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Veröffentlicht am 11.09.2024

Herrliche Sprache, interessantes Thema mit ein paar Längen

Die Bilder meines Vaters
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Im Nachwort zu diesem Buch schreibt die Autorin, sie wäre glücklich, wenn die Leser „diesen Roman als Ausgangspunkt nehmen, um mehr über die historischen Personen sowie ihre Zeitgeschichte zu erfahren“. ...

Im Nachwort zu diesem Buch schreibt die Autorin, sie wäre glücklich, wenn die Leser „diesen Roman als Ausgangspunkt nehmen, um mehr über die historischen Personen sowie ihre Zeitgeschichte zu erfahren“. Ich kann jedenfalls für mich vermelden, daß dieses Ansinnen auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Ich wußte vor dem Buch gar nichts über Marie Luise Vogeler oder ihr Familienumfeld, auch wenn mir über Worpswede einiges bekannt ist. Nun habe ich dank Astrid Goltz eine Reise in eine für mich ungewohnte, anschaulich geschilderte Welt gemacht. Marie Luise Vogelers Leben wird sehr stark durch ihren Vater und ihren Ehemann definiert – nicht einmal der Titel dieses Buches gehört ihr. Dass es vorwiegend ihre Beziehungen zu anderen sind, die ihre Geschichte ausmachen, lässt sie manchmal etwas blass wirken, führt aber andererseits auch dazu, dass hier viele interessante Perspektiven dargestellt werden.

Marie Luise fungiert in diesem Buch als Ich-Erzählerin im oft genutzten Muster der zwei Zeitebenen. Ihre von Krankheit erfüllten letzten Lebensjahre in Mexiko sind die Rahmenhandlung, vor der sie ihr Leben erzählt. Der Schreibstil ist hervorragend, ich habe ihn sehr genossen. Ich fand es ganz wunderbar, wie gekonnt die Autorin mit Sprache umgeht, und hoffe sehr, daß das nicht ihr letztes Buch sein wird. Unerfreulich fand ich lediglich, daß sie am Anfang, in den Kinderjahren Marie Luises, ganze Unterhaltungen auf Plattdeutsch schreibt. Das geht an manchen Stellen über ganze Seiten und ist für jemanden, der mit diesem Dialekt nicht vertraut ist, äußerst beschwerlich zu lesen und teils schlichtweg nicht verständlich. So sehr ich es befürworte, im Sinne der Authentizität ein wenig Dialekt einzubringen, sollte sich das im Rahmen halten. Hier war es irgendwann so, daß ich diese langen Passagen überspringen mußte, weil ich sie so gut wie unleserlich fand.
Auch die jetzt so beliebten Genderdoppelungen wie „Künstlerinnen und Künstler“ oder „Saarländerinnen und Saarländer“ fand ich wenig angebracht. Ganz abgesehen davon, daß diese die Lesefreundlichkeit beeinträchtigen, sind sie hier nicht authentisch, weil mit der Erzählstimme einer Frau geschrieben wird, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lebte, in der solche Doppelungen nicht verwendet wurden. Wenn als Ich-Erzählerin geschrieben wird, dann sollte das auch stimmig sein.
Ganz wundervoll fand ich dagegen das stetige Einweben von Farben in den Text. Das ist herrlich authentisch und erinnert uns daran, daß Marie Luise als Malerin die Welt in Farben sah, auf Farben achtete, auch paßt es ausgezeichnet zum Titel und Motiv des Buches. Es wirkt völlig natürlich, wie diese Farben immer wieder Eingang in den Text finden und ich hatte beim Lesen viel Freude daran.

Das Erzähltempo ist gemischt. Die erste Hälfte fand ich teilweise ziemlich langatmig, was vor allem an den ausführlichen Kindheitserlebnissen mit allerlei Spielen, den o.e. Unterhaltungen auf Platt und vielen berichteten Details lag, die ich für das Gesamtbild nicht notwendig fand. Im Nachwort las ich dann, daß die meisten dieser Aspekte von der Autorin erfunden wurden. Sie erklärt im Nachwort gut, was belegbare Informationen sind; was zwar nicht explizit belegt, aber schlüssig ist, und was reine Erfindung von ihr ist. Hier war ich teilweise etwas befremdet. So hat Marie Luise im Buch eine Fehlgeburt, die sich im Nachwort als fiktiv herausstellt. Das überschreitet bei einer Romanbiographie über eine tatsächliche Person für mich persönlich die Grenzen.
Auch wird allerlei Mystisches in den Romantext verwebt. Beim Lesen irritierte es mich, daß Marie Luise häufiger von ihren Konversationen mit Katzen berichtete. Im Nachwort stellte sich heraus, daß es keine liebenswerte Marotte der tatsächlichen Marie Luise war, sondern ebenfalls reine Erfindung, um „die magische Seite ihrer Kindheit sowie ihre Imaginationskraft“ zu betonen. Das hätte man gerade in einem künstlerischen Haushalt doch etwas weniger überspannt und für die Leser nachvollziehbarer lösen können.
Recherchiert wurde allerdings insgesamt ganz ausgezeichnet, auch das erkennt man sowohl am Nachwort wie auch an der umfangreichen Quellenangabe. Einiges habe ich schon im Internet nachgelesen und stellte fest, wie farbig und gut die Ereignisse im Roman berichtet werden. Man lernt durch die Lektüre auf unterhaltsame Weise eine ganze Menge und man bekommt durch die hervorragende Sprache einen gelungenen Einblick in die Welt der Künstler, der Kommunisten, der Emigranten. Marie Luises Krankheit wird gerade zum Ende hin sehr eindringlich und berührend geschildert. Ganz zum Schluss finden sich dann noch einige Fotos von Marie Luise, was mir gut gefiel.

Insgesamt kann das Buch gerade durch die Sprache und das ungewöhnliche Sujet überzeugen – es gibt unzählige Bücher über deutsche Schicksale in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, aber die Kombination aus den hier geschilderten Themen, zudem mit wahrem Hintergrund, findet sich eher selten und eröffnet interessante Blickwinkel.

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Veröffentlicht am 09.09.2024

Erzählweise und Inhalt passen für mich nicht zusammen

Aus dem Haus
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Vom Anfang dieses Buches war ich begeistert. Miriam Böttger schreibt flott und mit herrlich trockenem Humor, dazu noch sehr treffend. Enervierend wurden allerdings zunehmend die Bandwurmsätze, derer sie ...

Vom Anfang dieses Buches war ich begeistert. Miriam Böttger schreibt flott und mit herrlich trockenem Humor, dazu noch sehr treffend. Enervierend wurden allerdings zunehmend die Bandwurmsätze, derer sie sich im Übermaß bedient. Ich mag lange Sätze, aber hier wurde es übertrieben, was mir im zweiten Teil des Buches besonders stark auffiel.

Ich erkannte beim Lesen so vieles wieder – die „Zeitangst“ der Mutter, die ich erschreckend gut nachempfinden kann, aber auch die Macht, die Familie über uns ausüben kann, und die oft so weit geht, daß man gänzlich ungesunde Muster als völlig normal betrachtet, weil man damit aufgewachsen ist, oder schlicht resigniert hat, weil man weiß, man kann sich nicht daraus befreien. Auch die Mutter, die durch ihr Verhalten Mann und Tochter geradezu manipuliert, kennen wohl viele Leser so oder ähnlich. (Erst nachher stellt sich heraus, dass dieses Verhalten keineswegs nur das einer Drama Queen war, wie uns der Anfang glauben läßt.) Insofern hatte dieses Buch anfänglich noch viele Aha-Momente, die zudem noch gut geschildert waren. Ich freute mich nach dem ersten Kapitel richtig auf die weitere Lektüre.

Allerdings läßt das Buch dann leider nach. Mich störten unnötige ausführliche Einschübe, so eine Abhandlung über die Kasseler und das Autofahren oder überhaupt mehrere der ziemlich arrogant klingenden Darstellungen der Kasseler oder kontemplativen Einschübe, weil diese zur Geschichte nichts beitrugen. Auch der am Ende noch schnell auf zwei Seiten geschilderte Lebenslauf einer Freundin der Mutter war von einer Informationsfülle, die schlichtweg nicht relevant war. Die „Was möchte uns die Autorin damit eigentlich sagen?“-Momente kamen mir in diesem Buch doch zu häufig.
Und letztlich war das auch das Grundgefühl des ganzen Buches: was möchte die Autorin mit dieser Geschichte eigentlich sagen? Warum hat sie sie geschrieben? Das Buch wirkt insgesamt unentschlossen. Es ist keine humorige Darstellung, wie man nach dem ersten Kapitel glauben könnte. Das Geschehen ist dunkel, denn das Verhalten der Familie geht weit über die kleinen Macken hinaus, die man von den meisten Familien kennt – hier liegt starke Dysfunktionalität vor, gerade bei der Mutter deutet alles auf eine tiefe, unbehandelte Depression hin. Und das wäre als Geschichte interessant gewesen, aber dafür ist es zu lapidar und oberflächlich erzählt und der trockene Humor, die Darstellung der Eltern als lächerlich wirken vor diesem Hintergrund unpassend. Ist es eine Abrechnung? Dagegen spricht das letzte, liebevolle Kapitel.
„Es ist, was es ist“, schreibt die Autorin als Schlusssatz, der entgegen ihrer Ankündigung, schlecht bei Schlusssätzen zu sein, durchaus gelungen ist. Und genau so hat sie ihre Geschichte auch erzählt – sie berichtet die Geschehnisse, die mit Verlauf des Buches zunehmen skurriler werden, einfach so. Es ist ein größtenteils emotionsloser Bericht über tief verstörende Handlungsweisen, die anscheinend einfach von allen als gegeben hingenommen werden. Erst im letzten Kapitel dringt die Traurigkeit der Tochter über das vergeudete Leben der Eltern durch, wendet sich die Erzählweise von ihrem manchmal genervten Unterton ab.
Auch erfahren wir seltsam wenige Hintergründe. Mit dem Umzug der Familie nach Kassel scheinen im Wesen der Eltern ungute Dinge hervorgebrochen zu sein, und jeder der beiden leidet auf eigene Art sehr stark. Aber auch das scheint als gegeben hingenommen zu werden, was in einer – dysfunktionalen –Familie durchaus der Fall sein kann, für Leser aber unbefriedigend und verwirrend ist. Kassel ist furchtbar und das titelgebende Haus die Hölle, darüber sind sich Vater, Mutter, Tochter aus irgendwelchen Gründen einig, nur für die Leser ist es nicht nachvollziehbar.

Und so mäandert man beim Lesen durch allerlei Erlebnisse und wartet irgendwie auf eine Auflösung, eine Erklärung, auf irgendetwas, das erklärt, was die Autorin mit diesem Buch eigentlich sagen möchte. War ich am Anfang noch fasziniert, einen so unverstellten, teils humorvollen Blick in jene Schwierigkeiten zu bekommen, mit denen viele Familie auf ihre Art zu tun haben, fand ich die weiteren Vorgänge so befremdlich und dunkel, daß sie nicht mehr zur Erzählweise paßten. Auch diese Thematik hätte mich sehr interessiert, dann aber mit mehr Tiefe und einigen Erklärungsansätzen. So passen Erzählweise und Geschichte für mich schlichtweg nicht zusammen.

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Veröffentlicht am 24.08.2024

Tolle Sprache, aber langatmig und oft klischeehaft

Unsere Jahre auf Fellowship Point
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Der Anfang des Buches hat mich richtiggehend verzaubert. Das lag vor allem an dem gekonnten, fabelhaften Umgang mit Sprache, aber auch an der farbigen Erzählweise. Wir befinden uns an einem Wintertag in ...

Der Anfang des Buches hat mich richtiggehend verzaubert. Das lag vor allem an dem gekonnten, fabelhaften Umgang mit Sprache, aber auch an der farbigen Erzählweise. Wir befinden uns an einem Wintertag in der Wohnung der Protagonistin Agnes und ich konnte es geradezu vor mir sehen, ganz in die Szene eintauchen. Außerdem sprach mich an, dass mein ehemaliger Wohnort Philadelphia einer der Handlungsorte und Agnes eine Autorin ist. In vielerlei Hinsicht also ein höchst vielversprechender Anfang. Die Einblicke in Agnes‘ Autorenleben waren spannend und ich freute mich auf mehr davon. Auch auf die Geschichte der beiden ungleichen Freundinnen Agnes und Polly war ich gespannt.

Das Buch ist hochwertig und ansprechend gestaltet – der farbenfrohe Einband ist ein Hingucker und das herrliche Papier ist auch haptisch eine Freude. Ich habe bei Romanen selten eine so schöne Papierqualität erlebt. Auch die Übersetzung ist fast durchweg gelungen. Allerdings konnte ich es kaum fassen, dass eine der zwei erfahrenen Übersetzerinnen den sehr plumpen Fehler begangen hat, „overhear“ mit dem absolut nicht zutreffenden „überhören“ zu übersetzen, und es dann weder ihr noch irgendjemandem beim Korrektorat oder Lektorat aufgefallen ist, dass der so übersetzte Satz „Mrs. Blundt hatte Telefonate mit Ärzten überhört …“ im Zusammenhang keinerlei Sinn ergibt. Auch war ich etwas befremdet, wie oft „Sie“ als Anrede fälschlich klein geschrieben wurde, und dass man beim Insel Verlag die Regeln, wann man „Oh“ und wann „O“ schreibt, entweder nicht kennt oder nicht beachtet, denn das wurde dort, wo ein „O“ anstelle eines „Oh“ hinkommt, konsequent falsch gehandhabt.

Während ich es anfänglich genoss, Agnes und Polly sowie ihre sehr unterschiedlichen Welten kennenzulernen, begann mich etwa ab Seite 100 der berichtartige, langatmige Erzählstil zu enervieren. Farbige Szenen, bei denen wir so unmittelbar dabei sind wie am Anfang, sind in diesem Buch ausgezeichnet, aber leider eher selten. Das meiste wird leider auf diese dialoglose, berichtartige Art herunterzählt, die Szenen die Unmittelbarkeit und das Leben nimmt. Die Autorin schreibt zwar durchweg in der gekonnten Sprache, die mir gleich gefiel, und dieser Aspekt blieb auch eine Freude, aber ansonsten konnte ich ihrem Schreibstil mit jeder Seite weniger abgewinnen. Das Buch hat über 700 Seiten und ich fand etwa die Hälfte davon entbehrlich. Es wird ausgesprochen detailreich erzählt und auch gerne sinniert. Agnes erwähnt am Ende, sie würde so gerne mal ein Buch schreiben, in dem sie der Welt ihre Meinungen zu diversen Themen mitteilen könnte, und ich glaube, genau das hat die Autorin mit diesem Buch getan – leider nicht zu dessen Gewinn. Man merkt immer wieder den leicht erhobenen Zeigefinger, und auch eine ziemlich männerfeindliche Version des Feminismus (in der die Frauen genau das machen, was sie den Männern so gerne vorwerfen) scheint ständig unangenehm durch; so bei herablassenden Sätzen wie „Er will Aufmerksamkeit, wie alle Männer“ oder „Männer haben die schlechte Angewohnheit, sich ohne Fakten eine Meinung zu bilden. (…) Sobald sie das Wesentliche verstanden haben, wollen sie mitreden“ oder der allgemeinen Darstellung der meisten männlichen Charaktere. Was insbesondere dann ein gewisses Glashaus-und-Steine-Gefühl wachruft, wenn Polly ihrem Mann vorwirft, er habe eine „beschränkte Wahrnehmung von Frauen“. Auch dass Agnes im Amerika des 21. Jahrhunderts mehrfach nervös wird, weil Frauen für manche Meinungen/Wahrnehmungen „schon verbrannt worden“ waren, mutet überzogen und konstruiert an.

Die Geschichte selbst schleppt sich ziemlich zäh dahin. Es gibt gleich mehrere interessante Handlungsstränge, so die Überlegung, wie Fellowship Point nun „gerettet“ wird; Agnes‘ Autorenleben und ihre Zusammenarbeit mit der jungen Lektorin Maud, Pollys innere Entwicklung und Selbstbehauptung. Diese fließen träge durch das Buch, versickern zwischendurch immer mal wieder, werden von anderen Dingen überlagert und wirken manchmal regelrecht ziellos. Interessante Aspekte werden oft kurz abgehandelt, Irrelevantes dagegen breit ausgewalzt. Es werden so viele Charaktere hineingeworfen, dass z.B. bei Pollys Familie viele Namen auch bloß das blieben – Namen, die nicht mit Leben gefüllt wurden. Andere Charaktere waren mir zu klischeehaft, was leider auch Agnes und Polly betrifft. Agnes fand ich zudem größtenteils so unangenehm arrogant, besserwisserisch und schroff, dass es mir irgendwann keine Freude mehr machte, über sie zu lesen. Auch Polly blieb lange Zeit hindurch eine reine Schablone (wurde dann aber interessanter) und ihr ältester Sohn ist ein eindimensionales Klischee.

Durch diesen langatmigen, mäandernden Erzählstil interessierte mich das Buch mit jeder Seite weniger, es verlor sich einfach zu sehr in sich selbst. Zum – ebenfalls leblos berichtartig geschilderten – Ende hin baut die Autorin dann eine völlig absurde Wendung ein, die mich nur noch den Kopf schütteln ließ und zudem reichlich süßlich daherkam. Das Buch überzeugt durch gekonnte Sprache und vielversprechende Ansätze und Themen, aber die Umsetzung sagte mir leider nur in sehr geringen Teilen zu.

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Veröffentlicht am 12.08.2024

Der vielversprechende Anfang verpufft in zäher Langatmigkeit

Und dahinter das Meer
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Laura Spence-Ash erzählt in diesem Buch eine ungewöhnliche Geschichte, die anfänglich einen richtiggehenden Zauber entfaltet. Der Schreibstil der Autorin ist bildhaft und sanft, lädt dazu ein, sich von ...

Laura Spence-Ash erzählt in diesem Buch eine ungewöhnliche Geschichte, die anfänglich einen richtiggehenden Zauber entfaltet. Der Schreibstil der Autorin ist bildhaft und sanft, lädt dazu ein, sich von der geruhsam erzählten Geschichte treiben zu lassen. Ich habe dies in der ersten Hälfte des Buches genossen – jedenfalls überwiegend. Leider bedient sich Spence-Ash eines der unangenehmsten Stilmittel überhaupt: sie benutzt keine Anführungszeichen bei wörtlicher Rede. Nur in einem Abschnitt in der Mitte des Buches werden diese benutzt und es ist erstaunlich, wie viel angenehmer und lebendiger dieser Abschnitt dadurch wirkt. Im restlichen Buch wird die wörtliche Rede lediglich durch kursive Schrift gekennzeichnet, auch auf neue Zeilen beim Wechsel des Sprechers verzichtet die Autorin unerklärlicherweise. So fließen die Dialoge ohne Unterscheidung ineinander und man liest in einer Zeile z.B.: Fang nicht wieder an. Was denn. oder: Versuch nicht, auf Teufel komm raus erwachsen zu werden. Ich bin kein Junge mehr. In beiden Fällen soll das einen Dialog darstellen.
Zwar ist der Text nicht so komplex, daß man lange grübeln muß, wo eine wörtliche Rede aufhört und die Antwort anfängt, aber nichtsdestotrotz beeinträchtigt es den Lesefluss. Ich werde nie verstehen, warum Autoren zu diesem überflüssigen und albernen Mittel greifen, und ich habe noch keinen einzigen Text gesehen, der dadurch gewonnen hätte. Dieser Text hat dadurch in mehrerlei Hinsicht gewaltig verloren. Abgesehen von der Beeinträchtigung des Leseflusses und der Lesefreude wirkt die Erzählung dadurch leblos, blass. Das wirkt sich auch auf die Charaktere aus, denen es so ebenfalls an Leben und Eindringlichkeit fehlt. Ich habe immer wieder gemerkt, wie viel stärker die Szenen ohne Dialoge wirken und wie sehr die Dialogszenen durch die fehlenden Anführungsstriche abfallen.

Und so bleiben die Charaktere leider auch größtenteils blass, was sicher auch an dem allgemein eher berichtsartigen Schreibstil liegt. Dieser ist zwar keineswegs unangenehm, abgesehen von den fehlenden Anführungsstrichen hat er etwas erfreulich Eigenes, beschwört außerhalb der Dialogszenen die Szenen oft gelungen herauf. Er ist leise und auf diese leise Art oft sehr berührend. Leider aber gleitet das Geschehen meistens emotionslos an den Lesern vorbei. Gefühle werden beschrieben, nie gezeigt (Spence-Ash scheint kein Fan von „show, don’t tell“ zu sein), die Charaktere werden oft nur angerissen, Konflikte nur angedeutet, um dann zu verpuffen. Wir erleben die Charaktere nur selten, sondern sie werden uns berichtet. Trotzdem liest sich diese leise Erzählung durch ihr interessantes Sujet in der ersten Hälfte des Buches meistens erfreulich. Wir erfahren recht vignettenhaft über Beatrix‘ Jahre in den USA, fern von ihren Eltern, und wir sehen, wie sich diese lange Trennung während solch prägender Jugendjahre auf sie und ihre Eltern auswirkt, erleben auch, wie sie ihrer Gastfamilie immer näher kommt. Sogar die Elternpaare nehmen auf eine ungewöhnliche Weise mittels eines Schachspiels Kontakt zueinander auf, und so spinnt die Autorin ein zartes Geflecht aus allerlei Beziehungen und man ist gespannt, wie es sich entwickeln wird.

Dann kommt ein zeitlicher Sprung in die 1950er. Dadurch werden leider einige interessante Aspekte, die im ersten Teil angerissen wurden, nicht mehr aufgegriffen und Dinge, deren Auflösung ich gespannt erwartete, verpufften einfach. Dafür wurde dieser 1950er-Abschnitt auf andere Weise spannend (und gewann durch die hier verwendeten Anführungszeichen bei wörtlicher Rede enorm an Echtheit und Unmittelbarkeit). Hier fühlte ich am meisten mit, war am meisten involviert und genoss die Lektüre am meisten.

Und dann … fällt das Buch für mich erheblich ab. Wir springen erneut, in die 1960er, und es folgt Seite auf Seite zäher Alltäglichkeit. Es passiert so gut wie nichts und die wenigen Entwicklungen versinken in langatmigen, unendlich wirkenden Erzählungen über Alltagsroutine. Hier machte sich auch bemerkbar, daß einige der Charaktere schlichtweg nicht ausreichend angelegt waren – sie interessierten mich nicht genug, um ihnen bei ihrer täglichen Routine zu folgen. Die Beziehung zwischen Beatrix und der amerikanischen Familie wird hier etwas künstlich weitergeführt, der gesamte Abschnitt wirkt eher gequält, als ob die Autorin nicht so richtig wüßte, womit sie die Seiten füllen solle, bis das nächste relevante Ereignis eintritt. Alles zieht sich dermaßen, daß das einschneidende Ereignis mich kaum noch berührte. Ich konnte auch die Handlungen der Charaktere immer weniger nachvollziehen. Und so verlor mich das Buch in der zweiten Hälfte mit jeder Seite mehr. Das Ende überzeugte mich nicht – die vielversprechenden Ansätze der ersten Hälfte wurden meiner Meinung nach leider einfach verschenkt.

Die erste Hälfte hatte etwas Besonderes und war angenehme Lektüre, die zwar leicht ist, aber dennoch Substanz hat. Die zweite Hälfte war für mich ein Beispiel dafür, wie man eine vielversprechende Idee ins Nichts zerfließen lassen kann.

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Veröffentlicht am 11.08.2024

Gute Ansätze mit persönlichem Bezug

Weil Erfolg nicht das ist, was du denkst
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Monika Sattler stellt in ihrem Buch auf sehr persönliche Weise ihr Erfolgs-Modell vor. Das Büchlein ist hat etwas über 100 Seiten Text und ist mit 29,99 € äußerst deftig bepreist, was entsprechend hohe ...

Monika Sattler stellt in ihrem Buch auf sehr persönliche Weise ihr Erfolgs-Modell vor. Das Büchlein ist hat etwas über 100 Seiten Text und ist mit 29,99 € äußerst deftig bepreist, was entsprechend hohe Erwartungen weckt.

Diese konnte das Buch jedenfalls für mich nur eingeschränkt erfüllen. Von der visuellen Gestaltung her ist es durchschnittlich: ein ansprechend unaufdringlicher Einband, ein aufgeräumt strukturierter Inhalt ohne aufwändige Gestaltung. Abbildungen gibt es sehr wenige, sie sind zweckdienlich, etwas altbacken.
Bei einem eingefügten Foto hat der Verlag (dem auch mehrere Tippfehler durchgerutscht sind) leider nicht auf den Buchsatz geachtet; mitten im Text findet sich da eine halbleere Seite. Das hätte man durch eine leichte Verkleinerung des Fotos oder eine entsprechende Positionierung von Bild und Text sehr leicht verhindern können. Ich lese zahlreiche Sachbücher zu diversen Themen und Bücher dieser Preisklasse kenne ich mit mehr Umfang, höherer Papierqualität und/oder visuell aufwändigerer Gestaltung.

Man kommt leicht in den Text hinein, die Autorin beginnt gelungen mit ihrer eigenen Geschichte und zeigt dabei gleich, dass zahlreiche der gängigen Annahmen über Erfolg Irrtümer sind und man dem konventionell-engen Erwartungsmuster, welches vielen unter dieser Prämisse auferlegt wird, keineswegs entsprechen muss, um Erfolg zu haben. Es ist erfreulich und wichtig, dass jemand so konsequent mit derlei Thesen aufräumt. Durch ihre eigene Geschichte ist Monika Sattler der lebende Beweis für ihre Aussagen, was bei der Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft nur hilft. Überhaupt sind ihre Erfahrungen ermutigend.

Wenig erfreulich fand ich dagegen den Schreibstil. Er fließt zwar recht locker dahin, weist aber leider vieles auf, was mir die Lektüre regelrecht verleidete. Das ist zum einen das distanzlose Duzen, das aber verschmerzbar gewesen wäre. Unangenehmer fand ich das häufige Denglisch. Ich bin zweisprachig aufgewachsen, habe in den USA studiert und in insgesamt drei Ländern gewohnt und gearbeitet, immer im internationalen Umfeld, also habe ich keine Berührungsängste bei englischen Begriffen. Auch gibt es Fälle, in denen diese griffiger sind oder sich schon lange eingebürgert haben. Bei Sattlers eigenem Modell, das auf sechs englischen, mit P beginnenden Worten aufbaut, ist es verständlich, dass dann auch diese englischen Begriffe verwendet werden. Aber leider ist es damit nicht getan. Den Lesern strömt eine ganze Flut an unnötigen englischen Wörtern entgegen, die keinerlei sprachlichen Vorteil haben, sondern nur um ihrer selbst gebraucht werden. Da ist man „busy“ oder „geflasht“, man denkt über die „company culture“ nach und verlässt seine „comfort zone“ sowie seine „bubble“ und hat „outcomes“, und natürlich darf auch das grauenvoll eingedeutschte „okay damit sein“ nicht fehlen. Das klingt alles schon gesprochen höchst albern, auch wenn es mittlerweile üblich ist. In einem Sachbuch verschriftlicht ist es ein Graus und wirkt nicht professionell. Auch einige Satzstellungen scheinen dem Englischen entlehnt (z.B. „Meine (…) Challenge hat begonnen mit der Idee …“). Hinzu kommen mittlerweile ebenfalls übliche Kunstwörter wie „Betrügende“, „Mitarbeitende“, sogar „Arbeitgebende“, und auch mal das doppelt gemoppelte „weibliche Mitarbeiterinnen“.

Eine weitere Sache, die ich unerfreulich fand, waren die zahlreichen Wiederholungen – insbesondere wenn man die Kürze des Buches bedenkt. Einige Dinge werden zur Einprägung wiederholt, Sattler schreibt einmal selbst: „Und vieles hast du bereits gelesen.“ Das erfüllt, auch wenn es nicht jedermanns Geschmack ist, seinen Zweck. Allerdings sollte man das auf die relevanten Punkte beschränken. Ich hatte beim Lesen ständig das Gefühl: „Das habe ich doch gerade schon einmal gelesen“ und damit lag ich auch richtig, z.B. bei fast gleichlautenden Sätzen wie „Es gibt so viel Ablenkung in der Welt“ (S. 42), „Wir leben in einer Welt mit so vielen Ablenkungen“ (S. 47) und „Wir leben in einer Welt stetiger Ablenkungen (S. 68). Auch viele Absätze drehen sich im Kreis, indem immer wieder dieselbe Aussage wiederholt wird. Als eines von vielen Beispielen: „Heutzutage ist jeder busy. (…) Konstant etwas tun zu müssen scheint en vogue zu sein. Wir müssen uns ständig beschäftigen. Einmal nichts tun (…) scheint unmöglich.“ Vier aufeinanderfolgende Sätze mit exakt derselben Aussage und leider kein Einzelfall.

So war die Lektüre für mich aus mehreren Gründen keine Freude. Das ist insbesondere deshalb bedauerlich, als der Inhalt lesenswert ist. Es sind grundlegende Ansätze, die mir persönlich wenig Neues brachten, aber gerade aufgrund meiner eigenen Erfahrungen kann ich sagen, dass es nützliche Ansätze sind. Ich gebe zu, ich hatte mir Tiefgreifenderes erwartet, aber das war meine subjektive Erwartung. Das Buch liefert das, was der Klappentext verspricht, und wird für Leser, die bei diesem Thema eine erste Orientierung suchen, sicher hilfreich sein. Durch den bereits erwähnten persönlichen Bezug der Autorin ist das, was sie darlegt, glaubhaft und überzeugend. Auch ist es ermutigend, dass sie erfolgreich ist, ohne den „gängigen“ Weg genommen zu haben. Genau solche Geschichten sind es, von denen man viel öfter hören sollte und die vielen Mut machen werden.

Es gibt zahlreiche wertvolle Gedanken, die auch dann hilfreich sind, wenn man sie eigentlich schon kennt – hier werden sie klar formuliert, bekräftigt und auf praktische Situationen angewandt. Das Buch hilft enorm dabei, selbstsabotierende Glaubenssätze infrage zu stellen und abzulegen. Es zeigt, was wirklich zählt und was viel irrelevanter ist, als man oft denkt. Es zeigt auch, dass man nicht annähernd so perfekt sein muss, wie man oft glaubt. Wer von außen oder durch sich selbst von einem unrealistischen Erwartungsdruck gequält wird, findet hier eine Menge Unterstützung und Erhellendes. Diese Informationen kommen nicht nur als graue Theorie, sondern mit reichlich praktischen Beispielen aus vielfältigen Situationen daher, was ebenfalls ein Pluspunkt ist. Eine hervorragende Idee war es, die sechs Schlüsselfaktoren am Ende des Buches auch auf ganz normale Alltagssituationen anzuwenden. Dies illustriert nicht nur das, was die Autorin schon am Anfang des Buches eindringlich vermittelt, nämlich dass Erfolg eine höchst persönliche Angelegenheit ist, sondern zeigt auch, wie vielseitig nützlich eine Einstellung ist, die sich von Selbstsabotage befreit und sich außerdem praktisch anwendbare Schritte angeeignet hat.

So ist das Buch trotz des zumindest für mich oft unerfreulichen Schreibstils informativ und nützlich. Es enthält sehr viel, was man allgemein verinnerlichen sollte, und viel, was einem konkret in zahlreichen Situationen helfen kann. Mir ist bewusst, dass die Hauptzielgruppe, die andere Erwartungen an Sprache hat, den Schreibstil positiver betrachten wird als ich. Deshalb runde ich meine persönliche Sternebewertung auf vier Sterne auf. Bei ausgewogenerem Preis-Leistungs-Verhältnis und weniger Wiederholungen hätte es 5-Sterne-Potential.

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