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Veröffentlicht am 20.12.2017

Weng in den Augen von Thomas Bernhard und von seinem Nachfolger

Tau
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Oder Verfolger?

Nun, wie auch immer "Weng", das klingt chinesisch, gemeint ist aber ein kleines Dorf in Österreich, dasjenige nämlich, das in Thomas Bernhards Debütroman "Frost" eine Rolle spielte. Der ...

Oder Verfolger?

Nun, wie auch immer "Weng", das klingt chinesisch, gemeint ist aber ein kleines Dorf in Österreich, dasjenige nämlich, das in Thomas Bernhards Debütroman "Frost" eine Rolle spielte. Der Autor hat nämlich den Einwohnern einen Spiegel vorgehalten und zwar nicht zu knapp: selbstgerecht, voller Vorurteile, ja bösartig, so waren sie.

Für seinen Nachfolger, den namenlosen Ich-Erzähler des Romans, ist es eine Rückkehr zu seinen Wurzeln, allerdings eine mit Bezug zu Bernhard. Er kehrt in den (inzwischen ehemaligen) Gasthof seiner Großeltern ein bzw. zurück, in dem das Buch entstand. Und zwar, inzwischen Assistent an der Uni, tatsächlich auf den Spuren von Bernhard zu Forschungszwecken.

Ein Buch, das es seinen Lesern nicht unbedingt leicht macht, denn Mulitzer schreibt scharfzüngig, provokant und bewusst polarisierend. Will er den Einwohnern von Weng (das es wirklich gibt, Bernhard hatte dort zwei Jahre in einer Lungenheilanstalt zugebracht) tatsächlich die Meinung geigen? Nun, es ist wohl mehr eine Auseinandersetzung mit Thomas Bernhard und dessen Figuren, vor allem aber mit sich selbst und seinen Erinnerungen.

Für Bernhard-Leser und Fans (bin ich beides nicht) sicher um einiges erfüllender als für mich, die die Entwicklungen wieder und wieder als verwirrend empfand. Und zu viel Sex, viel zu viel Sex für meinen Geschmack - hier wäre weniger wesentlich mehr gewesen, gerade auch im Hinblick auf die eigentlichen Schwerpunkte.

Dennoch, der Autor beeindruckt mit glasklaren Formulierungen, schwarzem Humor, scharfsinnigen Schlussfolgerungen - sprachlich ein wahrer Genuss. Wer sich also auf was Neues in jeder Hinsicht einlassen möchte - für den könnte dieses Buch was sein!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Was bleibt

Menschenwerk
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Ungeheuer schmerzhaft ist die Lektüre dieses Buches, das muss gleich vorweg gesagt werden: es geht um LEIDEN (ja genau, es muss groß geschrieben werden, so stark ist die Wirkung dieses Begriffs), um Trauer ...

Ungeheuer schmerzhaft ist die Lektüre dieses Buches, das muss gleich vorweg gesagt werden: es geht um LEIDEN (ja genau, es muss groß geschrieben werden, so stark ist die Wirkung dieses Begriffs), um Trauer und um Schmerzen, um Verlust - und auch um Unrecht.

Man könnte dieses Buch als historischen Roman bezeichnen: Die Autorin Han Kang, in Deutschland durch ihren 2016 erschienenen (jedoch bereits 2007 verfassten) Roman "Die Vegetarierin" bekannt geworden, hat hier einen mutigen, kraftvollen und schmerzhaften Roman über ihre Heimatstadt Gwangju verfasst, in der 1980 ein furchtbares Ereignis stattfand: der Aufstand der Bevölkerung gegen die neue Militärregierung wurde blutig niedergeschlagen, es gab haufenweise Opfer (was leider wörtlich zu nehmen ist, wie während der Lektüre von "Menschenwerk" klar wird). Diesen Aufstand, vor allem jedoch seine Folgen, hat Han Kang in ihrem Roman verarbeitet, wobei sie sich an der realen Biographie eines Jungen orientiert.

Verschiedene Charaktere, tote und lebendige, kommen zu Wort, zu unterschiedlichen Zeiten. Doch immer geht es um dieses Ereignis, das auch Jahre später nichts von seiner Tragik verloren hat - verständlicherweise. Denn: Was bleibt, ist der Schmerz. Und die Trauer.

Ein ganz anderes Buch als "Die Vegetarierin", in dem es um die Entwicklung einer Person ging - hier hingegen geht es um Zerstörung und zwar nicht nur eines Menschen.

Dieses Wissen machte es mir fast unerträglich, weiterzulesen, wobei ich meine Lektüre jedoch keine Sekunde bereut habe. Wie "Die Vegetarierin" ist auch dies ein eher stilles Buch, das jedoch voller Kraft und auch Mut steckt. Denn es erfordert sehr viel Mut, sich einem solchen Thema zu stellen und zwar so vollständig, wie es Han Kang getan hat. Ein kleines großes Buch von einer großen Autorin.

Veröffentlicht am 20.12.2017

Sagenhaft

Der Meisterkoch
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geht es zu in dieser Geschichte über den Meisterkoch, der einen bestimmten Weg geht. Es steckt nämlich so manch Geheimnis hinter diesem Geschmacksbeherrscher, wie er schon in ganz jungen Jahren genannt ...

geht es zu in dieser Geschichte über den Meisterkoch, der einen bestimmten Weg geht. Es steckt nämlich so manch Geheimnis hinter diesem Geschmacksbeherrscher, wie er schon in ganz jungen Jahren genannt wird, auch wenn er noch einen weiten Weg vor sich hat.

Einen weiten Weg, um Kamer, seine Liebste, seinen Augenstern zu finden, wie es einem Märchen ansteht, aber nicht nur! Denn in diesem opulenten orientalischen Drama schwelgt der Leser nicht nur in sagenhaften Elementen, nein, auch historische Elemente - märchenhaft verpackt natürlich - kommen zum Tragen und geben der Geschichte zeitweise eine nahezu explosive Spannung!

Es ist mehr als ein Märchen und viel mehr als ein historischer Roman, es ist einfach etwas ganz Besonderes. Der Autor Saygin Ersin mixt auf das Geschickteste Märchenhaftes mit Elementen aus des Historie - wahren oder auch solchen, die es sein könnten. Und so wird die Geschichte des Meisterkochs zu etwas ganz Eigenem und Besonderen!

Einfach sagenhaft, wie farbenprächtig und opulent es hier zugeht! Fallenlassen und in der Geschichte schwelgen - fast auf jeder Seite eröffnen sich neue Welten mit Geschmäckern und Düften, in denen man so richtig schwelgen kann, ohne ein Ende zu finden. Ein wunderschönes opulentes Buch mit einem mehr als runden Ende, das ich von Herzen weiterempfehle!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Familie tut weh

Am Ende der Reise
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Das wird in diesem Buch ganz klar: denn Lou und nach und nach seine älteren Brüder, die Zwillinge Ralph und Jack, begleiten ihren Vater Larry auf seinem letzten Weg. Angesichts einer unheilbaren Krankheit, ...

Das wird in diesem Buch ganz klar: denn Lou und nach und nach seine älteren Brüder, die Zwillinge Ralph und Jack, begleiten ihren Vater Larry auf seinem letzten Weg. Angesichts einer unheilbaren Krankheit, angesichts unglaublicher Schmerzen hat er sich für die abgekürzte Variante entschieden, nämlich Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Das geht in England ebenso wenig wie in Deutschland und so begibt sich Larry - in Begleitung selbstverständlich - in die Schweiz.

Unterwegs werden noch alte Erinnerungen wach, Campingurlaube in Frankreich, Larrys große Liebe zu Wein und Kultur und diejenige zu Lous Mutter, die seine erste Familie, die er mit Ralphs und Jacks Mutter hatte, zerbrechen ließ.

Emotionen, die nicht nur aus Larry hervorbrechen, denn ebenso wie er sind seine Söhne - allen voran der theatralische Ralph - ganz schöne Egozentriker, schwierige und sperrige Typen.

Aber auch liebenswerte - zumindest stellenweise. Ein Roman mit vielen Brüchen - stellenweise habe ich beim Lesen gar vergessen, wohin die Reise, die von einen von ihnen die letzte werden sollte, führte.

Ein richtiges Familienbuch - umständlich, sich verheddernd, unklar, immer wieder polarisierend und auch irritierend - nicht nur den Leser, sondern auch die Charaktere selbst.

Auch wenn ich die Lektüre kein bisschen bereue, fühle ich mich, als hätte ich ein hartes Stück Arbeit hinter mich gebracht, das Lesen hat an mir gezehrt. Ich glaube, unbewusst hat mich mein eigenes, auch nicht gerade unkompliziertes Familiengefüge durch das Buch begleitet, die Wunden, die immer wieder aufgerissen wurden, fühlten sich so an, als seien es meine eigenen.

Ja, man muss sich gut überlegen, ob man bereit ist für dieses Buch, denn es wird am Leser zehren, wie auch immer. Ja, es ist eindringlich und kraftvoll geschrieben, wie könnte es anders sein. Sonst würde es den Leser kaum dergestalt erfassen, angreifen können.

Ein Buch, das ich überhaupt nicht gern gelesen habe, das mir dennoch viel gegeben hat und das ich nie vergessen werde!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Sperrige Charaktere in einer sperrigen Zeit

Die Schlange von Essex
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Das viktorianische Zeitalter - lang und schwerfällig - war keine einfache Epoche. Alles andere als leichtfüßig und charmant - sowieso nicht gerade britische Kerneigenschaften - kam es daher und musste ...

Das viktorianische Zeitalter - lang und schwerfällig - war keine einfache Epoche. Alles andere als leichtfüßig und charmant - sowieso nicht gerade britische Kerneigenschaften - kam es daher und musste doch mit einigen Änderungen wie Industrialisierung, erste Emanzipationsversuche von Frauen, das Aufeinandertreffen von Wissenschaft und Religion und natürlich auch diversen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Mängeln und Problemen.

Passend dazu wimmelt es in diesem Roman von sperrigen Charakteren, die sich quasi die Klinke in die Hand geben. Allen voran Cora, die Hauptfigur, eine starke Frau. In jeder Hinsicht, wobei sie es in mancher erst geworden ist. Denn sie hat ihren Mann verloren - kein Grund zur Trauer, im Gegenteil. Der - viel älter als seine noch als Teenager geheiratete Frau - hat sie nämlich verschiedentlich gequält und mißhandelt. Der Leser erhält hier nur punktuelle Einblicke, aber die reichen völlig!

Cora also lässt es sich nicht nehmen, zumindest hinter verschlossenen Türen zu frohlocken und ein neues Leben anzuvisieren - Geld ist zumindest kein Problem. Naturwissenschaftlich interessiert zieht es sie mit Sohn Francis und der ihr freundschaftlich verbundenen Haushaltangestellten Martha nach Aldwinter an der Küste von Essex, wo bald ein Gerücht umgeht, die sagenhafte Schlange von Essex sei wieder aufgetaucht. Und nicht nur dem muss sie sich stellen, sondern auch den Verlockungen des anderen Geschlechts. Ausgerechnet der Geistliche Will, ein verheirateter Mann mit komplett andern Wertvorstellungen kommt ihr emotional in die Quere.

Doch es sind nicht nur ihre Geschicke, die hier dargestellt werden, sondern auch die der Menschen um sie herum. Eindrucksvoll sind die Charaktere gezeichnet, jeder einzelne ist ein "Typ", leicht fällt es dem Leser, sich diese Gestalten bildlich vorzustellen.

Aber ach! Die Geschichte selbst ist gelegentlich ein wenig wirr, wenig logisch und ein bisschen unausgegoren, da nützen auch die kraftvollsten Charaktere nichts mehr. Ich empfand das Ende als recht rund, das Meiste wurde dann doch zusammengezurrt und auf den Punkt gebracht - wohlgemerkt in sehr angenehmen Schreibstil und einer ebensolche Übersetzung - aber einiges verlief doch im Sande. Dennoch habe ich dieses Buch genossen, aber ich warne - wer sich nicht wie ich von den Charakteren um den kleinen Finger wickeln lässt, der könnte enttäuscht sein. Und zwar nicht zu knapp!