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Veröffentlicht am 06.08.2018

Verlorene Seelen auf Abwegen

Kampfsterne
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Die Verlagsankündigung von „Kampfsterne“ beginnt wie folgt: „1985 – Es ist ein verrückter, heißer Sommer, in dem Boris Becker Wimbledon gewinnt, vier Passagierflugzeuge innerhalb eines Monats abstürzen, ...

Die Verlagsankündigung von „Kampfsterne“ beginnt wie folgt: „1985 – Es ist ein verrückter, heißer Sommer, in dem Boris Becker Wimbledon gewinnt, vier Passagierflugzeuge innerhalb eines Monats abstürzen, alle großen Rockstars bei Life Aid für das hungernde Afrika singen und in einer Siedlung am Rand der Stadt drei Familien zu zerbrechen drohen.“
Das Buch machte mich neugierig, weil ich mehr über den verrückten, heißen Sommer 1985 erfahren wollte – ich dachte, es könnte spannend sein, mit Hilfe dieses Romans in diese Zeit einzutauchen. Boris Becker und Life Aid werden allerdings nur sehr am Rande erwähnt und über den Absturz der vier Passagierflugzeuge habe ich eigentlich gar nichts gelesen. Stattdessen kreist das Buch allein um die erwähnten drei Familien, die von außen betrachtet alles haben: ein Eigenheim im Grünen, gesunde Kinder und genügend Geld, um deren Musikstunden zu bezahlen. Glückliches Bildungsbürgertum, könnte man meinen. Aber niemand ist glücklich, das weiß der Leser aus erster Hand, lernt er doch fast alle Figuren dank der „stream of consciousness“-Technik teils besser kennen, als ihm lieb ist. Selbst Lexchen (kurz für „Alexa“, also eine Namensvetterin der Autorin), mit ihren acht Jahren das jüngste erwähnte Kind, das sich alle Mühe gibt, Glück zu verbreiten, stößt schließlich an ihre Grenzen.

Die Verkorkstheit der übrigen Kinder und Teenager ließe sich größtenteils auf normale Eifersüchteleien und die Pubertät schieben, wären da nicht ihre Eltern: Ignorant. Einsam. Verkrampft. Schwach. Überspannt. Betrogen. Missverstanden. Größenwahnsinnig. Emanzipiert. Opfer. Täter. Allesamt verlorene Seelen. Fliegende Kampfsterne, zumindest einige von ihnen. Dankenswerterweise lässt Alexa Hennig von Lange ihren Lesern trotzdem die Hoffnung, dass die heranwachsende Generation etwas glücklicher, ehrlicher und aufrechter durchs Leben gehen wird als ihre Eltern. Und vielleicht besteht sogar noch mehr Hoffnung: Am Ende des Buches gibt es gleich mehrere große Knalle, die die bestehende Siedlungsordnung in ihren Grundfesten erschüttern. Vielleicht entsteht daraus tatsächlich etwas Gutes, wer weiß das schon – vermutlich nur die Autorin, denn das Buch endet so abrupt, dass mein erster Impuls war, den Verlag anzuschreiben und nachzufragen, ob es sein kann, dass die E-Book-Version unvollständig ist.

Wie haben mir die „Kampfsterne“ nun gefallen? Zunächst fand ich die Charaktere skurril. Dann war ich etwas enttäuscht, als ich realisierte, dass der Roman ausschließlich vom Siedlungs-Leben handelt – das restliche 1985 geht relativ spurlos an der Erzählung vorbei. Die Enttäuschung wich irgendwann der Erleichterung: Eine ganz eigene und durchaus auch eigenartige Stimmung zieht sich durch den Roman, und wenn das die Stimmung dieser Zeit auch nur ansatzweise widerspiegelt, sollte ich vielleicht froh sein, dass ich damals noch zu jung war, um sie mitzubekommen.
Tja, und dann – packte mich das Buch irgendwann doch noch. Nachdem die Protagonisten mehr als den halben Roman lang durch ihre festgefahrenen Leben dümpeln, wird ihre Welt immens durcheinandergeschüttelt. Wie sich schließlich etwas in Gang setzte, erst zögerlich, dann aber immer unaufhaltbarer – das faszinierte mich dann, denn es war richtig gut geschrieben. Und plötzlich konnte ich sogar mitfühlen. Das kam spät und war für mich um so erstaunlicher, aber jetzt sitze ich hier und bedaure, dass ich schreibe, statt noch zu lesen, dass das Buch einfach schon zu Ende ist, nachdem mir das Wohlergehen seiner schrägen Charaktere endlich am Herzen liegt. So kann’s gehen.

Veröffentlicht am 02.08.2018

Schein und Sein, Lügen und Schuld – Spannung garantiert!

Vier.Zwei.Eins.
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Der auf den ersten Blick seltsame Zahlentitel dieses Romans wird im Untertitel erklärt: „Vier Menschen. Zwei Wahrheiten. Eine Lüge.“ Und tatsächlich fängt mit der schicksalhaften Begegnung von vier jungen ...

Der auf den ersten Blick seltsame Zahlentitel dieses Romans wird im Untertitel erklärt: „Vier Menschen. Zwei Wahrheiten. Eine Lüge.“ Und tatsächlich fängt mit der schicksalhaften Begegnung von vier jungen Menschen Anfang 20 alles an: Das Pärchen Laura und Kit ist zu einem Festival nach Cornwall gereist, um dort die totale Sonnenfinsternis am 11. August 1999 zu erleben. Sonnenfinsternisse zu jagen ist Kits Hobby, er und sein Zwillingsbruder sind bereits als Kinder mit ihrem Vater quer um den Globus gereist um die spektakulären Phänomene mitzuerleben. Laura hingegen erlebt ihre erste Sonnenfinsternis und fühlt sich in ihren Grundfesten berührt. Trotz widriger Wetterbedingungen hätte es also ein wunderschöner Tag sein sollen – doch auf dem Rückweg von ihrem Aussichtspunkt wird Laura Zeugin einer Vergewaltigung. Zumindest wirkt es wie eine Vergewaltigung, obwohl der mutmaßliche Täter sofort behauptet, dass alles einvernehmlich sei. Da die Frau, Beth, das jedoch nicht bestätigt und auch sonst wie erstarrt wirkt, rufen Laura und Kit die Polizei. Die vier sehen sich im Mai 2000 vor Gericht wieder, als Zeugen, Angeklagter und Klägerin. Und das hätte eigentlich ihr letztes Aufeinandertreffen sein können, doch so ist es nicht …

Im März 2015 ist Laura schon lange mit Kit verheiratet und außerdem hochschwanger mit Zwillingen. Die beiden leben so anonym wie nur möglich in London, haben sogar ihren Nachnamen geändert. Der Grund: Die panische Angst vor Beth, die 15 Jahre zuvor als Opfer vor Gericht stand. Was ist nur passiert?

Genau diese Frage wird nach und nach geklärt. Dabei wechselt Autorin Erin Kelly zwischen zwei Zeitebenen. Kapitel, die die Geschehnisse rund um die Sonnenfinsternis 1999 und die Gerichtsverhandlung im darauffolgenden Jahr schildern, wechseln sich ab mit solchen, die erzählen, wie Kit 2015 einer weiteren Sonnenfinsternis hinterherjagt, während Laura in Sorge um ihn in London sitzt. Außerdem wechseln auch immer wieder die Perspektiven: Mal schildert Laura die Erlebnisse, mal Kit. Manchmal sind kombinierte Zeit- und Erzählerwechsel ja verwirrend, aber Autorin Kelly verwebt alles so geschickt, dass die ständigen Brüche fast unmerklich geschehen und den Lesefluss überhaupt nicht stören, sondern bereichern: Es baut sich immer größere Spannung auf. „Vier.Zwei.Eins.“ wird nicht als Thriller, sondern als Roman bezeichnet, doch Nervenkitzel ist durch die erstaunliche Vielzahl von unvorhersehbaren und dennoch glaubhaften Wendungen garantiert. Meisterhaft beschreibt Kelly, wie eine Lüge in eine Abwärtsspirale voller weiterer Unwahrheiten führen kann und es letztlich keinen Ausweg aus der eigenen Schuld mehr gibt. Immer wieder wurden Situationen geschildert, bei denen ich mich unwillkürlich fragte, wie ich an Stelle der Figuren gehandelt hätte. „Vier.Zwei.Eins.“ handelt von Licht und Schatten, doch schwarzweiß ist die Geschichte bei Weitem nicht.

Gegliedert ist dieses feine Erzählkonstrukt wie die fünf Phasen einer totalen Sonnenfinsternis: Erster Kontakt, Zweiter Kontakt, Totalität, Dritter Kontakt und Vierter Kontakt. Das ist nicht nur wegen Sonnenfinsternisjäger Kit wunderbar passend, sondern auch, weil es ebenfalls um Kontakte zwischen Menschen geht bzw. die Angst davor. Nicht nur die Sonne, sondern auch die Gemüter einiger Protagonisten scheinen sich im Laufe des Romans zu verdunkeln. Doch werden sie sich im Zuge des vierten Kontakts – der Mond verdeckt die Sonne nicht mehr – auch wieder lichten? Ich kann nur empfehlen, das selbst herauszufinden.

Veröffentlicht am 26.07.2018

Wenn Humor den Schrecken erträglich macht

Guten Morgen, Genosse Elefant
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So nah wie in „Guten Morgen, Genosse Elefant“ kommt man Ich-Erzählern selten, dieser hier spricht einen sogar immer wieder an. Im Jahr der Romanhandlung, 1953, ist Juri Zipit zwölfeinhalb Jahre alt. Er ...

So nah wie in „Guten Morgen, Genosse Elefant“ kommt man Ich-Erzählern selten, dieser hier spricht einen sogar immer wieder an. Im Jahr der Romanhandlung, 1953, ist Juri Zipit zwölfeinhalb Jahre alt. Er ist ein äußerst ungewöhnlicher Zwölfjähriger, was nicht zuletzt daran liegt, dass er mit sechs Jahren von einem Milchwagen angefahren wurde und vor eine Straßenbahn fiel, die ihn dann noch überfuhr. Sein Gehirn hat dabei leichten Schaden genommen, unter anderem leidet der Protagonist an mit Furchtlosigkeit gepaarter Impulsivität und sagt eigentlich immer, was ihm gerade in den Sinn kommt – nicht die beste Überlebensstrategie im Russland der 1950er Jahre. Beim Unfall keinen Schaden genommen hat hingegen Juris Gesicht, dass anscheinend reine Herzenswärme ausstrahlt und andere Menschen dazu bringt, Juri ihre Geheimnisse anzuvertrauen – worauf dieser allerdings gut verzichten könnte.
Unser ungewöhnlicher Romanheld lebt im Moskauer Zoo, da sein Vater dort der Chefveterinär ist. Und als solcher wird der Tierarzt eines nachts zu Genossen Elefant gerufen – womit allerdings kein Dickhäuter im Zoo gemeint ist. Sein neuer Patient, den einer seiner Minister als elefantenähnlich, nämlich „überaus mächtig, sehr weise und auch sehr freundlich, falls er nicht gerade sehr wütend wird“ beschreibt, entpuppt sich als Stalin höchstpersönlich. Der Diktator hat gerade einen leichten Schlaganfall hinter sich, will davon aber nichts hören. Juris Vater fällt durch seine Diagnose sogleich in Ungnade – aber Juri, mit seinem Engelsgesicht, wird als neuester Vorkoster des „Gärtners des menschlichen Glücks“ auserwählt. Der sogenannte Stählerne leidet nämlich unter der Angst, vergiftet zu werden – und diese ist nicht unberechtigt, hoffen doch eine Menge Menschen auf das Ableben des „Architekten der Freude“ ...

Was ist „Guten Morgen, Genosse Elefant“ nun für ein Buch? Komödie, Satire? Ein historischer Roman? Ein Schlüsselroman? Von allem etwas, würde ich sagen. Juri versichert seinen Lesern: „Das was ich erzähle, ist alles wahr. Absolut, komplett, total wahr. Fast. Bis auf die paar Kleinigkeiten, die ich ändere. Ändern muss. Aber nur, was Zeiten angeht. Orte, Namen und Ereignisse.“
Unser Erzähler nimmt sich also die größte schriftstellerische Freiheit überhaupt heraus – und doch reicht es, sich auf Wikipedia das Kapitel zu Stalins letzten Wochen durchzulesen um große Parallelen zu erkennen, Namen zu entschlüsseln etc.

Worin Autor Christopher Wilson allerdings das größte Geschick beweist, ist die Darstellung des Schrecklichen durch die Augen eines Kindes, dem Angst und Verzweiflung krankheitsbedingt fremd sind. Er lässt seinen Juri dessen Beobachtungen auf solch eine kurios-komische Art und Weise schildern, dass sich selbst das Furchtbarste erträglich lesen lässt. Und trotzdem bleibt klar, dass es das Furchtbarste ist, dass Juri in seiner Sonderstellung nur der Hofnarr ist, der das für jeden anderen Unerträgliche erträglich darstellt. Und so liest sich der Roman locker-flockig, ohne eine seichte Lektüre zu sein. Je mehr man über die stalinistische Ära weiß, desto mehr kann man dabei vermutlich rauslesen. „Guten Morgen, Genosse Elefant“ hat eine größere Tiefe, als der erste Blick enthüllt. Der enthaltene Humor ist quasi der Zucker im Kuchen, er macht die Bitternis des Ganzen durchgängig bittersüß.

Gerne hätte ich noch herausgefunden, wie Christopher Wilson auf die Idee kam, dieses Buch zu schreiben. Er scheint Engländer zu sein, hat die Psychologie des Humors ergründet und kreatives Schreiben unterrichtet. Vielleicht wollte er mit seinem Roman demonstrieren, wie Humor alles erträglicher gestalten kann. In jedem Fall hat er mit Juri einen Helden geschaffen, den seine Leser sofort ins Herz schließen und so schnell nicht wieder vergessen werden.

Veröffentlicht am 25.07.2018

Zu kompliziert am Anfang und zu einfach am Ende

Nichts ist verziehen
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Dies ist schon der dritte „Schwedenkrimi“ um die Journalistin Magdalena Hansson. Ich habe die beiden Vorgänger nicht gelesen und konnte mir vermutlich deswegen auf manches keinen Reim machen. Die Hauptfigur ...

Dies ist schon der dritte „Schwedenkrimi“ um die Journalistin Magdalena Hansson. Ich habe die beiden Vorgänger nicht gelesen und konnte mir vermutlich deswegen auf manches keinen Reim machen. Die Hauptfigur blieb mir in ihrem Denken und Handeln zum Teil fremd, wenn ich sie aus früheren Büchern besser gekannt hätte, wäre dies vielleicht nicht der Fall gewesen.

Die Krimihandlung ist schnell angerissen: Besagte Magdalena geht lustlos zu ihrem 25-jährigen Abitreffen, das als Wiederholung eines legendären Übernachtungswochenendes während der Schulzeit in der Hütte eines ehemaligen Lehrers stattfindet, abgeschieden im Wald, in der Nähe eines Sees. Es sind ungefähr 15 der ehemaligen Mitschüler gekommen und nach der ersten Wiedersehensfreude zeigt sich, dass sich durchaus nicht alle sympathisch sind und es einige ungute Erinnerungen an die gemeinsame Schulzeit gibt. Der Abend schreitet fort, und schließlich wird eine Leiche gefunden. Und das ist erst der Anfang …

Autorin Ninni Schulman führt zu Beginn des Buches viele Figuren auf wenigen Seiten ein. Ein Klassentreffen mit 15 Leuten kam mir zunächst überschaubar vor, wenn aber erst mal alle Beteiligten mehr oder weniger ausführlich vorgestellt werden, ist es das nicht mehr. Tatsächlich wäre eine dem Krimi vorangestellte Übersicht der Protagonisten wohl hilfreich gewesen. Denn es hört nicht etwas bei den ehemaligen Klassenkameraden auf – auch Magdalenas Privatleben sowie das der im Mordfall ermittelnden Polizeibeamten spielt eine größere Rolle und so kommen neben ihnen noch deren Lebenspartner, Kinder, Kollegen etc. vor. Das hat das Ganze für mich doch sehr überladen – musste der unerfüllte Kinderwunsch der Frau des Polizeibeamten, dessen Schwester zufällig an dem Klassentreffen teilnahm, tatsächlich eine größere Rolle spielen? Und war dieser Zufall überhaupt nötig? Ich denke, dass der Verzicht auf einige Nebenschauplätze dem Krimi gutgetan und ihn etwas gestrafft hätte.

„Nichts ist verziehen“ ist stellenweise durchaus spannend. Allerdings steht und fällt ein Krimi für mich auch mit der Auflösung, und von dieser war ich dann doch enttäuscht. So kompliziert das Personengefüge aufgebaut wurde, so einfach hat es sich die Autorin meinem Empfinden nach am Ende gemacht. Und so werde ich die anderen Fälle um Journalistin Magdalena wohl nicht mehr lesen, auch wenn mich dieser zwischenzeitlich durchaus gefesselt hat.

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  • Erzählstil
Veröffentlicht am 09.07.2018

Komplexes Romankonstrukt – durchhalten lohnt sich

Das weibliche Prinzip
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Anfangs hatte ich mit diesem Roman ein bisschen zu kämpfen. Alles an ihm schien sperrig: Der Beginn, die Charaktere, die Handlung. Autorin Meg Wolitzers Art, Dinge zu beschreiben, fand ich jedoch von Anfang ...

Anfangs hatte ich mit diesem Roman ein bisschen zu kämpfen. Alles an ihm schien sperrig: Der Beginn, die Charaktere, die Handlung. Autorin Meg Wolitzers Art, Dinge zu beschreiben, fand ich jedoch von Anfang an ansprechend – in „Das weibliche Prinzip“ gibt es weise Sätze wie „Beziehungen waren ein Luxus, den sich nur Menschen leisten konnten, die nicht in einer Krise steckten“. Oder: „Ich denke manchmal, dass Introvertierte, die sich beigebracht haben, extrovertiert zu sein, die effektivsten Menschen der Welt sind.“ Ich habe mir einige interessante Gedanken markiert, doch manchmal wirkte der Stil der Autorin auch etwas überladen auf mich.

Und dann sprang der Funke doch noch über. Rückblickend denke ich, dass das geschah, nachdem der größte Coming-of-Age-Teil überstanden war. Natürlich verhalten sich die Hauptfigur und ihre Freunde mit Anfang/Mitte 20 noch nicht ganz erwachsen, aber die Irrungen und Wirrungen, die Schulabschluss und Universitätsbeginn mit sich bringen, waren irgendwann überstanden – für sie und für mich.
„Das weibliche Prinzip“ handelt von der ehrgeizigen Greer Kadetsky, die zu Beginn des Buches ihr Studium am Ryland College beginnt, nachdem ihre Eltern ihre Anmeldung in Yale vermasselt haben. Während ihre Jugendliebe Cory nach Princeton geht und ihm die Welt von nun an zu Füßen zu liegen scheint, fühlt sich Greers neues Leben im Vergleich zunächst minderwertig an – zumindest für sie selbst. Doch sie findet bald Freunde am Ryland College und obwohl die Dichte an interessanten Abendveranstaltungen natürlich nicht mit der in Princeton mithalten kann, hört Greer an ihrer Hochschule einen Vortrag, der ihr Leben verändern wird: Den der Feministin Faith Frank. Diese Figur, die zu Beginn des Romans Mitte 60 ist, habe ich mir als eine Art Alice Schwarzer vorgestellt: bekannte Feministin und Bestsellerautorin mit eigener Zeitschrift, die ihre erfolgreichste Zeit bereits hinter sich hat. Im Roman ist Faith Frank immer noch eine Galionsfigur der Frauenbewegung, der man gerne zuhört, doch die Auflagenzahlen ihres Magazins „Bloomer“ sinken und andere Feministinnen mit radikaleren Ansichten erhalten inzwischen mehr Aufmerksamkeit als sie. Dennoch ist Faith Franks Vortrag für Greer eine Art Erweckungserlebnis, der ihr Leben nachhaltig prägt – nicht zuletzt, weil sie danach noch ein kurzes Gespräch mit der Rednerin führen kann und sich nach dem Studium bei „Bloomer“ bewirbt.

Greer wird nach und nach eine begeisterte Feministin und bleibt dabei eine glühende Bewunderin Faith Franks. Doch nach ihrem Abschluss am Ryland College, wenn der Leser sie durch die ersten Jahre ihres Arbeitslebens begleitet, muss die Hauptfigur entdecken, dass man zwar für das Wohl der Frauen im Allgemeinen kämpfen kann, das jedoch nicht bedeutet, dass man sich den eigenen Freundinnen immer loyal und fair gegenüber verhält. Was macht erfolgreicher – Kompromisslosigkeit oder Abwägen? Greer lernt, kämpft und muss sich schließlich selbst behaupten – und das regt zum Nachdenken an. Wichtige Nebenrollen spielen neben Faith Frank Greers Freundin Zee und Cory, der mit Princeton das große Los gezogen zu haben schien. Aber: „Er würde immer ein Mensch sein, der nicht weglief, sondern half“ – wieder so ein starker Wolitzer-Satz von der Art, wie sie in diesem Roman massenhaft zu finden sind. Schon für diese Art von Beschreibungen lohnt es sich, „Das weibliche Prinzip“ zu lesen.
Die Selbstfindung der Protagonisten mitzuerleben sowie kapitelweise auch mal hinter die Fassade von Faith Frank und anderen Figuren blicken zu können, riss mich nach dem ersten Buchdrittel doch mit. Die Charaktere in diesem komplexen Romankonstrukt sind außergewöhnlich vielschichtig. Autorin Meg Wolitzer macht es ihren Lesern nicht immer leicht, doch die Lektüre lohnt sich. „Das weibliche Prinzip“ bietet jede Menge gedankliche Anregungen, nicht nur über Bedeutung und Entwicklung des Feminismus in der heutigen Zeit, sondern auch darüber, was wirklich wichtig im Leben ist.