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Veröffentlicht am 13.02.2019

Ein historischer Anfang

Willy Brandt in Erfurt
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Es gibt Moment in der deutschen Nachkriegsgeschichte, die sofort Emotionen hervorrufen, bei denen ein Bild reicht, um sie zu vermitteln. So Brandts Kniefall in Warschau oder Genscher in der Prager Botschaft. ...

Es gibt Moment in der deutschen Nachkriegsgeschichte, die sofort Emotionen hervorrufen, bei denen ein Bild reicht, um sie zu vermitteln. So Brandts Kniefall in Warschau oder Genscher in der Prager Botschaft. Oder eben Willy Brandts Besuch in Erfurt, die jubelnden Menschen, sein Erscheinen am Fenster. Ich war zu der Zeit noch nicht einmal geboren, denke daran aber mit der gleichen Bewegung wie bei Genschers Rede in der Prager Botschaft. Immer, wenn ich in einem Zug sitze, der in Erfurt hält, betrachte ich den „Erfurter Hof“ direkt gegenüber vom Bahnhof, mit dem legendären Fenster. Über Jahre verfolgte ich traurig, wie das Gebäude vor sich hin verfiel. Nun ist es wieder schön hergerichtet und eine große Schrift „Willy Brandt ans Fenster“ erinnert an jenen denkwürdigen 19. März 1970.

Dieses Buch berichtet die Vorgeschichte, den Verlauf und die Nachwirkung des Treffens zwischen Willy Brandt und Willi Stoph, welches selbst keine konkreten Ergebnisse erbrachte, aber den Beginn der deutsch-deutschen Gespräche markiert. Die Vorgeschichte, erste Kontaktaufnahmen und Verhandlungen, nimmt hier mit 180 Seiten einen wesentlich größeren Raum ein als das eigentliche Treffen. Minutiös wird hier berichtet, wer wann mit wem sprach und welche Punkte diskutiert und verhandelt wurden. Dies ist mir manchmal etwas zu ausführlich, mit genauen Zeitangaben, Fahrtrouten, Mittagsmenüs, Arten der Begrüßung und anderem. Dadurch wird einerseits gut aufgezeigt, in welch vorsichtig-angespannter Art diese Vorbereitungen verliefen, welch große Folgen eine kleine Nebenbemerkung haben konnte, manchmal wird es aber inmitten der ganzen Detailverliebtheit ein wenig zäh zu lesen. Dies ist allerdings der einzige kleine Kritikpunkt, den ich an diesem Buch habe. Die gegensätzlichen Erwartungen und Vorgehensweisen der Bundesrepublik und der DDR werden hier hervorragend aufgezeigt (und es scheint fast erstaunlich, daß dieses Treffen überhaupt zustande kam), ebenso wie die Einflußnahme der Sowjetunion und auch die außenpolitische Bedeutung des Treffens. Das ist alles klar und gut erklärt.

Der Abschnitt über das Treffen ist naturgemäß der intensivste, emotionalste. Ich kann bis heute den Ortsnamen „Gerstungen“ nicht ohne Erinnerungen und Emotionen lesen und so war die Beschreibung der Zugreise Brandts, des Grenzübergangs auch aus persönlichen Gründen für mich sehr bewegend. Sehr schön fand ich es, daß das Buch auch auf die emotionalen Aspekte hinter der großen Politik eingeht, Brandts Rührung und auch die Gefühle der begleitenden Mitarbeiter beschreibt. Es hat mich beeindruckt und erfreut, daß auch diese gestandenen Politiker den Anlaß mit großen Emotionen erlebten. Die Atmosphäre während des Treffens ist gut dargestellt, man spürt die Befangenheit und kann förmlich mitfühlen, wie vorsichtig Brandt sich verhielt, wie er jede Bewegung, jede Reaktion genau überlegen mußte. Man sieht die Bilder des Jubels, von Brandt am Fenster und ist sich oft nicht bewußt, was alles dahintersteckt. Interessant und erschreckend auch der Bericht über den Besuch in Buchenwald, als die DDR ausgerechnet diesen Moment des Gedenkens nutzte, um Brandt genau dem Zeremoniell, der „Anerkennungspropaganda“ zu unterwerfen, das er vorher ausdrücklich abgelehnt hatte.

„Mit Repressalien wird gerechnet“

Sehr gut wird beschrieben, welches Nachspiel die Sympathiekundgebungen der Bevölkerung in Erfurt für Willy Brandt hatten. Zuerst beordert das Regime instruierte Staatsjubler zum Bahnhofsvorplatz, so viel Angst hatte es vor der Meinung seiner unterdrückten Bürger, dann wird umgehend damit begonnen, diejenigen, die Brandt zujubelten, zu identifizieren, zu verhaften. Wie gründlich vorgegangen wurde, kann man hier anschaulich lesen, wie überhaupt die Atmosphäre der ständigen Überwachung, der Abhörung und der nervösen Bestrebungen, freie Meinungsäußerung zu verhindern, sehr gut geschildert wird.

So liefert dieses Buch sehr gut geschilderte Hintergrundinformationen; zeigt auf, welche Widerstände und Gegensätze überwunden werden mußten, um diesen ersten Schritt der Annäherung zu machen. Willy Brandt wurde mir hier nicht nur als Politiker, sondern auch als Mensch nähergebracht, wie überhaupt das Buch die sachlichen und menschlichen Aspekte gelungen verbindet. Das propagandistische und starre Vorgehen der DDR, die Angst vor den eigenen Bürgern, um die eigene Macht, ersteht ebenfalls deutlich von den Buchseiten auf. Angesichts all dieser so gut dargebrachten Hintergrundinformationen kann ich die Bilder von Willy Brandt in Erfurt nun auch mit einer ganz neuen Würdigung jener betrachten, die sich für diese Annäherung engagierten.

Veröffentlicht am 10.02.2019

Fulminant

Als das Leben vor uns lag
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"Über den Erinnerungen an die Vergangenheit liegt ein schrecklicher Schatten."

Es gibt Bücher, bei denen man während des Lesens fast ängstlich auf die Seitenzahlen schaut, weil man nicht möchte, daß sie ...

"Über den Erinnerungen an die Vergangenheit liegt ein schrecklicher Schatten."

Es gibt Bücher, bei denen man während des Lesens fast ängstlich auf die Seitenzahlen schaut, weil man nicht möchte, daß sie irgendwann enden. Solch ein Buch ist "Als das Leben vor uns lag". Was für eine unglaubliche Mischung aus Charakteren, Schicksalen, Geschichte!

Von Anfang an ist man ganz in der Geschichte drin. Wir befinden uns in einer spanischen Klosterschule des Jahres 1950. Fünf vierzehnjährige Schulkameradinnen, Freundinnen, spielen ein Pfänderspiel, das zu einer gravierenden Wendung in ihrer Leben führen wird. Die fünf Mädchen sind beeindruckend charakterisiert und die Autorin versteht es meisterhaft, nach und nach Informationen ins Geschehen einzuflechten, durch die wir die fünf besser kennenlernen. Genau dies behält sie auch während des Buches bei, so entblättern sich auf über 300 Seiten allmählich immer neue Aspekte, runden das Bild ständig neu ab. Unvorhergesehene Wendungen gibt es reichlich, alle gekonnt eingebracht. In den ersten Informationen über die Mädchen deutet sich auch schon der geschichtliche Einfluß an - wir befinden uns in Francos Spanien. Ich muß gestehen, daß ich über diese Zeit recht wenig weiß und so gab es viele geschichtliche Informationen, die mich überrascht und entsetzt haben. Ich wußte nicht, wie brutal die Diktatur auch noch nach dem Krieg war, wie groß die Macht des Klerus (sogar ein Frauengefängnis wird von Nonnen geführt). Die Andeutungen und ersten Blicke in das Leben der fünf Mädchen machen also sofort neugierig, der Abschnitt über 1950 endet zudem mit unerklärten Geschehnissen.

Die Geschichte springt vorwärts ins Jahr 1981 und nun ist jeder der fünf, die mittlerweile 45jährige Frauen sind, ein Kapitel gewidmet, welches einerseits die (Rahmen)Handlung weiter fortführt, andererseits aber auch ausführlichere Rückblicke auf das Leben jeder Frau in den Jahren seit 1950 bietet. Die fünf sind sehr verschieden, ihre Erfahrungen entfalten sich zu einem schillernden Panorama Spaniens. Manche sind ausgesprochen interessant, wie Olga, deren Leben absolut leer ist und die nur aus Schein und Selbstbetrug besteht. Obwohl bei ihr am wenigsten passiert, fand ich ihre Geschichte am spannendsten, was an ihrem von der Autorin so wunderbar gezeichneten Charakter liegt. Olga ist kein Sympathieträger, aber sie gehört zu den Unsympathen, über die man gerne liest. Ihre Schwester Marta ist der ruhige See, unter dessen Oberfläche sich viel abspielt. Während Olga uns zeigt, wie das Leben der höheren Tochter verläuft, erfahren wir durch Marta einen interessanten Überblick über die Situation einer berufstätigen Frau jener Jahre. Lola/Lolita dagegen bleibt über das ganze Buch hinweg etwas blaß und ihre Geschichte hat mich nicht so sehr überzeugt. Nina ist hauptsächlich schrille, laute, ordinäre Hülle und die Einzige, bei der sich bis zum Ende hin keine Substanz zeigte. Die fünfte im Bunde ist Julia, damals aufgrund ihrer einfachen Herkunft Außenseiterin und auch jetzt - wenn auch aus anderen Gründen - etwas außen vor. Ihr Schicksal ist am stärksten mit der Geschichte der Franco-Diktatur verwebt und mir stockte beim Lesen oft der Atem.

Es ist kein Buch der dramatischen Geschehnisse - die Handlung selbst findet an zwei Abenden in den Jahren 1950 und 1981 statt und abgesehen von Julias Geschichte sind auch die Lebensrückblicke nicht per se ungewöhnlich. Es sind Dinge, die Frauen dieser Generation - und auch anderer Generationen - häufig erlebten. Ungeplante Schwangerschaft, Vernunftehe, Entfremdung, Bestehen in der Arbeitswelt, Bilanzziehung in der Mitte des Lebens. Und doch kommt bei jeder dieser Frauen noch eine ungewöhnliche, unerwartete Note hinzu, spielt die Geschichte des Landes immer wieder mit hinein. Care Santos berichtet all dies unaufgeregt, manchmal mit einer Prise Humor, die Rückblicke größtenteils ohne Dialoge. Der Stil liest sich angenehm, kurzweilig (abgesehen von einer für meinen Geschmack zu langatmigen Szene im psychiatrischen Krankenhaus). Es gibt ein paar Dialoge, die ich nicht wirklich gelungen fand, ein paar Wiederholungen, aber letztlich habe ich das Buch gebannt gelesen, war gespannt darauf, was als nächstes ans Licht kommen würde, war fasziniert davon, was ich über Francos Spanien lernte. Zu gerne hätte ich diese fünf Frauen noch weiter begleitet, denn auch das Ende bleibt dem Stil des Buches treu und macht neugierig auf weitere angedeute Entwicklungen.

Gerade die Welt von Olga, Marta und Julia hat mir ausnehmend gut gefallen, mich in ihren Bann gezogen. Selten habe ich so viel inneren Anteil an Buchcharakteren genommen und ich kann die so lebensechte, fein gestaltete Charakterbescheibung der Autorin nur noch einmal hervorheben. Ein wahres Leseerlebnis!

Veröffentlicht am 06.02.2019

Zusammenhänge und Hintergründe hervorragend erklärt

Die Besiegten
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Robert Gerwarth hat mit diesem Buch ein detailliertes Werk geschaffen, daß auf eine oft etwas vernachlässigte historische Epoche blickt - die Jahre direkt nach dem Ersten Weltkrieg. Er konzentriert sich ...

Robert Gerwarth hat mit diesem Buch ein detailliertes Werk geschaffen, daß auf eine oft etwas vernachlässigte historische Epoche blickt - die Jahre direkt nach dem Ersten Weltkrieg. Er konzentriert sich auf die Situation den Ländern, die den Krieg verloren haben und unbeschreibliche Umwälzungen, verbunden mit einer erschreckenden Gewaltwelle, durchleben mußten.

Während mir die Situation in Russland relativ bekannt war, ebenso wie natürlich die Lage in Deutschland, wußte ich bislang sehr wenig über die Nachkriegsjahre in der Türkei, Bulgarien, Ungarn, Polen oder selbst Österreich. Insofern konnte ich hier viel lernen, auch wenn mich nicht alle Länder gleichermaßen interessiert haben. Dies ist aber natürlich nicht dem Buch anzulasten. Auch die Geschichte der russischen Revolution habe ich selten so gut erklärt gelesen. Robert Gerwarth gelingt es nämlich ausgezeichnet, Zusammenhänge und Hintergründe klar zu erklären. So bekommt man teilweise einen ganz neuen Blick auf viele Entwicklungen und deren Auswirkungen auf Jahre und Jahrzehnte hinaus - teils bis heute.

Der differenzierte Blick der Autors hat mir sehr gut gefallen. Es hilft dabei, viele Geschehnisse besser einzuordnen und ebenfalls die "andere" Seite zu sehen, zu verstehen. Gerwarth scheut auch nicht davor zurück, vorgebliche Motive und Doppelmoral darzustellen. Präsident Wilson, der das nationale Selbstbestimmungsrecht und moralische Werte publikumswirksam hochhielt, aber dies nur für Weiße relevant hielt und gleichzeitig im eigenen Land Segregation kräftig unterstützte und die ehemaligen Kolonialvölker für unfähig hielt, sich selbst zu verwalten, ist ein gutes Beispiel.

Das spezielle Klima nach dem Krieg, welches der "Gewaltlogik" die Wege ebnete und in einer unvorstellbaren Ausartung von Gewalt mündete, wird ebenfalls gut beschrieben. Es ist immer wieder erschreckend zu lesen, wie beide extremistische Richtungen Gewalt und Terror gegen Andersdenkende (und auch völlig Unbeteiligte) als legitim ansahen. Ebenfalls interessant, wie Mussolinis Taktik der von ihm initiierten Gewalt auf den Straßen, verbunden mit dem Versprechen, daß unter seiner Regierung wieder Ordnung herrschen würde, aufging und von Faschisten anderer Länder - leider erfolgreich - kopiert wurde. Dies alles wußte ich so ungefähr, es wird aber in diesem Buch klar und gut erklärt.

Manchmal waren die Schilderungen etwas zu detailverliebt für meinen Geschmack, gerade auch, wenn Gerwarth die Geschehnisse Land für Land betrachtet. Letztlich ähneln sich die Vorgänge in vielen Ländern sehr, und so liest man für jedes Land ausführlich Ähnliches, was etwas anstrengend ist. Da Gerwarth die Vorgänge thematisch sortiert, springt er zeitlich in den einzelnen Kapiteln manchmal etwas hin und her. Wenn man mit der Geschichte eines Landes nicht so vertraut ist, ist es etwas irritierend, wenn man eben erst ausführlich von den Geschehnissen bis Sommer 1919 liest, und im nächsten Kapitel plötzlich in den Herbst 1918 zurückgeworfen wird. Es gibt keine Zeitleiste, die die Einordnung vereinfacht hätte. So war trotz der an sich klaren Erzählweise das Lesen manchmal etwas mühsam.

Im Ganzen aber überzeugt der Stil, die Informationen sind wertvoll, die Zusammenhänge beeindruckend erklärt. Ein sehr gelungenes Buch.

Veröffentlicht am 05.02.2019

Angenehmer Schreibstil, etwas zerfaserte Geschichte

Die Lichtung (Jan-Römer-Krimi 1)
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Die Geschichte hat mich gleich interessiert: 1986 werden während eines Wochenendes unter Jugendlichen zwei von ihnen umgebracht. Einer dieser Jugendlichen, Jan Römer, ist 27 Jahre später Journalist und ...

Die Geschichte hat mich gleich interessiert: 1986 werden während eines Wochenendes unter Jugendlichen zwei von ihnen umgebracht. Einer dieser Jugendlichen, Jan Römer, ist 27 Jahre später Journalist und soll ausgerechnet über diesen Fall berichten - nun will er endlich herausfinden, was damals wirklich geschah. Das ist eine gute Idee, bringt einen frischen Gesichtspunkt hinein und liest sich auch anfangs sehr unterhaltsam.

Jan Römer begleitet uns als Ich-Erzähler. Man kommt leicht in die Geschichte hinein, der Schreibstil liest sich gut und ist sympathisch. Jan ist ein recht gelungener Progagonist - nicht fehlerlos, sehr menschlich. Seine heutigen Ermittlungen wechseln sich ab mit Rückblicken zur Vorgeschichte und den Geschehnissen 1986. Diese Zeit wird anschaulich berichtet, viele gelungene Details zeichnen ein gutes Bild der Jugend in den 80ern. Jan, mit den typischen Unsicherheiten eines 16jährigen behaftet, wirkt auch hier echt. Der Wechsel zwischen den Zeitebenen funktioniert. Unterhaltsam waren die Gegenüberstellungen der Freunde von 1986 und den Erwachsenen, zu denen sie in der Gegenwart geworden sind.

Die Welt des Gegenwarts-Jan ist ebenfalls anschaulich dargestellt, die lähmende Sommerhitze wird immer wieder (ein wenig zu oft) durch kleine Anmerkungen einflochten und lokale Details zu Köln und der Umgebung machen sich ganz gut, wenn sie auch an mehreren Stellen zu ausführlich geraten. Jans Privatleben überzeugt weniger. Er hat eine Ehefrau und einen Sohn, die schon im Urlaub sind und darauf warten, daß er nachkommt. Er kommuniziert mit seiner Frau in gelegentlichen Telefongesprächen, die nicht besonders interessant sind und die Geschichte eher unterbrechen als weiterbringen. Die wacklige Ehe bringt eine unnötige Komponente in die Handlung und wird halbherzig behandelt. Ich hätte es gelungener gefunden, diesen Punkt entweder richtig zu thematisieren oder (vorzugsweise) ganz rauszulassen.

Zur Unterstützung bei seinen Ermittlungen wendet Jan sich an seine ehemalige Kollegin, die den etwas irritierenden Spitznamen "Mütze" hat (ich mußte mich immer daran erinnern, daß sie eine junge Frau ist, bei dem Spitznamen stellte ich mir einen schluffigen Typen vor). Auch hier ist es etwas halbgar: so richtig viel trägt Mütze zu den Ermittlungen nicht bei und die Freundschaft zwischen den beiden schwankt von Jans Seite her zwischen platonisch und dem Wunsch nach mehr. Auch das ist für die Geschichte nicht wirklich relevant und tröpfelt ab und an ins Geschehen. Wenn Mütze nicht vorkam, hatte ich sie als Charakter auch schon fast wieder vergessen.

Ist das Erzähltempo anfangs noch angemessen, hat es mich nach dem ersten Drittel nicht mehr sonderlich gebannt. Ich habe das Buch zwischendurch eine Woche einfach nicht weitergelesen, und hatte bis zum Ende nie dieses "noch eine Seite, ich muß wissen, was passiert"-Gefühl. Die Geschichte zerfasert sich zu sehr, dann verliert Jan sich in etwas langatmigen Überlegungen zu diversen Themen. Die detaillierte Beschreibung einer Boxhalle, die ausführlichen Abhandlungen zu Musik und insbesondere die Grübeleien zum Thema "früher war alles besser" haben alle zur Geschichte nichts beigetragen und für Zähigkeit gesorgt. Auch in den Rückblicken werden dann manche Dinge detailliert geschildert, die wir schon aus den Gegenwartsszenen wußten.
Dazu kamen dann noch einige etwas billige Schockmomente (à la "da steht jemand in der Ecke und starrt mich an - oh, das ist mein Spiegelbild"). Einer davon ist so wenig plausibel, daß ich mir als Leser verulkt vorkam (ohne zu viel zu spoilern: daß jemand in einer Stadt wie Köln aus Versehen die Wohnungstüre aufläßt, ist schon seltsam. Daß aber ein harmloser Besucher einfach nachts in die Wohnung kommt und sich gemütlich ins Wohnzimmer setzt, während der Wohnungsinhaber im Schlafzimmer schläft, ist schlichtweg absurd). Eine Polizeiverhörszene fand ich in ihrer übertriebenen "good cop - bad cop"-Manier auch eher albern, denn der "bad cop" reagiert so unverhältnismäßig, daß es unglaubwürdig ist.

Am Ende ging es dann auch leider nicht ohne die von wohl 98 % aller Krimis verwendete Szene, in der der Täter den Ermittler mit einer Waffe bedroht und ausführlich seine Taten und Motivationen erklärt. Abgesehen davon, daß das in der Wirklichkeit sicher so gut wie nie vorkommt, ist diese Szene überbenutzt. Gerade da hier die sonstige Geschichte schon angenehm vom üblichen Krimigerüst abweicht, die Beziehungen der Freunde untereinander thematisiert und eine Mischung aus Krimi und Entwicklungsroman bietet, hätte ich mehr erwartet. Wenigstens aber nimmt dieser End-Showdown dann noch eine etwas originellere Wendung.

Jans Verhalten selbst ist an manchen Stellen wenig nachvollziehbar, was aber nicht so störend wirkte wie die o.g. Szenen. Prinzipiell habe ich ganz gerne über ihn gelesen und in einer etwas konzentrierteren Geschichte würde ich auch noch ein Buch mit ihm als Protagonisten lesen, gerade auch weil der Autor einen erfreulichen Schreibstil hat. Hier aber war es mir einfach zu unentschlossen, mit zu vielen Abschweifungen.

Veröffentlicht am 03.02.2019

Unterhaltsamer und informativer Einblick in eine einzigartige Freundschaft

Goethe und Schiller: Geschichte einer Freundschaft
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Hier werden die beiden literarischen Genies ganz menschlich dargestellt. Informativ, fundiert und dabei unterhaltsam - so muss Sachbuch sein.

Auch beim zweiten Lesen war dieses Buch wieder ein reines ...

Hier werden die beiden literarischen Genies ganz menschlich dargestellt. Informativ, fundiert und dabei unterhaltsam - so muss Sachbuch sein.

Auch beim zweiten Lesen war dieses Buch wieder ein reines Vergnügen. Safranski beschreibt die Freundschaft zwischen Goethe und Schiller so lebendig und unterhaltsam, daß es sich wie ein Roman liest. Der Stil ist flüssig, untermalt mit zahlreichen Zitaten, die sich angenehm in den Text einfinden und diesen nicht unterbrechen (wie es bei anderen Sachbüchern leider manchmal vorkommt). Der Autor hält sich selbst angenehm zurück (dies fiel mir gerade im Gegensatz zu den kürzlich gelesenen Büchern "Schillers Doppelliebe" und "Unser armer Schiller" sehr erfreulich auf), läßt Goethe und Schiller aber durch ihre eigenen Aussagen und jene ihrer Zeitgenossen sehr lebendig werden.

Es wird gut beschrieben, aus welchen Motiven und Gedanken die beiden großen Dichter anfangs nicht angetan voneinander waren, wie sie sich annäherten, welche Wirkung dies auf ihr jeweiliges Werk hatte. Auf die zur Zeit der Freundschaft entstandenen Werke geht Safranski jeweils ein und liefert dadurch auch für das Verständnis dieser wertvolle Informationen und Einsichten. Es ist beeindruckend zu lesen, wie sehr sich Goethe und Schiller austauschten, welchen Gewinn - und welches Vergnügen - beide dadurch zogen, wie aber auch Mißerfolge erlebt wurden. Ihre sehr gegensätzlichen Charaktere und Weltsichten werden hervorragend ausgearbeitet und ermöglichen dadurch ebenfalls einen neuen Blick darauf, warum und wie sie vieles taten, sahen, schrieben. Diese Gegensätze führten zur anfänglichen Abneigung, wurden dann aber vorzüglich zum beiderseitigen Vorteil genutzt, was beide auch erkannt haben. Die philosophischen Erläuterungen waren mir manchmal, wie auch in Safranskis Goethebiographie, zu ausführlich, aber das liegt in meinem mangelnden Interesse an diesem Thema begründet.

Nun war diese Freundschaft aber kein reines Zweckbündnis, und auch das wird in diesem Buch sehr angenehm dargestellt - die kleinen gegenseitigen Gesten der Freundschaft, der Sympathie werden anschaulich geschildert und so erfährt man viel nicht nur über die Dichter Goethe und Schiller, sondern auch die Menschen Goethe und Schiller. Es ist eine anschauliche detaillierte Rundumbetrachtung der Freundschaft und der beiden Männer. Wenn Information und Unterhaltung so angenehm verbunden werden, ist es eine Freude, ein Buch zu lesen.