit aktuellen Thematiken (wie Rassismus, Online-Hetze) eingebunden in einer spannenden Storyline, auseinanderzusetzen.

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