Origineller Fall vor herrlicher Kulisse mit schwieriger Protagonistin
Grenzfall - Der Tod in ihren AugenBei diesem Buch wurde ich hauptsächlich davon gelockt, dass es hier um einen Fall geht, der, wie der Titel schon zeigt, seine Spuren in zwei Ländern hinterläßt und somit ein deutsch-österreichisches Ermittlerteam ...
Bei diesem Buch wurde ich hauptsächlich davon gelockt, dass es hier um einen Fall geht, der, wie der Titel schon zeigt, seine Spuren in zwei Ländern hinterläßt und somit ein deutsch-österreichisches Ermittlerteam zusammenführt. Das hätte Raum für interessante Vergleiche von Ermittlungsarbeit und Mentalität geboten, für unterhaltsame interkulturelle Betrachtungen und Begegnungen. Diese Erwartung wurde leider nicht erfüllt, dazu später mehr.
Wir begleiten hier die junge Oberkommissarin Alexa, die gerade aus Nordbayern in die Bergwelt Oberbayerns versetzt wird, welche nicht unbedingt ihr Fall ist. Es liest sich unterhaltsam, wie sie sich hier an neue Gegebenheiten gewöhnen muß, zugleich ist es eine gute Methode, dem Leser relevante Informationen zu vermitteln, wir lernen die Gegend und ihre Besonderheiten gewissermaßen mit Alexa zusammen kennen. Zusätzlich muß Alexa sich in ein neues Team einfinden und das gleich in leitender Funktion. Das wäre an sich interessant gewesen, aber ich fand es nicht gut umgesetzt. Anscheinend sollte dem Leser vermittelt werden, dass Alexa als Frau in einem fast durchgängig von Männern besetzten Team ihre Probleme hat, allerdings ist es vor allem Alexas Verhalten, das problematisch ist. Sie fällt schnell und unbegründet negative, oft abwertende Urteile über andere, wirft dem männlichen Kollegen genau den Ehrgeiz vor, den sie selbst hat und sieht überall Affronts, während sie sich manchmal mehr mit der Reviermarkierung als den Ermittlungsarbeiten beschäftigt. Das ließ mich lange nicht mit Alexa – immerhin der Protagonistin – mitempfinden, passte nicht zu dem, was uns vermittelt werden sollte, und überlagerte stellenweise das Fallgeschehen zu stark. Dies gibt sich allmählich, wird von der Erzählweise etwas differenzierter, was dieser Komponente der Geschichte von Anfang an gut getan hätte.
An sich ist der Schreibstil aber sehr angenehm. Man kommt sofort rein, es liest sich erfreulich und das Erzähltempo hat mir fast durchweg sehr gefallen. Ich habe mich sehr über die realistisch und fundiert geschilderte Ermittlungsarbeit gefreut, die ohne künstlich rasante Szenen und unwahrscheinliche Zufälle auskommt. Hier gibt es auch mal Sackgassen, es wird mal etwas übersehen, es werden Spuren verfolgt, Leute verhört – ich fand es sehr angenehm, dies ohne unnötige Effekte zu lesen und fand es nie langweilig. Ebenfalls erfreulich: es gibt zwar Privatkram der Ermittler, wie es bei Serien wohl unvermeidbar ist, aber er überlagert die Geschichte nicht und ist nur selten zu ausführlich geschildert. Im Mittelpunkt stehen Fall und Ermittlungen. Schade ist es, wie bereits erwähnt, dass die Deutschland-Österreich-Komponente kaum eine Rolle spielte. Ein gemeinsames Ermitteln in dem Sinne findet nicht statt, ein Austausch kaum, die Möglichkeiten, die sich aus dieser Konstellation boten, wurden nicht genutzt. Das fand ich enttäuschend, gerade weil diese Komponente in Titel, Klappentext etc. so hervorgehoben wird.
Sehr schön sind dagegen die Beschreibungen der Gegend, welche uns übrigens vorne im Umschlag auf einer schön gestalteten Karte gezeigt wird. Tolle Idee! Ich habe die Berge, die malerischen Städtchen, die beschaulichen Seen regelrecht vor mir gesehen und konnte absolut in die Atmosphäre hineinsinken. Hier wurde mit vielen liebevollen Details gearbeitet, die aber nie zum Selbstzweck werden, sondern die Atmosphäre gelungen unterstreichen. Das klappt auch größtenteils bei den Charakteren, nur vereinzelt gleitet es ein wenig in Klischees ab. – Auch die Fallschilderungen sind gelungen. Der Fall an sich ist bereits ungewöhnlich, geschickt werden hier und da Informationen eingebaut, die etwas beklemmend Grausiges haben. Details und Beschreibungen sind auch hier hervorragend gelungen. Ein besonderes Kompliment dafür, dass es keinen überlangen Showdown gibt und auch nicht die unrealistische, überbenutzte „Täter erklärt Ermittler während des Showdowns ausgiebig und bereitwillig Motivation und Vorgehen“-Szene gibt. Das hat mich wirklich aufjubeln lassen und die Autorin zeigt sehr gut, dass es keine solchen 08/15-Szenen und ellenlange Showdowns braucht, um Spannung aufzubauen. Ihr gelingt dies durch überraschende Wendungen, ein paar Andeutungen, ein paar falsche Spuren und einem letzten Teil, der an Tempo aufnimmt, aber dabei nicht übertreibt. Sehr schön!
Die Fallauflösung selbst hat mich dann leider ein wenig enttäuscht, zum einen, weil einige meiner Erwartungen ziemlich verpufften, zum anderen, weil sie für mich teilweise unstimmig ist. Ganz am Ende geht es dann auch leider nicht ohne wirklich immens großen Zufall und einer Entwicklung, die mir für das Genre und allgemein nicht unbedingt zusagt.
So erfreut „Grenzfall“ mit einem ungewöhnlichen Fall vor herrlicher, durch den Schreibstil absolut zum Leben erweckter Kulisse und angenehmen Realismus sowie dem Verzicht auf billige Showeffekte, auch wenn mich einzelne Aspekte nicht überzeugt haben.