"Sie ist die Nacht, so wie Ihr der Morgen seid."
Die Bibliothek der flüsternden Schatten - BücherstadtAkram El-Bahay ist bekannt für seine Flammenwüsten-Trilogie, die ich leider noch nicht das Vergnügen hatte zu lesen. Von daher war ich einerseits total gespannt auf die Entdeckung eines für mich neuen ...
Akram El-Bahay ist bekannt für seine Flammenwüsten-Trilogie, die ich leider noch nicht das Vergnügen hatte zu lesen. Von daher war ich einerseits total gespannt auf die Entdeckung eines für mich neuen Fantasyautors, und andererseits unvoreingenommen was zum Beispiel Schreibstil und "world building" betrifft.
Inhalt:
Nach einem tragischen Ereignis steht für Samir den Dieb fest, dass sich sein Leben schnellstmöglich ändern muss: unter einem falschen Namen tritt er der Königsgarde des Weißen Königs bei und wird unter die Stadt Mythia an das Marduk-Tor beordert. Doch dieses Tor ist kein gewöhnliches Tor: es trennt die Bücherstadt Paramythia, eine schier unendliche unterirdische Bibliothek, von deren Herzen, in dem, so sagt man, die Märchen zu hause sind. Gleich an seinem zweiten Diensttag geschehen seltsame Dinge in der Stadt unter der Stadt. Samir findet die Leichen seines Wachepartners, einer Dienerin und eines Bücherdoktors - und verfolgt ein geflügeltes Wesen, das er nur aus Märchen kennt, auf den Turm des Palastes! Gepackt von einer diebischen Neugier geht Samir der Sache nach und trifft auf den Gelehrten Hakim und seine Tochter Kani, die mehr zu wissen scheinen, als Samir bisher dachte. Dann überstürzen sich die Ereignisse und was Samir einst ein Märchen glaubte, wird zur Wirklichkeit...
-> 5 Sterne
Erzählstil und Thematik:
Von der ersten Seite, auf der wir die Beraterin des Weißen Königs kennenlernen, und dem ersten richtigen Kapitel an, in dem Samir den Entschluss fasst, sein Leben auf den Kopf zu stellen, fesselt die bildreiche und lebendige Sprache El-Bahays den Leser an das Buch. Man wird regelrecht in die Geschichte hinein gezogen - und welcher Leser liebt nicht eine Geschichte über Bücher?
Die Stadt Mythia ist laut dem Autor an Barcelona angelehnt, die selbst ein Schmelztiegel der arabischen und europäischen Kultur ist. Genauso fühlt sich die Atmosphäre im Buch an, die Bibliothekare tragen lateinische Namen wie christliche Mönche, die Diebe haben arabische und italienische Namen, und der eine oder andere nordische Name gesellt sich bei den Wachen dazu. Ebenso könnte man sich in Paramythia, der Bücherstadt unter der Stadt, in einem europäischen Palast oder wie in der Sixtinischen Kapelle fühlen, während man in Mythia auf eine "Zuckerstraße" wie in Sizilien und der Türkei trifft und in ein Theater wie die Arena von Verona oder die Opéra Garnier gehen kann. Und doch harmoniert alles herrlich miteinander.
Haben wir uns nicht alle einmal gefragt, wie es wäre, Feen oder Drachen zu begegnen? Nun, diese gibt es in dieser sehr besonderen Erzählung nicht anzutreffen, aber dafür so vieles mehr! Jedes Fabelwesen wird mit El-Bahays Worten fiktive Wirklichkeit und für Samir und Kani mehr und mehr greifbar. Es ist schön, Samirs Staunen und Zweifel mit zu verfolgen, als sich vor ihm eine ganz neue Welt auftut.
Werden die Legenden, auf die der Weise Hakim öfter anspielt, doch noch Realität? Schlagt das Buch auf und findet es gemeinsam mit Samir und Kani heraus!
-> 4 Sterne
Charaktere:
Samir oder Sam, wie er - meines Erachtens - leider zu oft genannt wird, ist zweifellos ein charmanter Dieb und später ein charmanter Wächter. Er kommt von Anfang an sehr echt rüber, was auch an den Selbstzweifeln und Schuldgefühlen liegt, die ihn plagen. Doch er verkriecht sich nicht darin und stellt sich mutig den neuen Herausforderungen. Und dass er sich seiner Vergangenheit nicht erwehren kann, nun, das kann keiner, oder?
Kani ist eine durchaus würdige Partnerin für Samir. Die junge Dienerin ist eigentlich die Tochter eines Gelehrten und eine echte Büchernärrin - für die Samir sogar schwindelt und behauptet, er könne lesen, so sehr imponiert ihm die kluge und mutige Frau. Sie ist wissbegierig und hat ein großes Herz, was sie dem Leser schnell näher bringt.
Hakim der Weise erinnerte mich von Anfang an eine zerstreute Version von Leonardo Da Vinci. Er würde alles für neues Wissen und seine Tochter tun...
Die Beraterin des Königs, Sabah, birgt selbst ein düsteres Geheimnis, das die gesamte Geschichte begleitet und erst zum Schluss in ihr Zentrum rückt. Sehr gut gelungen, diese sich zunehmend anbahnende Gefahr! Ich hätte mir lediglich noch den einen oder anderen Auftritt mehr gewünscht.
Die Diebe Vicente und Majid sind wundervoll charmant und gleichzeitig listig, sehr schön gelungen, die Vermählung von arabischem und italienischem Charme.
Die Fabelwesen erinnern teils an uns bekannte Geschöpfe wie Harpyien oder Sartyre, gleichzeitig sind sie aber auch besonders und einzigartig.
-> 4 Sterne
Fazit:
4,5 Sterne - ein gelungener Auftakt
Wer eine mystische Welt sucht, hat in diesem Buch eine gefunden! In meinen Augen ist es eine leichtere, nicht zu düstere Fantasy, aber nicht ohne Spannung und mit vielen Geheimnissen. Manchmal fallen den Hauptcharakteren ein paar Dinge zu leicht, an anderen Stellen trauert man um geliebte Nebencharaktere. Ich hätte mir lediglich gewünscht, dass man am Ende noch ein wenig mehr erfährt... Aber ob sich die Schwingen der Nacht über Mythia erheben werden, erleben wir wohl erst im zweiten Band - darauf bin ich schon sehr gespannt!