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Veröffentlicht am 15.03.2024

Ausnahmebuch

Trophäe
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Bei diesem Roman lässt sich so vieles hervorheben; zum Beispiel die präzise, elegante Sprache und die eindrückliche Darstellung von Tieren und Natur. „Trophäe“ ist dicht erzählt und konzentriert sich auf ...

Bei diesem Roman lässt sich so vieles hervorheben; zum Beispiel die präzise, elegante Sprache und die eindrückliche Darstellung von Tieren und Natur. „Trophäe“ ist dicht erzählt und konzentriert sich auf wenige Protagonisten und Handlungsschauplätze. Hauptfigur ist der amerikanische Jäger Hunter White – der Name ein Klischee, der Mann dahinter jedoch nicht zu unterschätzen. Hunter ist ein Trophäenjäger mit Ethos, zumindest stellt er sich selbst so dar und seine Perspektive ist den Leserinnen und Lesern am nächsten. Nicht zum ersten Mal ist er mit einer teuer erkauften Jagdlizenz nach Afrika gekommen, doch diese hier war vermutlich die kostspieligste: Hunter will ein Nashorn erschießen und damit die Big Five vollmachen – Löwe, Büffel, Elefant und Leopard hat er also bereits erlegt. Kein Wunder, dass er mit seinem südafrikanischen Jagdtourenorganisator schon gut befreundet ist – van Heeren weiß genau, was Hunter White will. Eine halbwegs authentische Jagderfahrung, Übernachtungen im Zelt, keinen Firlefanz. Die Tage des ausgewählten Nashorns sind gezählt, doch erstmals läuft nicht alles nach Plan und es sieht ganz so aus, als müsste Hunter mit leeren Händen zurückreisen. Doch dann erzählt ihm van Heeren von den Big Six und plötzlich erscheinen alle moralischen und ethischen Fragen, mit denen Gaea Schoeters ihre Leser*innen bis dahin konfrontiert hat, wie leichte Aufwärmübungen …

Die flämische Autorin geht von Anfang an in die Vollen. Hunter Whites Respekt vor der Beute hat mir beim Lesen durchaus welchen abgenötigt, seine Argumentation, warum Trophäenjagd Artenschutz bedeutet, klingt erschreckend logisch. Nebenbei lässt Gaea Schoeters ihren passionierten Jäger immer wieder Erfahrungen machen, die ihm zeigen: Westliche Wertevorstellungen muss man sich erstmal leisten können. Vom amerikanischen oder auch deutschen Sofa aus mag Gut und Böse klar trennbar sein, in Afrika stellt sich aber einiges anders dar. Darf man urteilen, wenn man die Komplexität von Situationen interkulturell gar nicht erfassen kann? Und als sie mich als Leserin endlich soweit hatte, dass ich alte Gewissheiten mit neuer Demut in Frage stellte, trieb es die Autorin erbarmungslos auf die Spitze. Ein verstörender Roman, der fasziniert, herausfordert und erschreckt. Ungewöhnlich und absolut lesenswert.

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Veröffentlicht am 02.11.2023

Niedliches Weihnachtsbilderbuch für kleine Entdecker

Weihnachtszeit! Bald ist’s so weit
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Dieses sehr süße Pappbilderbuch ist großformatig und enthält auf sechs Doppelseiten mehr als 30 Klappen – wow! Man entdeckt gar nicht alle auf den ersten Blick, weil sie sich auf jeder Seite an unterschiedlichen ...

Dieses sehr süße Pappbilderbuch ist großformatig und enthält auf sechs Doppelseiten mehr als 30 Klappen – wow! Man entdeckt gar nicht alle auf den ersten Blick, weil sie sich auf jeder Seite an unterschiedlichen Stellen verstecken, teils sehr groß und teils klein sind. Jede Doppelseite ist einem Tier oder einer Tierfamilie und ihren Weihnachtsvorbereitungen gewidmet und immer fehlt irgendwas, was kleine Leserinnen und Leser hinter einigen der Klappen für die Tiere wiederfinden können. Auf der letzten Doppelseite versammeln sich dann alle Tiere mit vielen (aufklappbaren) Geschenken unterm leuchtenden Tannenbaum – und wer aufgepasst hat, kann zuordnen, welches Tier sich über welches Präsent freuen darf. Die singende Eule hat sich z.B. eine Flöte gewünscht, Doro Dachs ist begeisterte Handwerkerin …

Die Texte sind nicht zu lang und gut verständlich und die Illustrationen liebevoll und detailliert. Auch wenn es kein Wimmelbuch ist, gibt es viele Kleinigkeiten zu entdecken, so dass auch mehrmaliges Anschauen absolut nicht langweilig wird. Trotzdem werden Kleinkinder nicht überfordert – Spaß an den Klappen kann man sogar schon mit unter zwei Jahren haben; Texte und Bildersuche sind dann für etwas Ältere. Mit ihnen kann man spielerisch darüber ins Gespräch kommen, dass es manchmal gar nicht so einfach ist, Dinge wiederzufinden, die man verlegt hat und was zur Weihnachtszeit alles dazu gehört.

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Veröffentlicht am 09.10.2023

Hommage

Eigentum
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Der österreichische Autor Wolf Haas erzählt in „Eigentum“ von seiner fast 95-jährigen Mutter. Er schildert die Gespräche mit der Hochbetagten an ihren letzten Lebenstagen im Altenheim, gibt ihre Erinnerungen ...

Der österreichische Autor Wolf Haas erzählt in „Eigentum“ von seiner fast 95-jährigen Mutter. Er schildert die Gespräche mit der Hochbetagten an ihren letzten Lebenstagen im Altenheim, gibt ihre Erinnerungen wieder und lässt seinen Gedanken freien Lauf. Diese springen zwischen der Situation, der Vergangenheit, einer anstehenden Poetikvorlesung und der zu planenden Beerdigung hin und her. Das Ganze liest sich keineswegs schwermütig, sondern ist eine feine Mischung nüchterner, anrührender und skurriler Betrachtungen – und eine Hommage an die Mutter.

Marianne Haas war offensichtlich kein einfacher Charakter und tickte ganz anders als der Autor selbst. Man war sich vermutlich fern, fremd und nah zugleich, wie das nur in engen familiären Beziehungen der Fall sein kann. 1923 in ärmlichen Verhältnissen geboren, hatte die Frau ein oft hartes und karges Leben und immer ein Ziel vor Augen, das der Autor auch als Titel seines Romans gewählt hat: Eigentum. Doch Marianne Haas konnte nie Eigentum erwerben, trotz „sparen, sparen, sparen“ (sie war eine Liebhaberin von dreifachen Wortwiederholungen). Die notwendige Anzahlung wurde immer erhöht, wenn das Sparziel in greifbarer Nähe schien, Inflation entwertete das Geld – im Jahr der Hyperinflation geboren, scheint sich dieses Motiv durch ihr Leben zu ziehen. Erst als ihr Mann beerdigt und auf dem Friedhofskreuz auch bereits ihr Name verewigt ist, ist dem Gefühl nach eigener Grund und Boden da – wenn auch anders als vom Leben erhofft.

Wolf Haas lässt seine Mutter selbst zu Wort kommen, wenn es um ihre Lebenserinnerungen geht. Familiengeschichte, Servierkurs, Arbeit im Grandhotel, Kriegserinnerungen werden aus ihrer Perspektive und in einem ihr eigenen, unemotionalen Erzählstil geschildert. Dazwischen hängt der Sohn seinen Gedanken nach. „Eigentum“ ist ein schmales Büchlein von 157 Seiten mit keinerlei Längen. Es betrachtet ein Leben und das Leben äußerst kurzweilig, liest sich mal tragisch, mal amüsant und hat mich so manches Mal wegen einer knapp geäußerten Lebensweisheit, einer scharfsinnigen Betrachtung, eines bittersüßen Einschubs oder ein paar unerwarteten Humorfunken innehalten lassen. Ein gutes Buch, eine gelungene Hommage. Lesen, lesen, lesen.

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Veröffentlicht am 19.07.2023

Wiedersehen mit Marcus Goldman

Die Affäre Alaska Sanders
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Ich habe fast alle Romane von Joël Dicker gelesen – ach was, verschlungen; er ist einer der wenigen Autoren, dessen Hardcover ich mir sogar ohne Kenntnis der Inhaltsangabe kaufen würde. Sein neuestes Buch ...

Ich habe fast alle Romane von Joël Dicker gelesen – ach was, verschlungen; er ist einer der wenigen Autoren, dessen Hardcover ich mir sogar ohne Kenntnis der Inhaltsangabe kaufen würde. Sein neuestes Buch „Die Affäre Alaska Sanders“ ist die dritte Begegnung mit seinem Ich-Erzähler Marcus Goldman, auf die ich mich sehr gefreut habe. Als einziges bedauert habe ich bei der Lektüre, dass es schon eine ganze Weile (achteinhalb Jahre?) her ist, dass ich „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ gelesen habe – die Bezüge in „Die Affäre Alaska Sanders“ sind zahlreich, die Protagonisten zum Teil die gleichen und ich konnte mich an viele leider nur noch rudimentär erinnern. Dicker-Fans, die mehr Lesezeit als ich haben, würde ich daher empfehlen, den Marcus-Goldman-Erstling nochmal zu lesen. Man kann „Die Affäre Alaska Sanders“ aber auch sonst sehr genießen, und genau das habe ich getan.

Die titelgebende Alaska Sanders – 22 Jahre alt, bildhübsch, zielstrebig und immer freundlich – wird Anfang April 1999 in der Nähe der Kleinstand Mount Pleasant, New Hampshire, ermordet. Der Fall kann postwendend gelöst werden: Ihr Ex Walter gesteht nach seiner Festnahme den Mord und begeht noch auf der Polizeistation Suizid. Seinen besten Freund Eric hat er vorher als Mittäter verraten, worauf dieser zu lebenslanger Haft verurteilt wird.
Das alles ist elf Jahre her, als der Schriftsteller Marcus Goldman, beruflich erfolgreich, privat etwas verloren, durch seinen alten Bekannten Sergeant Perry Gahalowood auf den Fall stößt. Gahalowood war damals an den Ermittlungen beteiligt und bekommt nun den Hinweis, dass etwas faul ist. (Das ist die Kurzversion – hierbei spielen eine private Tragödie, Irrungen und Umwege eine Rolle, die fast eine eigene Geschichte in der Geschichte sind – typischer Dicker-Stil eben.) Und so ermitteln der Sergeant und der Schriftsteller wieder. Marcus Goldman versucht außerdem, seinen früheren Mentor Harry Quebert ausfindig zu machen, kommt dabei aber genauso wenig voran wie in der Affäre Alaska Sanders.

Der Roman hat 592 Seiten und dabei keinerlei Längen. Er wird zum Teil in Rückblenden und aus verschiedenen Perspektiven erzählt und hat mich nicht losgelassen. Auch wenn ein Mord im Zentrum steht, ist „Die Affäre Alaska Sanders“ von einem herkömmlichen Krimi weit entfernt mit den vielen Schleifen, die Dicker erzählt. Trotzdem ist der Roman spannend und hat mich keine Sekunde gelangweilt. Joël Dickers Erzählkunst begeistert mich einfach und ich hoffe auf ein baldiges Wiedersehen mit Marcus Goldman und Sergeant Gahalowood – das gelungene Ende macht Hoffnung, dass irgendwann vom Mordfall Gaby Robinson erzählt werden wird. Darauf freue ich mich jetzt schon!

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Veröffentlicht am 16.05.2023

Kurios, intelligent und unvorhersehbar

Wenn Worte töten
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Der britische Autor Anthony Horowitz schreibt eine Krimireihe, in der der britische Autor Anthony Horowitz der Ich-Erzähler ist – schon das ist so kurios, dass es mich sehr neugierig gemacht hat. Ich habe ...

Der britische Autor Anthony Horowitz schreibt eine Krimireihe, in der der britische Autor Anthony Horowitz der Ich-Erzähler ist – schon das ist so kurios, dass es mich sehr neugierig gemacht hat. Ich habe allerdings erst durch den dritten Band davon erfahren und kann nun aus eigener Erfahrung sagen, dass man diesen unabhängig von den Vorgängerbüchern lesen kann, das aber so viel Spaß macht, dass man sich Band eins und zwei nach der Lektüre eh besorgen will.

In „Wenn Worte töten“ ist Hauptfigur Anthony Horowitz zu einem neuen, kleinen Literaturfestival auf der Kanalinsel Alderney eingeladen – zusammen mit Privatermittler Daniel Hawthorne, der ihn beauftragt hat, als Biograf über ihn zu schreiben. Obwohl die beiden schon eine längere Arbeitsbeziehung hinter sich haben, ist keine größere Vertrautheit oder gar Freundschaft bemerkbar. Horowitz ist allerdings sehr zufrieden, dass er diesmal nicht den Detektiv begleitet, sondern ein Heimspiel hat – mit Literaturfestivals kennt er sich aus, für Hawthorne sind sie unbekanntes Terrain. Als jedoch der Sponsor des Summer Festivals ermordet wird, ändert sich das schlagartig. Hawthorne hört sich um, scheint nebenbei jedoch auch noch eine ganz eigene Agenda zu verfolgen. Horowitz dagegen stellt wilde Überlegungen in alle Richtungen an und findet dabei vieles verdächtig, was mir als Leserin auch aufgefallen war. Überflüssig zu erwähnen, dass wir beide oft der gleichen falschen Fährte folgten.

Mir hat „Wenn Worte töten“ großen Spaß gemacht – die Selbstironie des Autors, der sich selbst als etwas tapsige, nur mittelmäßig erfolgreiche Hauptfigur eingesetzt hat, die Darstellung der anderen Schriftsteller und des Literaturbetriebs und letztendlich natürlich auch der Fall. Leicht irritiert hat mich nur, dass Hawthorne Horowitz beständig „Sportsfreund“ nennt. Ich musste jedes Mal an einen älteren Landadeligen denken, dabei ist der Privatermittler erst 39 Jahre alt und der Krimi spielt in der Gegenwart – dieser antiquierte Ausdruck passt da einfach nicht. Das englische „Pal“, was hier vermutlich übersetzt wurde, klingt in der Originalausgabe sicherlich geläufiger. Abgesehen von dieser Kleinigkeit liest sich „Wenn Worte töten“ wunderbar und ist ein intelligenter, literarischer Krimi mit unvorhersehbaren Wendungen.

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