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Veröffentlicht am 25.07.2018

Ein Versprechen, ein Antrag, eine Warnung" (S. 38)

Die Straße der Geschichtenerzähler
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All das übermittelt der jungen Viv der wesentlich ältere Archäologe Tahsin Bey, ein "Kumpel" ihres Vaters nach gemeinsamem Aufenthalt bei Ausgrabungen in Labraunda, wo sie ihn als auch sich selbst das ...

All das übermittelt der jungen Viv der wesentlich ältere Archäologe Tahsin Bey, ein "Kumpel" ihres Vaters nach gemeinsamem Aufenthalt bei Ausgrabungen in Labraunda, wo sie ihn als auch sich selbst das erste Mal in einem anderen Licht als bisher wahrnimmt: als Mann und Frau. Seine Worte sind für sie verheißungsvolle Versprechungen auf dem Weg in eine gemeinsame Zukunft - nach dem Krieg, denn es ist der Sommer 1914 und kurzfristige Absprachen können nicht getroffen werden.

Natürlich kommt alles ganz anders, Viv verschlägt es nach Kriegseinsätzen - ja, auch Frauen hatten welche - 1915 nach Peshawar, wohin sie Jahre später als gestandene Hochschuldozentin der ersten Generation zurückkehrt.

Wieder auf der Suche nach einem Mann: die Motivation scheint eine ganz andere zu sein, ist es aber nur in Teilen. Auch wenn Viv sich selbst durchaus Schuld am größten Verlust ihres Lebens gibt, ist sie immer noch auf der Suche nach sich selbst - und nach der Wahrheit. Die jugendliche Unüberlegtheit der Protagonistin Viv weicht einer gewissen Gelassenheit, die ihr - und der damit der dem Buch zugrundewohnenden Stimmung des Buches eine ganz andere Wendung verleiht. Auch wenn es kleine Längen gibt, auch wenn es manchmal eigene Recherchen erfordert, um die klugen Gedanken der Autorin nachvollziehen zu können - es ist atemberaubend, wie Shamsie den Leser in ihre Welt zieht.

Ja, Kamila Shamsie schreibt historische Romane, aber auf eine ganz besondere Art, auf einem ganz besonderen Niveau - einem sehr, sehr hohen - und mit ganz besonderen Botschaften. Sie taucht ein in die Welt, über die sie schreibt, in ihre Charaktere und bringt uns so - was kaum ein Autor vermag - Nachrichten aus verlorenen, vergangenen Zeiten, über ebensolche Werte. Der Leser ist stets gefordert, denn sie schlägt ihren Bogen um weite Teile der Weltgeschichte, die - wie hier - nicht immer die bekanntesten sind.

Kamila Shamsie, eine Kosmopolitin? Unbedingt, auch wenn ihr Herz immer wieder für Asien schlägt, den Kontinent ihrer Herkunft, dessen Geschichte sie mit Ländern der westlichen Zivilisation, in diesem Falle England und ebenfalls eine Heimat für sie, verwebt. Doch sie tut weit mehr, als Geschichte aufzuarbeiten: sie gibt literarischem Anspruch und Poesie eine ganz neue Wendung, eine andere Bedeutung.

Kamila Shamsies Charaktere sind Suchende, denen diese Suche eine Art Lebenselixir ist, das sie vorantreibt. Die Erfüllung ist nicht das Ziel bzw. das Ende ihrer Geschichten: nein, bei Shamsie gilt wieder und wieder, wenn auch auf ganz besondere Art: der Weg ist das Ziel. Und darin kann sich - wenn er es denn zulässt - ein jeder Leser auf eine gewisse Art und Weise wiedererkennen.

Eine Autorin, die ihre Leser immer wieder fordert, ihnen nur wenig erspart, dabei aber viel schenkt: neues Wissen und neue Erfahrungen. Die muss man sich einiges an Zeit und Kraft kosten lassen, denn in Shamsies Büchern kann man nicht nur schwelgen, man muss sich auf das Geschehen einlassen und sich ihm mit allen Fasern des Geistes und des Körpers widmen. Wenn man dazu bereit ist, ein lohnendes Unterfangen, bei dem man viel mitnimmt.

Veröffentlicht am 25.07.2018

Halali

Waidmannstod
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bläst man zu Ehren verdienter Waidmänner und es wird auch hier zu Ehren des Toten, des 64jährigen Harro Probst von seinen Jagdgefährten geblasen.

Köstlich, abstrus, witzig und spritzig, dann wieder zutiefst ...

bläst man zu Ehren verdienter Waidmänner und es wird auch hier zu Ehren des Toten, des 64jährigen Harro Probst von seinen Jagdgefährten geblasen.

Köstlich, abstrus, witzig und spritzig, dann wieder zutiefst philosophisch - dieser Krimi trifft mich bis ins Mark, berührt jede Pore in mir. Schon lange habe ich mir einen Kommissar bzw. einen Krimi-Protagonisten gewünscht, der so tickt wie ich - und voilà - hier ist er nun: Daniel Voss, Einzelgänger und Rückkehrer in die alte Heimat.. Und ganz unverhofft ist er aufgetaucht!

Nicht, dass ich den Autor Maxim Leo bislang nicht kannte, nein, "Haltet Euer Herz bereit", seine Familiebiographie habe ich bereits mit großem Respekt und sehr gerne vor einigen Jahren gelesen, aber es hat mit nicht derartig vom Hocker gerissen, mir neue Lesefreuden offenbart.

Das ist dafür aber jetzt geschehen. "Wow"! Bin ich gelegentlich durchaus als humorlose Schachtel verschrien, fühle ich hier mein Humorverständis genau erkannt und getroffen.Und auch all meine anderen Ansprüche, die ich an Krimis stelle, werden befriedigt. Wenn es Daniel Voss "in echt" gäbe, würde ich versuchen, ihn kennenzulernen. Voss' Team ist originell und mit Wiedererkennungswert ebenso wie sein restliches Umfeld, das vor allem aus seiner pflegebedürftigen Mutter und deren polnischer Pflegerin Maja, die nur so vor Ideen sprüht, besteht. Dieser Krimi hat sooo viel - auch ein überraschendes, unverhofftes Ende..Und neben Humor jede Menge Tiefgang und Esprit.

Ich bin wunschlos glücklich - nein, nicht ganz: ich wünsche mir, dass aus diesem Band um den brandenburgischen Kommissar Daniel Voss eine Serie wird und zwar eine möglichst lange!

Veröffentlicht am 25.07.2018

Ein Buch über Verlassene, die zu Verlassenden werden

Länger als sonst ist nicht für immer
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Wenn auch nicht alle - die Bäckersfrau Evi und auch Ira sind immer da, wo man sie braucht bzw. erwartet: im kleinen schwäbischen Dorf, bereit die anderen zu empfangen und aufzunehmen. Drei Protagonisten ...

Wenn auch nicht alle - die Bäckersfrau Evi und auch Ira sind immer da, wo man sie braucht bzw. erwartet: im kleinen schwäbischen Dorf, bereit die anderen zu empfangen und aufzunehmen. Drei Protagonisten sind es - Ira, Lew und Fido, die alle von ihren Müttern verlassen wurden, wenn auch jeder auf unterschiedliche Art und Weise und aus vollkommen unterschiedlichen Gründen. Geliebt wurden sie alle, wenn auch nicht unbedingt von ihren Müttern, doch es gab für jeden von ihnen jemanden, der für ihn da war.

Die Fäden laufen zusammen in Evis Bäckerei - Evi, die sich in den 1970ern Fidos und seines Großvaters angenommen hat, die voller Hoffnung aus dem fernen Serbien kamen und die später auch Ira, als diese es nötig hatte, unter ihre Fittiche nahm.

Auf Lew treffen wir zunächst in einem indischen Dorf, in einer merkwürdigen, geheimnisvollen Umgebung, auf der Suche nach dem Vater, der ihn zusammen mit der mittlerweise verstorbenen Mutter verlassen hat und weggemacht hat aus der DDR damals. Doch hier ist nichts so, wie es scheint. Aber auch findet Zuflucht in der Bäckerei, als die Zeit gekommen ist.

Ira, die schon einen Sohn hat, John, hilft in Evis Bäckerei und begleitet ihren Vater Cornelius auf dessen letztem Weg - Cornelius, der ihr Familie war, als auch sie von ihrer Mutter verlassen wurde.

Ira, Fido und Lew - sie alle sind Verlassene, die auf merkwürdige Weise zusammenhängen. Fido und Lew werden aber auch zu Verlassenden, sie bringen Ira in die Situation einer Wartenden, die ihr schon von Kindesbeinen an vertraut ist. Es ist nichts Grausames dran, nein, Pia Ziefle stellt es in ihrer schönen Sprache eher fatalistisch dar, so als könnte keiner seinem Schicksal entrinnen - der Verlassene ebensowenig wie der Verlassende. Doch ab und an werden die Schilderungen für mich - und ich bin sicher, dass es auch anderen Lesern so geht - schwer greifbar, die Autorin driftet ab in ihr tiefstes Inneres, das so manchen Leser nicht mehr erreicht. Wunderschöne Sätze wie "...als sie älter wurde und zu ahnen begann, dass Tadijas Sätze manchmal an Orten geboren wurden, die aus Wünschen gebaut waren und Sehnsucht." (S .16) tragen immer wieder zum Lesegenuss bei.

Der Romanhandlung ist ein Reiser-Songtext vorangestellt und Start mit Rio Reiser ist immer ein guter Start, auch wenn es sich wie hier um einen seiner Songtexte handelt. Wobei ich der Ansicht bin, dass auch Hannes Wader mit seinem bekanntesten Lied gut, ja besser gepasst hätte. Seine Worte
"Heute hier, morgen dort,
bin kaum da, muss ich fort,
hab' mich niemals deswegen beklagt.
Hab es selbst so gewählt,
nie die Jahre gezählt,
nie nach gestern und morgen gefragt."
treffen auf so manch einen Protagonisten des Buches zu.

Ein ungewöhnliches, ein wenig sperriges Buch über Liebe, Freundschaft, aber auch Einsamkeit - vor allem aber über Hoffnung, dessen Lektüre sich aber unbedingt lohnt.

Veröffentlicht am 25.07.2018

In the clearing stands a boxer

Deutscher Meister
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singen Simon & Garfunkel in ihrem bekannten Song: auch in Berlin steht einer im Ring - ein Boxer, meine ich. Und was für einer: Trollmann, der Zigeuner, der auch 1933 noch kein Auge trocken lässt. Ein ...

singen Simon & Garfunkel in ihrem bekannten Song: auch in Berlin steht einer im Ring - ein Boxer, meine ich. Und was für einer: Trollmann, der Zigeuner, der auch 1933 noch kein Auge trocken lässt. Ein Auszug aus seinem (Boxer)Leben in einer sehr schweren Zeit, unmittelbar nach Hitlers Machtergreifung wird hier geschildert, die Vorbereitung auf den Kampf seines Lebens - gegen den Konkurrenten Witt - und der Kampf selbst. Ein halbes Jahr als Auszug aus Trollmanns Leben, aus Nazideutschland, denn auch das ist es und Autorin Stephanie Bart schildert dies ausgesprochen gekonnt und so atmosphärisch, dass es mir nicht schwerfiel, in diese ganz spezielle Umgebung einzutauchen.
Trollmann ist - noch - magisch: "SA-Mann Willi Radzuweit rempelte zurück: "Mach du mir erst mal so ne Flanke vor, dann kannste mir in Zukunft auch sagen, bei wem ich klatschen soll und bei wem nich!""(S.8) Auch die falsche Seite, die neue Führungsriege kann sich - noch - nicht entziehen.
Doch geht es mir zu sehr ins Boxen - ich habe wirklich große Achtung vor der Autorin, dass sie so tief in die Materie eingetaucht ist, die Zusammenhänge so detailliert und gleichzeitig stimmungsvoll beschreiben kann, auch wenn ihr Versuch, die Sprache, den Stil der damaligen Zeit aufzugreifen, mitunter mühselig zu rezipieren ist.
Keine leichte Kost: Stephanie Barth hat es sich und ihrer Leserschaft nicht leicht gemacht: ihr Einblick in das Sportler-, das Boxermilieu der Nachkriegszeit beruht auf mehr als auf guter Recherche - es ist das absolute Eintauchen in das Thema, eine Verschmelzung auf Zeit. Ich lese viel und empfinde dies in der Regel auch bei durchaus anspruchsvollen als Entspannung, als kleinen Ausbruch aus dem Alltag. Hier war es anders: dieses Buch hat mich gefordert, über Gebühr, wie ich finde. Im Klartext: Das Thema Boxen nahm überhand, wurde mir einfach zu viel. Trotz meiner Bereitschaft, in diesem Milieu zu versinken, war ich froh, mich daraus wieder befreien zu dürfen.

Eine Leseempfehlung mit Einschränkungen ist es also, die ich ausspreche, für einen sehr, sehr kleinen Personenkreis, der gewillt ist, sich dem Thema Boxen in der frühen Nazizeit für einen begrenzten Zeitraum komplett auszuliefern!

Veröffentlicht am 25.07.2018

Ein Klassentreffen mit Folgen

Nichts ist verziehen
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und zwar mit tödlichen! Dass das von ihr nicht sonderlich sehnsüchtig erwartete Klassentreffen so endet, das hatten weder Journalistin Magdalena Hansson noch irgendeiner ihrer ehemaligen Klassenkameraden ...

und zwar mit tödlichen! Dass das von ihr nicht sonderlich sehnsüchtig erwartete Klassentreffen so endet, das hatten weder Journalistin Magdalena Hansson noch irgendeiner ihrer ehemaligen Klassenkameraden erwartet - vor allem, da der Mord - schnell steht fest, dass dies die Todesursache war - wirkt sich sowohl beängstigend als auch schockierend auf die Verbliebenen aus. Vor allem, da die weiteren Entwicklungen - und die sind nicht gerade ohne - in eine ganz bestimmte Richtung weisen.

Zugegebenermaßen, die Klasse war nicht gerade eine der sanften Sorte - Mobbing spielte eine zentrale Rolle und es gab auch ein zentrales Opfer, das aber bereits vor einigen Jahren ums Leben gekommen ist - offenbar Selbstmord. Doch allmählich zeigt sich, dass dies längst nicht das einzige Ziel der Quälereien durch die "Stars" der Klasse war - sie haben einer ganzen Reihe von Mitschülern, zu denen auch Magdalena und Tina, der Schwester des örtlichen Ermittlers Christer, immer wieder das Leben schwer gemacht.

Und genau deswegen darf Christer die Ermittlungen nicht leiten - seine ehemalige Chefin Petra wird aus dem Krankenstand zurückgeholt.

Figuren noch und nöcher kommen vor in diesem Roman - sowohl die Klasse, als auch das Polizeipersonal treten zahlreich auf und werden ausführlich beschrieben, jeweils mit ihrem entsprechenden Umfeld. Doch leider stehen hinter den Figuren keine Charaktere im wahrsten Sinne des Wortes, keine richtigen Persönlichkeiten. Einige wenige sind etwas deutlicher herausgearbeitet, doch bei vielen wurde mir nicht klar, warum sie bspw. Star oder Opfer in der ehemaligen Klasse waren. Ich konnte mir jedenfalls kein umfassendes Bild machen, das mich zufrieden gestellt hätte.und das betrifft ebenso das Kollegium im Polizeipräsidium, dessen überaus buntes Privatleben nicht selten im Mittelpunkt steht und aus meiner Sicht von Zeit zu Zeit zu intensiv behandelt wird.

Zudem ist es aus meiner Hinsicht hilfreich, wenn nicht gar notwendig, die vorhergehenden Bände der Reihe um Magdalena Hansson zu kennen - wieder und wieder ploppen Nebenschauplätze auf, die eigentlich nur mit Kenntnis der Vorgeschichte einen Sinn ergeben.

Dennoch habe ich das Buch wirklich gern gelesen und sowohl die kriminelle als auch die eher soziale Entwicklung, die zusammen eine gute Mischung ergeben und durchaus spannend sind, mit Interesse verfolgt. Ich kannte einen der Vorgängerbände und werde auch in Zukunft am Ball bleiben, wenn es wieder einen Fall gibt, in den Magdalena Hansson verwickelt ist. Für Liebhaber skandinavischer Krimis des eher klassischen Typs kann durchaus eine Empfehlung ausgesprochen werden, aber eine mit einer ganzen Reihe von Abstrichen!

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