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Veröffentlicht am 16.01.2024

Stimme meiner Generation

Hab ich noch Hoffnung, oder muss ich mir welche machen?
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Till Raether ist ungefähr mein Jahrgang - wahrscheinlich auch ein Grund, weshalb ich mich in die Geschehnisse, die er aus seiner Jugend schildert, und die damit verbundenen Gefühle sehr gut einfühlen kann.
Geschickt ...

Till Raether ist ungefähr mein Jahrgang - wahrscheinlich auch ein Grund, weshalb ich mich in die Geschehnisse, die er aus seiner Jugend schildert, und die damit verbundenen Gefühle sehr gut einfühlen kann.
Geschickt und humorvoll vergleicht er selbst Erlebtes, die Bedrohung durch den kalten Krieg, die Atombombengefahr, und die Hoffnung, die er selbst aus Demonstrationen, aus dem eigenen Handeln heraus gewinnen konnte, mit den Bedrohungen, die heute die Zukunft der Jungen und Heranwachsenden verdüstern. Klimakatastrophe, Pandemie, Wetterkapriolen. Und er fragt sich, wie man noch Hoffnung haben kann in Zeiten wie diesen.
Wunderbare Sätze wie "Mein Sohn, drei Jahre älter [also 14 zu jener Zeit] schwänzte die Schule, um zur Fridays-for-Future-Demo zu gehen, und irgendwann schwänzte er die Schule und die FFF-Demo, um einfach nur mit seinen Freunden in der Stadt abzuhängen, das fand ich fast noch besser, weil: auf jugendliche Weise noch hoffnungsvoller" zeigen mit einer Leichtigkeit auf, dass Jugendliche, fast noch Kinder, heute bereits viel offener, aber auch viel selbstbewusster für ihre Zukunft einstehen, einstehen müssen, als wir das damals mussten. Mit 14 hatte ich noch das Vertrauen, die Hoffnung, dass "die Erwachsenen" alles richtig machen würden - das hat wohl heute kein einziges "Kind" mehr.
Denn auch wenn die Lage hoffnungslos erscheint - Till Raethers Zeilen machen auf nachdenkliche, reflektierte Weise Mut und Zuversicht und zeigen auf, wie wichtig es ist, Hoffnung zu haben, aber auch, wie wichtig es ist, etwas dafür zu tun, dass diese Hoffnung berechtigt ist.

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Veröffentlicht am 16.02.2023

Austrian road story

Frankie
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Kein Road movie, aber eine road story, made in Austria.
Eine Geschichte über Erwachsene und Erwachsende, wobei letztere manchmal auch die erwachseneren sind.
Frank, Protagonist und Ich-Erzähler, einziges ...

Kein Road movie, aber eine road story, made in Austria.
Eine Geschichte über Erwachsene und Erwachsende, wobei letztere manchmal auch die erwachseneren sind.
Frank, Protagonist und Ich-Erzähler, einziges Kind der alleinerziehenden Mutter wird gerade 14, als sein Großvater nach einer 18jährigen Gefängnisstrafe aus der Haft entlassen wird.
Schon die erste Begegnung artet in eine Machtdemonstration des Älteren aus. Er besteht darauf, Frank „Frankie“ (mit „ä“) zu nennen, schickt die offensichtlich verängstigte, eingeschüchterte Mutter weg, zwingt Frank zu einem Schachspiel, ohne die Regeln zu erklären, und lässt auch sonst keine Gelegenheit aus, den Jungen zu demütigen. Als er sich einmal von Frank brüskiert fühlt, lässt er sich auch zu körperlicher Gewalt hinreißen, danach bricht für kurze Zeit der Kontakt ab.
Der heranwachsende Frank hat auch noch genügend andere Sorgen: die Mutter, von der er der Meinung ist, dass sie nur einander haben (und auch brauchen), scheint sich verliebt zu haben. Der Vater, seit Jahrzehnten ohne Interesse, taucht plötzlich nach Franks Geburtstag auf und will ihn sehen. Der Mitschüler, der keine Gelegenheit auslässt, ihn zu triezen, hat eine demütigende Begegnung mit Franks Großvater und lässt den Frust darüber ebenfalls an Frank – in Form körperlicher Gewalt – aus.
Da steht eines Nachts der Großvater plötzlich in Franks Zimmer. Und die Road story nimmt ihren Lauf. Frank will eigentlich nur ein Frühstück. Und erlebt eine Nacht und einen Tag zwischen Autobahnraststätten, der sein Leben für immer zeichnet. Und in der er sich zu Aktionen gezwungen sieht, die ein 14jährigen nicht mal denken sollte.
Ein bisschen erinnert die Situation an Wolfgang Ambros‘ „Gezeichnet fia dei Leben“. Sehr österreichisch, sehr eigen. Ein ehemaliger Strizzi, der den Untergang seiner Spezies nicht wahrhaben will. Und ein 14jähriger, der tun muss, was er nicht tun soll.
Die Sprache ist virtuos, die Geschichte verstörend. Köhlmeier beweist mit diesem Buch, das er auch mit 73 Jahren überzeugend aus der Sicht eines 14jährigen schreiben kann.

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Veröffentlicht am 10.02.2023

Entzaubert

Blutmond (Ein Harry-Hole-Krimi 13)
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Eigentlich hatte ich Harry Hole nach „Messer“ abgeschrieben, doch er meldet sich in "Blutmond" zurück. Blutmond klingt nach Zauber, nach Hexensabbat, und hat man alle Harry Hole Bände gelesen, passt das ...

Eigentlich hatte ich Harry Hole nach „Messer“ abgeschrieben, doch er meldet sich in "Blutmond" zurück. Blutmond klingt nach Zauber, nach Hexensabbat, und hat man alle Harry Hole Bände gelesen, passt das als Synonym für die Rückkehr des ambivalenten Ermittlern recht gut.

Seiner geliebten Rakel und seinem ehemals besten Freundes Holm beraubt, findet sich Hole Anfang der Geschichte in Los Angeles wieder, wo er versucht, sich zu Tode zu trinken. Um einer Zufallsbekanntschaft von dort zu helfen, bräuchte er Geld, viel Geld. Das er nicht hat.

Zeitgleich werden in Norwegen zwei Frauen ermordet. Die Leiterin der Ermittlungen, Katrine, hätte Hole gerne in ihrem Team, der Rest der Führungsriege will sich aber die aus bereits 12 Fällen ausführlich bekannten Probleme mit Harry, dem Wrack, dem Unführbaren, ersparen. Doch Harry kehrt trotzdem zurück nach Norwegen: der dringend der Taten verdächtigte Immobilienmogul bietet viel Geld dafür, dass Harry ihn als Privatermittler aus dem Fokus der Nachforschungen herausboxt. Der Dame in Los Angeles, Lucille, wegens lässt sich Harry auf den Deal ein und ermittelt mit seinem eigenen Team aus Freunden und Feinden, die der Leser zum Teil schon aus früheren Büchern kennt.
Harry Hole ist alt geworden, und zugleich kompromissloser, brutaler, und scheinbar ohne jede Empathie. Die Grenzen zur Kriminalität wurden früher häufig ausgelotet, aber hatten noch eine Bedeutung, hier hat man das Gefühl, dass der nahende Blutmond neue Grenzen festlegt. Was unterscheidet diesen Harry von den Personen, die er verfolgt? Man versteht die Führungsetage der Polizei, die sich nicht mehr darüber aussieht, diesen Mann in ihre Dienste zu stellen.

Nesbø ist ein hervorragender Autor, ich hatte mehrfach das Vergnügen, ihn persönlich auf Lesungen zu erleben. Die feine sprachliche Klinge aber, das Spiel an der Grenze, die Ambivalenz der Figuren, die Emotionen, Leidenschaften und Gefühle der ersten Harry Hole Teile, die ich bei „Sohn“, „Ihr Königreich“ oder auch der Kurzgeschichtensammlung „Eifersucht“ wiedergefunden habe, scheint bei Harry Hole abhandengekommen zu sein.
Es geht nur mehr um die kaputte Seele, die irreperabel erscheint. Was schade ist, denn Nesbø kann wirklich mit Worten zaubern. Aber nicht in diesem Buch.

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Veröffentlicht am 09.02.2023

Ein offengelegtes Geheimnis

Das glückliche Geheimnis
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Schonungslos und frappierend offen präsentiert und Arno Geiger in diesem autobiografischen Werk eine Antriebsader seines Schreibstils – die 25 Jahre andauernde Runden, bei denen er Altpapiercontainer in ...

Schonungslos und frappierend offen präsentiert und Arno Geiger in diesem autobiografischen Werk eine Antriebsader seines Schreibstils – die 25 Jahre andauernde Runden, bei denen er Altpapiercontainer in Wien und Umgebung auf verwertbares durchstöberte.
Seine „Runden“, die er frühmorgens am Montag drehte, galten ihm in den Anfangszeiten, als Geiger noch ein unbekannter Name in der Literaturszene war, als durchaus willkommene Einnahmensquelle. Doch die Funde, vor allem Tagebücher und Briefwechsel, die er aus den Müllcontainern zog, eröffneten Geiger auch eine andere Sichtweise, eine direktere, persönlichere Sprache und gaben dem „Empathiemonster“ Geiger auch Einblicke in zahllose fremde Leben.
Das Buch fließt Runde um Runde locker in der Geiger eigenen Sprache dahin, der Leser erfährt Details zu Geigers früheren Werken, zu deren Entstehung, deren Ideenfindung, und verfolgt den Autor von der Unbekanntheit zum Licht der heutigen Person Arno Geiger. Erstaunlich offen und verletzlich präsentiert sich Geiger in diesem Werk, in dem er sein Leben detailreich schildert, von Liebesbekanntschaften, der Geschichte der Liebe seines Lebens, K., bis über die Pflege seines zunehmend dement werdenden Vaters und seiner Mutter. Erschreckend ehrlich muten die Einzelheiten an, wenn er anführt, wie seine Mutter, eine frühere Lehrerin, nach einem Schlaganfall mit den Worten kämpft, die in seiner Familie, in Geigers Welt, doch eine so große Rolle spielen.
Während Geiger immer wieder betont, dass die Tagebücher und Briefe ihm unbekannter Menschen einfach nur wertvolle Rohstoffe für sein Werk bedeuten, er in diesem Sinne aber ja keine intimen Geheimnisse offenbaren kann, da er den Menschen hinter den Zeilen ihre Anonymität bewahrt, beschreibt er Personen aus seiner nächsten Umgebung unglaublich detailliert, mit allen Ängsten, Schwächen und Problemen. Hier habe ich als Leser mich zum Teil beschämt gefühlt, auch bei den Schilderungen, wann Geiger mit wem wie häufig Sex hatte. Auf diese Episoden der Geschichte, die mir den Status eines Voyeurs gaben, hätte ich verzichten können.
Spannend hingegen empfand ich die Veränderungen der Umwelt und des Alltags über die Jahre, die Geiger auch aus Sicht des Altpapierdurchstöberers dokumentiert. Weniger Bastelmüll, mehr Versandkartone. Weniger Liebesromane, mehr Krimis und Thriller. Keine Urlaubspostkarten mehr, keine Tagebücher. Plakate von Klimademos, auf die Rückseite eines Kartons für einen Benzinrasenmäher aufgebracht. Der Wandel in Broschüren von Möbelhäusern, in denen keine Bücher mehr in den leeren Regalen zu sehen sind.
Diese Veränderungen geben auch einen Einblick in den Wandel der Gesellschaft, in das Wertesystem, das wir uns vorgeben. Die Lektüre wird aufgelockert durch zahlreiche Zitate, kleine Lebensweisheiten, Denkanstöße, Fundstücke aus dem Altpapier.
Das Buch hat mich nicht nur durch die Parallelen zwischen dem Leben Arno Geigers und meiner eigenen Geschichte tief berührt, und ich habe zwei der Bücher von Geiger, die noch nicht in meinem Regal standen, während der Lektüre bestellt.

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Veröffentlicht am 24.11.2022

Alte Liebe rostet nicht

Herzschuss
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Da ist mächtig was los auf der Polizeidienststelle Mistelbach.
Beim Skifahren an seinem freien Tag bekommt Kommissar Wallner von einem Unbekannten Koordinaten übermittelt. Die Neugierde treibt ihn zum ...

Da ist mächtig was los auf der Polizeidienststelle Mistelbach.
Beim Skifahren an seinem freien Tag bekommt Kommissar Wallner von einem Unbekannten Koordinaten übermittelt. Die Neugierde treibt ihn zum Zielpunkt, wo er ein prominentes Mordopfer – den Abgeordneten Philipp Gansel – auffindet. Und nicht nur das. Auch den Kollegen Kreuthner, der mit seinen unkonventionellen Methoden nicht nur Freunde bei der Polizei hat, trifft Wallner am Tatort.
Wallner ermittelt unter Hochdruck, v.a. die neue Chefin der Polizeidienststelle Karla Tiedemann, die sich ein Wichtigkeitsgemetzel mit dem Staatsanwalt liefert, erwartet prompte Ergebnisse.
Leider deuten alle Fäden auf Kreuthner als Mörder hin – wobei der Leser schon sehr viel früher als die Polizei erfährt, dass Kreuthner mit seinen Freunden dem späteren Opfer zwar einen Denkzettel verpassen wollte (was ziemlich daneben ging), aber ein tatsächliches Motiv, weshalb Kreuthner jetzt und an dieser Stelle den Mann seiner Jugendliebe ermorden sollte und wieso er dann auch noch Wallner auf die Leiche ansetzt, lässt sich nicht erkennen. Auch wenn wir nach und nach erfahren, dass eine ergaunerte Einladung zum Geburtstag des Abgeordneten Kreuthner wieder in die Nähe seiner Jugendliebe führte und ihn auf die Idee mit der Abreibung brachte. Doch gleich Mord? Und wenn Mord, wieso nicht im Rahmen dieser Bestrafungsaktion?
Die sehr früh ausgelegte Spur auf eine aus dem Rahmen gelaufene Drogenpartie, wo der Abgeordnete noch ein unwichtiger Hansl in der zweiten Reihe war, verläuft allerdings trotz Kreuthners Bestrebungen, den Mörder auf eigene Faust zu finden, im Sand, wobei aufgrund der Bemühungen wenigstens für dieses alte ungesühnte Verbrechen noch eine Bestrafung erfolgt. Und auch der tatsächliche Mörder wird schlussendlich überführt – wobei mir die Aufklärung des Verbrechens etwas zufällig erschien.
Der Charakter des Polizisten Kreuthner hat mich erst ein bisschen verärgert. Ein korrupter Polizist, der sich sein Gehalt durch Schwarzbrennerei und kleine Gaunereien ausbessert, als Jugendlicher durch Autodiebstahl geglänzt hat und speziell mit den Freunden aus der Waldschenke absolut keine Vorbildfunktion hat – naja. Er hat aber auch ein weiches Herz und seine guten Momente, v.a. wenn er mit Opa Manfred zu tun hat. Und das macht ihn wieder sympathisch und lässt ihn manchmal auch einfach wie einen großen Lausbuben, der nicht erwachsen werden möchte, erscheinen. Dass Kreuthner offenbar auch kriminelles Blut in den Adern hat, erfahren wir erst sehr viel später – wo er sich auf seiner Flucht plötzlich sehr viel geschickter anstellt als in den meisten Situationen zuvor.
Wallner hingegen, der auf sein privates Glück verzichtete, um Opa Manfred nicht zu verlassen, erscheint von Anfang an ehrlich. Kein Kerl, mit dem man Pferde stehlen möchte, aber äußerst korrekt, manchmal vielleicht zu korrekt. Daher hat es mich sehr verwundert, dass er sich zu Karla Tiedemann hingezogen fühlt, denn die Lady mit ihrem Geltungsbewusstsein und dem Drang zur Veröffentlichung von Ermittlungsinterna erscheint mir höchst suspekt. Und auch ihr privates Scherflein, dass sie zu tragen hat, machte mir die Dame nicht unbedingt sympathischer.
Alles in allem jedoch eine höchst unterhaltsame Lektüre mit viel Lokalkolorit und Charme, v.a. wenn man nur wenige Kilometer vom Ort des Geschehens wohnt und die Wege der Protagonisten recht gut nachvollziehen kann.

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