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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 14.02.2018

Klein, aber sehr fein!

Alle meine Wünsche
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Manchmal braucht es gar nicht so viele Worte, um eine wirklich gute Geschichte zu schreiben, wie dieses gerade einmal 120 Seiten umfassende Buch zeigt.
Jocelyne, 47 Jahre, verheiratet, zwei erwachsene ...

Manchmal braucht es gar nicht so viele Worte, um eine wirklich gute Geschichte zu schreiben, wie dieses gerade einmal 120 Seiten umfassende Buch zeigt.
Jocelyne, 47 Jahre, verheiratet, zwei erwachsene Kinder und eine Leiche (wie sie selber meint), Besitzerin eines Kurzwarenladens, führt ein so unaufgeregtes Leben, dass man es praktisch langweilig nennen könnte. Doch sie ist glücklich: Sie liebt ihren ungehobelten Mann, ihre Kinder, ihren Laden und ihre Kundinnen - sie ist (kaum zu fassen) ein glücklicher Mensch, obwohl ihre Träume nicht in Erfüllung gingen. Eines Tages füllt sie das erste Mal in ihrem Leben einen Lottoschein aus - und gewinnt 18 Millionen Euro. Ob sie jetzt noch glücklicher wird?
Diese Frage stellt sie sich im Mittelteil des Buches. Welche Wünsche könnte sie sich erfüllen, was würde es mit ihr machen? So bildhaft und nuanciert wie sie im ersten Drittel ihr Glück beschreibt (in diesem unnachahmlichen französischen Sti), das sie auch ohne die Erfüllung ihrer Träume erreicht hat, fallen auch ihre Fragen zu diesem einschneidenden Ereignis aus, das ihr widerfahren ist. Man spürt ihre verhaltene Freude, auch das Nochnichtglaubenkönnen, aber auch ihre Zweifel über diesen überraschenden Gewinn. Es geschieht nicht viel in dieser Geschichte, aber spätestens nach der Bekanntgabe des Lottogewinns (was recht früh geschieht), liegt eine anhaltende Spannung in der Luft. Während ich las, wartete ich die ganze Zeit auf eine Entscheidung, einen Knall, es musste etwas passieren. Das tut es auch, aber völlig anders als gedacht.
Es ist ein kleines, aber sehr feines Buch über das Glück und das Unglück, die Freude im Leben aber auch das Leid. Am erstaunlichsten fand ich jedoch, dass diese Geschichte, die überzeugend aus der Sicht einer Frau erzählt wird, von einem Mann geschrieben wurde. Diesen Autor muss ich mir merken

Veröffentlicht am 14.02.2018

Die Vergangenheit loslassen, damit die Zukunft eine Chance hat

Ehemänner
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Jarvis' Ehemann Martin, ein berühmter Maler, ist sechs Jahre zuvor nach einem Unfall ins Koma gefallen; seitdem besteht ihr Leben aus der Trauer um ihren Mann. Als sie sich eines Tages aufgrund ihrer defekten ...

Jarvis' Ehemann Martin, ein berühmter Maler, ist sechs Jahre zuvor nach einem Unfall ins Koma gefallen; seitdem besteht ihr Leben aus der Trauer um ihren Mann. Als sie sich eines Tages aufgrund ihrer defekten Waschmaschine in einen Waschsalon aufmacht, lernt sie drei Männer kennen, alle verheiratet, die ihr Leben völlig durcheinanderbringen.
Der Titel, der Klappentext und wohl auch meine kurze Inhaltsangabe lassen vermutlich erst mal auf eine eher unterhaltsame, kurzweilige Lektüre schließen, was dem Buch aber ganz bestimmt nicht gerecht werden würde. Es geht (unter anderem) um nicht mehr oder weniger als die Frage: Wer bin ich? Die Protagonistin ist (noch immer) eine junge Frau, die sich aufgrund ihrer Vergangenheit so sehr nach Liebe sehnte, dass sie ihre eigene Persönlichkeit in der Beziehung zu Martin fast völlig aufgab - vielleicht war ihr bis dahin aber auch noch nicht klar, wer sie selbst überhaupt war. Die Begegnung mit den drei Männern, mit denen sie sich anfreundet, gibt ihr Selbstvertrauen und sie beginnt ihr bisheriges Leben zu reflektieren, ohne etwas zu beschönigen. Sie erkennt, dass sie selbst initiativ werden muss, um ihr eigenes Leben zu leben und entdeckt dabei Geheimnisse, die ihre Ehe in einem ganz anderen Licht zeigen.
Die große Stärke der Autorin sind ihre präzisen, bildhaften Beschreibungen, die häufig in lange Sätze münden, von denen man aber (meistens) kein Wort missen möchte. "Bis ich Martin kennenlernte. Dessen ganzes Leben, jedes Quäntchen davon, jeder Atemzug, jeder Gedanke, dem Kunstschaffen gewidmet war. ... Er ließ mich ein, ein Eckchen, ein Fetzen heißer Haut, er hob ihn an, zeigte mir, was darunter war, wie bei diesen menschlichen Körperskulpturen, die sie im Anatomieunterricht hatten, nur dass Martin innen aus Farbe bestand und Struktur und Augen und Lippen und Nase, alles in einem riesigen Meer." "Mein Vater siecht auf Rhode Island dahin und betrauert meine Mutter durch den Boden einer Bierflasche."
Es ist eine Geschichte um Trauer, Liebe, Freundschaft und wie man dabei vor lauter Gefühlen dennoch seine eigene Persönlichkeit bewahrt. Jarvis wäre dies beinahe nicht gelungen und wer weiß, vielleicht hätte sie es an der Seite ihres erfolgreichen Mannes auch nicht bemerkt.
Ein schönes, immer wieder auch nachdenklich machendes Buch, manchmal aufgrund der häufigen Zeitsprünge nicht ganz einfach zu lesen.

Veröffentlicht am 14.02.2018

Was soll man davon halten ... ;-)

Evangelio
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Als Lutherroman wird dieses Buch angekündigt, aber wer nun erwartungsvoll darauf hofft, mehr über das Leben und Wirken des Reformators zu erfahren, wird mit dieser Lektüre sicher nicht glücklich. Wer hingegen ...

Als Lutherroman wird dieses Buch angekündigt, aber wer nun erwartungsvoll darauf hofft, mehr über das Leben und Wirken des Reformators zu erfahren, wird mit dieser Lektüre sicher nicht glücklich. Wer hingegen ein Sprachabenteuer erleben möchte, sollte zugreifen
Erzählt wird von einer eher kleinen Zeitspanne: Nachdem Luther auf dem Wormser Reichstag für vogelfrei erklärt wurde, findet er auf der Wartburg im Mai 1521 Zuflucht. Von dieser ersten Zeit, bis er begann, das Neue Testament aus dem Griechischen ins Deutsche zu übersetzen, erzählt der Landsknecht Burkhard, Katholik, der Luther im Auftrag des Kurfürsten von Sachsen beschützen soll.
Zaimoglu hat dafür eine eigene Sprache erfunden, wobei er offenbar versuchte, dem Idiom der damaligen Zeit möglichst nahe zu kommen. Ich habe keine Ahnung, ob bzw. wie gut ihm das gelungen ist - in jedem Fall ist es etwas Außergewöhnliches, wenn auch nicht unbedingt ein Genuss. Die Menschen äußern sich vulgär, derb, brutal und so grobschlächtig, dass mir manchmal fast die Lust am Lesen verging. Erschwerend kommt hinzu, dass es jede Menge Ausdrücke gibt, die vermutlich dem Erfindungsreichtum des Autoren zu verdanken sind. Ein Beispiel: "Junker Georgen, Mönch ohne Kutte, gebannt auf die Felsenfeste Warte, ist ein stößiger Stier, er wütet in der ersten Hitze. Meister Martinus speit aus den bösen Geist in prasselnden Stücken. Sein Maul fließt über, denn das Evangelium sticht ihn." Keine Frage, es ist beeindruckend wie dieser Stil konsequent von Anfang bis Ende fortgeführt wird, aber ein richtiges Lesevergnügen stellte sich bei mir nicht ein.
Was vielleicht auch an dem Fehlen einer guten und spannenden Geschichte liegt. Burkhard beschreibt neben Luthers Ringen mit seinen inneren Dämonen das Umfeld der Wartburg; die Menschen, wie sie leben, leiden und lieben. So ist das Buch mehr ein mittelalterliches Gesellschaftspanorama als ein Roman über den Reformator.
Wem Sprache wichtiger ist als eine Geschichte, wer sich für Sprachexperimente begeistern kann, wird an diesem Buch seine Freude haben. Die Anderen sollten vorher besser einen Textauszug lesen, um keine Enttäuschung zu erleben.

Veröffentlicht am 14.02.2018

Beeindruckende Innenansicht eines alternden Mannes

Walter Nowak bleibt liegen
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Walter Nowak, 68 Jahre, ist ein Mann der Tat. Um etwas zu erreichen, muss man arbeiten - und das macht er mit Erfolg. In weniger als 10 Jahren vom Lehrling zum Chef - da bleibt keine Zeit für Schnickschnack ...

Walter Nowak, 68 Jahre, ist ein Mann der Tat. Um etwas zu erreichen, muss man arbeiten - und das macht er mit Erfolg. In weniger als 10 Jahren vom Lehrling zum Chef - da bleibt keine Zeit für Schnickschnack wie Schwäche oder Gefühle. Doch als er bei seiner täglichen 1000-Meter -Schwimmrunde im Freibad mit dem Kopf gegen die Beckenwand knallt, verliert er zum ersten Mal die Kontrolle über sich. Es gelingt ihm noch heimzufahren, doch dann bleibt er regungslos im Bad liegen. Niemand ist da, um ihm zu helfen und er verliert sich in Erinnerungen, Selbstreflexionen, Träume.
Vermutlich zum ersten Mal in seinem Leben ist er völlig hilflos und muss nun seinen Gefühlen und Schwächen freien Lauf lassen, die er sein ganzes Leben wohl weitestgehend erfolgreich unterdrückt hat. Erinnerungen überfluten ihn, an seine Kindheit als Bastard, seine erste Ehefrau, seine zweite Ehefrau, sein Sohn - und nach und nach wird klar, dass er trotz seines beruflichen Erfolges ein trauriger, einsamer Mann ist.
Das Buch besteht ausschließlich aus dem Gedankenfluß Werner Nowaks, was durchaus gewöhnungsbedürftig ist. Viele Sätze werden nur angerissen und Walter springt mit seinen Gedanken nicht nur im Thema, sondern auch in den Zeiten. Doch spätestens nach fünf bis 10 Seiten war ich so gefesselt von Walters Innenleben, dass ich das Buch fast in einem Rutsch durchlas (wer es bis dahin immer noch öde finden sollte, sollte besser aufhören zu lesen. Denn dieser Stil bleibt bis zum Ende). Julia Wolf schildert die Gedankengänge dieses alternden Mannes so überzeugend, als habe sie tatsächlich in seinem Kopf gesteckt. Und ich habe mich beim Lesen immer wieder gefragt, wie ihr das gelungen ist. Wer dieses Buch gelesen hat, wird einen bestimmten Männertyp künftig mit anderen Augen betrachten - zumindest mir wird es mit großer Wahrscheinlichkeit so gehen

Veröffentlicht am 21.01.2018

Eine Lehrstunde von Frau Zeh in Sozialkunde und Politik

Leere Herzen
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2025, Deutschland lebt in Sicherheit und Wohlstand, es gibt das bedingungslose Grundeinkommen. Dass die regierende BBB (BesorgteBürgerBewegung)-Partei währenddessen den demokratischen Staat sukzessive ...

2025, Deutschland lebt in Sicherheit und Wohlstand, es gibt das bedingungslose Grundeinkommen. Dass die regierende BBB (BesorgteBürgerBewegung)-Partei währenddessen den demokratischen Staat sukzessive zurückfährt, immer mehr Freiheitsrechte beschneidet und die Überwachung auch im Privaten praktisch lückenlos ist, scheint nur wenige zu stören. "Die Leute wurden gefragt, was sie tun würden, wenn sie sich zwischen dem Wahlrecht und ihrer Waschmaschine entscheiden müssten. ... 67% wählten die Waschmaschine. 15% waren unentschieden."
Britta Söldner (!) hat sich in dieser Welt eingerichtet und mit einem Freund und Partner ein perfides Geschäft aufgebaut, mit dem sich gutes Geld verdienen lässt. Doch sie bekommen Konkurrenz und bald schon scheinen sie verfolgt zu werden.
Es ist ein düsteres Bild, was Juli Zeh in diesem Buch entwirft. Und erschreckenderweise nicht sooo weit entfernt von unserer Welt. 'Wehret den Anfängen' soll uns wohl deutlich gemacht werden - doch das leider in einer Intensität, dass es anfing mir auf die Nerven zu gehen. Ja, mir ist bewusst, dass das Wahlrecht ein wichtiges ist; dass Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte auf allen Ebenen relevant sind für unser Zusammenleben, auch wenn sie umständlich und zeitraubend wirken und manchmal vielleicht sogar sind; dass es etwas geben muss FÜR das man lebt - und dass das nächste Shoppingerlebnis bestimmt nicht dafür ausreicht; dass Überzeugungen, Prinzipien, Standpunkte überholt klingen mögen (kann man sich doch nix für kaufen) - aber ob 1.587 Likes ausreichen, um dem Leben einen Sinn zu geben? Auch wenn Frau Zehs Anliegen mehr als gerechtfertigt ist, hat mich 'Leere Herzen' nicht überzeugt. Den erinnernden Zeigefinger sah ich ständig im Hintergrund und die Figuren waren (was sie wohl auch sein sollten) weitestgehend gleichgültig - was sich dann aber bedauerlicherweise auch auf die Geschichte auswirkte (hach, wenn ich da an 'Unterleuten' zurückdenke; was für ein Buch!). Zudem blieben diverse Fragen offen: Was machte beispielsweise Hatz anschließend? Und die Beteiligung? Wo kam die eigentlich her?
So bleibt es trotz der eigentlich guten Idee bei einem durchschnittlichen Krimi in einer nahen Zukunft, wie sie uns hoffentlich erspart bleiben wird. Ob dieses Buch dann mit dazubeigetragen haben wird, wage ich allerdings zu bezweifeln