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Venatrix

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Veröffentlicht am 11.09.2022

Vom Scheijtl bis zur Luxussohle - das extreme Leben der Julia Haart

UN-VERHÜLLT
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Julia Haart, 1971 in Moskau als Julia Leitow geboren, ist die älteste Tochter ihrer jüdischen Eltern. Die Familie wandert 1977 über Rom in die USA aus. Dort wendet sich vor allem die Mutter dem Haredi-Judentum, ...

Julia Haart, 1971 in Moskau als Julia Leitow geboren, ist die älteste Tochter ihrer jüdischen Eltern. Die Familie wandert 1977 über Rom in die USA aus. Dort wendet sich vor allem die Mutter dem Haredi-Judentum, besser bekannt als ultraorthodoxes Judentum zu, und verdonnert die ganze Familie dazu, richtig frum zu sein. Dieses Leben, in dem Frauen nur dazu da sind, viele Kinder zu gebären und dem Mann untertan zu sein, unterliegt äußerst strengen Regeln. Dabei spielt das Einkommen der Familien keine Rolle. Wohlhabende Familien können sich das Einhalten der komplexen Speiseregeln mit mehreren Kühlschränken und Geschirr leichter leisten als Familien mit geringem Einkommen.

Diese Regeln und die strengen Bekleidungsvorschriften beschreibt die Autorin im ersten Teil des Buches sehr genau. Die Blusen oder Pullover haben lange Ärmel zu haben, dafür müssen die Schlüsselbeine bedeckt sein, die Röcke müssen auch im Sitzen die Knie bedecken, (kratzige) Strumpfhosen, darüber Kniestrümpfe - so müssen Mädchen und Frauen bekleidet sein. Alles andere ist laut den Vorschriften, die von den Rabbinern vorgegeben sind, nicht erlaubt. Schulbildung? Fehlanzeige - ein bisschen Lesen, Schreiben und Rechnen muss für die zukünftige brave jüdische Mutter und Hausfrau genügen. Man wähnt sich ins 19. Jahrhundert zurückversetzt. Nein, stimmt nicht ganz! Im säkularen Judentum erhielten Mädchen und Frauen ordentliche Ausbildungen.

Im zweiten Teil ihrer Biografie, erzählt sie, wie sie mit 42 Jahren von ihrer Familie getrennt hat und in eine, für sie völlig neue Welt, eintritt. Wobei diese Welt keine „normale“ ist, sondern die überzeichnete der Mode und des Luxus. Natürlich diverse Betrüger ihre Ahnungslosigkeit aus und betrügen sie von vorne bis hinten. Allerdings fällt sie mehrmals durch glückliche Zufälle (?) auf ihre kleinen Füße (Schuhgröße 34).

Meine Meinung:

Den ersten Teil des Buches, der einen Einblick in den unwahrscheinlich strengen Regeln der Haredi-Juden gibt, hat mir sehr gut gefallen. Als Nichtjude sind einem diese Vorschriften ja nicht wirklich bekannt.
Interessant, dass an der jüdischen Mädchen-Schule Designerklamotten getragen werden, die den strengen Regeln angepasst sind. Wer die nicht trägt, wird, ähnlich wie in jeder anderen Bildungseinrichtung, scheel angesehen und ausgegrenzt. Ungewöhnlich, weil (für mein Verständnis) nicht in den Haredi-Alltag passend, dass die Schülerin Julia mit 12cm Highheels in die Schule gehen darf. Diese Schuhe sind zniut-konform? Das wird nicht die einzige widersprüchliche Information bleiben.
„In der ultraorthodoxen Welt hat Kleidung nur einen Zweck: den Körper zu bedecken, von Kopf bis Fuß, Punkt. Darüber hinaus irgendeinen Gedanken an sein Äußeres zu verschwenden, ist eine Sünde und eine Beleidigung Gottes.“

Das Erwachen kommt erst als ihre älteste Tochter Batsheva genauso mit 19 Jahren verheiratet wird, mit dem kleinen Unterschied, dass sie sich ihren Mann aussuchen darf. Und die jüngste Tochter Miriam unter dem unorthodoxen Verhalten der Mutter zu leiden hat. Julia Haart hat Depressionen, hungert sich auf 32 kg Kilo hinunter und steht knapp vor dem Suizid.

Der zweite Teil, ihr Werdegang zur umjubelten Schuhdesignerin und Geschäftsfrau hat mich nicht so wirklich beeindruckt. Da wirkt sie völlig abgehoben und versnobt. Es scheint, als wolle sie alles, was ihr die Jahrzehnte zuvor verwehrt geblieben ist, innerhalb kürzester Zeit nachholen - Sex, Drugs & Rock`n`Roll inklusive - ein Leben auf der Überholspur quasi.

Lange Zeit führt sie noch ein Doppelleben indem sie regelmäßig zum Schabbat zur Familie fährt (fliegt). Wie sie sich den Lebensunterhalt vor ihrem Erfolg als Schuhdesignerin verdienst hat, wird dezent verschwiegen. Das Buch endet damit, dass sie als Chefdesignerin für La Perla engagiert wird.

Stellenweise ist der Schreibstil oder die Übersetzung reißerisch. Manchmal habe ich den Eindruck, dass der erste Teil von einer anderen Person geschrieben (übersetzt) wurde als der zweite.

Der Werdegang von der ultraorthodoxen Jüdin zur modernen, jüdischen Modedesignerin klingt wie das amerikanische Märchen vom Tellerwäscher zum Millionär, bei dem nicht alles immer so genau genommen wird. Dazu passt, dass diese Biografie für Netflix verfilmt worden ist.

Ich lehne Extremismus jeglicher Form ab, sei es Frauen in Burkas zu stecken oder sie wie hier, in der ultraorthodoxen Gemeinschaft, als Gebärmaschinen zu Ehren ha-Schems zu betrachten.

Fazit:

Dieser reißerisch aufgemachten Lebensgeschichte einer ultraorthodoxen zur Modedesignerin, die mit 42 Jahren das erste Mal ihre Arme und Schultern unverhüllt zeigt, gebe ich 3 Sterne.

Veröffentlicht am 25.08.2022

Zerbrechliche Beziehungen

Kintsugi
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An diesem Buch hat mich vor allem der Titel angesprochen. „Kintsugi“ ist die japanische Reparaturkunst, Zerbrochenes zusammenzufügen und und es dadurch kostbarer zu machen. Keramik- oder Porzellanscherben ...

An diesem Buch hat mich vor allem der Titel angesprochen. „Kintsugi“ ist die japanische Reparaturkunst, Zerbrochenes zusammenzufügen und und es dadurch kostbarer zu machen. Keramik- oder Porzellanscherben werden dabei sorgfältig mit einem besonderen Lack geklebt und die fehlenden Teile mit einer Kittmasse, in der feinstes Pulver aus Gold, Silber oder Platin enthalten sind, ergänzt. Die dabei entstehenden Risse sollen erkennbar sein und das Gefäß wertvoller machen. Ganz ähnlich wie Archäologen mit gefundenen Artefakten umgehen. Und das sind nun gleich zwei Beziehungen zu diesem Roman: Einerseits ist einer der Protagonisten, nämlich Max, Archäologe und andererseits zeigen sich während des Wochenendes an einem See in der Uckermark Risse in den Beziehungen der Freunde.

Max und der Künstler Reik sind seit zwanzig Jahr ein Paar und feiern dieses Jubiläum gemeinsam mit einem früheren Lover Reiks, der nun eine Tochter hat, die er gemeinsam mit den anderen beiden Männern erzieht. Welch eine seltsame, interessante Konstellation!

Meine Meinung:

Sprachlich ist das Buch ein Highlight. Die Sprachlosigkeit der vier Personen wird zur Kunst. Allerdings frage ich mich, warum sich nicht einer der drei Männer ein Herz fasst, und die schwelenden Konflikte anspricht. Ach ja, es sind ja Männer, die sprechen über Gefühle nicht.

Wir Leser dürfen an den Gedanken der einzelnen Personen teilhaben. Nicht einmal habe ich mir gedacht „Spuck`s doch endlich aus!“. So plätschert die Handlung ohne rechte Höhepunkte dahin. Dabei könnte doch, ganz im Sinne des Titels, die Beziehung wie ein Keramikgefäß zerbrechen und wieder gekittet werden.

Leider konnten mich weder die Charaktere noch die Geschichte als solches fesseln. Allein die schöne Sprache ist beeindruckend.

Fazit:

Diesem ruhigen Roman über Beziehungen und Zwischenmenschliches gebe ich drei Sterne.

Veröffentlicht am 06.08.2022

1919 - Jahr der Frauen?

1919 - Das Jahr der Frauen
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Unda Hörner beleuchtet in diesem Buch das Leben verschiedener, vornehmlich deutscher Frauen im Jahr 1919.

Die Idee, die Ereignisse jeweils nach den Kalendermonaten zu sortieren hat mir ausnehmen gut ...

Unda Hörner beleuchtet in diesem Buch das Leben verschiedener, vornehmlich deutscher Frauen im Jahr 1919.

Die Idee, die Ereignisse jeweils nach den Kalendermonaten zu sortieren hat mir ausnehmen gut gefallen. Was mir weniger gut gefallen hat, ist die Tatsache das Alma Mahler-Gropius (später dann Alma Mahler-Werfel) sage und schreibe in 10 (zehn!) Monaten vorkommt. Alma Mahler-Gropius ist eine egoistische Frau, die für andere bzw. nachfolgende Frauen genau gar nichts getan hat. Ihr ganzes Bestreben kreist um Alma Mahler-Gropius. Der Rest der Welt ist ihr egal.

Dabei gäbe es in Österreich andere Ereignisse und interessante Frauen, die im Jahr 1919 von Bedeutung sind: Adelheid Popp, Maria Tusch, Hildegard Burjan und weitere sieben Frauen ziehen in diesem Jahr erstmals ins Parlament ein. Frauen werden endlich zum Studium an der Technischen Hochschule, Tierärztlichen Hochschule, Hochschule für Bodenkultur, zu den Rechts- und Staatswissenschaftlichen Studien und zur Hochschule für Welthandel zugelassen. Da braucht es die exzentrische Alma nicht.

Der Schreibstil selbst ist locker und flüssig. Die einzelnen Personen können natürlich nur angerissen werden.

Was ich vermisse: Quellenangaben und weiterführende Literatur.

Fazit:

Wer gerne einen kurzen Überblick über das Jahr 1919 aus Frauensicht haben möchte, ist hier richtig. Für mich ist die Suppe ein wenig zu dünn, daher nur 3 Sterne.

Veröffentlicht am 02.08.2022

Für mich persönlich nicht viel Neues

Marlene Dietrich
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Eine Frau ist, was sie aus sich macht.

Ich war sehr gespannt auf diese Biografie von Marlene Dietrich. Vor allem der Untertitel „Die Kleider ihres Lebens“ hat mein Interesse geweckt.


In elf Kapitel, ...

Eine Frau ist, was sie aus sich macht.

Ich war sehr gespannt auf diese Biografie von Marlene Dietrich. Vor allem der Untertitel „Die Kleider ihres Lebens“ hat mein Interesse geweckt.


In elf Kapitel, deren Überschriften sich auf Marlenes Modestilen beziehen, wird der Werdegang des Mädchens aus gutem Hause zur Diva erzählt. Hier kommt es da und dort zu Längen, weil über diverse Querelen mit Schauspielerkollegen oder Regisseuren berichtet wird.

Die maßgeschneiderten Kleider spielen zwar in Zusammenhang mit Dietrichs Filmen eine gewisse Rolle, aber nicht übermäßig. Es sind wohl einige Fotos sowie Skizzen aus den Couture-Ateliers abgebildet. Hier hätte ich mir doch mehr erwartet.

Während die große Marlene Nazi-Deutschland den Rücken kehrt und gegen das Unrechtsregime auftritt, ist ihre Schwester Elisabeth mit einem Nazi verheiratet. Die beiden betreiben im KZ Bergen-Belsen ein Kino für Wehrmachtsangehörige und leben inmitten des Grauens ein bequemes Leben. Dies ist der Autorin gerade einmal einen halben Satz wert.

Aufgefallen ist mir, dass die Autorin als Quelle vor allem die Biografie von Marlene Dietrichs Tochter, Maria Riva, für dieses Buch heranzieht. Manche Stellen sind wortwörtlich übernommen.

Es scheint, als hätte ich überzogene Erwartungen gehabt, denn ich habe nicht allzu viel Neues erfahren. Wer einen Anstoß braucht sich mit Marlene Dietrich zu beschäftigen, ist hier richtig. Wer mehr über die Person, die hinter der Modeikone steckt, lesen möchte, muss zu anderen Büchern greifen.

Fazit:

Wer gerne eine Mischung aus Biografie und Mode lesen möchte, ist hier richtig. Ich habe nicht mehr viel Neues erfahren, daher nur 3 Sterne.

Veröffentlicht am 31.07.2022

Ein Mann, der es mit der Wahrheit nicht genau nahm

Fürst der Füchse
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Walt Disney ist auf der ganzen Welt bekannt, Rolf Kauka weniger. Bodo von Hechelshammer hat nun eine Biografie des Selfmademan und Verlegers geschrieben.

Der Autor zeichnet ein ziemlich einseitiges und ...

Walt Disney ist auf der ganzen Welt bekannt, Rolf Kauka weniger. Bodo von Hechelshammer hat nun eine Biografie des Selfmademan und Verlegers geschrieben.

Der Autor zeichnet ein ziemlich einseitiges und unsympathisches Bild des Mannes, der Comics wie „Fix & Foxi“ und „Bussi Bär“ (die mir am geläufigsten sind) in Deutschland salonfähig gemacht hat.

Rolf Kauka (1917-2000) kommt in dieser Biografie nicht sehr gut weg. Er ist nicht der Märchenonkel Rolf, als der er sich gerne selbst bezeichnete, sondern ein knallharter Emporkömmling, der es mit der Wahrheit nicht gar so genau nimmt, vor allem was seine Zeit während der NS-Diktatur betrifft. So schmückt sich der gelernte Drogist mit einem erfundenen Doktortitel. Er jammert in den Jahren nach 1945 herum, dass er als bekennender Nazi und hochdekorierter Soldat von den Amerikanern keine Erlaubnis zur Gründung eines Verlages erhält. Mit dieser mangelnden Selbstreflexion auf seinen Beitrag während des Unrechtsregimes steht er nicht alleine da. Und prompt findet er auch Gleichgesinnte.

Dem Leser wird allerdings, und das ist ein großer Kritikpunkt an dieser Biografie, äußerst detailreich jede Flak-Stellung und/oder Munition mitgeteilt (um nicht zu sagen zugemutet). Diese Aufzählung liest sich wie ein Kriegstagebuch, verschweigt aber trotzdem Wesentliches. Diese Passagen hätten doch gestrafft werden können.

Wenn der Titel dieser Biografie „Fürst der Füchse“ heißt, ist der passend und auch gleichzeitig unpassend gewählt. Passend, weil sich der Selfmade-Millionär wie ein Feudalherr seinen Untertanen verhält. So ist er zum Einem, ganz Kind seiner Zeit maßlos enttäuscht, dass ihm seine erste Frau „nur“ drei Töchter geboren hat. Als wenn das, das alleiniges Verschulden der Frauen sei, bei dem Männer keinen Anteil hätten. (Nun ja, das kenn ich aus eigener Familie.) Zum anderen verhält er sich zu seinen Mitarbeitern mehr als schäbig. Teilweise keine Fixanstellung, gibt deren Ideen als seine aus etc. etc.. Unpassend, weil zum Enstehungsprozess der Füchse - meiner Meinung nach - viel zu wenig erzählt wird. Aber, vielleicht ist dies auch nicht ordentlich überliefert.

Rolf Kaukas Verdienst ist es, Comics in Deutschland salonfähig gemacht zu haben. Allerdings hat er dazu auch gnadenlos bereits bekannte Figuren und Texte kopiert und für deutsche Verhältnisse adaptiert. Hier ist vor allem „Bambi“ zu nennen, dem er sein „Kizzi“ gegenüberstellt. Er nimmt starke Anleihe bei der Geschichte des österreichischen Schriftstellers Felix Salten alias Siegmund Salzmann, der diesen Roman 1922 geschrieben hat und der 1942 von Walt Disney verfilmt worden ist. Ob Kauka die jüdische Herkunft Saltens bekannt war?

Autor Bodo von Hechelshammer ist Mitarbeiter beim BND sowie Historiker, was sich in dieser Biografie deutlich niederschlägt. Ihm stehen sichtlich zahlreiche Quellen zur Verfügung, die vielleicht sonst nicht an die Öffentlichkeit gekommen wären. Ob die Familie Kauka wirklich alles diese Details gerne veröffentlicht gesehen haben wollte, wie es im Klappentext steht?

Der Schreibstil ist trocken und stellenweise wie ein Bericht aus Akten. Das verwundert mich ja nicht, wenn man die Vita des Autors kennt.

Dieses Buch enthält eine Menge Fotos von Rolf Kauka, aber nur wenige Skizzen und Entwürfe zu seinen Comic-Figuren. Außerdem fehlen mir die Sichtweisen seiner Mitarbeiter und Weggefährten. Die sind vermutlich nicht (mehr) zu bekommen, da die Biografie mehr als 20 Jahre nach seinem, Kaukas, Tod erscheint.

Fazit:

Die Biografie eines überaus ehrgeizigen, unsympathischen Menschen, der es mit der Wahrheit nicht so genau nahm und dem sich alle Menschen in seiner Umgebung unterzuordnen hatte. 3 Sterne.