Eine Sinnsuche eingebettet in die Hintergründe eines sozialistischen Traums
GoldstrandEli lebt in Rom, ist ein alternder, ehemals erfolgreicher Regisseur, der sich in regelmäßigen Besuchen bei seiner Dottoressa versucht die Paradoxien seiner Existenz und Herkunft zu erschließen. Seinen ...
Eli lebt in Rom, ist ein alternder, ehemals erfolgreicher Regisseur, der sich in regelmäßigen Besuchen bei seiner Dottoressa versucht die Paradoxien seiner Existenz und Herkunft zu erschließen. Seinen Vater Felix hat er nie kennengelernt und so ranken sich Mythen und Vermutungen um dessen Lebensgeschichte als Flucht vor der Russischen Revolution im Kindesalter und die Zeit als erfolgreicher Architekt in Bulgarien, in der er auch Elis italienische Mutter, die selbst auf einer Reise war, kennengelernt hat. Mutter Francesca stammt im krassen Klassen- und Systemgegensatz zu Felix aus einer wohlhabenden römischen Familie, in der Mussolini verehrt wird.
Vor diesem Hintergrund entwickelt Katerina Poladjan in Goldstrand eine kluge, tiefsinnige Erzählung über Herkunft, Selbstbestimmung und den Traum eines sozialistischen Urlaubsparadieses, die von zahlreichen literarischen und philosophischen Referenzen und Verweisen bereichert wird. So finden sich wundervolle Sätze wie dieser gleich zu Beginn des Romans und setzen einen gelungenen Rahmen: „Der Mensch werde aber diese Paradoxie niemals auflösen können und bleibe schlussendlich staunend darüber zurück, dass nur in der Absurdität das Sein zu erklären sei.“ (S. 13)
Ich habe die Lektüre sehr genossen. Sowohl die zarte Aufarbeitung von Elis Familiengeschichte, als auch den zuweilen skurrilen Ton in der Kommunikation mit seiner Mutter, der Dottoressa und auch Tochter Vera.
Was der Goldstrand war und sein sollte und für wen, wird fast nebenbei vermittelt, und bleibt doch im Gedächtnis. Die Verbindung zu architektonischen Normen und Traditionen und wie sich Bauweise und gesellschaftlicher Anspruch im sozialistischen Bulgarien und in Felix Anspruch an seine Architektur vermengen, habe ich als sehr erhellend erlebt. Auch wie die Autorin die Idee des neuen Menschen im Sozialismus einfließen lässt, fand ich gelungen. Den Gegensatz dazu bildet das Porträt des aktuellen Goldstrands und seiner Bebauung, die kapitalistischen Mustern von Fassade statt Substanz und Kurzlebigkeit folgt, statt neuer Mensch werden die Touristen zu „Schweinen“. Nichts von dem, was Felix sich erträumte und wofür er als Architekt stand, ist übrig geblieben an diesem neuen Goldstrand.
In Elis Leben und Geschichte vereinen sich die politischen Gegensätze seiner Zeit. Die faschistische Prägung des italienischen Großvaters mütterlicherseits auf der einen und des sozialistischen „Vaters“ auf der anderen Seite. Ein Systemkonflikt und Widerspruch vereint in einem Leben. So begleitet das eingangs aufgeführte Zitat die komplette Handlung. Widersprüche und Paradoxien, die das Leben schreibt und der Schlüssel bleibt die Akzeptanz, wie auch die ziellos beendete Behandlung bei der Dottoressa vor Augen führt.
Rückblickend bin ich ziemlich beeindruckt, wie leicht und fast unbemerkt die Autorin die Geschichte von der russischen Revolution bis heute in Elis Leben in Verbindung mit Veras und Felix Geschichte nachzeichnet, mit allen Widersprüchen.
Für mich ein echtes Highlight in diesem Lesejahr, das unbedingt Lust auf weitere Bücher der Autorin macht!