Profilbild von Variemaa

Variemaa

Lesejury Profi
offline

Variemaa ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Variemaa über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.05.2018

tolle Sammlung

Das Buch der Schurken
0

Ein Titel, der mich sofort hatte. Die besten Bösewichte der Weltliteratur. Da summt bei mir alles: Literaturwissenschaft, Autorenleben, Bücherliebe. Sind es nicht oft die Antagonisten, die eine Geschichte ...

Ein Titel, der mich sofort hatte. Die besten Bösewichte der Weltliteratur. Da summt bei mir alles: Literaturwissenschaft, Autorenleben, Bücherliebe. Sind es nicht oft die Antagonisten, die eine Geschichte erst richtig bunt und rund machen? Wenn die Krise und die böse Macht stark genug sind, bleiben wir am Ball, bis zur letzten Seite und vielleicht auch darüber hinaus. Die ganz großen Bösewichte machen uns Spaß. Was wäre Star Wars ohne Darth Vader, um ein Beispiel aus einer anderen Richtung zu nennen.
In diesem lexikalisch aufgebauten Buch sind nun 100 Bösewichte auf 256 Seiten zusammengetragen. Schon das Vorwort ist aber interessant. Zum Beispiel, dass eine „Frauenquote“ einfach deswegen nicht zu schaffen war, weil die Weltliteratur (auch historisch gesehen) noch immer männlich dominiert ist – und das nicht nur von Autorenseite her, sondern eben auch bei den Schurken. Dass der Autor gerade diesen Punkt anspricht, finde ich wichtig und gelungen. Auch gibt er dem Leser den Tipp, die einzelnen Beiträge nicht auf einmal zu konsumieren, sondern lieber nach und nach. Das hilft, sich zu jedem bösen Wicht ein paar Gedanken zu machen.
Die Superschurken sind dabei nicht immer die Hauptantagonisten der Romane. So wird beispielsweise Dolores Umbrecht dem dunklen Lord vorgezogen. Auch mancher Protagonist selbst muss herhalten. Felix Krull bekommt – völlig zu Recht – einen Platz in der Liga der 100 besten Schurken zugeteilt. Und nicht nur menschliche Bösewichte, sondern auch tierische oder gar ungreifbare werden einbezogen. Eine wirklich bunte Mischung, die Leser das Gruseln lehren und Autoren inspirieren kann.

Veröffentlicht am 16.04.2018

Hat Chancen zum Lieblingsbuch

Eine Handvoll Lila
0

Seit sie denken kann, lackiert Grace sich die Fingernägel Lila, ganz so wie ihre Mutter es ihr beigebracht hat. Ein sichtbares Zeichen ihrer konkurrenzlosen Verbindung, die Grace zu zerstören droht. Denn ...

Seit sie denken kann, lackiert Grace sich die Fingernägel Lila, ganz so wie ihre Mutter es ihr beigebracht hat. Ein sichtbares Zeichen ihrer konkurrenzlosen Verbindung, die Grace zu zerstören droht. Denn ihre Mutter hat den Tod des Mannes nie verkraftet, springt von Blüte zu Blüte und baut immer auf den Halt ihrer Tochter. Die aber hat genug eigene Probleme. Eigentlich will Grace nämlich nach ihrem Abschluss an der Musikschule studieren, Kilometer von ihrer Mutter entfernt, aber kann sie das überhaupt? Und was ist das mit Eva, dem Mädchen, das gerade erst ihre Mutter verloren hat, und das Grace einfach nicht aus dem Kopf geht.
Mutterkomplexe, genau mein Fall. Doch hier ist es die große Verantwortung des Kindes für das Wohlergehen der Mutter, das im Mittelpunkt steht. Wieviel kann eine Jugendliche tragen, ohne daran zu zerbrechen? Mit einer feinfühligen Psychologisierung geht der Roman dem Crescendo an Gefühlen, das sich in Grace zusammenbraut, auf den Grund. Zwischen Glück und Neid, Angst und Hoffnung spielt sich die ganze Bandbreite an emotionalem Gefälle ab.
Gelungen ist, dass dabei auch die Nebenfiguren einbezogen werden. Die alkoholkranke Mutter, die Grace gleichzeitig mystisch erhöht und mit einer erschreckenden Selbstverständlichkeit behandelt, der beste Freund, der Grace retten will, aber gleichzeitig seine eigene Geschichte aufarbeiten muss, und natürlich Eva, die verzweifelt Halt in der grotesken Einsamkeit der Mutterlosigkeit sucht. Es ist eine wunderbare Komposition, die zeigt, dass alles Hand in Hand geht und Regen nicht ohne Sonnenschein kommt.

Veröffentlicht am 21.03.2018

Rigoros wie einfühlsam

Trennt Euch!
0

Dabei ist er so rigoros wie einfühlsam. Ehe er überhaupt dazu kommt, die Beziehungshürden zu entlarven, appelliert er an die Selbstachtung seiner Leserschaft. Warum eine Trennung jetzt besser ist, als ...

Dabei ist er so rigoros wie einfühlsam. Ehe er überhaupt dazu kommt, die Beziehungshürden zu entlarven, appelliert er an die Selbstachtung seiner Leserschaft. Warum eine Trennung jetzt besser ist, als später, welche Vorteile es haben kann, den schmerzhaften Schluss auszulösen und welche Stärke darin liegt.
Der häufigste Grund – aus meiner Sicht – sich gegen die Trennung zu entscheiden ist schlicht die Trägheit und der Wunsch, nicht als der oder die Böse dazustehen. Auch hier macht das Buch Mut, denn mit der Trennung hilft man am Ende auch dem anderen. Wenn die Erkenntnis, dass eine Beziehung ihrem Ende entgegensteuert, da ist, wird die Entscheidung zur Trennung für bei auf lange Sicht besser, als das Miteinander möglichst lange auszuhalten.
Grundehrlich und vernünftig argumentiert der Autor dabei, statt emotional zu werden oder nur schwarz zu sehen. Weil auch eine Trennung aus eigenem Antrieb schmerzhaft ist, ist Trennt euch auch ein Buch für Getrennte. Es hilft, Liebeskummer aufzuarbeiten und das Selbstbewusstsein zu stärken. Dadurch, und da das Buch auch erklärt, welche Punkte für eine auf Dauer funktionierende Beziehung wichtig sind, hilft es meiner Meinung nach auch Menschen, die wieder bereit für eine neue Beziehung sind. Die rosarote Brille wird entfärbt. Davon profitieren auch die Beziehungen, die nach Thomas Meyer dauerhaft bestand haben können.

Veröffentlicht am 21.03.2018

humorvolle Kritik

Ich bin so hübsch
0

Viele Comedians schreiben, wie sie auf der Bühne stehen. Es sind Abschriften ihrer Sprüche und Sketche, die gespielt mit der richtigen Betonung Lachtränen hervorrufen – aufgeschrieben aber oft eher ein ...

Viele Comedians schreiben, wie sie auf der Bühne stehen. Es sind Abschriften ihrer Sprüche und Sketche, die gespielt mit der richtigen Betonung Lachtränen hervorrufen – aufgeschrieben aber oft eher ein müdes Gähnen. Die Show fehlt und lesbar ist der Text dann nur, wenn man die Stimme des Komödianten im Ohr hat. Darum war ich sehr gespannt, wie der Witz hier übertragen wird. Einen Vorteil hat Hazel Brugger gegenüber den eben gemeinten Kollegen: Ihre Beiträge, aus denen das Buch gestaltet wurde, sind bereits von Anfang an für die schriftliche Veröffentlichung gedacht gewesen. Das merken die Leser von ersten Satz an.
Während sie sich durch verschiedene Themen – vom alltäglichen Einkauf über Sexismus, Ethik bis zum dem Älterwerden – schreibt, zeigen ihre Texte nicht nur eine grandios eingefangene Menge an Sarkasmus, sondern sehr tiefe Überlegungen. Sorgfältig verpackt in Worten, die aufwecken, aber nicht hetzen. Wenn es beispielsweise um die Frage geht, ob Frauen nicht so lustig wie Männer sind, macht Brugger daraus einen wunderbaren Artikel über Alltagssexismus, ohne dass es einem mit dem Zaunpfahl an den Kopf geklopft wird. Der Stil ist einnehmend, nicht aufgesetzt oder gezwungen komisch.
Viel wichtiger, als der Lacher zwischendurch, sind die Themen selbst, die Kritik, die sich dahinter verbirgt. Hier zeigt sich ein kluger Kopf, der gekonnt mit Worten spielen kann. Dass ich beim Lesen nicht jedem Argument zustimme, finde ich am Ende halb so wild. Dafür sind die Texte zu interessant, der Hintergrund zu tief und die Überlegungen, die bei mir ausgelöst werden zu weitreichend.

Veröffentlicht am 21.03.2018

So einfach kann es sein

Den Ball weiterspielen
0

Tiffany Dufu berichtet von ihrem eigenen Leben, ihrer eigenen Ehe, ihrer eigenen Mutterschaft. Ein Erfahrungsbericht par excellence. Keine Geschichte. Wer einen ausgearbeiteten Plot braucht, wird vom Leben ...

Tiffany Dufu berichtet von ihrem eigenen Leben, ihrer eigenen Ehe, ihrer eigenen Mutterschaft. Ein Erfahrungsbericht par excellence. Keine Geschichte. Wer einen ausgearbeiteten Plot braucht, wird vom Leben immer enttäuscht sein. Und am Anfang ihres Berichts steht sie wirklich alleine da. Ihr Mann arbeitet Vollzeit und sie ist mit der Erwartung nach der Geburt ihres Kindes in die Arbeitswelt zurück, dass sie das auch könne, und Haushalt und Kind gleich mit schaukeln. Die dramatische Situation, die Mutter mit zu vollen Stillbrüsten weinend auf der Toilette zu finden, eröffnet das Buch. Der Anfang vom Ende sozusagen, der erschütternde Moment der Einsicht, dass ein Mensch allein nicht die ganze Last der Welt auf den Schultern tragen kann. Auch eine Frau nicht.
Die Leser begleiten Tiffany dabei, wie sie lernt, Aufgaben abzugeben. Das sonntägliche Kochen, verschiedene Planungen, das Sortieren und öffnen der Post. Und dabei zu bleiben. Auch wenn das heißt, dass nach vier Wochen ein Postberg den gesamten Esstisch einnimmt. Der erste und wichtigste Schritt dabei ist der, um Hilfe zu bitten. Und nicht nur um externe Hilfe, sondern auch um die Mitarbeit des Mannes in Haushalt und Kindererziehung. Und dabei deckt die Autorin das Paradox auf, dass viele Frauen sich die Mitarbeit des Partners wünschen – und auch wissen, dass sie sie brauche – sie aber gleichzeitig torpedieren, indem sie alle Aufgaben an sich reißen.
Tiffany muss sich diese Erkenntnis schmerzlich erarbeiten. Auffallend dabei ist: Ihr Mann ist sofort bereit, seinen Teil beizutragen und freut sich sogar, wenn er seine Frau entlasten kann. Indem sie lernt, ihm mehr zu vertrauen, wird sein Selbstbewusstsein in häuslichen Aufgaben gestärkt, die Beziehung der Beiden wird ausgeglichener. Dazu gehört auch, dass Tiffany erkennen muss, dass ihr Gatte keineswegs NICHTS im Haus erledigt hat. Ohne, dass sie es großartig registriert hat, kümmerte er sich beispielsweise um Reparaturen, die Ferienplanung und Darlehensangelegenheiten. Diesen Aspekt fand ich sehr wichtig, denn er zeigt, wie selbstverständlich Tiffany als Ehefrau diese Aufgaben ignoriert hat und damit auch seinen Anteil am gemeinsamen Leben reduziert. Ein gesunder Blick darauf, welche Aufgaben tatsächlich existieren, welche ohne Probleme zu streichen sind und welche wirklich neu justiert werden müssen, ist essentiell für beide Partner.
Für meinen Geschmack startete das Buch aus einem Extrem um den Versuch zu wagen, ins andere zu wandern. So ganz klappt es nicht. Auch wenn Tiffany Dufu ihren Werdegang zu einer Frau, die von Arbeit bis Haushalt mit ihrem Mann gleichberechtigt ist, erzählt, dreht es sich allzu oft um die Ausgangsannahme der Frau, alles alleine stemmen zu müssen. Auch wird die Mitarbeit des Mannes gerade am Anfang als „Hilfe“ beschrieben, dann erst kommt das Umdenken zur gleichmäßigen Verteilung der Aufgaben. In vielen kleinen Momenten wird klar, dass die Autorin immer noch den Perfektionismus sucht. Der ist auch mit Partner nicht zu erreichen, weil unterschiedliche Ansichten in den Details existieren. Das wird angedeutet, die mögliche Problematik dahinter aber runtergespielt. Im Ganzen erscheint mit Tiffany Dufus Bericht fast zu rund. Die richtig große Krise bleibt aus und darauf kann sich eben keine*r verlassen.