Profilbild von Thoronris

Thoronris

Lesejury Profi
offline

Thoronris ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Thoronris über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 03.10.2017

Wie eine klassische Gothic Novel

Grandhotel Angst
0

Der Klappentext zu diesem Buch hat mich sehr neugierig gemacht, doch obwohl eigentlich deutlich zu lesen war, was mich erwarten würde, hat mich das Buch doch überrascht. Ich hatte nicht damit gerechnet, ...

Der Klappentext zu diesem Buch hat mich sehr neugierig gemacht, doch obwohl eigentlich deutlich zu lesen war, was mich erwarten würde, hat mich das Buch doch überrascht. Ich hatte nicht damit gerechnet, eine echte Gothic Novel vorzufinden. Dieses Genre, das bei dem weiblichen Publikum des 18. und 19. Jahrhunderts sehr beliebt war, scheint heute beinahe ausgestorben, doch mit „Grandhotel Angst“ legt die Autorin einen Roman vor, der sich perfekt in diese Tradition einreiht.



Die typischen Charaktere einer Gothic Novel

Mit Nell haben wir die typische Protagonistin einer Gothic Novel: Sie ist hübsch, liebenswürdig, intelligent, aber gleichzeitig auch naiv. Ihre familiären Umstände haben dazu geführt, dass sie wenig von der Welt weiß, so dass sie dem viel reisenden, älteren Gentleman ohne weiteres verfällt. Auch ihr Ehemann Oliver ist eine klassische Figur aus diesem Genre: eigentlich sehr zuvorkommend und voller Liebe, doch geplagt von einem Geheimnis, das er lieber vor seiner Ehefrau geheim halten will.

Ein weiterer wichtiger Protagonist in den klassischen Gothic Novels ist auch immer das Haus: Ein prunkvoller, aber düsterer Bau, den die empfindsame weibliche Hauptfigur zunächst beeindruckend, dann jedoch zunehmend furchteinflößend findet. Das Gemäuer steht selbst meist unter einem Fluch und scheint wie eine handelnde Person in das Geschehen einzugreifen. So auch in diesem Fall, denn schon bald nach ihrem Eintreffen blickt Nell in einen Spiegel, durch den eine übernatürliche Kraft zu ihr Kontakt aufzunehmen scheint.

Die übrigen Personen um sie herum scheinen alle deutlich mehr über ihren Ehemann zu wissen, doch anstatt dass ihr jemand die ganze Wahrheit erzählt, beschränken sich die einen lediglich auf Andeutungen, während andere finstere Drohungen ausstoßen, um sie zu verschrecken. Auch hier folgt die Geschichte einem typischen Plot-Muster der Gothic Novels. Interessant ist allerdings, dass die Rolle von Oliver nicht ganz eindeutig ist. Denn bis zum Schluss kann sich der Leser nicht sicher sein, ob Oliver die große romantische Liebe ist, für die die unschuldige Nell ihr Leben riskieren sollte, oder ob er in Wirklichkeit der böse Antagonist ist, vor dem Nell sich besser verstecken sollte. Das ist geschickt gemacht und gelingt vor allem, weil das Buch vollständig aus ihrer Perspektive erzählt ist.



Ein klug gewählter Schreibstil, der trotzdem Schwächen hat

Generell steht in diesem Buch der Schreibstil vollständig im Dienste der Geschichte. Wenn wir die Geschehnisse nicht vollständig aus der Perspektive von Nell erleben würden, wäre es uns als Lesern vermutlich zu schnell möglich, die Wahrheit zu erkennen. So aber bleiben wir gefangen in dem Zweifel, ob nicht doch übernatürliche Kräfte am Wirken sind, ob nicht doch ein Fluch über dem Hotel oder über einzelnen Personen des Hotels liegt.

Trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass der Schreibstil ein wenig weniger dramatisch gewesen wäre. Wir erleben einen großen Teil der Geschichte in reflektierenden Rückblenden, die immer wieder durchsetzt sind von der klischeehaften Formulierung „Damals konnte ich ja noch nicht wissen“ oder „Wie naiv ich doch war“. Das ist ein durchaus übliches Stilmittel, das in dieser Form der Erzählung auch seinen Platz hat, doch es wurde ein wenig zu häufig für meinen Geschmack eingesetzt.



Für heutige Thriller-Leser vielleicht gewöhnungsbedürftig

Der Plot selbst ergibt am Ende tatsächlich einen Sinn, doch dafür muss man es als Leser zunächst aushalten, von einer Lücke in die nächste zu stolpern. Immer wieder finden wir uns desorientiert an Handlungsorten wieder, ohne recht zu verstehen, warum wir da sind, warum die anderen Personen da sind und was das eigentlich mit der Geschichte selbst zu tun haben soll. Ich musste mir zwischendurch ins Gedächtnis rufen, dass das Absicht ist, ansonsten hätte ich wohl schnell das Interesse an der Geschichte verloren. Wenn man jedoch durchhält, kann man rückblickend einen interessanten Plot entdecken, dessen einzelne Stationen Sinn ergeben und meisterhaft verwoben erscheinen.

Wenn man sich mit dem Wissen, dass dies eine sehr klassische Gothic Novel ist, auf den Roman einlässt, kann man wundervoll in die Welt am Ende des 19. Jahrhunderts eintauchen. Die historischen Umstände sind ebenso lebhaft wie bedrückend, die typischen Elemente werden eindrucksvoll in Szene gesetzt und man fiebert mit der Hauptperson mit. Für den Thriller-Leser der heutigen Zeit mag die Spannung nicht stark genug gewesen sein, doch mit der richtigen Erwartung ist das Buch trotzdem ein Genuss.



Fazit:

Der Roman „Grandhotel Angst“ von Emma Garnier ist eine gekonnte Wiederbelebung des romantischen Genres der Gothic Novels. Die klassischen Elemente dieser Geschichten werden von der Autorin meisterhaft zu einer spannenden Geschichte verwoben, bei der bis zum Schluss unklar ist, wer nun eigentlich der Bösewicht ist. Der Schreibstil ist passend, wenn auch manchmal zu sehr auf Dramatik ausgelegt. Für einen normalen Thriller fehlt eventuell die richtige Spannung, doch als Gothic Novel funktioniert das Buch wunderbar. Wer dieses alte Genre mag oder generell an historischen Romanen mit einem Hauch des Übernatürlichen Interesse hat, der sollte unbedingt bei diesem Buch zugreifen.

Veröffentlicht am 01.10.2017

Eine realistische Dystopie

Die Optimierer
0

Dystopien werden derzeit so gerne gelesen wie nie zuvor. Im Anschluss an „Die Tribute von Panem“ hat sich ein eigenes Genre entwickelt, in dem junge Frauen gegen ein diktatorisches System kämpfen, um der ...

Dystopien werden derzeit so gerne gelesen wie nie zuvor. Im Anschluss an „Die Tribute von Panem“ hat sich ein eigenes Genre entwickelt, in dem junge Frauen gegen ein diktatorisches System kämpfen, um der Menschheit ihre Freiheit wiederzugeben. In vielen Spielarten finden sich diese Geschichten auf dem Buchmarkt. Die Optimierer hingegen geht einen Schritt zurück und ist viel näher an der wohl bekanntesten Dystopie, George Orwells „1984“. Mir gefällt diese Rückbesinnung sehr.



Die Naivität der Hauptperson

In der heutigen Zeit ist die Angst davor, was das Internet und die moderne Technik bald alles können wird, beinahe allgegenwärtig. Der gläserne Mensch, die Überwachung der Menschheit durch Roboter, all das sind keine neuen Ideen. Das Buch „The Circle“, welches gerade mit Emma Watson in der Hauptrolle verfilmt wurde, greift dieselbe Idee auf: Wenn alle jederzeit überwacht werden und dazu angeregt werden, sich mit anderen zu vernetzen, gibt es das absolute Wissen, nichts kann mehr in Vergessenheit geraten und die bösen Menschen werden schneller bestraft. Dass Rezept dieser Art von Dystopie besteht darin, dass dem Leser das System zunächst als gut und fortschrittlich präsentiert werden muss, damit die Schattenseiten umso offensichtlicher und drastischer geschildert werden können. Damit man aber ein eigentlich schlechtes System gut darstellen kann, benötigt man eine Hauptfigur, die zumindest in einem gewissen Umfang naiv ist. Dies war bei der Protagonistin aus „The Circle“ der Fall, weswegen ich das Buch entnervt abgebrochen habe – es war nicht zum Aushalten.

Samson Freitag, die Hauptperson in diesem Roman, ist ebenfalls naiv und deswegen treuer Staatsdiener. Aber seine Naivität ist gänzlich anders, weswegen er als Person so viel besser funktioniert. Er glaubt aus tiefstem Herzen an das System, geht mit seiner absoluten Korrektheit manchmal sogar seinen Kollegen von der Lebensberatung auf die Nerven. Er steht kurz vor der Beförderung, da er eine bestimmte Menge an Beratungsgesprächen durchgeführt hat und zudem beinahe 1000 Sozialpunkte erreicht hat. Sein Alltag dreht sich beinahe vollständig darum, Sozialpunkte zu sammeln. Überall sieht er Verbesserungspotential im System, informiert die zuständigen Behörden darüber, und nebenher begeht er regelmäßig wohltätige Handlungen. Er ist ein perfekt funktionierendes Rädchen.



Das realistische Grauen des Systems

Als sich sein Leben jedoch, wie im Klappentext erwähnt, urplötzlich zum Schlechteren wendet, sehen wir hinter seiner Naivität noch etwas anderes: Egoismus. Seine Hingabe zum System gründet sich nicht darin, dass er das System an und für sich gut findet, sondern vielmehr weiß er, wie er selbst Potential daraus schlagen kann, wie er am schnellsten Sozialpunkte sammeln kann, wie er steil Karriere machen kann. Jeder an seinem Platz lautet die Formel in dieser Gesellschaft und Samson weiß exakt, was er tun muss, um an seinen Platz zu gelangen. Deswegen glaubt er an das System.

Entsprechend schnell kann er sich auch mit Hass und Aggressionen gegen jene richten, die ebenfalls dem System dienen, als es bei ihm plötzlich bergab geht. Gerade weil er nicht aus Hingabe zur Gesellschaft, sondern nur für sich selbst wohltätig und systemkonform war, sieht er nach seinem Absturz überall nur noch, wie das System gegen ihn arbeitet. Er ist weiterhin naiv genug zu glauben, dass er nur wieder genügend Sozialpunkte sammeln muss, um in sein altes Leben zurückkehren zu können. Echte Verantwortung für die eigenen Taten, echte Reflexion findet nicht statt.

Es fällt schwer, Samson sympathisch zu finden. Genau das ist der Clou dieses Buches: Der Protagonist ist ein so widerwärtiger Mitläufer, er steht so sehr für all das, was an einer optimierten Gesellschaft nicht stimmt, dass das System selbst eine bedrohliche Authentizität erhält. Man kennt aus dem eigenen Leben diese Bürokraten, die penibel den Regeln folgen und genau deswegen allen anderen das Leben schwer machen. Durch die Linse von Samson erscheint es plötzlich nicht mehr unrealistisch, dass so ein dystopisches Regime wirklich entsteht.



Ein paar Schwächen bleiben

Auch die Auflösung am Ende passt in diese Vorstellung. Wieder begegnen wir der Naivität, wieder sehen wir, wie sehr diese Naivität der Gesellschaft insgesamt schaden kann. Der Glaube daran, das Richtige zu tun, ist sehr gefährlich.

Trotzdem hat das Buch auch einige Schwächen. Immer wieder beobachten wir zwischendurch Traum-Sequenzen von Samson, und ich gebe ehrlich zu: So sehr ich mich auch selbst für Träume interessiere, diese Abschnitte haben mich ratlos zurückgelassen, da ich die Symbolik nicht recht entschlüsseln konnte. Obwohl das Buch nur knapp 300 Seiten lang ist, fühlten sich einige Passagen doch ein wenig langgezogen an, ein wenig Raffung wäre hier und da nicht schlecht gewesen. Dennoch ist der Schreibstil über weite Strecken unterhaltsam, man lacht herzlich, bis einem zum Schluss das Lachen im Halse stecken bleibt.



Fazit:

Der Science-Fiction-Roman „Die Optimierer“ von Theresa Hannig ist eine angenehm düstere Dystopie, die nicht davor zurückschreckt, mit einem unsympathischen Hauptcharakter zu arbeiten. Die Mischung aus Naivität und Egoismus führt dem Leser deutlich vor Augen, wie leicht aus der Hölle der Bürokratie ein Regime wie dieses entsteigen könnte. Obwohl die Warnung vor den Möglichkeiten der Technik natürlich auch hier vorhanden ist, steht doch viel stärker eine andere Botschaft im Mittelpunkt: die Gefahr, die von dem Glauben an das absolut Richtige ausgeht. Nicht jeder Abschnitt des Buches konnte vollständig überzeugen, dennoch kann ich eine klare Kaufempfehlung aussprechen.

Veröffentlicht am 27.09.2017

Die Vollkommenheit jenseits der Perfektion

Ein fast perfektes Wunder
0

Am heutigen Tag, der für Ende September noch einmal überraschend warm war, ist bei Diogenes ein neues Buch erschienen, das sich prächtig darauf versteht, die Sehnsucht nach dem Sommer aufkommen zu lassen. ...

Am heutigen Tag, der für Ende September noch einmal überraschend warm war, ist bei Diogenes ein neues Buch erschienen, das sich prächtig darauf versteht, die Sehnsucht nach dem Sommer aufkommen zu lassen. Die Erzählung über handgemachtes Eis, über Rockmusik und über die Liebe ist eine wundervolle Erinnerung daran, dass manchmal das beste im Leben ganz unerwartet geschieht.



Die Angst vor der Entscheidung

Weder Milena, die weibliche Hauptfigur, noch Nick, der Protagonist, sind wirklich glücklich in ihrem Leben, doch sie sind, zumindest am Anfang, nicht wirklich in der Lage, das zu sehen. Wenn man ein gewisses Alter erreicht hat, wird es plötzlich gefährlich, sich einzugestehen, dass man bisher auf dem Holzweg war. Denn man hat viel Zeit verloren. Kann ein Mann, der schon zwei gescheiterte Ehen hinter sich hat und trotz einer jahrzehntelangen Karriere als Rockmusiker immer noch erfolgreich ist, sich wirklich kurz vor der dritten Hochzeit ehrliche Gedanken darüber machen, ob er diese Ehe eigentlich will? Und kann eine Frau, die nach diversen Enttäuschungen mit Männern endlich ihr Glück in einer anderen Frau gefunden zu haben scheint, wirklich ernsthaft in Frage stellen, ob sie zum nächsten Schritt, zum gemeinsamen Kind, wirklich bereit ist?

Als erwachsener Mensch läuft man sehr schnell in Fallen, gerne auch sehenden Auges. Man spürt, dass man irgendwann falsch abgebogen ist und sich seitdem auf dem Holzweg befindet, doch man weiß auch, dass man nicht mehr so jung ist, dass man nicht mehr so viel Zeit hat, also bleibt man auf dem Pfad, denn das ist immer noch besser, als vor dem unbekannten Nichts zu stehen. Lieber zwingt man sich zu Entscheidungen, hinter denen man nicht mit vollem Herzen stehen kann, von denen man weiß, dass sie einen unglücklich machen werden, als dass man den langjährigen Partner verlässt oder seine Karriere aufgibt.

Das alles stellt der Autor in seinem Roman auf wundervolle Weise dar. Nick ist erfolgreich als Rockmusiker, die ganze Welt kennt ihn, doch glücklich ist er nicht. Er will sich verändern, er verachtet so ziemlich alle Menschen in seinem Leben, doch er ist zu zynisch, als dass er aus eigener Kraft einen Kurswechsel schaffen würde. Er schluckt seine Wut und seine Aggressionen immer wieder hinunter, um ein Weitermachen zu ermöglichen. Auch Milena lässt es zu, dass sie in ihrer Beziehung zu einer anderen Frau immer mehr in alte Rollenmuster, die eigentlich nur zwischen Mann und Frau zu finden sein sollten, verfällt, denn sie will die Beziehung nicht aufgeben, und schon gar nicht will sie einen Mann als Partner – Männer sind der Feind.



Menschliche Augenöffner

Dann treffen sich die beiden an einigen wenigen aufeinanderfolgenden Tagen, zunächst zufällig, dann beinahe schon geplant. Sie spüren instinktiv, dass der andere sich ebenso verloren fühlt wie sie selbst. Nick erkennt die Komplexität der Eiskreationen, die Milena Tag um Tag aufs Neue erschafft, und beinahe ohne Worte können sie miteinander auf einer Ebene kommunizieren, die ihnen mit anderen Menschen bisher stets verwehrt geblieben ist. Gefühlvoll, ausschweifend, aber vor allem unaufdringlich beschreibt Andrea De Carlo die Gedankenwelt beider Menschen. Über 300 Seiten werden wir Zeuge ihrer Zweifel, ihrer Ängste, aber auch ihrer Hoffnungen.

Und dann, beinahe wie in einem Quentin-Tarantino-Film, entlädt sich die ganze angestaute Energie in einem einzigen Knall, der das Universum aller Beteiligten aus den Angeln reißt. Der Höhepunkt dieses Romans ist gleichzeitig unerwartet und vorhersehbar, wahnsinnig komisch und tragisch. Und genau deswegen wirkt dieses Roman, denn die Figuren sind echt, ihre Ängste sind echt und die tragische Komik der Falle, in der sie sich befinden, ist jedem erwachsenen Menschen nur zu bewusst. Das Buch berührt, es macht nachdenklich und es zeigt, dass jeder von uns Angst vorm Neinsagen hat, Angst vor Versagen, Angst vor dem Unbekannte. Es verurteilt nicht dafür, sondern zeigt stattdessen, dass Mut durchaus belohnt werden kann.



Fazit:

Der Roman „Ein fast perfektes Wunder“ von Andrea De Carlo ist ein kraftvolles Loblied auf den Mut zur Veränderung. Doch gleichzeitig erinnert er uns, dass wir alle nicht perfekt sind, dass wir alle Ängste in uns tragen, dass wir Liebe und Halt und Geborgenheit suchen. Unaufdringlich beweist der Autor, dass das Leben komplex und die Möglichkeiten da sind, wenn wir nur den Mut finden, Türen zu schließen, um andere öffnen zu können. Die Geschichte um Milena und Nick hat mich tief berührt, denn sie wirkte so lebensnah und regte gleichzeitig zum Träumen an, dass ich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt war.

Veröffentlicht am 26.09.2017

Tolle Charaktere zum Mitfiebern

Die Lieferantin
0

Endlich wieder ein klassischer Schreibstil

Eines der ersten Dinge, die mir an diesem Buch positiv aufgefallen ist, war, dass die Autorin offensichtlich den Mut besitzt, auf ganz herkömmliche Art und Weise ...

Endlich wieder ein klassischer Schreibstil

Eines der ersten Dinge, die mir an diesem Buch positiv aufgefallen ist, war, dass die Autorin offensichtlich den Mut besitzt, auf ganz herkömmliche Art und Weise zu erzählen: Dritte Person, Vergangenheit, wenige wechselnde Perspektiven. Es betrübt mich als Anhängerin dieses Stils, dass das heutzutage eine Seltenheit ist. Genau dieser Schreibstil ermöglicht es mir nämlich, in eine Geschichte abzutauchen und dabei zu vergessen, dass ich lese. Er ist unauffällig, lässt mich nicht stolpern und bringt auf eloquente Weise die Personen zum Leben.

Wie in einem Thriller üblich, haben wir hier Szenen aus verschiedenen Genre gemischt: mal spannend, mal actiongeladen, mal einfach nur Informationslieferanten. Sogar romantische Anklänge finden sich, wenn auch eher als Rückblick und nicht für den eigentlichen Plot relevant. Das alles bringt dieser Schreibstil gekonnt an den Leser, ohne dass sich der Stil jemals ändern muss. Es ist ein Fluss, eine runde Sache.



Spannende Charaktere, denen man Erfolg wünscht

Das Buch ist hochaktuell und entsprechend liest man eine politische Botschaft deutlich heraus. Die wichtigsten Personen sind Frauen, die durch Intelligenz und Stärke auffallen, ohne dabei ihre Weiblichkeit zu verlieren. Am Rande streifen wir die Problematik der Hautfarbe, denn in dem politischen Klima nach dem Brexit scheinen die Engländer in diesem Buch Menschen mit nicht weißer Hautfarbe sehr negativ gegenüber eingestellt zu sein. Eine erschreckend realistische Entwicklung, wie man auch nach den jüngsten Wahlen in Deutschland feststellen muss.

Die Männer, die zumeist in der Rolle der Antagonisten oder Bösewichte auftreten, hängen noch alten Rollenbildern an, mit all den Vorurteilen. Dass hinter dem geschlechtslosen Pseudonym "TheSupplier" eine Frau steckt, kommt ihnen lange nicht in den Sinn, ebenso wie sogar ein eiskalter Drogenboss kurzes Zögern zeigt, ehe er den Mord an einer Frau in Auftrag gibt.

Ellie, die hinter der Lieferantin steckt, sowie ihre Anwältin und ihre engste Mitarbeiterin sind mir von Anfang an sympathisch. Wir haben es hier mit echten Menschen zu tun, die zwar zusammen arbeiten und an dieselbe Sache glauben, sich aber dennoch deutlich voneinander unterscheiden und kontrovers über Mittel und Zweck diskutieren. Sie alle haben ihre Probleme, ihre löchrigen Lebensläufe, aber die tragischen Vorgeschichten wirken nicht, wie leider so oft, aufgesetzt, sondern als realistische Motivationen für ihre Handlungen. Genau deswegen ist das Buch auch tatsächlich spannend: Man weiß, dass alle Welt, insbesondere die Männer aus Drogenbanden und Politik, gegen die Frauen arbeiten, sie tot sehen wollen, und man weiß nicht, ob diese Frauen am Ende gewinnen. Ihr Wohlergehen liegt mir als Leserin sehr am Herzen.



Ein holpriger Plot

Die Geschichte selbst ist ebenfalls interessant und spannend, aber nicht ganz so gradlinig erzählt, wie ich es mir wünschen würde. Wie bei "Der Informant" haben wir es auch hier mit Szenen verschiedener Figuren zu tun, doch relativ schnell kann man stets einordnen, wer das ist und warum das wichtig für den Plot ist. Jede Szene ergänzt auf ihre Art ein kleines Puzzlestück, um sich zu einem großen Ganzen zusammenzufügen.

Leider ist dieses große Ganze in meinen Augen ein wenig zu groß. Die Brexit-Diskussion, der Kampf um Drogenlegalisierung, die rechtsgesinnten Nationalen - all das ist ein politischer Mix, der zwar hochinteressant ist, aber ein klein wenig zu viel. Für einen Roman, der in einer sehr nahen Zukunft spielt und städtische Probleme einfangen soll, sind natürlich Probleme um Hautfarbe, Drogenmissbrauch und wirtschaftlicher Absturz wichtig. Trotzdem gehen einige Figuren in dieser Masse manchmal unter und wir müssen viele Seiten Hintergrundinformationen lesen, die zwar von Charakteren geliefert werden, aber trotzdem etwas ungelenk wirken. Ein wenig mehr Konzentration auf einige wenige Problematiken hätte eventuell die Spannung noch erhöht. 



Fazit:

Der Thriller "Die Lieferantin" von Zoë Beck ist eine spannende Reise durch die Welt von Drongenbanden, Bestechung und politisch aufgeheizten Zeiten in Englands Metropole. Die Frauen rund um Hauptperson Ellie sind authentische Menschen, mit denen man mitfiebert, um die man Angst hat, für die man hofft. Die vielen politischen Probleme, die der Roman anspricht, sind zwar durchaus interessant dargestellt, lassen aber leider manchmal den eigentlichen Plot und die Hauptpersonen so stark in den Hintergrund rücken, dass man sich als Leser etwas verloren fühlt. Dennoch ist dieser Thriller ein Genuss, er liest sich flott und weiß, Spannung aufzubauen. Jedem Fan des Genres kann ich den Kauf nur empfehlen!

Veröffentlicht am 25.09.2017

Komplex, aber dennoch durchschaubar

Der Informant
0

Ich bin ein großer Fan von guten, alten Spionage-Thrillern und so erschien mir dieses Buch als eine interessante Neuinterpretation eines alten Genre. Die Idee, dass ein einfacher Journalist auf der ganzen ...

Ich bin ein großer Fan von guten, alten Spionage-Thrillern und so erschien mir dieses Buch als eine interessante Neuinterpretation eines alten Genre. Die Idee, dass ein einfacher Journalist auf der ganzen Welt als Sammler von Informationen eingesetzt wird, klang gut.



Ein etwas eigenwilliger Schreibstil

Tatsächlich ist dieser Thriller auch solide recherchiert. Die Hauptperson Will arbeitet als Journalist für ein Reisemagazin, weswegen er in viele ferne Länder reist, Wein trinkt und auserwählte Speisen kostet. Das Buch versteht es, Fernweh und Sehnsucht nach einem luxuriösen Leben zu wecken, eben genau so, wie man es sich von einer gehobenen Reiseagentur erwarten würde.

Der Schreibstil wiederum ist ein wenig eigenartig. Einerseits störe ich mich an dem Präsens, doch da ich den Zweck in diesem Buch erkenne, kann ich darüber hinweg schauen. Es wird nicht immer aus derselben Perspektive erzählt, doch leider wird nicht am Beginn eines jeden Absatzes klar, durch wessen Augen wir das Geschehen gerade wahrnehmen. Das hat bei mir manchmal für ein wenig Verwirrung gesorgt. Trotzdem ließ sich das Buch flüssig lesen und die Übersetzerin zeigt mal wieder, dass sie ihr Handwerk beherrscht.



Viele undurchschaubare Charaktere

Wie es in einem solchen Thriller üblich ist, haben wir viele verschiedene Charaktere vor uns. Die Hauptperson ist ganz klar Will, doch auch seine Ehefrau, sein Chef und diverse andere Menschen treten auf, bei denen man lange nicht weiß, auf welcher Seite sie stehen und welche Motivation sie haben. Sie werden alle absichtlich undurchschaubar gehalten. Es gibt auch viele Szenen auf der ganzen Welt, die kaum eine Seite lang sind, bei der man einzelne Personen bei ihrer Arbeit beobachtet, ohne dass man Kontext geliefert bekommt. Gerade bei Spionage-Thrillern ist das durchaus üblich, hier jedoch wurde ich dieses Tricks schnell müde, weil er ein wenig zu oft eingesetzt wurde.

Auch geschah es ein wenig zu oft, dass Personen mit falschen Namen („sie nannte sich XY“) vorgestellt oder nur bei Attributen beschrieben werden („die Blondine“), um die Identität für den Leser zu vertuschen. Mir zumindest war jedoch fast immer klar, mit wem wir es zu tun haben, zumindest in solchen Szenen, bei denen die Hauptpersonen als unerkennbar vorgestellt werden. Das führt tatsächlich dazu, dass die wichtigsten Figuren als Charaktere schwer greifbar werden, da ihre Charakterisierung in den Momenten, in denen ihre Identität geheim gehalten werden soll, ein wenig zu stark abweicht.



Komplexe Story, die trotzdem leicht zu durchschauen ist

Der Plot ist komplex und gut durchdacht, leider war mir jedoch nach etwa 100 Seiten glasklar, was läuft, und nach weiteren 200 Seiten war ich mir ziemlich sicher, dass ich die Intrigen durchschaut und die eigentlichen Motivationen der einzelnen Charaktere erkannt habe. Dass ich am Ende Recht behalten sollte, hat mich gleichzeitig gefreut – man hat schließlich gerne das Gefühl, klug zu sein – aber auch enttäuscht, denn bei einem über 500 Seiten starken Buch ist es schade, wenn nach 100 Seiten das Konzept schon mehr oder minder klar ist.

Trotzdem finde ich das Buch nicht schlecht. Ich hatte Spaß beim Lesen, konnte in der Geschichte versinken und auch die vielen Ortswechsel haben mich nicht gestört. Die Geheimniskrämerei des Autors war leider übertrieben und ich habe das Gefühl, dass er nicht recht wusste, ob er seinen Lesern nun Brotkrumen hinstreuen soll, damit sie den Plot selbst lösen können, oder nicht. Am Ende hat er sich nicht wirklich entschieden und trotzdem zu viel verraten. Das ist schade. Vielleicht hätte eine dichtere Erzählweise es ermöglicht, den Plot länger geheim zu halten und so den Leser länger gespannt mit raten zu lassen.


FAZIT:

Der Thriller „Der Informant“ von Chris Pavone ist eine solide recherchierte Spionage-Geschichte, die mit ausführlichen Landesbeschreibungen und der Darstellung von Speisen und Getränken Fernweh zu wecken weiß. Die vielen Charaktere sind zwar durchaus gut dargestellt, doch manchmal zu ambivalent, um echt zu wirken. Auch das Verwirrspiel, das der Autor mit seinen Lesern treiben will, ist nicht vollständig gelungen, da einerseits schnell klar ist, wie der Hase läuft, und andererseits zu oft Szenen eingebaut sind, die ohne Kontext dastehen. Trotzdem ist das Buch unterhaltsam, liest sich flüssig und ist ein solider Roman. Wer Spionage-Geschichten mag, kann hier ruhig zugreifen.