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Veröffentlicht am 11.12.2023

Ein Must-Read-Jugendthriller

Warrior Girl Unearthed
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Diese lose Fortsetzung, übersetzt von Petra Bös, steht Firekeeper's Daughter in nichts nach.

Es sind Sommerferien, und eigentlich will Perry Firekeeper-Birch nichts weiter als chillen und angeln gehen. ...

Diese lose Fortsetzung, übersetzt von Petra Bös, steht Firekeeper's Daughter in nichts nach.

Es sind Sommerferien, und eigentlich will Perry Firekeeper-Birch nichts weiter als chillen und angeln gehen. Doch es kommt ganz anders: Ihr Auto geht kaputt und sie muss die ganzen Sommerferien bei einem Praktikum schuften, um die Reparatur zu bezahlen. So landet sie bei dem etwas schrulligen Cooper, dem Leiter des Tribe-Museums, wo sie die Aufgabe bekommt, die Repatriierung (Rückführung/Rückgabe) des “Warrior Girls”, eines menschlichen Skellets, das in der nahe gelegenen Universität aufbewahrt wird, einzuleiten. Sie erfährt, dass das Gesetz “NAGPRA” (Native American Graves Protection and Repatriation Act) eigentlich dafür sorgen soll, dass diese so schnell wie möglich zurückgegeben werden, was aber in den seltensten Fällen geschieht.

Als immer mehr Frauen aus Perrys Community verschwinden, entwickelt sich ein spannender Jugendthriller, den ich einfach nicht mehr aus der Hand legen konnte. Boulley zeigt auch in diesem Buch, dass sie komplexe Themen anschaulich, verständlich und vielschichtig vermitteln kann. Sie konzentriert sich darauf, wie indigene und kolonisierte Körper damals wie heute ausgebeutet und kontrolliert werden - und schreibt gleichzeitig eigenwillige, empowernde indigene Charaktere, die alles für ihre Community und ihr Überleben tun.

Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir eine Szene, in der Perry “menschliche Überreste” in einer Cornflakes-Packung findet. “Überreste” - die Vorfahren von jemandem, die auf so gewaltsame Weise entmenschlicht werden. Auch in Deutschland lagern in Museen, Stiftungen, Archiven und Privathaushalten unzählige Knochen und Schädel, die während der Kolonialzeit geraubt, für rassistische Forschungszwecke missbraucht und als bloße “Objekte” betrachtet und entmenschlicht wurden (Decolonize Berlin e.V. 2022).

Fazit: Warrior Girl Unearthed hat mir, wie man wohl an dieser ausführlichen Rezension sieht, sehr sehr gut gefallen - es regt total zum Nachdenken an und ich hoffe sehr, dass noch viele weitere Bücher von Boulley erscheinen werden.

Anmerkung 1: Ich schreibe “menschliche Überreste” in Anführungszeichen, da es sich um einen verständlichen Begriff handelt. Perry und ihre Community sprechen im Buch aber von Vorfahren oder Ahnen - wissenschaftlich wird im Englischen oft “ancestral remains” genutzt (Decolonize Berlin e.V. 2022).

Anmerkung 2: In der deutschsprachigen Übersetzung das I-Wort reproduziert. Zwar an Stellen, an denen es eingeordnet wird, aber es hätte, meiner Meinung nach, zumindest eine einordnende Anmerkung der Übersetzung gebraucht.

Decolonize Berlin Quelle: Gutachten von www.ecchr.eu/fall/human-remains-ancestors/ unter "Dokumente"

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Veröffentlicht am 30.11.2023

Sie kam, sie sah, sie girlbosste

Klytämnestra
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Constanza Casati bringt hier eine der weiblichen "Randfiguren" aus der griechischen Mythologie zum Leben und gibt ihr Agency: Klytämnestra, die Schwester von Helena, Frau des Königs Agamemnon und Mutter ...

Constanza Casati bringt hier eine der weiblichen "Randfiguren" aus der griechischen Mythologie zum Leben und gibt ihr Agency: Klytämnestra, die Schwester von Helena, Frau des Königs Agamemnon und Mutter von Elektra, Iphigenie, Orestes und Chrysothemis.

Eine kurze Zusammenfassung von Klytämnestras Geschichte: Sie war eine der wenigen (oder sogar die einzige?) Frauen der griechischen Mythologie, die sich nicht vor Trauer über das ermordete Kind in einen Hund, Stein oder ähnliches verwandelt hat, sondern Rache sucht - und stolz darauf ist. Während ihr Mann Agamemnon im Trojanischen Krieg war, hatte sie Zeit, ihren Groll gegen ihn zu schüren - eine quasi jahrzehntelang gewachsene, antike weibliche Wut.

In der Popkultur ist Klytämnestra der Inbegriff der mörderischen, machtbesessenen und "verrückten" Gemahlin - inzwischen ein beliebter Archetypus. Madeline Miller schreibt in ihrem Essay: “Sexually faithless, deceitful, murderous: Clytemnestra is the incarnation of ancient anxieties about women and power”.

Konnte Casati diese Themen nun umsetzen? Meiner Meinung nach ist ihr das einerseits wunderbar gelungen, andererseits blieb ich aufgrund meines persönlichen Lesegeschmacks zu distanziert - es war mir tatsächlich ein wenig zu lasch.

Der Schreibstil hat mich schon in der Leseprobe überzeugt. Kleine Metaphern und spielerische Umschreibungen vermittelten mir eine dichte Atmosphäre. Besonders gefallen hat mir, wie detailliert die spartanische Gesellschaft gezeigt wurde - wie liebevoll, aber gleichzeitig grausam sie ist; wie die patriarchalen Herrschaftsstrukturen über Generationen hinweg durchsetzen und die Figuren beeinflussen.

Leider haperte es für mich an der Strukturierung. Insgesamt war es mir zu plotgetrieben. Teilweise hat es sich sogar wie eine Telenovela oder Familiensaga angefühlt - es passiert etwas off-screen, dann wird kurz darüber geredet, dann passiert wieder etwas und das Ganze ist gespickt mit langen Zeitsprüngen, die eigentlich dazu nötig gewesen wären, um die Figuren besser zu verstehen. Für mich persönlich wurde auch die moralische Ambiguität der Figuren, insbesondere die von Klytämnestra selbst, nicht ausreichend ausgereizt. Es ist in Ordnung, wenn aktuelle feministische Themen in solchen Büchern behandelt werden, aber hier war es mir zu simpel. Casati wollte Klytämnestra in möglichst gutem Licht darstellen - und am Ende war sie zu sehr Girlboss statt komplexe Frauenfigur. Ich hätte mir mehr Extreme und eine stärkere Ausreizung gewünscht. So blieb alles für mich recht auf einer Linie, ohne viele Höhen oder Tiefen - und gerade das wünsche ich mir von den dramatischen Geschichten der griechischen Mythologie.

Ich vergebe ausgewogene 3,5 ⭐

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Veröffentlicht am 10.11.2023

Atmosphärisch, aber wenig spannend

Das Buch Eva
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"Das Buch Eva" von Meg Clothier, übersetzt von Edith Beleites, ist ein historischer Roman mit phantastischen Elementen und hat mich sofort angesprochen, als ich gesehen habe, worum es geht: Im Italien ...

"Das Buch Eva" von Meg Clothier, übersetzt von Edith Beleites, ist ein historischer Roman mit phantastischen Elementen und hat mich sofort angesprochen, als ich gesehen habe, worum es geht: Im Italien der Renaissance findet Beatrice, die Bibliothekarin eines Klosters, ein rätselhaftes Buch - das, was wir heute als Voynich-Manuskript kennen, geschrieben in einer Sprache, die niemand zu verstehen scheint. Doch nach und nach kommt Beatrice seinen Geheimnissen auf die Spur und muss sich dabei vor denjenigen retten, die sich ebenfalls für den scheinbar ketzerischen Text interessieren...

Die italienische Renaissance und ein Kloster als Schauplatz, Christentum, Volksglaube, Mystik - das musste ich einfach ausprobieren. Ich finde es spannend, das Thema Schrift/ Schriftarten mit einem phantastischen Ansatz zu bearbeiten.

Besonders gut gefallen hat mir das Miteinander der Frauen im Kloster, der Schutz, den sie anderen Frauen geben und der Mut, den sie sich gegenseitig zusprechen. Generell war es ein sehr atmosphärisches Leseerlebnis, ich habe mich richtig in das Setting hineinversetzt gefühlt. Auch der Schreibstil hat mir sehr gut gefallen - man konnte ihn gut lesen, aber irgendwie war er doch etwas eigenwillig und sehr, sehr ruhig, was ich mag.

Allerdings wurde das Potential, das diese außergewöhnliche Prämisse bietet, meiner Meinung nach nicht voll ausgeschöpft. Die Umsetzung blieb da leider ziemlich blass. Ich hatte das Gefühl, dass sich der Text davor hütet, zu sehr ins Phantastische abzugleiten, denn das hätte in eine ziemlich gruselige Horror-Richtung gehen können. Ich hätte mir MEHR gewünscht, mehr Spannung, mehr Konsequenzen, mehr verzwickte Rätsel... weshalb ich tatsächlich nur 2,5 Sterne vergeben kann.

Unterm Strich bleiben mir das Setting und die Atmosphäre definitiv im Gedächtnis, aber insgesamt kann ich das Buch nur bedingt empfehlen. Zum Beispiel, wenn man wirklich, wirklich auf italienische Renaissance steht.

Vielen Dank an den Verlag für dieses Rezensionsexemplar.

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Veröffentlicht am 27.10.2023

Was für ein Stadtsetting!

Meister der Dschinn (Gewinner des Nebula Award 2021 für Bester Roman & des Hugo Award 2022 für Bester Roman)
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Meister der Dschinn hat mich positiv überrascht! Ich bin nämlich eigentlich kein großer Fan von Krimi-Plots und hier handelt es sich um eine Murder-Mystery, aber: Dieses World Building war einfach fantastisch.

Wir ...

Meister der Dschinn hat mich positiv überrascht! Ich bin nämlich eigentlich kein großer Fan von Krimi-Plots und hier handelt es sich um eine Murder-Mystery, aber: Dieses World Building war einfach fantastisch.

Wir befinden uns in einer alternativen Geschichte im Steam-Punk-Kairo, 1912. Nachdem der legendäre Magier al-Jahiz vierzig Jahre zuvor den Schleier zwischen dieser und der Welt der Magie durchbrach, wurde Kairo zu einer pulsierenden Weltmetropole - und ein Hub für alle Arten von Dschinns, magischen Wesen und alten Gottheiten… Doch eines Tages wurden Mitglieder einer geheimen Bruderschaft ermordet aufgefunden und der mächtige Magier scheint wieder auferstanden zu sein.

P. Djèlí Clark ist (wahrscheinlich) kein Meister der Dschinn, aber ein Meister im detailliertem und vielfältigem World Building. Wie unglaublich viele Ebenen er gekonnt miteinander verwoben hat, wo andere Einzelbände kläglich dran scheitern - großartig. Alles funktioniert und greift ineinander wie gut geölte Zahnräder. Wesen aus islamischer, arabischer, altägyptischer, jüdischer und christlicher Mythologie und Märchen kommen vor, es wurden Religionen und Religiosität mit eingebracht, ein Jazzclub, der von Jim-Crow-Geflüchteten aus den USA betrieben wird, dient als Treffpunkt - und dabei hatte ich nie das Gefühl, dass diese Punkte nur Oberfläche waren, sondern wirklich eine Bedeutung hatten. Sie hatten Gewicht. Außerdem wurden diverse -ismen bearbeitet und Kolonialismus des Britischen Commonwealth, insbesondere spielt die “Egyptomania” der Briten, also das massenhafte Sammeln und Rauben ägyptischer Kunst und kulturellen Gegenständen, eine tragende Rolle.

Es klingt jetzt vielleicht etwas seltsam im Kontext eines Fantasybuches, aber für mich war das einer der realistischen magischen Stadtsettings, die ich bisher gelesen habe.

Die Figuren fand ich auch super. Okay, die Antagonist*innen hätten mehr ausgearbeitet werden können, aber die Protagonistinnen? Ich mochte sie - insbesondere wie unterschiedlich sie waren. Gepaart mit der visuellen, fast superhelden-artigen Action war es ein fast perfektes Buch. Außerdem gibt es einen ziemlich coolen sapphischen Subplot, yeah 🙂

Fast perfekt deswegen, weil ich mit dem Plot nicht warm geworden bin. Ich fand ihn zwar interessant, aber stellenweise zu vorhersehbar, wobei ich schon mit der Erwartung reingegangen bin, dass der Krimianteil mich eventuell nicht vollends begeistert.

Ich freue mich auf die Novellen, die nächstes Jahr bei Cross Cult erscheinen, und gebe damit eine herzliche Leseempfehlung für Meister der Dschinn aus! 4,5 Sterne.

Eine Anmerkung: Es kommt das N-Wort und weitere r@ssistische Beleidungen vor, die auf jeden Fall auch kritisch eingeordnet werden, aber ich weiß ehrlich gesagt zu wenig über Übersetzungstätigkeit und so um das richtig bewerten zu können - aber ich wollte das nicht unerwähnt lassen.

Danke an den Verlag und Lovelybooks für das Rezensionsexemplar!

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Veröffentlicht am 17.10.2023

Ein versöhnliches Sachbuch über ungeliebte Insekten...

Wespen. Eine Versöhnung
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Wespen. Eine Versöhnung von Seirian Sumner, übersetzt von Andrea Schmittmann, ist ein unterhaltsames und sehr (SEHR) detailreiches Sachbuch über… Wespen. Ich war sofort neugierig: Eine Versöhnung? Mit ...

Wespen. Eine Versöhnung von Seirian Sumner, übersetzt von Andrea Schmittmann, ist ein unterhaltsames und sehr (SEHR) detailreiches Sachbuch über… Wespen. Ich war sofort neugierig: Eine Versöhnung? Mit den fiesen Biestern, die uns im Spätsommer auf dem Balkon oder der Terrasse, beim Eisessen - ja, eigentlich überall terrorisieren - wie soll das gehen? Allein schon der Klappentext: “Wespen gelten als die Gangster der Insektenwelt, als geflügelte Mörder mit gewaltigen Stacheln, als biblische Strafe und Inspiration für Horrorfilme. Was hat zu diesem miserablen Image geführt? Und haben sie diesen Ruf verdient?”

Ich oute mich hier mal als absoluter Bienen- und Hummelfan. Gibt es was süßeres, als die dicken, flauschigen Kügelchen, die von Blümchen zu Blümchen torkeln? Nein, was Süßeres gibt es nicht. Aber ich habe gelernt: Wespen sind definitiv verdammt cool.

Wusstet ihr zum Beispiel, dass es unzählige Wespenarten gibt, die alle ihren ganz eigenen Beitrag zu unserem Ökosystem leisten - manche sogar als Bestäuber für bestimmte Pflanzen? Einige von ihnen sind Einzelgänger und jagen ihre Beute gnadenlos mit einem Gift, das in der Krebsforschung Anwendung findet. Und manche Arten haben ein reges Sozialleben mit eigentümlichen Gesellschaftskonstellationen.

Seirian Sumner ist nicht nur Professorin für Verhaltensökologie, sondern auch unfassbar großer Fan von Wespen- das merkt man bei der Lektüre durch und durch. Mit ihrem britischen Humor hält sie einen bei der Stange, selbst wenn ich mich teilweise in meinen Bio-LK zurückversetzt gefühlt habe, als von Mendelschen Regeln zur Vererbung und Allelen die Rede war (solche Begriffe werden durchaus gut erklärt). Sumner ist einfach weird. Fast schon obsessiv. Und ich liebte es sehr, wie sie ihre Leidenschaft für ihre Forschung vermittelt.

Ein paar Dinge möchte ich allerdings kritisieren. So hätte ich mir gewünscht, mehr über die gesellschaftliche Rezeption von Wespen in den Medien zu erfahren, wie es der Klappentext verspricht - Bezüge außerhalb der Biologie und Ökologie gab es erstaunlich wenig. Auch das Thema Klimakatastrophe und Artensterben taucht nur am Ende am Rande auf, stattdessen verliert sich Sumner in der Mitte des Buches in einem viel zu langen “Dialog” mit Aristoteles und führt fiktive Zwiegespräche mit ihm, die ehrlich gesagt ziemlich langatmig waren.

Außerdem finde ich es schade, dass Sumner ihre Disziplin nicht einordnet und sich selbst, als britische Forscherin, nur selten reflektiert. Die Art und Weise, wie bestimmte Dinge beschrieben wurden - wenn zum Beispiel “exotischen” Wespenarten angeführt wurden, oder dass das strikte Kategorisieren der Umwelt nie in den Kontext von eurozentrischer Wissensproduktion gesetzt wurde - das würde ich durchaus kritisieren, denn Sumner gibt nie einen Ausblick auf andere Formen von Wissen als der sehr hierarchisch und kategorisierend aufgebauten europäischen/britischen.

Bleibt noch die Frage: Habe ich mich mit Wespen versöhnt? Ja, schon irgendwie. Ich habe gemerkt, wie ich an Blumenwiesen vorbei gegangen bin und eben nicht nur verträumt die pummelige Hummel oder die plüschige Biene beobachtet habe, sondern genauer hingeschaut habe, um die Vielfalt um mich herum wahrzunehmen. Denn noch ist sie vorhanden - und sie ist schützenswert.

Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar.

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