Profilbild von Thoronris

Thoronris

Lesejury Profi
offline

Thoronris ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Thoronris über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 12.05.2019

Ansprechend, aber nicht ganz überzeugend

Bodyguard - Der Anschlag
0

Ich habe mich seit langer Zeit mal wieder an einem Jugendbuch versucht und ich vermute, nach der Lektüre dieses Buches wird es vorerst das letzte Mal gewesen sein. Das liegt gar nicht daran, dass das Buch ...

Ich habe mich seit langer Zeit mal wieder an einem Jugendbuch versucht und ich vermute, nach der Lektüre dieses Buches wird es vorerst das letzte Mal gewesen sein. Das liegt gar nicht daran, dass das Buch schlecht wäre. Aber ich habe doch schnell gemerkt, dass es nicht für mich geschrieben ist. Doch von Anfang.

Chris Bradford schreibt inzwischen seit längerer Zeit an seiner Bodyguard-Reihe und hat zudem noch eine Super-Bodyguard-Reihe. Man merkt ihm an, dass er seine Materie beherrscht und schreiben kann. Das Buch liest sich sehr schnell weg, es ist simpel, aber ansprechend geschrieben. Auf die detaillierten Beschreibung des Bodyguard-Trainings am Anfang hätte ich verzichten können, da ich nicht wirklich bemerkt habe, dass es für die weitere Handlung relevant war.

Die Charaktere sind wie erwartet jung, was mich manchmal mit einigen Fragezeichen hinterlässt. Insbesondere die Liebesbeziehungen, die hier am Rande durchaus eine Rolle spielen, wirken zu erwachsen für vierzehnjährige Jungs. Auf der anderen Seite sind sowohl Connor als auch sein Partner Jason die typischen jugendlichen Kerle, die ihre Männlichkeit bei jeder Gelegenheit präsentieren wollen und deswegen manchmal ihren Auftrag aus den Augen zu verlieren scheinen. Generell sind alle jugendlichen Charaktere, die wir kennenlernen, ein interessanter Mix aus zu erwachsen und perfekt für ihr Alter getroffen.

Der Plot selbst ist gut gestrickt. Ich mag politische Verwicklungen. Natürlich können diese in einem Jugendbuch nicht mit extremer Tiefe verfolgt werden, dennoch sind die Umstände in Russland realistisch geschildert und bieten genügend Hintergrund, um den Auftrag der Buddyguards spannend zu machen. Zwischenzeitlich fühlte ich mich zudem an den neuesten Spiderman-Film erinnert, denn die jugendlichen Bodyguards riskieren das Leben anderer Menschen manchmal durch eigene Fehler. Auch das ist durchaus realistisch für junge Menschen, aber ich habe sie innerlich trotzdem für ihre Dummheit angebrüllt.

Als Jugendbuch funktioniert die Geschichte sehr gut. Entsprechend komme ich zu einem positiven Ergebnis. Selbst jedoch fühlte ich mich durch die Charaktere nicht genügend angesprochen und mir hat echte Tiefe gefehlt. Ich bin mir allerdings auch sicher, dass ich es in meiner Jugend verschlungen hätte, denn die Vorstellung, als vierzehnjährige als Bodyguard arbeiten zu können, wäre wohl ein Traum für mich gewesen.



Fazit:

Das Jugendbuch "Bodyguard: Der Anschlag" von Chris Bradford ist ein unterhaltsamer, actionreicher Roman, der mich zwar nicht ansprechen, aber trotzdem überzeugen konnte. Die Charaktere sind jung und handeln oft genug so. Der Plot ist an sich simpel, aber mit genügend Verwicklungen versehen, dass es bis zum Schluss spannend bleibt. Als Jugendbuch funktioniert dieser Roman sehr gut.

Veröffentlicht am 07.05.2019

Eine talentierte Heldin

Das Versprechen der Kurtisane
0

Bei diesem Buch stimmt einfach alles: Das Cover ist wunderschön, der Schreibstil fließt dahin und die Charaktere sind interessant. Auf den ersten Blick mag es wie eine weitere seichte historische Romanze ...

Bei diesem Buch stimmt einfach alles: Das Cover ist wunderschön, der Schreibstil fließt dahin und die Charaktere sind interessant. Auf den ersten Blick mag es wie eine weitere seichte historische Romanze wirken, doch in Wirklichkeit ist diese Geschichte so viel mehr.



Starke Charaktere mit viel Hintergrund

Bevor sich die beiden Hauptcharaktere in diesem Buch wirklich treffen, bekommen wir eine Menge über sie zu lesen. Wir wissen, wer sie sind, und gerade bei der weiblichen Hauptperson bekommen wir sehr klare Motivationen. Das ist für mich ein zentraler Punkt, der einen Liebesroman von seichte Lektüre für Zwischendurch zu wirklich spannend und mitreißend erhebt. Die Tatsache, dass wir eine intelligente Frau, Lydia, bekommen, die gut mit Zahlen umgehen kann, aber trotzdem durch und durch weiblich ist. Die männliche Hauptperson, Will, wiederum präsentiert auf der einen Seite starke Männlichkeit mit seinem Hintergrund als Soldat, ist aber gleichzeitig sehr emotional und hat viel mehr Probleme, sich unter Kontrolle zu halten als sie. Sobald sie sich zusammen tun, ergibt sich daraus eine spannende Dynamik, in der sie die Hosen anhat, ohne ihre Weiblichkeit zu verlieren. Ich liebe die Tatsache, dass die Autorin so viel Zeit darauf verwendet, die historischen Umstände so detailgetreu darzustellen, und trotzdem modern wirkende Charaktere zu erschaffen.



Der Plot wird zum Ende etwas schwach

So gut die Charaktere auch funktionieren, so schwierig wird die Geschichte selbst gegen Ende hin. Alle eingeführten Charaktere kommen für eine Woche voller Vergnügungen auf einem Landgut zusammen, was für die Zeit ein sehr typischer Zeitvertreib ist. Ich hatte die Hoffnung zu beginn, dass der reiche Mann, für den Lydia die Kurtisane ist, eine interessantere Rolle spielen wird, als ihm zugewiesen wurde. Für mich verliert die Geschichte dafür am Ende ein wenig an Schwung. Er wird zu einem Plot-Device und ist offensichtlich nur dafür da, als Katalysator für die Beziehung von Will und Lydia zu funktionieren. Natürlich haben alle Geschichten Charaktere und Szenen, die nur dazu dienen, den Plot voranzutreiben und andere Charaktere scheinen zu lassen, doch in diesem Fall war es für mich zu offensichtlich und hat mich deswegen aus der Fantasie rausgeworfen. Glücklicherweise bekommt diese Entwicklung am Schluss des Buches noch wieder einen interessanten, amüsanten Dreh, so dass ich das Buch zufrieden und glücklich zuklappen konnte.


FAZIT

Der historische Liebesroman "Das Versprechen der Kurtisane" besticht mit einem guten Schreibstil und plastischer Darstellung gut recherchierter Fakten. Die beiden Hauptfiguren, Will und Lydia, sind interessant, haben klare Motivationen und die Romanze zwischen ihnen entwickelt sich natürlich und authentisch. Andere Figuren bleiben teilweise recht blass, was den Plot in der zweiten Hälfte etwas schwächeln lässt. Trotzdem hatte ich bis zum Schluss viel Spaß an der Lektüre und war mit dem Ende sehr zufrieden.

Veröffentlicht am 06.02.2018

Spannender Krimi vor historischer Kulisse

Das Geheimnis von Wishtide Manor
0

Da ich sowohl historische Romane als auch Krimis liebe, war es natürlich schon beinahe eine Pflicht für mich, den Auftakt dieser spannende neuen Reihe von Kate Saunders zu lesen. Insbesondere das England ...

Da ich sowohl historische Romane als auch Krimis liebe, war es natürlich schon beinahe eine Pflicht für mich, den Auftakt dieser spannende neuen Reihe von Kate Saunders zu lesen. Insbesondere das England des 18. und 19. Jahrhunderts hat es mir angetan, so dass ein Kriminalroman, der im Jahr 1850 spielt, genau meinen Neigungen entspricht. Ebenfalls vielversprechend war für mich, dass die Ermittlerfigur eine Dame in älteren Jahren ist, ähnlich wie es bei der berühmten Miss Marple der Fall ist.



Ein sehr verwickelter Mordfall

Als Krimi funktioniert dieses Buch tatsächlich wunderbar. Wir bekommen einen Fall präsentiert, der zunächst harmlos erscheint, sich dann jedoch zu einem echten Mordfall auswächst. Die Spuren werden geschickt gelegt und nicht alleine von der Hauptperson, Mrs. Rodd, gelöst, sondern in Zusammenarbeit mehrere Figuren. Da es sich um den ersten Band einer Reihe handelt, gehe ich davon aus, dass wir mehrere dieser Figuren wiedersehen werden. Auf Wishtide Manor gibt es in der Tat diverse Geheimnisse zu entdecken, die Verstrickungen der Familie werden auf interessante Weise erst zu einem Knäuel verwoben und dann Strang für Strang aufgelöst. Obwohl über weite Strecken keine actionreichen oder spannungsgeladenen Szenen auftauchen, wird doch konstant das Interesse des Lesers gehalten. Dafür ist das Ende umso spannender und wir lernen MRs. Rodd in vielen Facetten kennen.



Mrs. Rodd und ihre Macken

Allerdings konnte mich der Krimi nicht in allen Aspekten überzeugen. Mrs. Rodd ist eine Witwe, was über das ganze Buch hinweg mit großer Regelmäßigkeit erwähnt wird. Immer wieder erinnert sie sich an ihren lieben Matt und dass er dieses oder jenes geliebt hätte. Obwohl eine Witwe vermutlich durchaus in allen Lebenslagen an ihren verstorbenen Gatten erinnert wird, fühlte ich mich recht schnell gestört davon. Es wirkte beinahe so, als hätte Mrs. Rodd unabhängig von ihrem Ehemann keine eigenen Interessen. Andererseits ist sie eine einfühlsame Person, die immer wieder aus dem Bauch heraus entscheidet, wer gut und wer schlecht ist, wem sie böse Taten zutraut und wem nicht. Für eine ältere Dame, die wohl nicht zum ersten Mal mit Ermittlungen betraut wird, wirkt das ein wenig zu naiv – oder ist ein erzählerisch zu übertrieben positiver Charakterzug.



Fazit:

Der Kriminalroman „Das Geheimnis von Wishtide Manor“ von Kate Saunders ist ein spannender Auftakt zu einer neuen Reihe um die Ermittlerin Laetitia Rodd. Der Mordfall im Setting von 1850 ist eine wundervoll verwobene Geschichte um die Vergangenheit der Menschen, die sie am Ende doch wieder einholt. Der Krimi funktioniert gut, hält durchweg die Spannung und kommt zu einem überraschenden Finale. Einzig die Ermittlerfigur mit ihren Macken und Stärken konnte mich noch nicht überzeugen, doch innerhalb einer Reihe ist genug Entwicklungspotential, dass ich da ein Auge zudrücken kann. Für Fans von historischen Kriminalromanen ist dieser erste Band definitiv zu empfehlen.

Veröffentlicht am 30.01.2018

Atmosphärisch dichter Wirtschaftskrimi

Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens
0

Im März steht erneut die Leipziger Buchmesse vor der Tür und passend zum diesjährigen Gastland Rumänien haben wir hier einen Kriminalroman, der unter anderem dort spielt. Darüber hinaus hat das Buch in ...

Im März steht erneut die Leipziger Buchmesse vor der Tür und passend zum diesjährigen Gastland Rumänien haben wir hier einen Kriminalroman, der unter anderem dort spielt. Darüber hinaus hat das Buch in diesem Monat den ersten Platz beim Deutschen Krimi Preis belegt. Entsprechend hoch waren meine Erwartungen, als ich die Lektüre aufgenommen habe.



Zu gewollt, zu viel Atmosphäre

Das Buch hab mich überrascht. Der Anfang erschien mir schleppend, zu viele Figuren, die wir zu kurz sahen, zu viel Fokus auf deprimierender, einsamer Atmosphäre, zu schwer. Ich hatte beim Lesen - natürlich nicht ganz unvoreingenommen - das Gefühl, ein klassisches Preisträger-Buch zu lesen. Wie bei Filmen, die einen Oscar gewinnen, denen man beim Sehen schon anmerkt, dass sie mit dem Ziel gedreht wurden, einen Oscar zu gewinnen, so erging es mir mit diesem Buch: Die Sprache wirkte zu bemüht, der Stil zu gewollt atmosphärisch. Jede Szene war getaucht in die Einsamkeit, die das beherrschende Thema des Buches ist. Als Leser bekommt man keine Verschnaufpause, man ist beständig zum Fühlen gezwungen.

Am Ende des Buches gibt es ein erstaunlich umfangreiches Personenregister, welches ist jedoch bewusst nicht genutzt habe. Entweder, einem Buch gelingt es, dass ich mit die Personen merken kann, oder es versagt in dem Aspekt - einmal ausgenommen Reihen, die extrem lang sind und manche Figuren über mehrere Bücher hinweg nicht mehr auftauchen lassen. Zu Beginn kam ich tatsächlich hin und wieder durcheinander, doch das legte sich rasch und ich wusste, mit wem ich es zu tun hatte. Trotzdem hat die Charaktertiefe unter der Vielfalt der Charaktere gelitten. Einige Charaktere werden mehr etabliert als andere, dennoch fehlt mir zu oft eine Motivation. Was wollen diese Menschen vom Leben? Irgendein Hinweis darauf, dass sie jenseits des Plots noch eine Existenz haben. Dafür, dass so viele Personen durchaus ausführlich beschrieben werden, bleiben erstaunlich viele davon doch blass oder auf einige wenige Adjektive reduziert, die nur im Rahmen des Plots relevant sind.



Spannender Ausflug in die Wirtschaftsgeschichte

Diese negativen Aspekte haben mich am Anfang sehr gestört. Auch, dass ich immer wieder das Gefühl hatte, in einer Geschichtsstunde über die DDR und die ehemaligen Ostblockstaaten zu sitzen, hat das nicht besser gemacht. Tatsächlich war es dann aber der letztere Aspekt, der sich zu einer absoluten Stärke des Buches gemausert hat. Je weiter die Ermittlungen voran schreiten, umso mehr entwickelt sich die Geschichte zu einem Fall von Wirtschaftskriminalität. Verstrickungen, die bis in die Zeit vor der Wende zurückgehen, werden aufgedeckt und erörtert, so ziemlich alle auftretenden Figuren haben auf die eine oder andere Weise eine schwierige Vergangenheit.

Die Auflösung der LPGs, das Chaos, das die schnelle Wende mit sich gebracht hat, die Cleverness der einen gegenüber der Gutgläubigkeit der anderen, all das wird immer wieder spannend und gefühlvoll aufgegriffen. Man fühlt sich plötzlich als Teil dieser Gemeinschaft von Bauern, die sich noch immer nicht wirklich in der neuen Welt zurecht finden und nicht wirklich verstehen, was damals geschehen ist. Die Ermittlungen rund um Korruption und Agrarpolitik waren für mich ein Highlight dieses Romans. Das Ende wiederum passt zu der Atmosphäre, die aufgebaut wurde, und macht damit das Buch zu einer runden Sache.



Fazit:

Der Kriminalroman "Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens" von Olliver Bottini ist ein atmosphärisch dichter Wirtschaftskrimi über die Verwicklungen der ehemaligen DDR und der ehemaligen Ostblockstaaten in die unübersichtliche Agrarpolitik. Obwohl eigentlich ein Mordfall im Zentrum steht, liegt die Stärke des Buches doch deutlich in seinen historischen Beleuchtungen der Umbruchzeit. Die Menge an Figuren und die zu starke Konzentration auf die düstere Atmosphäre machen das Lesen anstrengend, doch der zugrunde liegende Plot kann viel davon gut machen.

Veröffentlicht am 09.01.2018

Intensive Darstellung des menschlichen Zwiespalts

Das Schiff der Träume
0

Wir lernen, in der Ich-Perspektive wundervoll distanziert und doch einfühlsam geschrieben, May kennen, die mit ihrem schlichten Leben jenseits des Scheinwerferlichts, an der Seite ihrer Schwester Comfort ...

Wir lernen, in der Ich-Perspektive wundervoll distanziert und doch einfühlsam geschrieben, May kennen, die mit ihrem schlichten Leben jenseits des Scheinwerferlichts, an der Seite ihrer Schwester Comfort zufrieden ist. Ein Schiffsunglück beendet dieses Leben und durch das energische, unsympathische Einschreiten der älteren Dame Mrs. Howard trennen sich ihre Wege. Mrs. Howard ist eine Sklavengegnerin und spannt Comfort für ihre Zwecke ein. May wiederum landet durch Zufall auf einem Theaterschiff, das geleitet wird von dem Engländer Hugo, der alles mit unendlicher Leidenschaft betreibt und ganz klare Visionen hat. Mays direkte Art, die zuvor häufig negativ ankam, wird von der selbst so verschrobenen Gemeinschaft auf dem Schiff akzeptiert und das Leben schreitet voran.

Immer wieder webt die Autorin schon in der ersten Hälfte Hinweise auf die Problematik der Sklaverei ein. 1838 ist der Süden noch abhängig von der Existenz der Sklaven und der Norden hat nicht genug Interesse daran, wirklich dagegen zu kämpfen. Immer wieder findet May Hinweise auf die brutale Realität der Sklaverei, genauso wie verschiedenste Menschen immer wieder fallen lassen, dass es schlecht fürs Geschäft ist, sich gegen Sklaverei zu stellen oder überhaupt eine Meinung zu haben. In Form des alternden Schauspielers Thaddeus lernt May auch tatsächlich die Personifikation von Pragmatismus kennen: Es geht ausschließlich um den eigenen Nutzen, das eigene Ansehen. Diese Denkweise ist so verankert in den Köpfen der Menschen, dass der Kampf gegen Sklaverei tatsächlich wahnsinnig erscheint.

May wird trotzdem darin verwickelt, sehr zu ihrem Missfallen, denn ihr größte Schwäche besteht darin, dass sie nicht lügen und betrügen kann. Sie sagt immer die Wahrheit, sagt immer, was sie gerade denkt. Ihr moralischer Kompass ist zwar sehr gefestigt, aber gleichzeitig scheut sie sich davor, das Gesetz zu brechen - und Sklaverei ist im Süden Amerikas gesetzlich erlaubt, wohingegen jegliche noch so minimale Beihilfe zur Flucht ein schweres Verbrechen ist. Auch Hugo, den May eigentlich respektiert, ist pragmatisch veranlagt und würde niemals riskieren, etwas zu tun, was das Publikum am Südufer des Flusses vertreiben könnte.

Alle Charaktere, die wir kennenlernen, sind in sich zwiespältige Personen, keiner ist nur gut, keiner ist nur schlecht. Gerade anfangs ist May sogar anstrengend mit ihrer Art, stets auf der Wahrheit zu beharren. In anderen Geschichten würden Personen wie Mrs. Howard und Comfort, die öffentlich und furchtlos Reden gegen Sklaverei halten, positiv als Heldinnen gefeiert, doch hier wirken sie oftmals wie die Antagonisten, sind verschlagen und man kann sich ihrer Motive nie sicher sein. Es ist dieser Zwiespalt, dass einerseits Personen, die moralisch betrachtet das Richtige, Gute tun, böse wirken, und Personen, die sich weigern oder zumindest weigern wollen, das Richtige zu tun, gut wirken, der das Buch zu einem Highlight für mich gemacht hat.

Eine Romanze gibt es in diesem Buch natürlich auch, aber sie ist so subtil und kaum bemerkenswert, weil May als Charakter auf dem Gebiet sehr eigen ist, dass man das Buch schwerlich in die Romance-Kategorie einordnen könnte. Viel spannender ist zu beobachten, wie sich May im Spiegelbild von Hugo als Mensch weiterentwickelt, und wie umgekehrt er, der so gefestigt in seinen Vision erscheint, auch durch sie wächst und sich selbst neu erfindet.

Der Schreibstil von Martha Conway, der anfangs auf merkwürdige Weise distanziert wirkt, konnte ebenfalls schnell mein Herz erobern. Bis drei Uhr nachts lag ich wach und habe gelesen, weil ich immer mehr in Mays Welt eingetaucht bin. Das 19. Jahrhundert wurde lebendig in all seiner Hässlichkeit. Die kleinen Städte entlang des Flusses wirkten authentisch, der Alltag der Personen realistisch beschrieben und generell gelang es diesem Roman, den Leser tatsächlich in jene Zeit zu versetzen. Das ist für historische Romane einer der wichtigsten Aspekte und Conway scheint dies mühelos zu gelingen.

So sehr der Fokus auch auf Sklaverei liegt, kommt das Theaterleben doch nicht zu kurz. Auch hier schafft es die Autorin, die kleine Bühne an Bord des Schiffes vor unseren geistigen Augen mit Leben zu füllen, obwohl wir sehr selten wirklich bei der Aufführung der Stücke dabei sind. Der intensive Fokus von May auf Näharbeiten und Kostüme richtet unseren Blick auf einen oftmals vernachlässigten Aspekt des Theaters. Auch hier zahlt sich aus, dass wir die Welt aus Mays Augen wahrnehmen.



Fazit:

Der Historische Roman "Das Schiff der Träume" von Martha Conway ist eine rundum gelungene Geschichte über Amerika zu Zeiten der Sklaverei und all der Probleme, die das sowohl für die Süd- als auch für die Nordstaaten mit sich bringt. Aus der Perspektive der jungen May erleben wir die hässliche Seite Amerikas, aber erfahren auch, dass gutes Handeln nicht immer auf gute Menschen schließen lässt. Die Komplexität aller Charaktere, der Zwiespalt, den damals wohl viele verspürt haben, all das fängt die Autorin auf wundervolle Weise ein. Der intensive Schreibstil und die subtile, jedoch nie verharmlosende Beschreibung der damaligen Lebensumstände entführen den Leser von der ersten Zeile an in das Amerika des 19. Jahrhunderts. Für Fans von historischen Romanen ist dieses Buch sehr zu empfehlen.