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Veröffentlicht am 28.01.2019

Der tiefe Süden, in bezaubernder Sprache erzählt

Die Grasharfe
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Die Geschichte, die Capote in "Die Grasharfe" erzählt, ist ein wenig skurril. Collin wächst bei seinen Tanten auf, die in ihrem Wesen grundverschieden sind - die rationale, fast schon kalt wirkende, Verena, ...

Die Geschichte, die Capote in "Die Grasharfe" erzählt, ist ein wenig skurril. Collin wächst bei seinen Tanten auf, die in ihrem Wesen grundverschieden sind - die rationale, fast schon kalt wirkende, Verena, die ein gutes Auge für das Geldverdienen hat, und die weltfremde Dolly. Dolly verdient ein wenig Geld mit einer Kräutermedizin, Verena erkennt das Potential dieser Medizin und möchte sie im großen Stil vermarkten. Hier prallen die verschiedenen Lebensansichten der Schwestern aufeinander und Dolly verläßt mit Collin und ihrer Freundin Catherine das schwesterliche Haus und zieht in ein Baumhaus. Hier spielt sich nun allerlei ab, es kommt zu Begegnungen mit ihnen Wohlgesinnten aus dem Ort, leider aber auch immer wieder zu Auseinandersetzungen mit den sogenannten respektablen Bürgern, die in Verenas Auftrag Dolly wieder zurückholen möchten.

Es sind gar nicht so sehr diese äußeren Geschehnisse, die das Buch so besonders machen, sondern die Charaktere, die sich hier entfalten. Capote erweckt sie alle ganz hervorragend zum Leben, flechtet Hintergrundinformationen über sie ein, ebenso wie kleine Details über Aussehen und Charakter - humorvoll, hintergründig, gelungen. So merkt man gerade bei den Hauptpersonen, wie vielschichtig sie sind. Da ist zum Beispiel Riley Henderson, der uns zuerst auf der Jagd begegnet, eine Kette blutiger Eichhörnchen um sich herum geschlungen, und so bei mir schon mal einen denkbar ungünstigen ersten Eindruck hinterläßt. Er wird von Collin mit einer Mischung aus Neid und Bewunderung beschrieben und wirkt auf den Leser zuerst wie ein rauhbeiniger Egoist, aber schon schnell bemerkt man, daß hinter Riley viel mehr steckt und gerade er ist mir dann richtig ans Herz gewachsen. Der vom Leben enttäuschte Richter ist auch hervorragend gezeichnet, der alte Südstaatengentleman, unkonventioneller, als man denken würde, auf bezaubernd unschuldige Weise in Dolly verliebt. Dolly selbst, die zu Beginn arg beschränkt wirkt, sich aber auf eine entrückte Weise als durchaus lebensklug entpuppt.

Auch das kleine Südstaatenstädtchen wird bildhaft geschildert, man sieht sowohl die liebenswerten Leute mit den Werten des Alten Südens, wie auch die bigotten Rassisten, die jede Abweichungen von der Norm verteufeln und verfolgen. Schließlich entdecken wir sogar bei der fast im ganzen Buch recht vage gebliebenen kühlen Verena noch andere Seiten. Es macht Spaß, all diese Charaktere kennenzulernen und dazu schreibt Capote in einer wundervollen Sprache - elegant und humorvoll, scharfsinnig und poetisch. Es ist ein Genuß, eine solche Sprache zu lesen.

Veröffentlicht am 28.01.2019

Eine Stadt wird lebendig

In Almas Augen
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Das Buch sollte nicht als Krimi vermarktet werden, denn das weckt falsche Erwartungen, wie man auch manchen Rezensionen entnehmen kann. Der Brand mit den vielen Todesopfern ist Aufhänger, ist der Punkt, ...

Das Buch sollte nicht als Krimi vermarktet werden, denn das weckt falsche Erwartungen, wie man auch manchen Rezensionen entnehmen kann. Der Brand mit den vielen Todesopfern ist Aufhänger, ist der Punkt, am dem letztlich alles zusammenläuft, aber letztlich ist er Hintergrund. Es geht nicht darum, wer nun für diesen Brand verantwortlich ist. "In Almas Augen" schildert eine kleine trostlose Stadt aus den Augen verschiedener Bewohner, begleitet diese episodenhaft durch ihr Leben. Und dies geschieht auf elegante, mitreißende Weise. Die verschiedenen Blickwinkel erlauben es dem Leser, sich nach und nach ein umfassendes Bild zu machen, Lücken werden gefüllt, Fragen werden beantwortet, Zusammenhänge erschließen sich. In schöner, nie übertreibender, nie plakativer Sprache wird die Stadt mit ihren Leuten zum Leben erweckt, man spürt die Atmosphäre, oft auch die Hoffnungslosigkeit. Die bittere Armut von Alma, ihre Hingabe für ihre Familie, ihre Schicksalsschläge...man spürt es beim Lesen, man fühlt mit. Weniger Schriftsteller können mit so wenigen Worten so überzeugend eine literarische Welt erschaffen. Die Charaktere haben alle echte Persönlichkeit, sind nicht austauschbar, sind nicht einfach nur "gut" oder "böse", sondern wie im wirklichen Leben eine Mischung von beidem. Sie sind echt.

Wer das Buch als Krimi liest, oder wissen möchte, was nun bei dem Brand geschah, wird wahrscheinlich enttäuscht werden. Wer eine kleine Reise in diese trostlose Stadt unternehmen und das zwischenmenschliche Geflecht seiner Bewohner erforschen möchte, der wird das Buch genießen.

Veröffentlicht am 28.01.2019

Briefe wundervoll, Auswahl enttäuschend

Der Briefwechsel
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Bei der Fülle an Briefen, die Goethe und Schiller ausgetauscht haben, schien es mir sinnvoll, ein Buch mit einer Auswahl zu lesen, und angesichts von Safranskis hervorragenden Büchern zu den beiden Dichterfürsten ...

Bei der Fülle an Briefen, die Goethe und Schiller ausgetauscht haben, schien es mir sinnvoll, ein Buch mit einer Auswahl zu lesen, und angesichts von Safranskis hervorragenden Büchern zu den beiden Dichterfürsten war ich sicher, daß er eine solche Auswahl hervorragend treffen würde.

Das Buch beginnt mit einer Einführung Safranskis, in der er die wichtigsten Aspekte und Entwicklungen dieser so einzigartigen Freundschaft darlegt. Wer bereits Bücher von Safranski gelesen hat, wird hier nicht viel Neues finden, für einen neuen Leser ist es aber eine gute Einführung. In seinem gewohnt angenehmen Stil nimmt Safranski auch Stellung zu der Frage, inwieweit diese Freundschaft denn nun wirklich Freundschaft, oder Zweckbündnis war. "Im Mittelpunkt stand die gemeinsame Sache der Literatur, aber von dort aus strahlte die Freundschaft auch auf das übrige Leben aus, wie der Briefwechsel zeigt, wo nicht nur die großen geistigen Themen erörtert wurden, sondern man sich auch das Alltägliche miteilte, Sorgen teilte und Zuspruch gab." Eine Meinung, die ich absolut teile. So machte mir die Einführung auch Hoffnung darauf, daß eben diese Seiten der Freundschaft sich auch in der Briefauswahl finden würden.

Diese Hoffnung wurde leider ein wenig zerstört. Was die "gemeinsame Sache der Literatur" betrifft, hat Safranski viele Briefe oder Briefauszüge mit aufgenommen. Manchmal ist dies zu ausführlich geraden, insbesondere der Austausch zu Wilhelm Meister ist sehr detailliert. Dafür kommt dann der Austausch über Schillers Werke viel zu kurz. Fast gänzlich vernachlässigt ist in der Auswahl "das übrige Leben", die persönliche Seite, und gerade diese hofft man doch bei einem Briefwechsel mehr zu sehen als in den bekannten Werken (zB die Briefe zwischen Schiller und seiner Frau haben mir einen ganz neuen intensiven Einblick in den Menschen Schiller gegeben). Wenn ich bei den hier auszugsweise wiedergegebenen Briefen den Auszug mit der vollständigen Version verglich, stellte ich oft fest, daß gerade die interessanteren persönlichen Stellen gekürzt worden waren. Auch hat Safranski seiner Schwäche für Philosophie wieder etwas zu sehr (für meinen Geschmack) nachgegeben. Philosophische Exkurse, die wir doch in den Veröffentlichungen der beiden häufig lesen können, sind hier mehr berücksichtigt als die menschlichen, alltäglichen Aspekte, die man eben sonst nicht zu lesen, zu erleben bekommt. Insofern fand ich die Auswahl oft wenig geglückt.

Zum Ende des Buches hin werden die Briefe dann leider auch immer weniger. Von 1794 - 1797 kann man Goethe und Schiller anhand der Briefauswahl recht gut durch die jeweiligen Jahre folgen und begleiten. Ab 1798 gibt es die ersten größeren Zeitsprünge, so daß die Briefe oft zusammenhanglos wirken. Ab 1800 sind dann nur noch sehr weniger Briefe mit großen Zeitsprüngen abgedruckt und man verliert den Zugang ziemlich. Sicher werden mit Schillers Übersiedlung nach Weimar 1799 die Briefe kürzer, alltäglicher, wie Safranski in seinem Vorwort auch erwähnt, aber wenn man nur noch 5 Briefe (von über 40 geschriebenen) aus dem Jahre 1801 zu lesen bekommt und ganze 3 (von über 50 geschriebenen!) aus dem Jahre 1803, dann fragt man sich schon, ob hier nicht zu stark ausgewählt wurde. Es gab aus diesen Jahren durchaus viel Lesenswertes in den Briefen. Ich wurde mit fortschreitendem Lesen immer ärgerlicher, wie viel uns hier vorenthalten wurde. Da hat man in einem Jahr eine kurze Bemerkung über Schillers "Maria Stuart", dann kein Wort mehr, bis es dann in einer weiteren Nebenbemerkung in einem späteren Jahr plötzlich um die "Jungfrau von Orleans" geht. Hier fehlt viel zu viel.

Auch was die Anmerkungen betrifft, wäre ab und an mehr besser gewesen. Generell finde ich es gut, daß Safranski die Briefe für sich selbst sprechen läßt und nur ab und an eine erklärende Fußnote einfügt. An manchen Stellen fehlte aber eine solche Erklärung, obwohl sie notwendig gewesen wäre.

Insofern ist mein Fazit, daß die Briefauswahl jedenfalls für meine Erwartungen nicht gelungen ist. Ich werde mir nun die kompletten Briefe als Buch kaufen.

Veröffentlicht am 28.01.2019

Sehr originell und ohne Effektheischerei richtig spannend

Elbspiel
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Bei Elbspiel, dem dritten Buch um Kommissar Philip Goldbergs und seine Kollegen aus der norddeutschen Kleinstadt Kophusen, fällt das gelungene Titelbild sofort ins Auge. Ein Skelett an Schnüren, das hat ...

Bei Elbspiel, dem dritten Buch um Kommissar Philip Goldbergs und seine Kollegen aus der norddeutschen Kleinstadt Kophusen, fällt das gelungene Titelbild sofort ins Auge. Ein Skelett an Schnüren, das hat was Makabres und trotzdem was Amüsantes, was wohl auch daran liegt, daß der Skelettkopf eher freundlich als furchteinflößend wirkt. Diese Mischung paßt sehr gut zum Buch.

Es beginnt bereits mit einem spannenden Prolog, der dann, wie das Titelbild, gut die Stimmung setzt, denn das Buch bleibt bis zum Ende hin spannend. Das ohne Effekthascherei, es fließt kein Blut, es gibt keine dramatischen Verfolgungsjagden, die Spannung speist sich alleine aus einer raffiniert ausgedachten Geschichte mit vielen Ansatzpunkten und Wendungen. Das kann nicht jeder schreiben und alleine dafür schon mal ein Kompliment an die Autorin.

Der Schreibstil ist generell „nordisch reserviert“, was ich sehr angenehm finde. Größtenteils konzentrieren sich die Szenen auf’s Wesentliche, die eingestreuten Blicke ins Kophusener Leben sind unaufdringlich und meistens ohnehin mit dem Kriminalfall verknüpft. So bekommt der Leser eine guten Eindruck dieser kleinen Stadt, ohne daß die Handlung durch langatmige Beschreibungen unterbrochen wird. Das einzig störende Element für mich war dann die unglückliche Liebe des einen Kollegen Hauke. Seine Verliebtheit wird gerade im ersten Kapitel sowohl mehrfach durch die Handlung gezeigt als auch mehrfach kommentiert. Das war generell und auch im Vergleich mit dem sonstigen zurückhaltenden Schreibstil viel zu viel, und auch im weiteren Verlauf des Buches ist dieser Handlungsstrang eher enervierend. Er trägt in gewisser Weise auch ein wenig zur Spannung des Falles bei, aber ohne ihn hätte das Buch nicht gelitten – mir hätte es sogar besser gefallen.

Normalerweise lese ich keine Krimiserien, weil meistens das Privatleben der Ermittler den Kriminalfall zu sehr überlagert. Das war hier aber nicht der Fall. Man kann gut einsteigen, ohne die Vorgängerbände gelesen zu haben. Es gibt immer wieder mal Verweise auf Personen oder Geschehnisse, die man nicht versteht, dies sind aber nur eingestreute Sätze, bei einer Serie zu erwarten, und sie stören den Lesegenuß für den Neueinsteiger nicht. Alle drei Polizisten haben ihr Päckchen zu tragen, insbesondere Goldberg, der Furchtbares durchlebt hat. Dies wird für den Neueinsteiger verständlich vermittelt. Gelungen ist es, daß Goldberg an diesen Geschehnissen verständlicherweise leidet und dies sich auch durch das Buch zieht, allerdings ebenfalls angenehm zurückhaltend und ohne die Handlung zu unterbrechen. Es sind wieder eingestreute Sätze, kurze Szenen und das gefiel mir gut. Man sieht, daß er traumatisiert ist, aber es nimmt nicht so überhand, daß der aktuelle Fall in den Hintergrund gerät. Auch beim Kollegen Peter ist die Einbringung seiner privaten Situation auf diese gelungene Art gemacht. Bei einer solch angenehmen Art lese dann auch ich eine Serie gerne.

Der Fall selbst ist originell und das auf vielerlei Weise. Solche Dinge müssen einem erst mal einfallen! Das ist einfach mal etwas anderes. Die Ermittlungsarbeit ist solide, neue Erkenntnisse werden nachvollziehbar gewonnen, nur einmal kam ein für mich doch etwas zu bequemer Zufall ins Spiel. Es gibt viele Fährten, alle plausibel, und so bleibt man lange im Dunkeln. Auch wenn ich irgendwann eine Ahnung zu Täter und Motiv hatte, war dann der ganze Umfang der Auflösung doch so vielfältig, daß reichlich unerwartete Elemente vorkamen. Ein Teil der Auflösung war mir im Hinblick des Verhältnisses von Motiv und Tat zu wenig plausibel, aber im Großen und Ganzen war alles gut und raffiniert durchdacht.

Angesichts meiner beiden Kritikpunkte – der Hauke-Liebesgeschichte und der teils nicht so plausiblen Auflösung – hatte ich überlegt, ob es trotzdem fünf Sterne sind, oder eher vier. Nun machen aber die gelungenen Aspekte – der angenehme Schreibstil, die Originalität, die Spannung und auch das liebenswerte Kophusen und seine interessanten Bewohner – das Buch zu einem wirklichen Lesevergnügen. Die beiden ersten Bände werde ich mir auch besorgen, mir gefällt diese Welt, die Nicole Wollschläger geschaffen hat und so lesenswert beschreibt.

Veröffentlicht am 28.01.2019

Lebendiger Blick auf die Geschichte

Sternstunden der Menschheit
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Stefan Zweig beschreibt in seinen "Sternstunden der Menschhheit" historische Ereignisse und verleiht ihnen durch detailfreudige Schilderung der Gedanken und Gefühle der Handelnden eine besondere Lebendigkeit. ...

Stefan Zweig beschreibt in seinen "Sternstunden der Menschhheit" historische Ereignisse und verleiht ihnen durch detailfreudige Schilderung der Gedanken und Gefühle der Handelnden eine besondere Lebendigkeit. So bangen wir bei der Belagerung von Byzanz mit den Stadtbewohnern, die wissen, daß sie ein schreckliches Schicksal erwartet und deren letzte Hoffnung auf Rettung grausam zerstört wird. Wir fühlen Händels Verzweiflung angesichts seiner Schaffenskrise, die Frustration der Südpolexpedition von Scott und noch vieles mehr. Zweig versteht es hervorragend, diesen Geschehnissen Leben einzuhauchen, mit einigen dichterichen Freiheiten mitreißend zu schildern. Er zeigt, wie ein Moment Weltgeschichte verändern kann, wenn Napoleon die Schlacht bei Waterloo verliert, weil einer seiner Untergebebenen sich entscheidet, strikt seinen Befehlen zu folgen, nicht seinem Instinkt. Wir lernen skrupellos Menschen kennen, wagemutige Herrscher, Genies, Getriebene und solche - wie den Komponisten der Marseillaise - die eher zufällig Anteil an geschichtlichen Entwicklungen haben. Durch die weite Bandbreite der von Zweig ausgewählten und geschilderten Episoden liest man über eine Vielfalt von Epochen, Ländern und Ereignissen.

Zweigs Sprache ist sehr eigen. So hat er wundervolle Ausdrücke wie "vollsaftige Wut" im Buch, oder kluge Sätze wie "Gewaltherrscher, wenn sie einen Krieg vorbereiten, sprechen, solange sie nicht völlig gerüstet sind, ausgiebigst vom Frieden". Andererseits ist sein Stil auch oft ausgesprochen pathetisch und weitschweifig. Dies ist anstrengend zu lesen und wirkt manchmal viel zu übertrieben. Eine der Episoden ist in Gedichtform geschildert, eine wie ein Theaterstück - das muß man mögen. Ich habe die Prosakapitel vorgezogen. Wenn man über die etwas übertriebenen Stilauswüchse hinwegliest, erhält man aber einen ungewöhnlichen und unterhaltsamen Blick in die Geschichte und die Menschen, die sie formten.