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Veröffentlicht am 27.03.2019

Ein Buch wie eine warme Decke

Wir nannten es Freiheit
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Der erste Weltkrieg ist bereits im zweiten Jahr. Immer mehr Männer werden eingezogen und hinterlassen große Lücken in ihren Familien aber auch in der Arbeitswelt. In der Mädchenschule sind bis auf den ...

Der erste Weltkrieg ist bereits im zweiten Jahr. Immer mehr Männer werden eingezogen und hinterlassen große Lücken in ihren Familien aber auch in der Arbeitswelt. In der Mädchenschule sind bis auf den wehruntauglichen Rektor die Lehrer alle an der Front und dadurch werden junge Lehrerinnen wie Lene dringend gebraucht. Umso widersinniger erscheint das Zölibatsgesetz, welches verheirateten Frauen den Lehrberuf verwehrt.

Lene liebt ihren Beruf. Sie möchte den Mädchen das bestmögliche Rüstzeug auf dem Lebensweg mitgeben und ihr Gehalt ist auch dringend nötig, da die Mutter mit ihrem Verdienst als Wäscherin die Mietwohnung und den Unterhalt alleine gar nicht würde bezahlen können. Die junge Frau verliebt sich in Paul, der überraschend als Soldat ins französische Verdun geschickt wird und ihr noch schnell einen Heiratsantrag macht, den sie überglücklich annimmt. Während der Verlobte irgendwo in den Schützengräben liegt, überlegt Lene, was werden soll, wenn Paul zurückkehrt und sie wirklich heiratet. Die Vorstellung, dann nicht mehr Lehrerin sein zu dürfen, behagt ihr ganz und gar nicht und mit ihren Kolleginnen beschließt sie schließlich, dem Oberbürgermeister der Stadt Schwerin einen Brief zu schreiben und diese gesetzliche Regelung neu zu überdenken.

Es war mein erstes Buch von Silke Schütze. Und ich war von der ersten Seite an begeistert. Lene ist eine liebenswerte, kluge und aufmerksame junge Frau und ihr Engagement als Lehrerin aber auch ihr Mut als Mensch nehmen schnell für sie ein. Glaubhaft und facettenreich wird die damalige Zeit geschildert und das Ensemble rund um die Hauptdarstellerin ist interessant und gibt einen hervorragenden Einblick in die Gesellschaft und die Stimmung damals. Neben dem hervorgehobenen Thema von Gleichberechtigung und beginnender Emanzipation bekommt auch der Krieg und vor allem die Kriegstraumata der heimkehrenden Soldaten Raum und Aufmerksamkeit.

Silke Schütze erzählt auf eine sehr warme und einfühlsame Art ohne je ins Seichte oder Kitschige abzurutschen. Gerade die Liebesszenen sind trotz aller Gefühle sehr wahrhaftig und wunderschön. Trotz der Kriegszeiten und der damit verbundenen schweren Töne kommen aber auch der Humor und die Lebensfreude nicht zu kurz. Gibt es nicht den Spruch: Ein Buch wie eine warme Decke? Genauso ist diese Geschichte und ich bin damit zum absoluten Fan dieser Autorin geworden und werde mir jetzt nach und nach alle anderen Bücher von ihr zulegen. Ich fände es außerdem toll, wenn im Lene-Universum vielleicht noch weitere Bücher folgen würden.

Veröffentlicht am 25.03.2019

Leseempfehlung

Der Gesang der Bienen
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Der Zeidler Seyfried kennt den „Gesang der Bienen“. Dank seinem großen Wissen über diese Insekten lebt er mit seiner Familie eigentlich zufrieden und ruhig am Waldrand. Weil seine Frau aber der Tochter ...

Der Zeidler Seyfried kennt den „Gesang der Bienen“. Dank seinem großen Wissen über diese Insekten lebt er mit seiner Familie eigentlich zufrieden und ruhig am Waldrand. Weil seine Frau aber der Tochter eines Edelmannes hilft, als diese nach einem Schwangerschaftsabbruch mit dem Tode ringt, kommt Unheil auf Seyfried, seine Frau Elsbeth und die drei Kinder zu.

Um seine Frau vor dem Henker zu retten reist Seyfried zur Ordensfrau Hildegard von Bingen, die gerade dabei ist ihr berühmtes Kloster aufzubauen. Bevor sie ihm hilft, gibt sie ihm einige wichtige Aufgaben, die er lösen muss.

Ralf Dorweilers Romane lesen sich allesamt flott weg. Auch das neue Buch ist hier keine Ausnahme. Mit jeder Menge historischer Fakten gespikt bietet es kurzweilige und spannende Unterhaltung. Eine liebenswerte Zeidlerfamilie, ein bösartiger Ritter, ein übellauniger Bär und eine energische Nonne sorgen dafür, dass man schnell in die Geschichte reinfindet, große Sympathien für die Darsteller entwickelt und ungeduldig auf ein gutes Ende hofft.

Man bekommt einen gut recherchierten Histo-Roman mit fiktiven und realen Personen. Ralf Dorweiler enttäuscht den Leser auch mit seinem dritten Buch nicht. Mir gefiel vor allem, dass die Frauenfiguren sehr stark und präsent waren. Neben Elsbeth und Tochter Anna, sind es auch die Novizin Adelheyd und nicht zuletzt die strenge und schlaue Hildegard, die mich begeistern konnten. Dorweiler hat es geschafft, ihnen Leben einzuhauchen und mir Neues zu erzählen. Für mich gehört dieser Autor in die Riege der deutsche Schriftsteller, die man inzwischen ohne Sorge weiterempfehlen kann.

Veröffentlicht am 11.03.2019

faszinierender Genremix

Der Honigbus
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Was für ein tolles Buch. Ich bin noch ganz ausgefüllt vom „Honigbus“, mit dem ich eine so intensive Reise in die Kindheit und Jugend der Autorin Meredith May machen durfte. Es handelt sich um eine Autobiographie. ...

Was für ein tolles Buch. Ich bin noch ganz ausgefüllt vom „Honigbus“, mit dem ich eine so intensive Reise in die Kindheit und Jugend der Autorin Meredith May machen durfte. Es handelt sich um eine Autobiographie. Aber darin steckt so viel mehr. Der Titel und das Cover versprechen nicht zu viel, denn es ist auch ein Buch über Bienen. Über diese kleinen gestreiften Insekten, die lange Zeit so unterschätzt und verkannt wurden und die seit einigen Jahren (ungefähr seit der Dokumentarfilm „More than honey“ weltweit für Aufmerksamkeit gesorgt hat) immer mehr Menschen beschäftigen. Erst vor wenigen Wochen ist das Volksbegehren in Bayern „Rettet die Bienen“ mit einem vollen Erfolg zu Ende gegangen.

Die Eltern trennen sich im Streit, als Meredith fünf Jahre ist und mit ihrem jüngeren Bruder und der Mutter zieht sie ins Haus der Großeltern mütterlicherseits. Während die Mutter sich mit einer schweren depressiven Störung die nächsten Jahre in ihrem Schlafzimmer vergräbt und die Kinder in eher ärmlichen Verhältnissen aufwachsen, wird für die zwei Kinder der Großvater zur wichtigsten Bezugsperson. Der passionierte Hobbyimker erklärt Meredith das Leben durch die Welt der Bienen. Durch ihr emsiges uneigennütziges Streben, ihre Sorge für die Königin und das Überleben des eigenen Bienenstockes, ihr beständiges Wesen und ihre schier unglaublichen Leistungen für sich aber auch für die Pflanzen und die Menschen.

In seinem „ Honigbus“ schleudert er den Honig aus den Bienenwaben und gibt Meredith und ihrem Bruder ein Gefühl von Geborgenheit, welches die psychisch kranke Mutter und die spröde Großmutter ihnen nie geben können. Oberflächlich betrachtet mutet die Kindheit von Meredith traurig und schwer an. Umso faszinierender ist, dass durch die Beschreibungen der Bienenwelt und die daraus resultierenden Erkenntnisse die ganze Geschichte immer einen positiven Grundton beigehält und Meredith eine innere Stärke gewinnt, die auch der Leser spüren kann.

Eine bewegende Familien- und Coming-of-Age-Story und gleichzeitig ein Buch über die Bienen. Man erfährt, wie Bienen duften, wenn sie angreifen, wie sie ihre Brut aufopferungsvoll Pflegen, wie sie als Pfadfinderinnen oder Arbeiterinnen leben. Ein faszinierender Blick in eine Bienenstock und in das Leben von Meredith May.

Veröffentlicht am 04.03.2019

graue Zukunftsaussicht

Die Mauer
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John Lanchester beschreibt in seinem neuen Roman eine dystophische Welt. Rund um eine große Insel – vermutlich England – wurde eine hohe für Menschen unüberwindliche Mauer aus Beton gezogen. Auf der patrouillieren ...

John Lanchester beschreibt in seinem neuen Roman eine dystophische Welt. Rund um eine große Insel – vermutlich England – wurde eine hohe für Menschen unüberwindliche Mauer aus Beton gezogen. Auf der patrouillieren die zum Mauerdienst eingezogenen Rekruten in langen Tages- und Nachtschichten. Sie sollen verhindern, dass die Anderen über die Mauer kommen.

Aus der Ich-Perspektive erzählt Joseph Kavanagh von seinem ersten Tag und wie er danach Stunde für Stunde seine zweijährige Dienstzeit abarbeitet. Militärische Disziplin, Furcht vor Angriffen aber auch vor den Vorgesetzten und ihrer Willkür, bestimmen den Alltag ebenso wie Eintönigkeit und die Frage nach dem Sinn der Mauer und der Bewachung.

Lanchester nimmt sich viel Zeit für dafür, den Leser in diese düstere und graue Welt einzuführen. Dabei legt er sich aber weder fest, wo seine Geschichte angesiedelt ist noch was genau zu dieser Abschottung geführt hat. Er belässt es bei Andeutungen. Das war auch der größte Kritikpunkt an „der Mauer“, denn für mich wurden ziemlich viele Fragen aufgeworfen, die bis zum Ende nur unzureichend erklärt wurden. Allerdings hatte ich deutlich das Gefühl, dass dies Absicht war, denn der Schwerpunkt lag wohl vielmehr auf dem menschlichen Aspekt. Wie geht der Einzelne und das System mit einer Bedrohung um, wie mit der Entmenschlichung und der Militarisierung, wenn alles Fremde als feindlich eingestuft wird.

Ein bedrückendes Buch welches Versatzstück der Gegenwart – Flüchtlingskrise, Mauerbau in den USA, Brexit – aufgreift und daraus einen deprimierenden Ausblick auf eine mögliche Zukunft gibt.

Veröffentlicht am 04.03.2019

furios

1793
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Der erste auf Deutsch erschienene Krimi von Niklas Natt och Dag spielt im Jahr 1793 in Stockholm. Ein verstümmelter menschlicher Torso wird vom Stadtbüttel Jean Michael Cardell aus dem Kanal gefischt. ...

Der erste auf Deutsch erschienene Krimi von Niklas Natt och Dag spielt im Jahr 1793 in Stockholm. Ein verstümmelter menschlicher Torso wird vom Stadtbüttel Jean Michael Cardell aus dem Kanal gefischt. Die Verletzungen wurden dem Opfer scheinbar über mehrere Monate zugefügt. Der Jurist Cecil Winge beginnt mit Jean Michaels anfangs widerwilliger Hilfe zu ermitteln. Nach und nach wird vor allem in zeitlichen Rückblicken erzählt, wie es zu dem grausamen Mord kam aber auch, wie das zusammengewürfelte Ermittlerduo versucht, den Täter zu fassen.

Ein historischer Krimi muss neben den genreüblichen Bestandteilen immer auch noch ein geschichtlich koloriertes Setting bieten. Gerade diese Vorgabe beherrscht der Autor hervorragend. Ort und Zeit nehmen viel Raum in den Beschreibungen ein und geben ein intensives Bild einer Stadt, die zwischen Dreck und Armut versucht, als Regierungssitz eines Königs und wichtiges Handels- und Machtzentrum der schwedischen Nation Eindruck zu machen. Dabei spiegeln die beiden Ermittler sehr unterschiedliche Gesellschaftsschichten wieder, wodurch der Einblick sowohl in den Adel als auch den Pöbel erleichtert wird.

Ich war fasziniert von Nat och Dags kraftvollem Erzählstil, der gleichermaßen fesselt wie fordert. Und erfreut durfte ich feststellen, dass das kleine Einmaleins des Kriminalromans perfekt inszeniert wurde. Das Buch ist sehr spannend, der Mordfall wird Stück für Stück erzählt und aufgelöst. Die Motive der Akteure sind stimmig und sehr menschlich. Dabei gibt es dramatische Wendungen und ein Finale, welches ich als furios bezeichnen würde. Nach typisch nordischer Manier ist der Roman teilweise sehr brutal und blutig aber diese Szenen werden nie um ihrer selbst Willen sondern immer zur Erklärung der Umstände und Erhöhung des Suspense eingesetzt.

Eine dicke Leseempfehlung und Schweden hat einen neuen Stern am Krimihimmel.