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Veröffentlicht am 18.02.2021

Herz aus Kopf an?

Die Frau von Montparnasse
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Das Gefühl hatte ich beim Lesen von Caroline Bernards neuem Roman „Die Frau von Montparnasse“ über Simone de Beauvoir. Gegen alle Konventionen und die Erwartungen ihrer Eltern studiert Simone Philosophie ...

Das Gefühl hatte ich beim Lesen von Caroline Bernards neuem Roman „Die Frau von Montparnasse“ über Simone de Beauvoir. Gegen alle Konventionen und die Erwartungen ihrer Eltern studiert Simone Philosophie und wird Lehrerin, lernt dabei Jean-Paul Sartre kennen und lieben und bindet sich mit einem Pakt lebenslang an ihn – keine Heirat aber eine gleichberechtigte Beziehung, bei der sie auch andere Partner haben dürfen. Es klingt revolutionär – denn neben ihrer sexuellen Freiheit würde er ihr auch nie vorschreiben, wie, wo oder woran sie arbeitet oder ihre Zeit verbringt. Dass Sartre sich in der Realität dann doch immer wieder einmischt, vor allem wenn es seine Affären (er)fordern oder er Simone antreibt, dass sie ihren Roman schreiben soll, hat sie hingenommen.
Keine Frage, Simone de Beauvoir war und ist eine Frau, die polarisiert. Aus gutem Hause stammend hätte sie nach dem Willen ihrer Eltern eigentlich einen passenden (reichen) Mann heiraten und Kinder in die Welt setzen sollen, doch sie will mehr. Und weil es noch kein Vorbild für die moderne unabhängige Frau gibt, wird sie es eben selbst. Sie ermutigt ihre Schülerinnen zu selbstständigem Denken und freien Entscheidungen, fördert sie und damit oft auch die Abnabelung vom Elternhaus. Und nicht wenige von ihnen landen in Sartres oder ihrem Bett und damit ihrem Leben. Sie alle werden eine große Familie, oft belastet von persönlichen Dramen, aber man kümmert sich umeinander und unterstützt sich. „Simon stellte Sartre und sich in den Mittelpunkt der Welt, aber darum herum kreisten ihre Freunde und Bekannte wie kleine Monde.“ (S. 197) Wobei gerade der Zusammenhalt, die Organisation und Planung des zum Teil sehr fragilen Gebildes allein in Simones Händen liegt.

Caroline Bernard zeichnet hier das Bild einer Frau, die bis zur Selbstaufgabe arbeitet. Ich hatte oft das Gefühl, dass alle anderen und deren Bedürfnisse – allen voran Sartres – zuerst kommen. Simone liest seine Arbeiten gegen und gibt ihm immer wieder neue Denkanstöße. Ihr eigene Arbeit erledigt sie erst danach, wenn er sie nicht mehr braucht. Ihr ganzes Leben lang überdenkt sie immer wieder die Rolle der Frau im Allgemeinen und ihre eigene im Besonderen und erkennt irgendwann: „Man kommt aber nicht als Frau zur Welt, man wird es.“ (S. 413) Sie ist die ewig Zweifelnde, stagniert nie, sucht immer neue Blickwinkel und ist offen für Anregungen – und man ist als LeserIn live dabei.
Ich habe sie für ihren Mut und ihre scharfe Intelligenz bewundert, dass sie kein Problem damit hat, Sartre und anderen Männern oder Frauen zu widersprechen und ihnen die Fehler in ihre Interpretation oder Argumentation aufzuzeigen.
Genau wie in ihrem Denken und Leben nimmt Sartre auch im Roman einen sehr großen Platz ein. Egal wie frei sie zu sein glauben, sie können nicht ohne einander, auch wenn es irgendwann nur noch eine geistige Verbindung ist und keine körperliche mehr. Dabei habe ich mich oft gefragt, ob es wirklich Simones freier Wille war, sich so an ihn zu binden, oder ob sie sich ihm doch (unbewusst) unterworfen hat. Schließlich hat er von Beginn an die Rahmenbedingungen ihrer Beziehung festgelegt. In meinen Augen hat sie zu viel hingenommen, ihm seine Fehler immer wieder nachgesehen und entspricht damit meiner Meinung nach doch genau dem Frauenbild, dass sie verändern wollte. Sie fordert Freiheit und Unabhängigkeit für alle Frauen und ist es doch selber nicht, lässt sich von ihm manipulieren. Am erschreckendsten fand ich, dass sie aus Rücksicht, seine Gefühle und seinen Ruf einen ihrer Liebhaber bis nach Sartres Tod verheimlicht hat.

„Die Frau von Montparnasse“ ist ein Buch, für das man Zeit braucht. Es regt dazu an, sich mit Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre als Menschen, Philosophen und Literaten auseinanderzusetzen und auch damit, in wieweit sich unsere Rollenverständnisse im Vergleich zu damals geändert haben oder nicht.
Caroline Bernard schreibt sehr emotional, lässt uns auch Simones Nervenkrisen und Unsicherheiten miterleben und in das Paris und Lebensgefühl zu Beginn des letzten Jahrhunderts abtauchen.

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Veröffentlicht am 15.02.2021

Über den Wolken, muss die Freiheit wohl grenzenlos sein …

Mauersegler
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„Du kannst jederzeit wiederkommen, wenn dir danach ist.“ (S. 31) sagt ihr Großcousin Johann zu Juliane, als sie nach ihrem ersten Besuch wieder nach Hause fährt, dabei hatten sie jahrelang keinen Kontakt. ...

„Du kannst jederzeit wiederkommen, wenn dir danach ist.“ (S. 31) sagt ihr Großcousin Johann zu Juliane, als sie nach ihrem ersten Besuch wieder nach Hause fährt, dabei hatten sie jahrelang keinen Kontakt. Sie ist gerade wegen ihrem Freund nach Berlin gezogen, hat ihren ungeliebten Job als Lehrerin gekündigt und keinen Plan, was sie jetzt machen soll. In Johanns Haus auf den Klippen über der Ostsee fühlt sie sich zum ersten Mal seit langem wieder etwas freier. Kurz darauf gesteht ihr Freund ihr, dass er längst eine Neue hat. Kopflos flüchtet sie zu Johann. Er bringt sie im ehemaligen Zimmer seiner Mutter Marianne unter, wo sie Fotoalben und ein Sammelalbum mit Zeitschriftenausschnitten über berühmte Fliegerinnen findet. Bis dahin wusste Juliane nicht viel über ihre Vorfahren. Nur, dass die es im Krieg und in der DDR schwer hatten. Ihre Oma wollte nie darüber reden und ihre Mutter kann sich kaum erinnern ...

Berlin in den 1930ern: „Ich will den Flugschein machen und hinterher damit Geld verdienen. Und wenn es nicht klappt, werde ich etwas anderes finden.“ (S. 50) Marianne und ihre beste Freundin Roseanne stammen aus gutsituiertem Hause und haben das Glück, dass sie anstatt zu heiraten ihre Fluglizenzen machen und danach ihren Lebensunterhalt mit Reklame- und Transportflügen in ihren eigenen kleinen Maschinen in Deutschland und Europa verdienen können. Als Roseannes Bruder Charles eine Handelsvertretung in Westafrika aufbaut, sollen sie die regelmäßigen Transportflüge dorthin übernehmen. Ein Traum wird wahr. Obwohl Marianne inzwischen verheiratet ist fliegt sie nach Afrika. Ihren kleinen Sohn Johann lässt sie für diese Zeit bei ihrer Schwester Ruth und deren Mann. In dem Moment bricht der 2. Weltkrieg aus …

Der neue Roman von Valerie Jakob umfasst fast 100 Jahre und 3 Generationen, spielt im lebhaften Berlin, an der traumhaften Ostseeküste und in der atemberaubenden Wüste Westafrikas. Sie erzählt darin von Frauen, die sich weder von ihren Männern noch vom Schicksal brechen lassen, unbeirrt ihren Weg gehen und dabei über sich hinauswachsen. Marianne und Roseanne und später auch Ruth kämpfen für ihre Freiheit, Gleichberechtigung und gegen herrschende Konventionen.

Marianne hatte ich sofort ins Herz geschlossen. Sie ist sehr mutig und intelligent. Als sie und Roseanne gegen alle Vorurteile und Widerstände ihre Führer- und Flugscheine machen, war das für Frauen nicht nur unüblich, sondern regelrecht unweiblich. Trotzdem haben sie sich davon nicht abschrecken lassen und sogar ihre eigene kleine Firma aufgebaut. Doch Hitlers Machtübernahme änderte alles.
Auch Johann habe ich sofort gemocht. Er ist zwar verschlossen, aber trotzdem sehr herzlich und vor allem nimmt er die Menschen so, wie sie sind. Er kann gut zuhören und Geheimnisse für sich behalten, auch über den Tod der Betroffenen hinaus.

Juliane hat es mir schwerer gemacht, sie zu mögen. Sie lässt sich ziellos durchs Leben treiben und schiebt Entscheidungen immer wieder auf. Als sie verlassen wird, ist der eigentlich unbekannte Großcousin Johann der Einzige, der ihr keine Vorwürfe oder Vorschläge macht, sondern sie in seinem Haus und seinem Leben willkommen heißt. Nur darum flüchtet sie sich zu ihm und stößt dabei auf die Geschichte ihrer Familie. Bei der Suche nach Mariannes Spuren erkennt sie endlich ihre Stärken und weiß, was sie in Zukunft machen will.

Valerie Jakob schildert das Leben in Deutschland in den 1930er bis 40er und später der DDR sehr plastisch und eindringlich. Sie entführt ihre Leser auf eine extrem emotionale Reise, schildert die sich ändernde Rolle und Bedeutung der Frau unter den Nazis und zeigt auch das in der DDR geschehene Unrecht auf, die Einschränkungen und Bevormundung der Menschen durch den Staat und wie diese damit umgegangen sind.

Fazit: Eine spannende, atmosphärisch und emotionale Familiengeschichte voller Geheimnisse.

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Veröffentlicht am 20.01.2021

Vom tristen Norwegen zur reichsten Familie Amerikas

Miss Marie
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Norwegen 1916: Thea ist das älteste von 6 Kindern und hilft ihrem Vater in der Bäckerei, die sie später übernehmen will. Doch wegen des Krieges gibt es kaum noch Mehl und wenn nicht ein Wunder geschieht, ...

Norwegen 1916: Thea ist das älteste von 6 Kindern und hilft ihrem Vater in der Bäckerei, die sie später übernehmen will. Doch wegen des Krieges gibt es kaum noch Mehl und wenn nicht ein Wunder geschieht, werden sie ihr Geschäft verlieren. Da bietet ihr ihre Tante Augusta in Amerika eine Stelle an, mit freier Kost und Logis und einem viel besseren Verdienst als zu Hause. Thea ist hin- und hergerissen. Sie will nicht weg, aber die Arbeit ist die einzige Chance, um die Bäckerei zu retten.
Erst nach ihrer Ankunft erfährt Thea, dass sie für die Vanderbilts arbeiten wird, die reichste Familie Amerikas. „Nichts von dem, was sie hinter diesen Toren sah, erinnerte Thea an das Leben, das sie von zu Hause her kannte.“ (S. 119) Statt Bäckerin ist sie nur noch ein einfaches Küchenmädchen, muss Hilfsarbeiten machen und aufpassen, dass sie dabei nicht auch noch von den männlichen Hausgästen oder Dienern vergewaltigt wird. Sie steht auf der untersten Stufe der Hierarchie des Haushalts, muss für ihre Arbeitgeber und deren Gäste unsichtbar sein, sich im Notfall hinter einem Vorhang verstecken oder mit dem Gesicht zur Wand drehen – sie ist ein Nichts! Außerdem bekommt sie ihren Lohn erst nach 6 Monaten ausgezahlt – wie soll sie da Geld nach Hause schicken? „Sie war … nicht hergekommen, um sich ein neues Leben aufzubauen, sondern in der Hoffnung, die Reste von dem retten zu können, was ihr Zuhause war.“ (S. 134)
Ein Lichtblick könnten ihre beiden Tanten sein. Augusta ist ihre unmittelbare Vorgesetzte und deren Schwester Hulda lebt frisch verheiratet in der Nähe, doch beide umgibt ein dunkles Geheimnis, über welches sie beharrlich schweigen.

„Miss Marie“ von Ellen Vahr ist ein sehr aufwühlendes und anklagendes Buch, das die gesellschaftliche Stellung der Dienstmädchen in Amerika um 1900 beleuchtet. Während Frauen in Norwegen längst gleichberechtigt sind und das Wahlrecht haben, ist Amerika noch sehr rückständig. Die Dienstmädchen arbeiten von früh bis spät, haben kaum frei und werden beim kleinsten Vergehen fristlos ohne Lohn entlassen.

Thea ist von diesen Zuständen schockiert. „Diese beiden Leben waren so weit voneinander entfernt, wie das überhaupt nur möglich war.“ (S. 130) Nicht nur, dass man sie bei der Einwanderung einfach in Marie umgetauft und ihr mit dem Namen auch ein Stück ihrer Herkunft und Vergangenheit genommen hat, es gibt unter den Dienstboten auch keinen Zusammenhalt. „Sie Frauen gelten als weniger wert als die Männer, daher kümmert sich niemand, niemand setzt sich für sie ein, nicht einmal die anderen Dienstmädchen. Die … sehen zu, wie ihre Freundinnen wie Dreck behandelt werden.“ (S. 222) Jede ist sich selbst die nächste und versucht so schnell wie möglich aufzusteigen oder zu heiraten. Da ist es kein Wunder, dass sich Thea bald für die Frauenrechtsbewegung interessiert, zumal sich auch Consuelo Vanderbilt den Suffragetten angeschlossen hatte.

Schonungslos offen und ehrlich beschreibt Ellen Vahr Theas Leben, die Hoffnungslosigkeit und Tristesse, die Grabenkämpfe innerhalt des Personals inkl. geheuchelter Freundschaften und Verrat, nichts wird beschönigt oder romantisiert. In Norwegen hat Thea selbständig gearbeitet, im Haushalt der Vanderbilts muss sie sich anpassen und unterordnen. Sie will nur durchhalten, bis sie endlich wieder nach Haus kann und ihr wird erst spät bewusst, welche Freiheiten ihr Amerika bieten kann – wenn sie sich die einfach nimmt. Diese Entwicklung war sehr spannend zu verfolgen.

Genauso aufwühlend wie Theas Geschichte ist auch das Geheimnis ihrer Tanten, allerdings wurde es mir im letzten Drittel des Buches dann etwas zu übertrieben verwirrend und dramatisch.

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Veröffentlicht am 18.01.2021

Glamourös, spannend und interessant

Die Jägerin
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Sydney 1946: Billie Walker hat als Kriegsreporterin gearbeitet und danach die Agentur für Privatermittlungen ihres verstorbenen Vaters übernommen. Die wirtschaftliche Lage ist schlecht, prestigeträchtige ...

Sydney 1946: Billie Walker hat als Kriegsreporterin gearbeitet und danach die Agentur für Privatermittlungen ihres verstorbenen Vaters übernommen. Die wirtschaftliche Lage ist schlecht, prestigeträchtige Kunden bleiben aus, meist ermittelt sie gegen untreue Ehepartner. Doch der Auftrag, den sie von der gutsituierte und extrem aufgewühlten Mrs. Brown bekommt, ist anders. Deren Sohn Adin ist vor 2 Tagen verschwunden, angeblich hat sie keinerlei Hinweise auf seinen Verbleib. Doch Billie hat das Gefühl, dass sie ihr etwas verheimlicht. Bald kommt sie dahinter, dass die Browns jüdische Einwandere aus Deutschland sind und schwere Zeiten hinter sich haben. Von Adins Freunden erfährt sie außerdem, dass dieser vor seinem Verschwinden versucht hat, in einen sehr exklusiven Club zu kommen und abgewiesen wurde. Was wollte der Jugendliche dort? War er in eine der Angestellten verliebt oder steckt etwas anderes dahinter?

„Die Jägerin“ von Tara Moss ist gleichzeitig glamourös, spannend und interessant.
Billie erinnert an Phryne aus „Miss Fishers mysteriöse Mordfälle“. Sie ist sehr sexy, intelligent und selbstbewusst. Ihre Mutter ist eine holländische Baronin die versucht, den früher luxuriösen Lebensstandard mit dem Verkauf ihrer teuren Möbel etc. zu halten. Billie legt großen Wert auf ihr Äußeres, trägt immer „Fighting Red“-Lippenstift und schneidert ihre Kleider nach Schnittmustern von Designern selbst – mit Erfolg, die Männer liegen ihr zu Füßen und sehen trotzdem nicht, welche Waffe sie wo hautnah an ihrem Körper versteckt. Ihr glamouröses Auftreten hilft ihr auch bei der Lösung des Falles, denn die Spur führt von dem Club zu einem vornehmen Auktionshaus, in dem u.a. ausgefallenen Schmuckstücke versteigert werden – und auch dort wurde Adin nicht eingelassen …
Gleichzeitig versucht Billie ihrer Informantin Shyla zu helfen. Sie und ihre Freundinnen sind Aborigines, wurden ihren Familien weggenommen und in christlichen Waisenhäusern zu billigen Arbeitskräften wie z.B. Hausangestellte oder Farmhelfer herangezogen. Jetzt haben 4 der Mädchen einen neuen Dienstherrn, der Shyla extrem unheimlich ist.
Billie wird bei den Ermittlungen von ihrem Assistenten Sam und Detective Inspector Hank Cooper von der Polizei unterstützt. Zwischen Billie und Hank scheint es zu knistern (auch das erinnert etwas an Phryne Fisher) und ich bin gespannt, ob sie noch weitere Fälle gemeinsam lösen werden.

Ich hatte schon früh eine Idee, wie die Auflösung des Falls aussehen könnte. Trotzdem gelingt es Tara Moss, die Spannung geschickt aufzubauen und einen filmreifen Showdown ans Ende zu setzen.

Da ich fast nichts über Australiens Geschichte der Neuzeit weiß, fand ich es sehr interessant, wie Informationen zur Wirtschaft, der Rolle der Frauen in der Gesellschaft und die Behandlung der Aborigines und Einwanderer in die Handlung eingebunden wurden und diese abrundeten.

Ich hoffe, dass „Die Jägerin“ der Auftakt einer Reihe ist und ich bald wieder von Billie lesen kann. Und vielleicht werden im nächsten Band ihr Lippenstift oder ihre Strumpfnähte etwas weniger häufig erwähnt .

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Veröffentlicht am 18.01.2021

„Um acht beim Mond.“

Helenes Versprechen
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… ist Helenes Versprechen, als sie ihren achtjährigen Sohn Moritz 1938 in einen Kinderzug nach England setzt. Sie plant so bald wie möglich nachzukommen, bis dahin werden sie beide jeden Abend um 8 Uhr ...

… ist Helenes Versprechen, als sie ihren achtjährigen Sohn Moritz 1938 in einen Kinderzug nach England setzt. Sie plant so bald wie möglich nachzukommen, bis dahin werden sie beide jeden Abend um 8 Uhr zum Mond schauen, um einander nah zu sein. Zu diesem Zeitpunkt ahnen sie noch nicht, dass bis zu ihrem Wiedersehen 9 Jahre vergehen werden. Als Helene 1947 endlich in New York vom Schiff steigt, erkennen sie sich nicht wieder. „Das soll seine Mutti sein? Eine ängstliche Frau, die nicht einmal das Haus verlässt, um sich New York anzuschauen, aber in sein Leben drängt und fordert, darüber zu bestimmen?“ (S. 202) Moritz, inzwischen ein junger Mann, ist bei Helenes Schwester Marlis aufgewachsen und hat seine Muttersprache verlernt. Helene ist eine gebrochene Frau. Sie kann das Grauen des Krieges nicht vergessen, findet sich in einem normalen Leben ohne Hunger und Angst nicht mehr zurecht. Außerdem kann sie nicht verstehen, dass Moritz und Marlis inzwischen vollkommen amerikanisiert sind, inkl. Vorstadtidylle, Tupperpartys, dem Hass auf Schwarze und der Abgrenzung von osteuropäischen Juden, die an ihren Muttersprachen und Traditionen festhalten. Zu ihnen gehört auch der polnische KZ-Überlebende Marek, den Helene auf der Überfahrt kennengelernt hat und der nicht nur ihr eine große Stütze ist. „An andere zu denken und nicht an mich, hat mir geholfen, nicht wahnsinnig zu werden. Und dabei, an Orten, an denen es keine Menschlichkeit gibt, trotzdem ein Mensch zu bleiben.“ (S. 24/25)

Ein Hinweis vorab, meiner Meinung nach ist der Klappentext vom Verlag nicht besonders günstig gewählt. Von ihm ausgehend hatte ich erwartet, dass es um Helenes Neuanfang in New York nach dem Krieg geht, wie sie die Geschehnisse verarbeitet und sich ihrem Sohn wieder annähert. Aber der Fokus liegt eindeutig auf ihrer Vergangenheit.
Aufgewachsen in den 1920er Jahren einer liberalen, zwar jüdischen, aber nicht gläubigen Familie, setzt sich ausgerechnet ihre Mutter dafür ein, dass Helene ihrem Vater nacheifern und Ärztin werden darf. „Helene kann heute alles werden, Ehefrau, Mutter und Ärztin.“ (S. 46) Ihre große Liebe Leon ist ebenfalls Jude und Journalisten. Doch seine Familie ist strenggläubig und hat Bedenken, dass Helene als Ärztin ihren Pflichten als Ehefrau und Mutter gerecht werden würde. Die Beziehung zerbricht. Leon, der schon früh ahnt, was die „Endlösung“ der Nazis für sie bedeuten wird, emigriert und Helene heiratet einen jungen (arischen) Arzt. Doch bald spitzt sich die Situation in Deutschland immer mehr und die Angst wächst – obwohl gerade am Anfang viele hoffen, dass Hitler nur ein böser Spuk und bald vorbei ist. Als sie nicht mehr praktizieren darf, wechselt sie in ein jüdisches Kinderheim und statt selbst zu fliehen rettet sie mit der Hilfe arischer Freundinnen einige Kinder vor der Deportation.

In bedrückenden und zum Teil gruseligen Bildern erzählt Beate Rösler die Geschichte einer selbstlosen jüdischen Ärztin, die ihre eigene Sicherheit und ihr Schicksal während des 2. Weltkrieges immer hintenanstellt, um für ihre Familie zu sorgen und jüdischen Kinder zur Flucht zu verhelfen. Sie beschreibt, wie Helene auch nach dem Ende des Krieges die Grausamkeiten nicht vergessen kann, wie sie von Halluzinationen und Albträume gequält wird und die Behandlung der Schwarzen sie erschreckend an ihre Zeit als „Mensch zweiter Klasse“ unter der Naziherrschaft erinnert. Zudem muss sie auch um die Liebe ihres Sohnes kämpfen, der nicht mehr damit gerechnet hatte, dass seine Mutter noch lebt, sich für sie schämt und sie vor seinen Freunden verleugnet.

Ich habe mit Helene gelitten, ihre Zerrissenheit und Ängste gespürt und sie und ihre Freundinnen für ihren Mut sehr bewundert. Mit ihrer Schwester hingegen bin ich nicht wirklich warm geworden. Sie wirkte auf mich sehr egoistisch. Obwohl sie die Irrfahrt der St. Louis miterlebt hat, kann sie sich nicht in Helene hineinversetzen und wirft ihr vor, dass sie sich dem neuen Leben nicht anpasst.

Ein weiteres wichtiges Buch #gegendasvergessen .

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