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heinoko

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 13.04.2020

Brutal und konstruiert

Blutgott
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Wenn ein Autor Hochschulprofessor und Redner für Corporate Storytelling ist, zudem mit einer Rechtsmedizinerin verheiratet ist, kann man davon ausgehen, dass seine Bücher mit Hintergrundwissen gefüttert ...


Wenn ein Autor Hochschulprofessor und Redner für Corporate Storytelling ist, zudem mit einer Rechtsmedizinerin verheiratet ist, kann man davon ausgehen, dass seine Bücher mit Hintergrundwissen gefüttert und strategisch raffiniert konstruiert sind. Ich kenne nur das vorliegende Buch, und ja, es ist konstruiert, nicht inspiriert. Es schockt durch brutalste Szenen, der Leser watet in Blut und zertrümmerten Knochen. Dazwischen gibt es viele Seiten der Langeweile.

Es handelt sich um den siebten Band rund um die Hauptkommissarin Clara Vidalis. Von einem brutalen Mord in einem IC an einem jungen Mädchen wird in der Einstiegsszene erzählt, und zwar so intensiv, dass der Leser sofort schaudernd ins Buch hineingezogen wird. Es bleibt in der Folge nicht bei diesem einen Mord, eine blutige Spur zieht sich durchs Land. Täter ist offenbar eine Gruppe Minderjähriger, strafunmündig, im Darknet auf satanische Weise angestachelt, sich selbst zu übertreffen.

Der Schreibstil gefällt mir in vielen Passagen, er ist witzig-bissig, geistreich, spritzig in den Dialogen. Dass der Autor auch bis ins letzte Detail intensiv beschreiben kann, beweist er allerdings leider nur in den brutalen Szenen. Und dabei geht er so weit, dass der Leser nur noch Ekel und tiefste Abscheu empfindet. Dann folgen wieder lange Passagen mit Diskussionen zwischen den Ermittlern, ohne Progredienz der Handlung. Viel Hintergrundwissen über die Tiefen und Untiefen des Internets, aber auch fraglich nützliches Wissen, wie zum Beispiel, woher der Name „Audi“ kommt und warum bei Leichen, die im Sitzen sterben, nach einiger Zeit der Kopf abfällt, füllen weitere Buchseiten. Leider bleiben auch die handelnden Personen allesamt konstruiert, psychologisch leer, Figuren, die vom Autor auf seinem Schachbrett der Grausamkeiten hin und her geschoben werden. Kann man lesen, muss man aber nicht.

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Veröffentlicht am 12.04.2020

Ein Schatzkästchen für alle, die neugierige Ohren haben

Ein Jahr voller Wunder
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Dieses Buch wurde zu meinem ganz persönlichen Schatzkästchen – und ich hoffe inständig, dass es das auch für alle wird, die wache Ohren haben. Clemency Burton-Hill, die Autorin, hat mich musikalisch ...



Dieses Buch wurde zu meinem ganz persönlichen Schatzkästchen – und ich hoffe inständig, dass es das auch für alle wird, die wache Ohren haben. Clemency Burton-Hill, die Autorin, hat mich musikalisch aus meiner Komfortzone herausgeholt, hat mich zum musikalischen Entdecker gemacht, ließ mich staunen oder fast Vergessenes wiederfinden. Einen vielschichtigeren, beglückenderen, gehaltvolleren Jahresbegleiter konnte ich mir gar nicht wünschen. Allen, die bereit sind, Musik und Neugier miteinander zu verbinden, lege ich das Buch sehr, sehr ans Herz.

Die Autorin, eine preisgekrönte Violonistin, Musikjournalistin und Moderatorin eines Klassik-Radiosenders auf BBC, hat für jeden Tag des Jahres ein Musikstück ausgewählt und dazu in kurzer, erfrischender Form Wissenswertes über den Komponisten, über das ausgewählte Stück , auch ihre persönlichen Gedanken zur ausgewählten Komposition beigefügt. Dies jeweils prägnant und unterhaltsam geschrieben, mit viel Wissen und Gefühl. Obwohl ich mich als ausgebildete Konzertsängerin über viele Jahre sehr intensiv mit klassischer Musik beschäftigt hatte, begegnete mir in diesem Buch so manch Unbekanntes, Fremdes, Ungewohntes. Und ich war überrascht, wie ich beim Hören des vorgeschlagenen Tagestitels anhand des Kommentares der Autorin Zugang fand zu Musikbereichen, die sich mir bislang nicht erschlossen hatten.

Ja, der Einwand ist richtig: das Buch kann man nicht hören. Aber Sie finden alles, zugegebenermaßen in unterschiedlicher Qualität, bei YouTube. Sie müssen sich also nicht bei AppleMusic anmelden, wie vom Verlag angeregt. Die vorgeschlagenen Musikstücke oder Ausschnitte aus großen Kompositionen sind immer nur wenige Minuten lang. Und doch lang genug, um sich bei YouTube einen ersten Eindruck zu verschaffen. Es liegt an Ihnen, ob und wann Sie einen solchen ersten Eindruck vertiefen wollen. Für den 29. Dezember wird zum Beispiel das Agnus Dei von Wojciech Kilar (1932 – 2013) vorgeschlagen. Der Komponist, wie wir von Clemency Burton-Hill erfahren, war besessen von der Idee, dass in einzelnen Tönen oder in einem Zusammenklang von ausgesuchten Tönen die tiefste Weisheit läge. Lassen Sie sich ein paar Minuten in meditativer Offenheit hinwegtragen auf einem Klangteppich, der „den Blick zugleich in die Vergangenheit und in die Zukunft richtet“. Am 30. Dezember hören wir von Arthur Sullivan (1842-1900), The long day closes, einen wehmütigen Chorgesang, passend zur nachdenklichen Stimmung zum Jahresende. Oder heute, am 10. April, das Allegro aus dem Konzert Nr. 7 in F-Dur für drei Klaviere von Wolfgang Amadeus Mozart, ein Stück, „das den Tag versüsst“, wie perlender Sekt…

Ich muss mich einfach selbst wiederholen: Einen vielschichtigeren, beglückenderen, gehaltvolleren Jahresbegleiter kann ich mir nicht vorstellen. Wunderbar!

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Veröffentlicht am 09.04.2020

Sprachgeschwurbsel tötet Witz und Spannung

Kreizkruzefix
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Ein Oberammergau-Krimi wird uns versprochen und „ein Regionalkrimi mit Biss und Herz“. Tja, darauf hatte ich in der Tat gehofft, obwohl mir das Buch mit seinem spinatgrün gefärbten Schnitt schon genug ...


Ein Oberammergau-Krimi wird uns versprochen und „ein Regionalkrimi mit Biss und Herz“. Tja, darauf hatte ich in der Tat gehofft, obwohl mir das Buch mit seinem spinatgrün gefärbten Schnitt schon genug Warnung hätte sein müssen.

Oberammergau, kurz vor Beginn der Passionsspiele, mitten in den Vorbereitungen und Proben. Da findet Theres Hack, grantige Metzgerin mit neumodischen Ambitionen, Sophie und Franz Thaller samt ihrem Hund getötet auf ihrem Hof. Das lässt sie, Theres, ins Visier der Ermittlungen geraten. Doch da gibt es noch ganz andere Personen, auf die die Kommissare Anton Sollinger und Toni Baurieder ihr Augenmerk richten sollten…

Das Gute zuerst: Tatsächlich wird der für den Leser überraschende Täter erst auf den letzten Seiten des Buches offenbart. Und es gibt für mich sogar einen Sympathieträger im Buch, nämlich Wolfin, eine irische Wolfshündin.
Doch ansonsten schleppen sich die Seiten so dahin, von Spannung keine Spur. Die Autorin spielt selbstverliebt mit ihrer Wortakrobatik und verliert dabei völlig aus den Augen, wie ein Krimi dramaturgisch aufgebaut werden sollte, um den Leser zu fesseln. Mit vielen Klischees und Überzeichnungen will Monika Pfundmeier Tradition und Moderne gegeneinander ausspielen, was dank der intoleranten Einseitigkeit nicht überzeugend wirkt. Leider macht das Sprachgeschwurbsel, das originell wirken soll, alles kaputt. „Der Schlaf kauerte sich irgendwo hinter den Kleiderschrank“ oder „Ein geschmiedeter Halter bettelte um eine Kerze“. Die Originalität der Sprache frisst die Lesbarkeit auf. Vielleicht sollte sich die Autorin ein anderes Genre suchen, wenn sie so große Freude an manirierten Sprachbildern hat. Für einen Krimi taugen sie jedenfalls nicht. Schade.

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Veröffentlicht am 08.04.2020

Eine prall volle Wundertüte

Die wunderkammer der Deutschen Sprache
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Ich gebe zu, ich bin sprachverliebt. Die oft zu hörende Verwechslung von „anscheinend“ und „scheinbar“ verursacht mir zum Beispiel regelrecht Schmerzen. Insofern war ich auf das Buch sehr gespannt. Ist ...



Ich gebe zu, ich bin sprachverliebt. Die oft zu hörende Verwechslung von „anscheinend“ und „scheinbar“ verursacht mir zum Beispiel regelrecht Schmerzen. Insofern war ich auf das Buch sehr gespannt. Ist es langweilig-öde? Ist es reine Wissensvermittlung? Oder was ist überhaupt eine Wunderkammer? Dass die Wunderkammer eine Wundertüte ist, prall vollgefüllt mit Sprachschätzen, war für mich eine freudige Überraschung, umso mehr, da sie dank einer gekonnten graphischen Gestaltung kein bisschen langweilig daherkommt.

Allem voran: Das ist ein Buch für viele Monate, ja länger noch, ein Buch, das man ein Leben lang immer wieder in die Hand nehmen kann und sollte. Um immer wieder aufs Neue auf Entdeckungsreise zu gehen, um sich zu amüsieren, um sich erstaunen zu lassen, um auf unterhaltsame Weise neue Achtsamkeit im Umgang mit Sprache zu erlangen. Was alles haben die beiden Autoren/Herausgeber da zusammengetragen: Über Nachtjargon in St. Pauli bis Homonyme und Homophone, über 10 Lieblingswörter von Autoren bis zur Auflistung von 55 verschiedenen Entenvögeln, über schwäbische Mundartwörter bis zu Titeln von Heftchenromanen, über Grabinschriften bis zu Schlusssätzen alter Märchen.

Wenn ich in der „Wunderkammer“ blättere, stelle ich mir den legendären Will Quadflieg vor, wie er aus dem Buch in seiner unvergesslichen Sprach-Gestaltungs-Kraft Wortschätze hervorholt und sie uns zu Ohren bringt, Diamanten und Glassteine, glitzernd oder stumpf, transparent oder bunt, mit Leuchtkraft oder erloschen – unermesslicher Reichtum der deutschen Sprache. Will Qadflieg konnte das. Das Buch kann es auch. Es ist gleichermaßen Schatztruhe, Entdeckerlandkarte, Theaterfundus, ein Dachboden voller sprachlicher Fundstücke. Genial!


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Veröffentlicht am 07.04.2020

Ein poetisches Kleinod

Offene See
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Ein kleines Buch ist das. Mit einem symbolträchtigen Cover, dessen Bedeutung sich erst im letzten Drittel erschließt. Mit einem für den Umfang des Buches geradezu gewaltig festen Einband, so als müsste ...


Ein kleines Buch ist das. Mit einem symbolträchtigen Cover, dessen Bedeutung sich erst im letzten Drittel erschließt. Mit einem für den Umfang des Buches geradezu gewaltig festen Einband, so als müsste der zarte, der leise Inhalt unbedingt beschützt werden. Und mit einem Lesebändchen, ungewöhnlich für 260 Seiten, und doch sehr gut, denn man braucht länger für dieses Buch, nein, man sollte länger brauchen für dieses Buch. Immer wieder für ein paar Seiten eintauchen in die berauschend schöne Sprache, dann das Lesebändchen einlegen und wieder ein Stück weit, durch die Poesie gestärkt, durch den Alltag gehen. Ja, solche Leser wünscht sich das Buch.

Es ist kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Der 16-jährige Robert will nach Beendigung der Schule für ein paar Wochen ausbrechen aus seinem vorbestimmten Lebensweg. Er will für eine begrenzte Zeit Freiheit erleben, bevor er sich dem Diktat der Familie ergibt, nämlich im Kohlebergwerk unter Tage zu arbeiten, so wie Generationen vor ihm. Er macht sich zu Fuß auf quer durch England bis zum Ort seiner Sehnsucht, der offenen See. Er lebt in, er lebt mit der Natur und staunt. Für eine kleine Mahlzeit übernimmt er Hilfsarbeiten. Und wandert weiter. Bis er Ducie kennenlernt, eine eigenwillige ältere Frau, die in einem heruntergekommenen Cottage lebt. Aus einer kurzen Rast wird ein ganzer Sommer, in dem er durch Dulcie und durch die Gespräche mit ihr ihre unkonventionellen Gedanken und Ansichten und damit eine ganz unerwartet neue Sicht auf die Welt erfährt. Dulcie bekocht ihn mit Schätzen aus der Natur und aus ihrer prall gefüllten Speisekammer, Robert beginnt mit Reparaturen rund ums Haus. Als er dabei ein Manuskript mit Gedichten findet, das Dulcie gewidmet sind, reagiert diese schroff und ablehnend…

Die Sprache dieses Buches macht in ihrer Schönheit fast trunken, eine große Leistung der beiden Übersetzer übrigens. Man möchte Satz für Satz, Bild für Bild sammeln und nie mehr vergessen. Es wird erzählt von Menschen, in deren Herzen der Krieg als „toxischer Samen“ verbleibt. Robert als alter Mann, der Kunst versteht als den „Versuch, den Moment in Bernstein zu gießen“. Und mit der Gewissheit, dass „im Schweigen die Poesie liegt“. Weise Gedanken verknüpfen sich mit ausgedachten Geschichten, Reales und Erträumtes vermischen sich mit Gefühlen. „Ein gutes Gedicht bricht die Austernschale des Verstandes auf, um die Perle darin freizulegen.“ Ein poetisches, feines und kluges Buch.

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