Profilbild von Viv29

Viv29

Lesejury Star
offline

Viv29 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Viv29 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 28.01.2019

Der tiefe Süden, in bezaubernder Sprache erzählt

Die Grasharfe
0

Die Geschichte, die Capote in "Die Grasharfe" erzählt, ist ein wenig skurril. Collin wächst bei seinen Tanten auf, die in ihrem Wesen grundverschieden sind - die rationale, fast schon kalt wirkende, Verena, ...

Die Geschichte, die Capote in "Die Grasharfe" erzählt, ist ein wenig skurril. Collin wächst bei seinen Tanten auf, die in ihrem Wesen grundverschieden sind - die rationale, fast schon kalt wirkende, Verena, die ein gutes Auge für das Geldverdienen hat, und die weltfremde Dolly. Dolly verdient ein wenig Geld mit einer Kräutermedizin, Verena erkennt das Potential dieser Medizin und möchte sie im großen Stil vermarkten. Hier prallen die verschiedenen Lebensansichten der Schwestern aufeinander und Dolly verläßt mit Collin und ihrer Freundin Catherine das schwesterliche Haus und zieht in ein Baumhaus. Hier spielt sich nun allerlei ab, es kommt zu Begegnungen mit ihnen Wohlgesinnten aus dem Ort, leider aber auch immer wieder zu Auseinandersetzungen mit den sogenannten respektablen Bürgern, die in Verenas Auftrag Dolly wieder zurückholen möchten.

Es sind gar nicht so sehr diese äußeren Geschehnisse, die das Buch so besonders machen, sondern die Charaktere, die sich hier entfalten. Capote erweckt sie alle ganz hervorragend zum Leben, flechtet Hintergrundinformationen über sie ein, ebenso wie kleine Details über Aussehen und Charakter - humorvoll, hintergründig, gelungen. So merkt man gerade bei den Hauptpersonen, wie vielschichtig sie sind. Da ist zum Beispiel Riley Henderson, der uns zuerst auf der Jagd begegnet, eine Kette blutiger Eichhörnchen um sich herum geschlungen, und so bei mir schon mal einen denkbar ungünstigen ersten Eindruck hinterläßt. Er wird von Collin mit einer Mischung aus Neid und Bewunderung beschrieben und wirkt auf den Leser zuerst wie ein rauhbeiniger Egoist, aber schon schnell bemerkt man, daß hinter Riley viel mehr steckt und gerade er ist mir dann richtig ans Herz gewachsen. Der vom Leben enttäuschte Richter ist auch hervorragend gezeichnet, der alte Südstaatengentleman, unkonventioneller, als man denken würde, auf bezaubernd unschuldige Weise in Dolly verliebt. Dolly selbst, die zu Beginn arg beschränkt wirkt, sich aber auf eine entrückte Weise als durchaus lebensklug entpuppt.

Auch das kleine Südstaatenstädtchen wird bildhaft geschildert, man sieht sowohl die liebenswerten Leute mit den Werten des Alten Südens, wie auch die bigotten Rassisten, die jede Abweichungen von der Norm verteufeln und verfolgen. Schließlich entdecken wir sogar bei der fast im ganzen Buch recht vage gebliebenen kühlen Verena noch andere Seiten. Es macht Spaß, all diese Charaktere kennenzulernen und dazu schreibt Capote in einer wundervollen Sprache - elegant und humorvoll, scharfsinnig und poetisch. Es ist ein Genuß, eine solche Sprache zu lesen.

Veröffentlicht am 24.01.2019

Sprachgewaltiges Portrait von Gesellschaft und Freundschaft

Die Glut
0

Der ungarische Titel dieses Buches, A gyertyák csonkig égnek, bedeutet übersetzt "Die Kerzen brennen bis zum Ende". Dies ist eigentlich der bessere Titel für dieses Buch, denn der Großteil der Handlung ...

Der ungarische Titel dieses Buches, A gyertyák csonkig égnek, bedeutet übersetzt "Die Kerzen brennen bis zum Ende". Dies ist eigentlich der bessere Titel für dieses Buch, denn der Großteil der Handlung (mehr ein Gespräch als Handlung) findet in einer Nacht statt, in der die Kerzen allmählich herunterbrennen.

Das Buch beschreibt eine Rückschau. Eine Rückschau auf eine untergegangene Zeit, die k.u.k. Monarchie, die Welt der Adligen, der Offiziere, der Ehre, des Verschweigens. Aber auch eine Rückschau auf eine Freundschaft und einen Betrug. All dies geschieht vor dem Ersten Weltkrieg und wird im Jahre 1942 in einer kammerspielähnlichen Situation betrachtet.

Der 75jährige ungarische General Henrik lebt alleine und zurückgezogen in seinem Schloß, erhält dann die Nachricht über den Besuch eines Freundes, den er seit über 40 Jahren nicht mehr gesehen hat. Man merkt, er hat seit über 40 Jahren auf diesen Besuch gewartet. Es gibt etwas zu klären, etwas Unangenehmes. Nach und nach blickt Henrik zurück auf die gemeinsame Jugend mit seinem guten Freund Konrád. In einer wunderbaren Sprache entfaltet sich vor uns die k.u.k.-Welt, die Ehe zwischen Henriks sehr verschiedenen Eltern, die Freundschaft zwischen dem privilegierten Henrik und dem aus verarmtem Adel stammenden Konrád. Beide jungen Männer werden Offiziere, Konrád paßt aus verschiedenen Gründen nicht in diese Welt und nach und nach merken wir auch, daß diese so gut erscheinende Freundschaft zwischen Henrik und Konrád viel komplizierter, tiefgründiger und teils ablehnender ist, als man denkt.

Allmählich, als werden Blätter von einer Blüte gepflückt, wird aufgedeckt, was damals alles geschah, was Konrád dazu veranlaßte, fast fluchtartig ins Ausland zu gehen, was Henrik zu seiner Zurückgezogenheit veranlaßte. Als Konrád zu seinem Besuch ankommt, verbringen die beiden jetzt alten Männer die Nacht mit den brennenden Kerzen damit, zu reden. Oder vielmehr, Henrik redet. Es ist ein langer Monolog, oft sehr weitschweifig, manchmal wiederholend. Die Sprache bleibt wundervoll, elegant, berührend.

Am Morgen sind die Kerzen heruntergebrannt, ist alles gesagt. Es bleibt einiges ungeklärt zwischen den beiden Männern, und doch ist es genau dadurch auch geklärt. Ein interessanter vielschichtiger Blick auf die verschiedenen Facetten von Freundschaft, Rache, Verzeihen, Sehnsucht. Sándor Márai konnte in seiner wundervollen Sprache eine untergegangene Welt auferstehen lassen, das Gefühl des Sterbens dieser Welt fast schmerzlich verdeutlichen. Ein wahres Lesevergnügen.

Veröffentlicht am 24.01.2019

Bemerkenswerte Recherche über ein deutsch-jüdisches Schicksal und die Macht der Versöhnung

Ein Akt der Vergebung
0

In Düsseldorf-Oberkassel befindet sich der angenehme, recht unauffällige Werner-Pfingst-Platz. Ich habe bei meinem Besuch in Oberkassel den Namen des Platzes nicht bemerkt und hätte auch gar nicht gewußt, ...

In Düsseldorf-Oberkassel befindet sich der angenehme, recht unauffällige Werner-Pfingst-Platz. Ich habe bei meinem Besuch in Oberkassel den Namen des Platzes nicht bemerkt und hätte auch gar nicht gewußt, welch interessante Geschichte dahinter steckt. Zum Glück hat mir eine liebe Bekannte die Geschichte erzählt und mir dann dieses bemerkenswerte Buch geliehen. Werner Pfingst ist ein ehemaliger Einwohner Oberkassels, dem es zum Glück gelang, der Nazidiktatur rechtzeitig in die USA zu entfliehen. Leider war dieses Glück nicht all seinen Familienangehörigen vergönnt und so berichtet dieses Buch über viele deutsch-jüdische Schicksale, einige davon sehr tragisch, einige mit glücklichem Ende. Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie die menschenverachtende Diktatur in eine deutsche Familie eingriff, sie auf ihr Jüdischsein reduzierte und sie dafür brutal verfolgte. Besonders beeindruckend ist es, daß dieses so sorgfältig recherchierte Buch die Arbeit dreier Gymnasialschülerinnen (der ehemaligen Schule Werner Pfingsts), eines Lehrers und eines Polizeibeamten ist. Unglaublich, was diese ungewöhnliche Kooperation an interessanten Fakten entdeckt und so gelungen in Buchform gebracht hat.

Das Buch beginnt mit der Lebensgeschichte des Vaters von Werner Pfingst, berichtet über dessen beruflichen Aufstieg und das Familienleben, welches bereits vom 1. Weltkrieg durcheinandergewirbelt wurde. Man lernt nach und nach die sechs Kinder der Familie kennen, Werner und seine fünf Schwestern. Auch interessante Fakten über historische Hintergründe, das Stadtleben (damals noch in einer Stadt in Ostpreußen, später in Düsseldorf), die Lebensumstände einer gutbürgerlichen, finanziell gut dastehenden Familie werden anschaulich dargestellt. Jeder Fakt ist mit einer Fußnote belegt und zeigt, wie sorgfältig recherchiert wurde, wie viele Dokumente gesichtet wurde. Es muß eine unglaubliche Arbeit gewesen sein und es hat mich tief beeindruckt, daß Schülerinnen soviel Zeit und Enthusiasmus in diese interessante Projekt gesteckt haben.

Der allmählich immer engere Griff der Nazidikatur und die wachsenden Einschränkungen der Familie werden eindrücklich beschrieben. Auch wenn man die historischen Fakten kennt, ist es beklemmend, sie an konkreten Personen dargestellt zu sehen. Die vielfältigen Wege der Pfingst-Kinder (zu dem Zeitpunkt junge Erwachsene), mit den Einschränkungen umzugehen und Emigrationsmöglichkeiten zu finden, sind interessant zu verfolgen. Es gibt viele Zitate aus damaligen Schriftstücken, wie zB Werner Pfingsts Zulassungsgesuch zum Abitur oder auch aus Emails seiner Tochter, die für dieses Buch befragt wurde. Dadurch wird gerade Werner Pfingst sehr lebendig, man lernt ihn gut kennen. Er macht 1933 Abitur und es ist auch sehr interessant, über das damalige Schulsystem zu lesen, allgemeine Hintergründe zu erfahren.

Das Kapitel über die Familienmitglieder, die dem Holocaust zum Opfer fallen, ist beklemmend. Auch hier wird die Angst, die immer größer werdende Gefahr, aber auch die gelegentliche Hilfsbereitschaft gut geschildert, ebenfalls wieder in einer gelungenen Kombination mit allgemeinen historischen Hintergründen und Zeitzeugenberichten.

So verfolgt man die Schicksale der Familie Pfingst, einer ganz normalen deutschen Familie, deren Leben durch die abscheuliche Diktatur gänzlich aus dem Normalen herausgerissen wurde. Obwohl Werner Pfingst unter der Diktatur selbst gelitten und zudem noch mehrere Familienmitglieder verloren hat, tritt er bei einem Besuch in Düsseldorf in den 60er Jahren seinen ehemaligen Schulkameraden offen und freundlich gegenüber - es werden alte Freundschaften gefestigt und neue begründet. Dies wird im Buch mit einem sehr schönen Satz beschrieben: "Aus einer alten Schulfreundschaft zweier Jungen ist eine Verbindung der Völkerfreundschaft geworden."

So ist dieses in zugänglichem angenehmem Stil geschriebene Buch, mit reichhaltigem Unterlagen- und Fotomaterial eine sehr lesenswerte Lektüre, die zeigt wie sich Geschichte auf Menschen auswirkt, wie sie damit umgehen, leider manchmal auch daran zerbrechen. Es ist auch ein Beispiel für die bemerkenswerte Größe von Werner Pfingst und der Macht der Vergebung. Zum Abschluß ein Zitat aus dem Buch: "Denn seine jüdische Familie hatte im Krieg einen schrecklichen Blutzoll unter dem verbrecherischen Regime zahlen müssen. Pfingst hätte Gründe genug gehabt, sich ganz anders zu verhalten. Er hat sich aber für Milde entschieden."

Veröffentlicht am 24.01.2019

Ein unruhiges Jahrhundert durch Zeitzeugenaugen betrachtet

Zerrissene Leben
0

In "Zerrissene Leben" begleiten wir zahlreiche Zeitzeugen durch das so unruhige 20. Jahrhundert. Es sind dies die in den 20er Jahren Geborenen, im Buch "Weimarer Kinder" genannt. Auf gelungene Weise werden ...

In "Zerrissene Leben" begleiten wir zahlreiche Zeitzeugen durch das so unruhige 20. Jahrhundert. Es sind dies die in den 20er Jahren Geborenen, im Buch "Weimarer Kinder" genannt. Auf gelungene Weise werden hier historische Fakten und Hintergrundinformationen mit den Stimmen der Zeitzeugen verbunden. Zahlreiche Zitate aus persönlichen Erinnerungen zeigen eindrucksvoll und auch unterhaltsam, wie die Menschen jener Zeit die Weltgeschichte erfuhren und wie sie ihr Leben beeinflußte. Der Titel "Zerrissene Leben" ist hier sehr gut gewählt.

Die neun Kapitel führen uns von der Kaiserzeit bis zur Wende. Die Zeitzeugen umfassen ein weitgefächertes Spektrum aus verschiedenen Gegenden Deutschlands und verschiedenen sozialen Hintergründen. So gelingt es sehr gut, verschiedene Sichtweisen und Erlebnisse darzustellen. Die Zeit der Nazidiktatur wird ebenfalls auf diese vielfältige Weise beschrieben, es kommen die Verfolgten des Regimes zu Wort, ebenso wie innerlich distanzierte Mitläufer, Verführte, oder auch überzeugte Nazis. Das Buch bemüht sich erfolgreich, zahlreiche Aspekte dieser Zeit einzufangen. Die Schuld der Diktatur und jene, die sie möglich machten (ob nun durch aktives Mitmachen oder passives Zuschauen) wird ebenso beleuchtet wie die Leiden auch der deutschen Bevölkerung durch Bombenkrieg, Vergeltungsmaßnahmen und Vertreibung.

Dadurch, daß viele der Zeitzeugen in mehreren oder allen Kapiteln zu Wort bekommen, sind ihre Namen bald bekannt und man hat das Gefühl, diese Menschen lesend durch ihr Leben zu begleiten. Dies führt zu einer erfreulichen persönlichen Komponente und stärkerer innerer Beteiligung beim Lesen.

Während manche Kapitel, gerade jene die die Untaten der Diktatur und die Leiden des Krieges beschreiben, sehr intensiv wirken und teilweise schwer zu verkraften waren, weil einfach zu viel Schlimmes geschieht, wirken andere Kapitel ruhiger. So ist die Beschreibung der Kindheit in der Weimarer Republik fast beschaulich und man sieht, wie wenig die Unruhen jener Zeit sich in den Kindheitserinnerungen niedergeschlagen haben. In den Nachkriegskapitel nimmt der Anteil der Zeitzeugenzitate spürbar ab, es wird erklärt, daß viele dieser Zeitzeugen ihre Erinnerungen mit Ende des Krieges beendet oder die folgenden Jahrzehnte nur noch kurz zusammengefaßt haben. Dies nimmt den Kapiteln ein wenig die Lebendigkeit, sie sind eher historische Überblicke und waren für mich weniger packend.

Der Schreibstil des Buches ist angenehm zu lesen und die Vermischung persönlicher Erinnerungen und historischer Information bietet einen sehr guten anderen Zugang zu der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts und der Menschen, die sie erlebten. An manchen Stellen gibt es Wiederholungen, aber im Ganzen liest sich das Buch flüssig und ist für jeden Geschichtsinteressierten eine Bereicherung.

Veröffentlicht am 23.01.2019

Bewegende Geschichte, meisterhafter Umgang mit Sprache

Der Weg zurück
0

In jedem Buch Remarques bin ich voller Begeisterung und Bewunderung über seinen Umgang mit Sprache. Es ist ein so eigener Stil, voller Können und doch so eingängig. "Der Weg zurück" hat mich in dieser ...

In jedem Buch Remarques bin ich voller Begeisterung und Bewunderung über seinen Umgang mit Sprache. Es ist ein so eigener Stil, voller Können und doch so eingängig. "Der Weg zurück" hat mich in dieser Hinsicht ebenfalls wieder sehr erfreut.

Es ist das Folgebuch zum tief berührenden "Im Westen nichts Neues" und wir treffen einige Charaktere wieder. In den letzten Tagen des Ersten Weltkrieges begegnen wir ihnen und begleiten sie durch die erste Nachkriegszeit. Wie auch schon im Vorgängerbuch kann Remarque die Grausamkeit des Krieges, die Sinnlosigkeit und erschreckende Beiläufigkeit des Sterbens ganz hervorragend vermitteln. Er tut dies ohne jegliches Pathos, eher sogar lakonisch und gerade dadurch wirkt es noch viel stärker. Auch als der Friedensschluß greifbar nahe ist, wird noch reichlich Leben verheizt, es graust einen beim Lesen. Die Erschöpfung und Resignation dieser jungen Männer - die hier größtenteils direkt von der Schulbank ins große Morden beordert wurden - ist greifbar. Sie wirken viel älter.

Diese letzten Tage des Krieges, die ersten Tage nach dem Friedensschluß, die beschwerliche Rückreise in die Heimat berichtet Remarque mit vielen interessanten Details. Immer wieder blitzt sein trockener Humor durch. Es gibt so meisterhaft amüsante Passagen, die dann ein paar Absätze später von eindringlicher Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit abgelöst werden.

Die Revolutionswirren in Deutschland mit ihren teils absurden Auswüchsen werden gut dargestellt, ebenso wie am Ende des Buches die Verherrlichung von Krieg und Gewalt, als in einem friedlichen Wald eine Gruppe Jungs militärisch gedrillt wird. Sehr gut hat Remarque zu diesen Zeitpunkt, 1930/31, erkannt, daß auch der grausame Krieg zu keinem Umdenken geführt hat. Da wird Pazifist als Schimpfwort benutzt; wer sich gegen die Gewalt ausspricht, ist ein Bolschewist, ein Vaterlandsverräter. Zum Glück gibt es auch Leute, die so denken: "Ich will meinen Jungens da beibringen, was wirklich ihr Vaterland ist. Ihre Heimat nämlich und nicht eine politische Partei. Ihre Heimat aber sind Bäume, Äcker, Erde und keine großmäuligen Schlagworte." Leider lehrt uns die Geschichte, daß nur allzubald die Großmäuler mit ihren Parolen die Welt wieder in Schutt und Asche legen werden (und manche Großmäuler auch bis heute nicht dazugelernt haben). Eine dunkle Vorahnung dessen ist in diesem Buch schon spürbar.

Remarque verfolgt den Weg verschiedener Kriegsrückkehrer, einst größtenteils Schulkameraden. Ich muß gestehen, daß ich die vielen Namen nicht immer ganz zuordnen konnte, aber das tat dem Lesen keinen Abbruch. Durch die Vielfalt der Personen bekommen wir einen guten Überblick über die verschiedenen Arten, in der die Heimkehrer versuchten, mit ihrem Leben fertigzuwerden. Das gelingt manchen, die zu erfolgreichen Schiebern werden oder günstig heiraten. Andere müssen feststellen, daß Ehe und Familie sie nicht mehr auffangen können. Wieder andere merken, daß sie keinen Anschluß mehr im zivilen Leben finden - Arbeitslosigkeit, schlechtbezahlte Stellen treffen mehrere in der Gruppe.

Sehr deutlich, an manchen (wenigen) Stellen für meinen Geschmack etwas zu plakativ, scheint aber das grundlegende Problem durch: diese Jungen wurden aus ihrer Jugend, ihrem Schülerdasein herausgerissen und zu Tötungsmaschinen geformt. Außer dem Töten haben sie nichts gelernt. Jahrelang bewegten sie sich im Krieg abseits der Normen, lösten Probleme ohne das Gesetz, wurden für erfolgreiches Töten belohnt. Nun sollen sie sich einfinden in ein bürgerliches Leben, sich dessen Regeln unterwerfen, ohne auf sie vorbereitet worden zu sein. Sie kommen aus dem Krieg und man wirft sie ins Leben und ist überrascht, daß diese Umgewöhnung nicht mal eben so geht. Hilfestellung bekommen sie keine. Und so ist es nicht überraschend, daß viele von ihnen daran zerbrechen, auf vielfältige Weise. Das Buch endet, entgegen der ersten Version der Manuskriptes, mit einer leicht hoffnungsvollen Note zumindest für den Ich-Erzähler, aber das ganze geschehene Leid bleibt. Fast am Ende findet sich diese eindrückliche Passage: "Hier stehen die verlorenen Jahre, die nicht erfüllt worden sind, wie ein gespenstischer Nebel über den Gräbern, hier schreit das ungelebte Leben, das keine Ruhe findet, in dröhnendem Schweigen zum Himmel, hier strömt die Kraft und der Wille einer Jugend, die starb, bevor sie zu leben beginnen konnte, wie eine ungeheure Klage durch die Nacht."

Remarque ist, wie Walter Kempowski, ein ganz großer Chronist der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Dieses Buch läßt mich beeindruckt und bewegt zurück.