Profilbild von TochterAlice

TochterAlice

Lesejury Star
offline

TochterAlice ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit TochterAlice über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 30.12.2017

Eine heile Welt

Und dann kam Paulette
0

im ländlichen Frankreich wünschen sich die Protagonisten dieses warmherzigen Wohlfühlromans, der ganz in der Tradition des Romans "Zusammen ist man weniger allein" und des Films "Die fabelhafte Welt der ...

im ländlichen Frankreich wünschen sich die Protagonisten dieses warmherzigen Wohlfühlromans, der ganz in der Tradition des Romans "Zusammen ist man weniger allein" und des Films "Die fabelhafte Welt der Amélie" steht.
Mehr Achtsamkeit für sein Umfeld, für die Mitmenschen: ein hehres Ziel, dem sich kaum jemand entziehen kann. So auch nicht Ferdinand, einem älteren Herrn, der nicht mehr allein auf seinem Bauernhof leben will und beinahe zufällig in eine für ihn völlig neue Wohnform, die der Wohngemeinschaft, schlittert.
Heile Wohngemeinschaft versus zerbrechliche Familie: ein weiteres Thema, das hier angesprochen wird, doch leider nur zu kurz, zu oberflächlich - zu wichtig ist der Autorin Barbara Constantine offenbar der Wohlfühlfaktor, der vor allem durch das gelungene Zusammenleben der frisch zusammengewürfelten WG-Neulinge transportiert wird. Diese werden im Übrigen durchaus vielschichtig dargestellt - einer der großen Vorzüge des Romans. Kaum jemand ist weiß oder schwarz, das Grau in unterschiedlichen Schattierungen durchzieht die Figuren des Romans - sie sind alle ein Mix aus positiven und negativen Eigenschaften und Zügen. Wer Unerwartetes und Überraschendes liebt, wird sich in diesem Roman gleich zu Hause fühlen - auch wenn die Überraschungen für meinen Geschmack doch ein wenig zu absehbar daher kommen.

Ein rundes Ding also? Für mich nicht ganz: zu viel Märchenhaftes ist drin, zu viel für mich Relevantes wird nicht oder nur am Rande angesprochen, alles ist ein bisschen zu glatt und zu gefällig: wie es im Übrigen auch schon bei den beiden oben genannten Werken, dem Gavalda-Roman und dem Film, der Fall war, wobei ich beide, wie auch das Buch durchaus mit Gefallen rezipiert habe. Aber diejenigen, die die genannten Werke und ähnliches uneingeschränkt genießen konnten, die werden auch "Paulette" in ihr weites Herz schließen.
Autor:

Veröffentlicht am 30.12.2017

Eine Ode an verpasste Gelegenheiten und falsche Zeitpunkte

Die Ordnung der Sterne über Como
0

..mit musikalischer Begleitung und was daraus werden kann - so könnte man in wenigen Worten Monika Zeiners wundervolles literarisches Debut "Die Ordnung der Sterne über Como" zusammenfassen.

Es geht eigentlich ...

..mit musikalischer Begleitung und was daraus werden kann - so könnte man in wenigen Worten Monika Zeiners wundervolles literarisches Debut "Die Ordnung der Sterne über Como" zusammenfassen.

Es geht eigentlich um ein Allerweltsthema: Tom und Betty steht nach zig Jahren ein Wiedersehen bevor - nach Jahren ohne Kontakt, wobei sie sich früher einmal sehr nahe standen. Doch die gemeinsame Vergangenheit ist alles andere als einfach - sie wird belastet durch die Erinnerung an den gemeinsamen Freund Marc, der durch einen Unfall ums Leben kam. Tom und Betty haben weitergelebt, jeder auf ihre Weise: Betty als Ärztin in Italien, Tom als Musiker in Berlin - ein Leben ähnlich dem, das er bereits vor Marcs Tod hatte... aber dann auch wieder nicht.
In Rückblenden vor allem aus Toms, aber auch aus Bettys Perspektive erfährt der Leser die ganze Geschichte - es geht um die Bedeutung von Marc im Leben der beiden ÜBERlebenden. Mit Tom verband ihn eine ungewöhnliche, wegweisende, lebensbestimmende Freundschaft, mit Betty eine Liebesbeziehung. Doch auch zwischen Tom und Betty gab es eine Liebesbeziehung.
Wie dies alles zusammenfloss, welche Tragik dem allen innewohnte, dies erzählt Monika Zeiner virtuos, nein, sie singt es bzw. sie malt mit Worten. Aus Verlust wird zwar nicht Gewinn, so aber doch Erkenntnis, aus Schwermut wird Leichtigkeit - und aus dem so bekannten Thema wird eine unvergessliche Geschichte.

Dieser Roman ist auch ein Geschenk an die deutsche Sprache, ein Zeichen an ihre Liebhaber und Verfechter ihrer Reinheit, ihres Klanges und ihrer Möglichkeiten, denn in ihrem Werk zeigt die Autorin in mannigfaltigen Facetten ihren Reichtum, ihre schillernde Präsenz auf. Für mich ist Monika Zeiner die Königin, ach was: die Kaiserin der bedeutungsvollen, der bis ins Mark treffenden Worte.

Ich hatte bei diesem Buch den Eindruck "in den weiten Joggingklamotten meiner eigentlichen Seele unterwegs sein zu dürfen", um wenigstens eine von Zeiners literarischen Delikatessen zu zitieren (S. 110) - so wohl habe ich mich damit gefühlt - und tue es weiterhin. Für mich ist dies nämlich ein absolut unkorrumpierbares Buch, eines dem ich hundertprozentig vertraue und das ich immer in meiner Nähe wissen will, um mich an der Essenz zu laben, um die kleinen Juwelen der Wortkunst bei Bedarf immer wieder zu genießen, um mich von ihm einfangen zu lassen, wann immer ich es als notwendig erachte.

Veröffentlicht am 30.12.2017

Mit Herz und unkonventioneller Auffassung

Ein ganzes halbes Jahr
0

geht hier Lou ans Eingemachte und versucht, den Tetraleptiker Will von seiner Entscheidung, aufgrund seiner ausweglosen Situation Selbstmord zu begehen, abzubringen.
Lou und Will: ein ungleiches Paar. ...

geht hier Lou ans Eingemachte und versucht, den Tetraleptiker Will von seiner Entscheidung, aufgrund seiner ausweglosen Situation Selbstmord zu begehen, abzubringen.
Lou und Will: ein ungleiches Paar. Hat Lou ihr Leben lang in der kleinen englischen Touristenstadt und im Schoße ihrer liebenswerten und auf ganz besondere Art und Weise einnehmenden Familie verbracht, so war Will bis zu seinem Unfall ein reicher, begehrenswerter, nicht unbedingt aber liebenswerter Typ, der viel gearbeitet hat, durch die Welt gereist ist und sich das vom Leben genommen hat, was er wollte. Um ihre ständig abgebrannte Familie ernähren zu können, nimmt Lou den gutbezahlten Job als seine Gesellschafterin an ... und findet sich in vielerlei Hinsicht in einer vollkommen neuen und anderen Welt wieder.

So anrührend und originell das Buch ist, hier jagt ein Klischee das andere: die beiden müssen sich erstmal zusammenraufen, Lou begeht in der "reichen" Welt ein Fettnäpfchen nach dem anderen. Besonders unglaubwürdig war für mich Lous Umfeld: wer kann von einer 27jährigen - die Handlung spielt fast in der Jetzt-Zeit, im Jahre 2009 - erwarten, dass sie als Hauptverdienerin einer ganzen Familie bestehend aus Eltern, Großvater und nicht zuletzt jüngerer, schlauerer, studierwilliger Schwester mit unehelichem Sohn agiert. Genau das tut aber Lous Familie und scheint es als ganz selbstverständlich aufzufassen.

Trotz dieser kleinen, von mir so empfundenen Störungen habe ich das Buch mit großem Genuss gelesen und habe mit Lou mitgelitten und gelacht. Ein wenig ist die Handlung wie ein modernes Märchen aufgebaut - ein Aschenputtel der Arbeiterklasse betritt ein neues Umfeld, verändert dieses komplett, wobei aber auch sie selbst sich in diesem ändert. Das kann man mögen, oder auch nicht, fest steht, dass die britische Autorin Jojo Moyes nicht nur in ihrem Heimatland Großbritannien, sondern europaweit einen Nerv berührt hat. Zu empfehlen für Leser, die Emotionen lieben, aber ernste und auch kontroverse Themen nicht scheuen und bereit sind, sich auf solche einzulassen.

Veröffentlicht am 30.12.2017

Quatschen mit Zufallsbekanntschaften in Augsburg

Warten auf ...
0

das macht Marcus Ertle. Herausgekommen ist dabei ein Buch, in dem 40 dieser Interviews vereint sind, nämlich "Warten auf...": im weitesten Sinne bei dieser Aktivität nämlich hat der Auztor seine Gesprächspartner ...

das macht Marcus Ertle. Herausgekommen ist dabei ein Buch, in dem 40 dieser Interviews vereint sind, nämlich "Warten auf...": im weitesten Sinne bei dieser Aktivität nämlich hat der Auztor seine Gesprächspartner aufgegabelt und das an unterschiedlichen Orten: in Cafés, auf Parkbänken, Bahnhöfen, in öffentlichen Verkehrsmitteln, und, und, und...

So unterschiedlich wie die "Fundorte" der interviewten Personen, so unterschiedlich sind auch die Gespräche, die Stimmungen, die in ihnen transportiert werden. Obwohl ich das Buch ungeingeschränkt und von ganzem Herzen weiterempfehle, haben mir lange nicht alle Interviews gleich gut gefallen - das lag ebensosehr an den Fragen wie auch an den Antworten. Man kann sich gut vorstellen, dass der Fragende und der/die Antwortende nicht immer gleich gut zusammen passen und genau das wird in diesem Buch sehr, sehr gut vermittelt und macht aus meiner Sicht einen großen Teil seines Charmes aus. Freude, Trauer, Frustration, Neugierde, Anmaßung - das sind nur einige der Gefühle, die in den Interviews transportiert werden. Jung und alt, arm und reich, weise und ein bisschen dümmlich - so unterschiedlich präsentieren sich hier die Menschen in Augsburg. Ein sehr originelles Gespräch mit einem Brecht-Experten, Lebensweisheiten eines sehr alten, dichterisch begabten Herren auf der einen und eines seiner jungen weiblichen Fans auf der anderen Seite, relativ alberne Zukunftsvisionen von Girlies, über die ich mich geärgert habe - dies sind nur ein paar Beispiele.

Zuletzt möchte ich aber noch so richtig Appetit machen auf dieses originelle Buch, das den Zeitgeist so gut aufzeigt - und zwar mit den beiden Gesprächen, die mich am meisten beeindruckt haben: "Warten auf nackte Haut" und "Warten auf einen Neuanfang" - beides Gespräche mit Männern, die jedoch unterschiedlicher nicht sein können und wahrhaft symptomatisch für das Auf und Ab von Stimmungen, mit denen der Leser des Buches konfrontiert wird.

Habe ich bei der ersteren - es geht um ein männliches Aktmodell - einen ausgesprochen sympathischen jungen Mann, der interessante und überraschende Erkenntnisse zur Körperbeherrschung und zu Beziehungen offenbart - zunächst Tränen gelacht, danach Rührung empfunden, so hatte ich bei der zweiten - hier ist der Autor im Gespräch mit einem Obdachlosen, es geht um Verluste - gleich wieder Tränen in den Augen, aber vor Mitgefühl und Betroffenheit.

Ein kleines Universum, das der Autor uns hier geschenkt hat - einfach wunderbar!

Veröffentlicht am 30.12.2017

Eine Geschichte wie ein Knall

Bonita Avenue
0

das ist "Bonita Avenue", das Debüt des niederländischen Autors Peter Buwalda. Das ist durchaus wörtlich gemeint, denn eine Explosion gibt es wirklich in dem Roman: die Katastrophe von Enschede, die Explosion ...

das ist "Bonita Avenue", das Debüt des niederländischen Autors Peter Buwalda. Das ist durchaus wörtlich gemeint, denn eine Explosion gibt es wirklich in dem Roman: die Katastrophe von Enschede, die Explosion der Feuerwerksfabrik im Mai 2000, durch die ein ganzer Stadtteil zerstört wurde, ist ein Bestandteil des Romans und markiert hier einen Wendepunkt bzw. setzen schleichende Veränderungen zu genau diesem Zeitpunkt ein.
Ein Mann wie ein Hammer. das ist Siem Sigerius, den man als Held, als Mittelpunkt dieses Romans bezeichnen kann: Mathematikprofessor, erfolgreicher Judoka, Jazzfan und Familienvater - ein eindrucksvoller, vielschichtiger, fragwürdiger Charakter. Um ihn, den Aufsteiger aus einfachen Verhältnissen, der in zweiter Ehe mit Frau und zwei Stieftöchtern glücklich ist, seine Altlasten jedoch eiskalt hinter sich lässt, rankt sich ein wahres Drama, eine Geschichte um Verrat, Hass, Ehrlichkeit, Verlogenheit und Liebe, in der die weibliche Hauptrolle von seiner älteren Stieftochter Joni, der zeitweiligen Ich-Erzählerin, einer starken, nicht minder vielschichtigen und gewissermaßen zerissenen Persönlichkeit eingenommen wird und quasi den weiblichen Gegenpol zu Siem Sigerius bildet. Einen - allerdings keinesfalls neutralen - Betrachter von aussen gibt es auch: Jonis Freund Aaron, der die Familie auf seine Weise er- und überlebt.

Ein Action-Roman mit Anspruch - das ist "Bonita Avenue". Buwalda schreibt auf hohem Niveau, doch bei ihm steht nicht das Wort, sondern die Taten, die Entwicklungen an erster Stelle. Ein Buch wie ein Film - doch wird es schwierig, die ganzen Bilder, die Buwalda in Worte fasst, in ihrer Bedeutung genau so umzusetzen. Also: lesen, lesen, lesen!

Das Buch ist etwas für Freunde anspruchsvoller Literatur, die neue Wege nicht scheuen. Buwalda ist nicht - wie oft bemüht - mit Franzen zu vergleichen. Wenn man überhaupt ein Werk der modernen Literatur zum Vergleich heranziehen kann, wäre das in meinen Augen eher Eugenides' "Middlesex" - aber eigentlich ist Buwalda Buwalda, er ist neu, ungewöhnlich, und bereit, wie eine Bombe in die Literaturwelt einzuschlagen. Ein bemerkenswertes Debüt - durchaus eine Herausforderung für den Leser. Aber eine, die man nicht verpassen sollte!