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Venatrix

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 26.12.2019

Eine Familiengeschichte

Haltet euer Herz bereit
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Maxim Leo ist ein 1970 in Ost-Berlin geborener Journalist, der seine Familiengeschichte erforscht hat und dabei Ähnlichkeiten mit der DDR entdeckt hat. Er bezeichnet sein Familie als „DDR im Kleinen“. ...

Maxim Leo ist ein 1970 in Ost-Berlin geborener Journalist, der seine Familiengeschichte erforscht hat und dabei Ähnlichkeiten mit der DDR entdeckt hat. Er bezeichnet sein Familie als „DDR im Kleinen“.

Sowohl der Großvater väterlicher als mütterlicherseits haben sich der DDR verschrieben, wenn auch aus völlig unterschiedlichen Motiven. Der eine entwickelt sich vom jüdischer Flüchtling zum Partisanen in Frankreich, der andere ist ein Mitläufer im Nazi-Regime. Die Erfahrungen beider in der Diktatur lassen sie auf den neuen deutschen Staat hoffen. Erst die Kinder und Enkel lassen ihre Zweifel am Arbeiter- und Bauernstaat aufkommen. Die Bindung an die Ideale der DDR wird von Generation zu Generation schwächer. Es ist schwer zu begreifen, dass der Staat befindet, wer eine höhere Schulbildung bekommen darf, und wer nicht.

Witzig finde ich diese Sequenz:
Mit siebzehn spielt Maxim Leo mit seinen Berufsschulkollegen „Westler“. „Unser Westen ist ein Land, in dem die Menschen gut angezogen sind, bequeme Autos fahren, wo es überall so riecht wie im Intershop. Das völlige Gegenteil der grauen Ärmlichkeit, die Anti-DDR.“

Meine Meinung:

Im Gegensatz zu vielen anderen Büchern über die DDR rechnet Maxim Leo nicht mit dem Regime ab. Er beschreibt in eindringlichen Worten, wie sich eine gute Idee in die falsche Richtung entwickelt hat. Er schildert die Hoffnungen und die Enttäuschungen, die der Staat geweckt und dann nicht erfüllen konnte.

Einiges kenne ich schon aus seinem aktuellen Buch „Wo wir zu Hause sind“.

Sein amüsanter Schreibstil lässt die Seiten nur so dahin fliegen. Obwohl er auch über die Schattenseiten der DDR berichtet, ist sein Buch nicht wertend. Ebenso verzichtet er auf die oft übliche „DDR-Romantik“ und „Schwarzmalerei“. Der Autor lebt nach wie vor in Berlin.


Fazit:

Die gelungene Darstellung einer vergangenen Lebensweise ohne DDR-Romantik oder Schwarzmalerei. Gerne gebe ich für dieses Familiengeschichte, die sich über drei Generationen zieht, 5 Sterne.

Veröffentlicht am 25.12.2019

Fesselnd bis zur letzten Seite

Nebeljagd
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In diesem zweiten Fall erhält Dr. Linn Geller wieder ein Mandat zu einer Pflichtverteidigung. Sie soll Johann Haug verteidigen, der verdächtigt wird, seine Pflegemutter ermordet zu haben. Haug ist schon ...

In diesem zweiten Fall erhält Dr. Linn Geller wieder ein Mandat zu einer Pflichtverteidigung. Sie soll Johann Haug verteidigen, der verdächtigt wird, seine Pflegemutter ermordet zu haben. Haug ist schon mehr als einmal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen: als Einbrecher, Dieb, wegen Körperverletzung und, vor allem das wiegt schwer im aktuellen Fall: als Verdächtiger im Mordfall Vanessa. Die junge Frau wurde vor 20 Jahren ermordet und ausgeweidet vorgefunden. Haug hätte mehr als ein Motiv gehabt, wurde aber aus Mangel an Beweisen vom Gericht nicht verurteilt, von den Dorfbewohnern jedoch schon.

Linn Geller ist nicht ganz von der Schuld oder Unschuld ihres Mandanten überzeugt. Mehrfach zweifelt sie. Sie fühlt sich beobachtet und nach ihrem schweren Unfall, über den die Leser nach wie vor im Unklaren gelassen werden, wirkt sich manchmal paranoid.
Da sie von der Staatsanwaltschaft nicht alle Unterlagen erhält, beginnt sie auf eigene Faust zu ermitteln. Im Dorf stößt sie nicht nur auf eine Mauer des Schweigens sondern auf unverhüllte Aggression gegen Johan Haug, die sich auch gegen sie richtet. Mehrfach gerät sie brenzlige Situationen.

Meine Meinung:

„Nebeljagd“ ist ein passender Titel für das Stochern in den beiden MOrdfällen. Kaum scheint ein wenig Licht in die verworrene Situation zu kommen, wird das sofort wieder hinter einem Nebelschleier versteckt. Auch die Jahreszeit, nämlich der Winter rund um Weihnachten, in dem dieser Krimi spielt, trägt zur gruseligen Atmosphäre bei.

Der Plot ist aufwändig und durchdacht konzipiert. Es kommt keine Minute Langeweile auf. Der Leser kann und muss selbst entscheiden, ob Haug schuldig ist oder nicht. Die Verwicklung der dörflichen Honoratioren ist ziemlich undurchsichtig. Die Autorin führt die Leser lange an der Nase herum, bis die stimmige und doch ein wenig überraschende Auflösung auf dem Tisch liegt.

Gut gelungen finde ich auch das Cover, das einen hohen Wiedererkennungswert der Autorin hat.

Fazit:

„Nebeljagd“ ist ein spannender, aufwändig ausgeklügelter, komplexer Krimi mit vielen unvorhersehbaren Wendungen, in dem nicht alles so ist, wie es scheint. Gerne gebe ich hierfür 5 Sterne.

Veröffentlicht am 22.12.2019

"Schindlers Liste" aus Sicht eines Betroffenen

Der Junge auf der Holzkiste
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Autor Leon Leyson wurde als Leib Lejzon 1929 in Polen geboren und gehörte zu jenen jüdischen Arbeitern, die von Oskar Schindler gerettet wurden. In diesem Buch berichtet er vom Lageralltag, der Todesangst, ...

Autor Leon Leyson wurde als Leib Lejzon 1929 in Polen geboren und gehörte zu jenen jüdischen Arbeitern, die von Oskar Schindler gerettet wurden. In diesem Buch berichtet er vom Lageralltag, der Todesangst, die ständig quälte und von seinem Helden Oskar Schindler.

Leon Leyson trug die Nummer 289. Er war auf Schindlers Liste verzeichnet. Mehr als 1.000 Juden waren auf dieser Liste eingetragen und konnten so gerettet werden. Als 13-jähriger arbeitete Leon in der Emailwarenfabrik von Oskar Schindler. Man nannte ihn den Jungen auf der Holzkiste, weil er auf Grund seiner geringen Körpergröße, auf eine Holzkiste steigen musste, um die Maschinen bedienen zu können.

Das Buch ist in 10 Kapitel gegliedert und mit Prolog, Epilog und Nachwort sowie einigen privaten Fotos des Autors und seiner Familie versehen.

Auch wenn es Berichte, Dokumentationen, Filme und wissenschaftliche Arbeiten zur Nazi-Zeit, in Hülle und Fülle gibt, es ist doch immer wieder etwas Berührendes die persönliche Erlebnisse „aus erster Hand“ zu lesen. So hat der Autor seine Lebensgeschichte in Schulen und Universitäten erzählt, auf dass diese Gräueltaten niemals vergessen werden. Denn die Zeitzeugen, Betroffene wie Beteiligte, werden nicht mehr lange unter uns weilen.

Leon Leyson verstarb Anfang 2013. Die Veröffentlichung seiner Lebensgeschichte erlebte er leider nicht mehr.

„Wer ein einziges Leben rettet, der rettet die ganze Welt." - Die Überlebenden dieser Liste schenkten ihrem Retter Oskar Schindler einen Ring aus Zahngold, in dem dieser Spruch eingraviert ist.

Fazit:

Eine beeindruckende Biografie, die in keiner Schulbibliothek fehlen sollte. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Veröffentlicht am 22.12.2019

Porträt einer fast vergessenen Künstlerin

Charlotte Salomon
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Anlässlich des 100. Geburtstags von Charlotte Salomon am 16. April 2017 rückt diese Biografie von Margret Greiner erstmals die vielen Bilder der jüdischen Malerin in den Blickpunkt. Zuvor hat das kurze ...

Anlässlich des 100. Geburtstags von Charlotte Salomon am 16. April 2017 rückt diese Biografie von Margret Greiner erstmals die vielen Bilder der jüdischen Malerin in den Blickpunkt. Zuvor hat das kurze Leben der Malerin Stoff für einen Roman (David Foenkino), Filme und eine Oper (Regie Luc Bondy) geboten.

Penibel, wie es Margret Greines Arbeitsweise ist, hat sie sich auf die Spurensuche nach Charlotte Salomon begeben.

Wer ist sie nun, diese Charlotte Salomon?

Charlotte ist ein typisches Kind ihrer Zeit: 1917 in die bürgerliche Welt eines jüdischen Arztes in Berlin hinein geboren. Aufgewachsen mit der Lüge, dass ihre Mutter an der Grippe verstorben wäre. Eines der zahlreichen Kindermädchen weckt in Charlotte die Lust, zu zeichnen und zu malen. Später wird der Vater die Sängerin Paula heiraten. Der latente Antisemitismus, der in Deutschland herrscht führt dazu, dass Charlotte die Schule kurz vor dem Abitur abbricht. Die Kunsthochschule wird sie dann ebenfalls ohne Abschluss verlassen.

Als die Nazis 1933 an die Macht kommen, teilt die Familie Salomon das Schicksal der meisten jüdischen Familien: Ausgegrenzt, verspottet und ihrer Besitztümer beraubt. Die Großeltern sind rechtzeitig nach Frankreich emigriert und leben auf dem Anwesen der Ottilie Moore.

Charlotte reist widerwillig zu ihren Großeltern. Der Selbstmord ihrer Großmutter und die Internierung im Lager Gurs stürzt CHarlotte in eine tiefe Krise. Denn hier, im französischen Exil, erfährt sie von ihrem Großvater, dass es in ihrer Familie bereits acht Suizide gegeben hat. Ihre Mutter war auch eine dieser Selbstmörderinnen. Sie muss einfach malen, um nicht verrückt zu werden. In den Jahren 1940-1942 malt sie rund 1.300 Bilder, die einem Tagebuch ähnlich, ihre Geschichte zeigen.

Im Juni 1943 heiratet Charlotte Salomon den österreichischen Emigranten Alexander Nagler. Im Herbst werden sie von Spitzeln der Vichy-Regierung verraten und nach Auschwitz deportiert. Charlotte ist schwanger und wird vermutlich noch am Ankunftstag ermordet. Ihr Mann stirbt 1944 an den Folgen der unmenschlichen Bedingungen.

Meine Meinung:

Margret Greiner ist wieder eine eindrucksvolle Biografie gelungen. Sie nähert sich behutsam, aber bestimmt der Malerin an. Die Stimmung in Berlin der Zwischenkriegszeit ist authentisch wiedergegeben. In klaren, präzisen Worten beschreibt sie das kurze Leben der Charlotte Salomon und ihr beeindruckendes Werk. Ihre Bilder sind von Malern wie Matisse, Picasso oder van Gogh inspiriert. Dennoch hat sie einen eigenen, eindrucksvollen Malstil, den man ihr fast nicht zutraut. Sie malt wie besessen, als wenn sie wüsste, dass ihr nicht mehr viel Zeit bliebe.

Gleich zu Beginn der Biografie finden wir einige der Gouachen aus jenem Konvolut, das Charlottes Eltern Ottilie Moore abgekauft haben. Im Anhang finden die Chronologie von Charlotte Salomons Leben und Literaturhinweise.

Fazit:

Eine gelungene Biografie einer fast vergessenen Künstlerin. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Veröffentlicht am 21.12.2019

Verwirrend und fesselnd - echt Hardinghaus

Die Schatten von Norderney
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Dieser zweite Krimi rund um KHK Carsten Kummer ist wieder komplex, vielschichtig und vor allem irreführend!

Der Prolog deutet an, dass wir wieder über ein Verbrechen lesen werden, das mehr als 200 Jahre ...

Dieser zweite Krimi rund um KHK Carsten Kummer ist wieder komplex, vielschichtig und vor allem irreführend!

Der Prolog deutet an, dass wir wieder über ein Verbrechen lesen werden, das mehr als 200 Jahre zurückliegt. Doch wie es der Autor so hinterhältig anlegt, spielt diese Geschichte vorab einmal keine Rolle.

Vielmehr kommt dem Seelenzustand von Carsten Kummer große Bedeutung zu. Nachdem im ersten Fall Gesa, seine ehemalige Schulfreundin und Mutter seiner kleinen Tochter Leefke als mehrfache Mörderin überführt worden ist, leidet er an einer posttraumatischen belastungsstörung, die er vor seinen Kollegen geheim halten möchte. Die Therapiesitzungen absolviert er mehr als widerwillig, aus Angst davor, noch einmal manipuliert zu werden.

Doch dann scheint ein Serienmörder, der bereits begangene Morde nachstellt, auf Norderney sein Unwesen zu treiben, und Carsten Kummer muss ermitteln ....

Meine Meinung:

Ich mag sie, die verdrehten Kriminalgeschichten von Christian Hardinghaus! Nichts ist wie es scheint! Unerwartete Wendungen, Sidesteps und ein Blick auf ein anderes Buch des Autors („Schlehmils Schatten“) rücken in den Fokus des Lesers. Der kann nicht sicher sein, was ist nun echte Ermittlungsarbeit oder was ist nur in Carstens Kopf verborgen.

Selbst gute Kollegen werden unter diesem Aspekt zu Verdächtigen. Christian Hardinghaus ist es wieder meisterhaft gelungen, die Leser an der Nase herumzuführen. Ein Charakter bei dem es mich ziemlich gruselt, ist der Therapeut Freesemann, in dessen Familie noch dazu Leefke als Pflegekind aufwächst. Dem traue ich nicht wirklich über den Weg.

Erst ganz zum Schluss schließt sich der Kreis zum Prolog, der gleichzeitig Clilffhanger für einen nächsten Fall sein wird.

Fazit:

Dieser Thriller ist kein üblicher „whodunit“ mit wilden Verfolgungsjagden oder ähnlichem. Wer hier einen typischen Krimi mit „Tat - Täter - Polizei - Aufklärung“ erwartet, wird enttäuscht sein. Es ist eben anders als es scheint. Gerne gebe ich 5 Sterne.