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Veröffentlicht am 28.01.2019

Briefe wundervoll, Auswahl enttäuschend

Der Briefwechsel
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Bei der Fülle an Briefen, die Goethe und Schiller ausgetauscht haben, schien es mir sinnvoll, ein Buch mit einer Auswahl zu lesen, und angesichts von Safranskis hervorragenden Büchern zu den beiden Dichterfürsten ...

Bei der Fülle an Briefen, die Goethe und Schiller ausgetauscht haben, schien es mir sinnvoll, ein Buch mit einer Auswahl zu lesen, und angesichts von Safranskis hervorragenden Büchern zu den beiden Dichterfürsten war ich sicher, daß er eine solche Auswahl hervorragend treffen würde.

Das Buch beginnt mit einer Einführung Safranskis, in der er die wichtigsten Aspekte und Entwicklungen dieser so einzigartigen Freundschaft darlegt. Wer bereits Bücher von Safranski gelesen hat, wird hier nicht viel Neues finden, für einen neuen Leser ist es aber eine gute Einführung. In seinem gewohnt angenehmen Stil nimmt Safranski auch Stellung zu der Frage, inwieweit diese Freundschaft denn nun wirklich Freundschaft, oder Zweckbündnis war. "Im Mittelpunkt stand die gemeinsame Sache der Literatur, aber von dort aus strahlte die Freundschaft auch auf das übrige Leben aus, wie der Briefwechsel zeigt, wo nicht nur die großen geistigen Themen erörtert wurden, sondern man sich auch das Alltägliche miteilte, Sorgen teilte und Zuspruch gab." Eine Meinung, die ich absolut teile. So machte mir die Einführung auch Hoffnung darauf, daß eben diese Seiten der Freundschaft sich auch in der Briefauswahl finden würden.

Diese Hoffnung wurde leider ein wenig zerstört. Was die "gemeinsame Sache der Literatur" betrifft, hat Safranski viele Briefe oder Briefauszüge mit aufgenommen. Manchmal ist dies zu ausführlich geraden, insbesondere der Austausch zu Wilhelm Meister ist sehr detailliert. Dafür kommt dann der Austausch über Schillers Werke viel zu kurz. Fast gänzlich vernachlässigt ist in der Auswahl "das übrige Leben", die persönliche Seite, und gerade diese hofft man doch bei einem Briefwechsel mehr zu sehen als in den bekannten Werken (zB die Briefe zwischen Schiller und seiner Frau haben mir einen ganz neuen intensiven Einblick in den Menschen Schiller gegeben). Wenn ich bei den hier auszugsweise wiedergegebenen Briefen den Auszug mit der vollständigen Version verglich, stellte ich oft fest, daß gerade die interessanteren persönlichen Stellen gekürzt worden waren. Auch hat Safranski seiner Schwäche für Philosophie wieder etwas zu sehr (für meinen Geschmack) nachgegeben. Philosophische Exkurse, die wir doch in den Veröffentlichungen der beiden häufig lesen können, sind hier mehr berücksichtigt als die menschlichen, alltäglichen Aspekte, die man eben sonst nicht zu lesen, zu erleben bekommt. Insofern fand ich die Auswahl oft wenig geglückt.

Zum Ende des Buches hin werden die Briefe dann leider auch immer weniger. Von 1794 - 1797 kann man Goethe und Schiller anhand der Briefauswahl recht gut durch die jeweiligen Jahre folgen und begleiten. Ab 1798 gibt es die ersten größeren Zeitsprünge, so daß die Briefe oft zusammenhanglos wirken. Ab 1800 sind dann nur noch sehr weniger Briefe mit großen Zeitsprüngen abgedruckt und man verliert den Zugang ziemlich. Sicher werden mit Schillers Übersiedlung nach Weimar 1799 die Briefe kürzer, alltäglicher, wie Safranski in seinem Vorwort auch erwähnt, aber wenn man nur noch 5 Briefe (von über 40 geschriebenen) aus dem Jahre 1801 zu lesen bekommt und ganze 3 (von über 50 geschriebenen!) aus dem Jahre 1803, dann fragt man sich schon, ob hier nicht zu stark ausgewählt wurde. Es gab aus diesen Jahren durchaus viel Lesenswertes in den Briefen. Ich wurde mit fortschreitendem Lesen immer ärgerlicher, wie viel uns hier vorenthalten wurde. Da hat man in einem Jahr eine kurze Bemerkung über Schillers "Maria Stuart", dann kein Wort mehr, bis es dann in einer weiteren Nebenbemerkung in einem späteren Jahr plötzlich um die "Jungfrau von Orleans" geht. Hier fehlt viel zu viel.

Auch was die Anmerkungen betrifft, wäre ab und an mehr besser gewesen. Generell finde ich es gut, daß Safranski die Briefe für sich selbst sprechen läßt und nur ab und an eine erklärende Fußnote einfügt. An manchen Stellen fehlte aber eine solche Erklärung, obwohl sie notwendig gewesen wäre.

Insofern ist mein Fazit, daß die Briefauswahl jedenfalls für meine Erwartungen nicht gelungen ist. Ich werde mir nun die kompletten Briefe als Buch kaufen.

Veröffentlicht am 28.01.2019

Der etwas andere Blick auf die Goethezeit

Eine unerhörte Reise in die Goethezeit
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In diesem Buch erfährt der Leser einiges über Themen, die sonst in Büchern über die Goethezeit nicht behandelt werden. Dies geschieht hauptsächlich durch Zitate aus Briefen, Tagebüchern oä der damaligen ...

In diesem Buch erfährt der Leser einiges über Themen, die sonst in Büchern über die Goethezeit nicht behandelt werden. Dies geschieht hauptsächlich durch Zitate aus Briefen, Tagebüchern oä der damaligen Personen im Umkreis Goethes, zwischendurch fügt die Autorin Hintergründe oder Erklärendes ein. Die Autorin selbst schreibt einen angenehm flotten Stil. Die Themen sind so vielfältig wie Blicke auf Ehe und Elternschaft, Krankheit, Alter, Tod, Aussehen, Theater, Religion oder Standesbewußtsein. Hinzu kommen einige Kurzbiographien über damalige Personen und einige Kapitel, die sich speziellen Beziehungen widmen, wie zB der Abneigung von Charlotte von Stein gegen Christiane Vulpius.

Dies liest sich teilweise sehr unterhaltsam und bietet auch jenen, die schon viel über die Zeit gelesen haben, neue Informationen und Einblicke in Menschen, die in gängigen Goethe- oder Schillerbiographien nur am Rande vorkommen. Der Inhalt bleibt sehr an der Oberfläche, dies ist sicher auch nicht anders gewollt, aufgrund so vieler Themen ist nur ein solch allgemeiner Überblick möglich. Trotzdem hätte ich mir an manchen Stellen noch einige erklärende Sätze oder Hintergrundinformationen gewünscht.

Was dagegen völlig überflüssig und schon ärgerlich war, waren die Namenslisten vor jedem Kapitel, in denen eben jeder aufgelistet wird, der in diesem Kapitel vorkommt. Da es aber im ganzen Buch hindurch ohnehin mehr oder weniger die gleichen Personen sind, ist der im Anhang gegebene Gesamtüberblick der Personen völlig ausreichend und die langen, sich wiederholenden Listen vor jedem Kapitel (insgesamt machen diese ca 30 Seiten des Buches aus) überflüssig. Es wirkt wie Seitenschinderei und der Platz hätte viel besser für mehr Kapitelinhalt verwendet werden können.

In den neun Kapiteln mit Kurzbiographien könnte man sicher darüber streiten, warum nun einige hier aufgenommen wurden, andere nicht. Goethe und Schiller in Kapiteln von 6 - 8 Seiten Länge abzuhandeln ist natürlich gar nicht möglich und deshalb wirken diese beiden Kapitel etwas unbefriedigend. Warum es zudem möglich war, Goethe eigenständig zu betrachten, Schiller aber fast nur im Zusammenhang seiner Freundschaft mit Goethe, verstehe ich auch nicht. Es gibt doch in Schillers Leben wirklich genug Eigenständiges.

So lesen sich die Kapitel alle recht unterschiedlich. Einige sind sehr unterhaltsam, lesen sich angenehm. Bei anderen findet eine Zitatparade mit nur wenigen verbindenen Sätzen der Autorin statt, so etwas liest sich für mich immer etwas zusammengestoppelt und ist nicht mein Geschmack - dies ist aber natürlich völlig subjektiv.

Lobenswert fand ich diesen frischen Blick auf die Zeit, die Tatsache, daß ich tatsächlich recht viel Neues erfahren habe und den Stil der Autorin. Das, was mir nicht zugesagt hat, habe ich schon beschrieben, ein weiterer Punkt ist aber auch, daß dieses etwas über 200 Seiten lange Buch (30 Seiten davon sind wie gesagt sich wiederholende Namenslisten) 19,80 Euro kostet, was für das Gebotene schlichtweg viel zu viel ist.

Veröffentlicht am 26.01.2019

Girlie-Gärtnern

Balkon Basics
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Das Titelbild zeigt es ja schon ein wenig - man will möglichst verspielt und locker rüberkommen. Vielleicht bin ich nicht die richtige Zielgruppe, denn mir ging dies nach einer Weile ziemlich auf die Nerven.

Aber ...

Das Titelbild zeigt es ja schon ein wenig - man will möglichst verspielt und locker rüberkommen. Vielleicht bin ich nicht die richtige Zielgruppe, denn mir ging dies nach einer Weile ziemlich auf die Nerven.

Aber der Reihe nach. Das Buch ist schön und hochwertig gestaltet, sehr ansprechend, und es macht Spaß, durchzublättern. Die Fotos sind gut gewählt und ebenfalls angenehm anzusehen, auch ist durch viel Farbe das ganze Buch gut aufgelockert. Ebenfalls gut und informativ: die "Best of"-Übersichten, in denen bestimmte Pflanzengruppen übersichtlich mit Kurzportraits, Pflanz- und Blütezeiten und guten Informationen aufgelistet sind. Übersichtlich und gut gestaltet, wenn auch leider etwas sehr selektiv. Keine Info zu Lavendel, zum Beispiel, und der ist nun wirklich eine beliebte Balkonpflanze.

Und das ist leider auch mein Problem mit dem gesamten Buch - zu manchen Themen fehlen Informationen oder sind nur ein paar oberflächliche Informationen zu finden. Ein Thema, zu dem ich mich ausführlich informieren wollte, war das richtige Zurückschneiden von Pflanzen. Einen kurzen Absatz gab es dazu, während das Setzen von Blumenzwiebeln mit einer Schritt-für-Schritt-Fotoserie gezeigt wird (was auch Schritt für Schritt gezeigt wird ist, wie man die natürliche Form eines Bäumchens in eine unnatürliche runde Kugel verwandelt). Überhaupt wird leider sehr viel Platz auf Dinge verwandt, die für die meisten Balkongärtner nicht so relevant sind: wie man seine Gießkanne mit lustigen Bildchen bemalt, wie man Eier färbt und putzige kleine Bastelarbeiten macht, daß man anstelle von Töpfen auch leere Konservendosen nehmen kann, wie man glamourösen (!) Zucker herstellen kann und Töpfe mit quietschbunten Mosaiksteinchen verziert. Das hat mit Gärtnern nur sehr bedingt etwas zu tun und mag vielleicht für eine kleine Zielgruppe witzig sein, für die meisten aber nur Platzverschwendung in einem immerhin nicht ganz günstigen Buch.

Zu diesem Girlie-Bild paßt dann leider auch der an vielen Stellen gewollt-lockere Schreibstil; alles ist easy (oder sogar super-easy), sexy und Power. Außerdem liest man Stilblüten wie "Chips oder Schoko, Baggersee oder Festival, Brad Pitt oder Hugh Jackman: Das Leben ist voller schwieriger Entscheidungen." Nun bin ich ganz froh, wenn ein Sachbuch nicht staubtrocken daherkommt, aber in diesem Buch wurde es (für meinen Geschmack) doch ein wenig übertrieben mit dem "schaut mal, wie easy und relaxed wir sind" (passend auch zu den Fotos der ausschließlich jungen Frauen).

Wenn der Text sich auf Informationen beschränkt, dann liest er sich gut und flüssig, und es sind auch gute Hinweise und Erklärungen dabei. Schön auch die Tips, wie man viele überteuerte Gartenwerkzeuge/Gerätschaften uä günstig selbermachen kann oder welche günstigen Alternativen es gibt. Ebenfalls interessant das Kapitel über Blumenerde, wie sie zusammengesetzt ist und welche Angaben hier relevant sind. Es steckt also defintiv Wissen in dem Buch und dieses wird auch überwiegend gut vermittelt, wenn mir leider nun manche Dinge (s.o.) fehlten. Man kann anhand des Buches die Grundbegriffe des Balkongärtnerns erfahren und hat auch eine gute Hilfe bei der Auswahl von Pflanzen. Ich persönlich hätte weitere relevante Informationen den putzigen kleinen Ideen vorgezogen, die leider mehr Raum einnehmen, als mir lieb ist. Das ist aber - wie der gesamte Stil des Buches - Geschmackssache. Ich werde mich jedenfalls nach einem etwas umfassenderen Gartenbuch umsehen.

Veröffentlicht am 24.01.2019

Recht unterhaltsamer Krimi mit einigen enervierenden Aspekten

Schandpfahl
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Dieser Krimi liest sich recht unterhaltsam und ist größtenteils flüssig geschrieben. Wir begleiten den jungen Kriminaler Jan bei seinem ersten Mordfall und erleben sein ständiges Zweifeln an seinem eingeschlagenen ...

Dieser Krimi liest sich recht unterhaltsam und ist größtenteils flüssig geschrieben. Wir begleiten den jungen Kriminaler Jan bei seinem ersten Mordfall und erleben sein ständiges Zweifeln an seinem eingeschlagenen Berufsweg. Jan war einst Philosophiestudent und hat sich dieses Interesse an der Philosophie erhalten. Das wird zeitweise etwas anstrengend, wenn wir immer wieder philosophische Exkurse lesen müssen, die nicht unbedingt interessant sind und die Geschichte eher unterbrechen, zusammen mit Erklärungen, die sich ein wenig wie ein Wikipediaeintrag lesen. Jans ständiges Hin und Her, ob er nun Polizist bleiben soll oder nicht, ist ebenfalls etwas anstrengend. Bei jedem Rückschlag will er hinwerfen, bei jeden Erfolg ist er voller Motivation – das nutzt sich ab. Überhaupt scheint er emotional ziemlich überbordend zu sein; nach einigen Tagen mit einer neuen Frau (Krimi ohne Romanze scheint kaum noch möglich) werden schon tiefe Liebeserklärungen gemacht und auch sonst bekommen wir viele starke, für mich teils übertriebene Emotionen und Gedanken mit. Im Klappentext wird er als Schöngeist bezeichnet, ich würde es überspannt nennen.

Der Fall selbst ist recht gut ausgedacht, bringt gute Wendungen mit sich und liest sich auch ganz unterhaltsam. Das Ende war nicht unbedingt mein Geschmack, aber an sich gefielen mir Fall und Hintergründe ganz gut, es war auf der Skala meiner Krimierfahrungen solides Mittelfeld.

Während der Stil gut zu lesen ist und gelegentlicher Humor aufblitzt, fand ich die ständigen Wiederholungen enervierend. Das fängt damit an, daß Jans Kollege ihn in jedem Satz mit Namen anspricht und setzt sich darin fort, daß das bereits Geschehene, welches der Leser ja bereits gelesen hat, nochmal zusammengefaßt wird, oft mehrfach. Dies hat mein Lesevergnügen ziemlich beeinträchtigt.

Im Ganzen hat mir das Buch bei einer Zugfahrt die Zeit ganz unterhaltsam vertrieben, mehr würde ich von diesem Autor aber nicht unbedingt lesen.

Veröffentlicht am 23.01.2019

Eineinhalb spannende Lebensgeschichten und viel zähes Um-sich-Kreisen

Hannas Töchter
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Die Lebensgeschichten drei Generationen schwedischer Frauen verspricht der Klappentext, zusammen mit einem Einblick in die Entwicklung der schwedischen Gesellschaft über zwei Jahrhunderte. Das Versprechen ...

Die Lebensgeschichten drei Generationen schwedischer Frauen verspricht der Klappentext, zusammen mit einem Einblick in die Entwicklung der schwedischen Gesellschaft über zwei Jahrhunderte. Das Versprechen hat das Buch für mich nur etwa zu einer knappen Hälfte gehalten.

Die drei Generationen sind Hanna, die in den 1870er Jahren geboren wird, ihre Tochter Johanna (geboren 1902) und die in den 1930er Jahren geborene Anna. Die Beziehung zwischen der in den 1980ern im Sterben liegenden Johanna und ihrer Tochter formen eine Art Rahmenhandlung, die die drei Generationen verbindet. Die ist an sich eine gute Idee, weil so auch gezeigt werden kann, wie spätere Generationen die Erlebnisse ihrer Vorfahren betrachten, und eine neue Perspektive hineinkommt. Allerdings ist diese Rahmenhandlung und überhaupt alles, was mit Anna zu tun hat, so unglaublich zäh, daß ich das Buch fast schon relativ zu Anfang beiseite gelegt hätte. Anna grübelt und führt belanglose Unterhaltungen, tut belanglose Dinge und mißt ihnen, sowie ihren Gedanken, sehr viel Bedeutung bei. Das zieht sich und ist wenig interessant.

Einen abrupten Aufschwung nimmt das Buch dann mit der Lebensgeschichte von Hanna. In schnörkellos angenehmem Stil wird hier über das harte Schicksal einer wirklich starken Frau berichtet. Im Alter von 12 wird Hanna vergewaltigt, bringt mit 13 ein Kind zu Welt und ist Opfer der Zeit und der engstirnigen Umgebung - sie wird als Hure verunglimpft, ihr Kind als Hurenkind. Stoisch erträgt sie Demütigungen und harte Arbeit und gerade weil dies so lakonisch berichtet wird, ohne großes Drama, ist der Eindruck stark und man kann nur Bewunderung für Hanna empfinden. Als sie aus praktischen Gründen ein Ehe mit John eingeht, der ebenfalls eher aus Pragmatismus heiratet, erleben wir Leser eine interessante vielschichtige Beziehung zwischen zwei Menschen, die die Lasten ihrer jeweiligen Vergangenheit und ihrer Familien tragen und irgendwie zusammenfinden. Es gibt hier keine dramatischen Geschehnisse, es geht um den ganz normalen Alltag - normal für die Zeit und die ländlich-abgeschiedene Gegend - die Sorgen, Ängste, aber auch zaghaften Glücksmomente. Ich fand dieses Alltagsleben sehr interessant zu lesen und habe auch einiges gelernt. Die Charaktere sind hier größtenteils gut gezeichnet, auch hier ohne große Worte, ohne Details, aber man spürt sie.

Nach der Hälfte des Buches ist dieser Aufschwung dann leider auch schon vorbei. Das Witwenleben Hannas wird sehr summarisch abgehandelt, viel gibt es hier auch nicht mehr zu erzählen. Das ist schade, weil ich gerne mehr von Hanna gelesen hätte, aber durch Andeutungen über ihre Tochter Johanna wird eine zweite interessante Lebensgeschichte versprochen - sehr schön ist sie, ungewöhnlich intelligent, sie marschiert mit den roten Fahnen und schafft es, anders als ihre Mutter, sich gegen die versuchte Vergewaltigung ihres Dienstherren, zu wehren. Bevor wir in Johannas Leben eintauchen können, müssen wir erst durch ein weiteres zähes Zwischenspiel mit Anna kämpfen. Anna kreist mit großer Konzentration um sich selbst, was nicht lesenswert ist.

Johannas Lebensgeschichte beginnt unterhaltsam - die Hungerzeit des Ersten Weltkrieges, der allmähliche Aufschwung der 20er Jahre, der Eintritt der modernen Welt, dies alles erlebt sie. Da ich wenig über Schwedens Geschichte weiß, liest sich das gut, wenn mir auch ein wenig Details zum geschichtlichen Hintergrund fehlten. Aber auch das ändert sich leider. Irgendwann heiratet Johanna und ab dann wird es - und sie - banal. Ist das Alltagsleben Hannas noch interessant, so liest sich Johannas Alltag der Gartenarbeit, der Klatschereien mit Nachbarn uä einfach langweilig. Nazizeit und Krieg - Schwedens Haltung im Zweiten Weltkrieg würde viel Material bieten und ich hatte mir auch erhofft, darüber mehr zu lesen - werden rasch abgehandelt (ein historischer Fehler ist mir auch aufgefallen - die abscheuliche Ermordung psychisch Kranker in der Nazidiktatur begann in den Kriegsjahren, nicht bereits in den mittleren 30ern) und auch hier geht es fast nur um Banalitäten. Die Reichhaltigkeit dieses Themas bleibt völlig ungenutzt - sehr enttäuschend.

Ab dann versinkt das Buch im Um-sich-Kreisen von Johanna und Anna. Sie bestärken sich darin, wie unglaublich duldam sie doch sind und feiern diese von niemandem verlangte Duldsamkeit regelrecht, bestärken sich gegenseitig im jahrhundertelangem Leiden der Frauen und suhlen sich in Selbstmitleid über ihre Wehrlosigkeit und Machtlosigkeit, die gar nicht so besteht, wie sie sie sehen. Dies zeigt sich schon sehr gut in einer Szene, in der Johanna ihren Mann mit völlig unbegründeten Vorwürfen überschüttet und dieser den erwachsenen Vorschlag macht, sie könne ja schlichtweg mal mit ihm reden, anstatt sich in ihrer vermeintlichen Unterdrückung zu suhlen. Gerade weil Hannas Lebensgeschichte durch die Stärke Hannas ihre schwierige und oft ungerechte Lebenssituation so gut vermittelte, erscheinen Johanna und Anna weinerlich und selbstbezogen. Über die weitere Entwicklung der schwedischen Gesellschaft erfahren wir weitaus weniger, als über die sich kaum ändernden Gedanken von Mutter und Tochter, die mir vermehrt auf die Nerven gingen. So versickert der herrliche Erzählfluß von Hannas Lebensgeschichte in dem kraftlosen Bächlein der endlosen Selbstbetrachtungen der ihr nachfolgenden Generationen und ich lege das Buch am Ende enttäuscht beiseite.